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Die Gleichnisse Jesu

Grundsätzliches zum Verständnis gleichnishafter Rede

Inhaltsverzeichnis

I. Die Unterscheidung von Bild- und Sachebene

Gleichnisse sind Texte mit »doppeltem Boden« (K. Erlemann), sie verweisen auf etwas, das nicht unmittelbar ausgedrückt wird. Diese zwei Seiten eines Gleichnisses kann man als »Bild- und Sachebene« bezeichnen.

  • Bildebene:
    die erzählte Geschichte; der Text, wie er auf der Oberfläche begegnet.
  • Sachebene:
    das, worauf der Text verweisen will; was er in der Sache meint.

Beispiel Mk 2,22:

»Niemand füllt neuen Wein in alte Schläuche, sonst zerreißt der neue Wein die Schläuche, und der Wein verdirbt und die Schläuche, vielmehr: neuen Wein in neue Schläuche!«

  • Bildebene : Klugheitsregel für den Umgang mit neuem Wein.
  • Sachebene: Aussage über die Unverträglichkeit von Alt und Neu – im Kontext des MkEv bezogen auf die neue Fastenpraxis (Mk 2,19f).

Von der Sache her wird das Bild entworfen, sie liegt dem Bild voraus.

 

II. Die Suche nach der Pointe

Traditionell wurden Gleichnisse meist als »Allegorien« verstanden, d.h.: Man suchte für jedes Element der Bildebene möglichst eine Entsprechung in der Sache.

So sah z.B. die heilsgeschichtliche Deutung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter in dem unter die Räuber gefallenen Menschen ein Bild des Menschen nach dem Sündenfall; ihm können Priester und Levit (alttestamentliche Gottesoffenbarung) nicht helfen, sondern allein der im Samariter dargestellte Jesus. Möglichst jedes Element der Erzählung sollte für etwas anderes stehen; das Versprechen zurückzukommen (Lk 10,36) etwa wurde auf die Wiederkunft Jesu am Ende der Zeit gedeutet.

 

Adolf Jülicher und das Ende der allegorischen Auslegung

Diese Art der Gleichnisauslegung hat Adolf Jülicher am Ende des 19. Jh. einer gründlichen Kritik unterzogen. Er erkannte: Gleichnisse sind auf einen Zielgedanken hin entworfen. Jülicher hatte diesen Zielgedanken das tertium comparationis genannt, den Vergleichspunkt. Heute wird vielfach der Begriff »Pointe« bevorzugt, weil man weitere Vergleichspunkte neben dem einen Zielgedanken für möglich hält.

Der Grundgedanke Jülichers ist freilich festgehalten, wenn man ein Gleichnis auf die Pointe hin auslegt.

Beispiel Lk 14,28-32:

»Denn wer unter euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht zuvor hin und berechnet die Kosten, ob er (das Nötige) zur Ausführung habe? Damit nicht etwa, wenn er den Grund gelegt hat und nicht vollenden kann, alle, die es sehen, anfangen, ihn zu verspotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und konnte nicht vollenden. Oder welcher König, der auszieht, um sich mit einem anderen König in Krieg einzulassen, setzt sich nicht zuvor hin und ratschlagt, ob er imstande sei, dem mit zehntausend entgegenzutreten, der gegen ihn mit zwanzigtausend anrückt? Wenn aber nicht, so sendet er, während er noch fern ist, eine Gesandtschaft und bittet um die Friedensbedingungen.«

Das Doppelgleichnis ist auf der Bildebene aus zwei ganz unterschiedlichen Bereichen gebildet (Turmbau; Kriegführung). Doch beide Teile des Gleichnisses (V. 28-30; V. 31f) werden durch einen Gedanken zusammengehalten. Diese bildinterne Pointe lautet:

  • Vor einer größeren Unternehmung, sei es Turmbau oder Kriegführung, überlegt man, ob die Mittel zur Durchführung ausreichen; wenn nicht, lässt man die Sache besser bleiben.

Nächster Schritt: die auf der Bildebene erhobene Pointe ist auf der Sachebene zu formulieren. Auf welchen Sachverhalt ist der zentrale Gedanke anzuwenden? Im LkEv findet sich der Kontext der Jüngerschaft. In diesem Rahmen könnte die Pointe auf der Sachebene so formuliert werden:

  • Wenn jemand Jünger Jesu werden will, soll er oder sie sich zuerst überlegen, ob die Anforderungen auf Dauer tragbar sind, ansonsten aber besser auf die Nachfolge verzichten.

Die Anwendung des LkEv (14,33) selbst trifft die bildintern erhobene Pointe nicht, denn der Besitzverzicht ist aus ihr nicht abzuleiten. Dies ist ein gegenüber dem Gleichnis neuer Gedanke. Dies ist im Übrigen bei Gleichnistexten der Evangelien häufig zu beobachten: Anwendungen erweisen sich als sekundär, da sie zur Pointe nicht ganz passen.

Die Bildelemente, die nicht in der Pointe erscheinen, sind nur für das Bildarrangement wichtig. Sie bedeuten darüber hinaus nichts: Der Turm ist ein Turm, der König ein König, der geplante Krieg ein Krieg – all dies wird nicht übertragen in die Sachaussage.

Genauso in Parabeln: Der Hausherr, der Arbeiter für seinen Weinberg anwirbt, ist zunächst einmal ein Weinbergbesitzer. Die Geschichte sollte nicht so gelesen werden, dass diese Figur eine Chiffre für Gott ist. Erst nach Erhebung der Pointe kann man fragen, ob diese Gestalt in ihrem ganzen Verhalten die Gottesverkündigung Jesu illustrieren soll.

Aber: Einzelne Elemente der Bildebene können in den überindividuellen Metaphernbestand einer überliefernden Gemeinschaft eingegangen sein, sodass sie bestimmte sachliche Assoziationen wecken können (s.u.).

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Verschiedene Formen gleichnishafter Rede

Inhaltsverzeichnis

I. Gleichnis im engeren Sinn

Folgende Merkmale zeichnen ein »Gleichnis im engeren Sinn« aus:

  • Es ist ein zu einer Erzählung ausgeführter Vergleich, wenigstens in Ansätzen dramatisch gestaltet.
  • Argumentiert wird mit dem Gewöhnlichen, mit der allgemein zugänglichen Erfahrung; deshalb häufig Frageform: »Wer von euch wird nicht …« o.ä.
  • Erzählzeit ist meist (nicht durchweg) die Gegenwart: das stets Gültige wird herangezogen.

 

II. Parabel

Folgende Merkmale kennzeichnen eine Parabel:

  • Die Parabel ist eine erfundene Geschichte, ein spannender Einzelfall, der als kleines Drama inszeniert wird; deshalb ist sie gewöhnlich durch Dialoge oder auch Monologe gekennzeichnet.
  • Argumentiert wird mit dem Außergewöhnlichen; den Hörern werden Identifikationen angeboten, sie werden in die Geschichte hineingezogen und sollen so zu einem Urteil gelangen (deutlich z.B. in 2Sam 12,1-7).
  • Erzählzeit ist die Vergangenheit: Der einmalige, ungewöhnliche Fall kann nicht als gegenwärtiges Geschehen geschildert werden.

 

III. Beispielerzählung und »Kleinformen« bildhafter Rede

Beispielerzählung

  • Die Beispielerzählung funktioniert erzählerisch wie die Parabel.
  • Inhaltlich besteht der Unterschied, dass keine Übertragung vom Bild auf die Sache geleistet werden muss: Das Verhalten, um das es geht, wird direkt an einem beispielhaften Fall beschrieben.

Beispielerzählungen begegnen nur im Sondergut des LkEv: 10,30-37; 12,16-21; 16,19-31; 18,9-14.

 

Kleinformen

Nach Kurt Erleman lassen sich folgende Kleinformen unterscheiden:

  • Vergleich:
    zwei analoge Phänomene werden zueinander in Beziehung gesetzt (z.B. Mt 10,16).
  • Metapher:
    baut auf der Spannung zwischen zwei Satzgliedern auf, z.B. Mk 8,15: »Sauerteig der Pharisäer«.
  • Bildwort:
    weisheitlicher Satz, der sich auf die Alltagserfahrung beruft, ohne erzählerische Entfaltung (z.B. Mk 2,22).
  • Erweiterte Metapher:
    Baustein ist die Metapher, sie ist aber ergänzt um weitere Elemente (z.B.Mt 7,3-5; 13,52).

 

IV. Zur Kritik an Untergattungen bildhafter Rede

In einem wichtigen neueren Grundlagenwerk zur Gleichnisauslegung, dem »Kompendium der Gleichnisse Jesu« , hat Ruben Zimmermann die gattungskritische Differenzierung zwischen Gleichnis im engeren Sinn, Parabel und Beispielerzählung kritisiert. Er will allein eine Gattung gelten lassen, die er (im Anschluss an die neutestamentliche Begrifflichkeit) »Parabel« nennt – als Sammelbegriff für jede bildhafte Rede, die sich durch sechs Merkmale auszeichnet: narrativ, fiktional, realistisch, metaphorisch, appellativ, ko- und kontextbezogen. 

 

Zur Beispielerzählung

Nach Zimmermann setzt auch die Beispielerzählung einen Übertragungsvorgang voraus, die »unmittelbare Vorbildfunktion der Erzählfiguren ist nicht nachvollziehbar« (S. 18). Außerdem sei es nicht gerechtfertigt, eine Gattung nach inhaltlichen Kriterien zu definieren.

Gegenargumentation: Zwar setzt auch die Beispielerzählung eine Übertragungsleistung voraus; diese ist aber von anderer Art als im Fall der Parabel. Das Verhalten, zu dem ermuntert oder vor dem gewarnt wird, wird an einem Einzelfall direkt gezeigt:

  • Hilfe für Menschen, die in Not geraten sind (positiv: Lk 10,30-37; negativ: 16,19-31),
  • Sicherung durch Vertrauen auf materiellen Besitz (Lk 12,16-21),
  • Pflege des Gottesverhältnisses in Absetzung von Sündern (Lk 18,10-14).

Die metaphorische Beteiligung des Hörers scheint hier doch anderer Art zu sein als etwa im Fall des Weinbergbesitzers, der mit seiner Entlohnungspraxis aneckt (Mt 20,1-16). Hier muss ein Bezug gefunden werden, der nicht nur analoge Situationen für das erzählte Beispiel findet, sondern der aus dem Bildmaterial der Erzählung hinausführt und die Fragen von Arbeitsorganisation und Lohn verlässt.

Diesen Unterschied kann man nicht durch die Beobachtung nivellieren, auch in der Erzählwelt anderer Gleichnistexte spiele »das religiöse Leben eine Rolle« (S. 18, mit Verweis auf Mk 2,18-20; 3,22-26; 7,14-23; Mt 25,32f). In der Beispielerzählung geht es nicht nur darum, dass in ihnen das religiöse Leben »eine Rolle spielt«, sondern dass das religiös relevante Verhalten unmittelbar inszeniert wird. Dies ist bei keinem der genannten Texte der Fall, auch nicht in Mk 2,18, wo zwar der Begriff des Fastens in das Bildwort aufgenommen, aber nicht im Rahmen eines Beispiels dargestellt ist.

Wer eine »weitgehend von Inhalten bestimmte Definition einer Gattung« (S. 18) ablehnt, mag die Gattung der Beispielerzählung kritisch sehen. Sie zu eliminieren heißt aber auch, vorhandene Unterschiede und Nuancierungen bei bildhafter Rede in den Evangelien zu verwischen.

 

Zur Differenzierung zwischen Gleichnis und Parabel

Gegen die Unterscheidung von Gleichnis im engeren Sinn und Parabel bringt Zimmermann vier Überlegungen vor:

  1. Im urchristlichen Schrifttum ist eine solche Differenzierung nicht nachzuweisen.
  2. Sie ist auch in der antiken Rhetorik nicht belegt.
  3. Durch die Uneinigkeit in der Zuweisung der beiden Kategorien ist sie forschungsgeschichtlich diskreditiert.
  4. Die Kriterien zur Abgrenzung der beiden Gattungen (alltäglicher / ungewöhnlicher Vorgang; Präsens / Vergangenheit als Erzählzeit) sind untauglich, da sie nicht zu eindeutigen Zuordnungen führen. Dies erweist sich bei der Verwendung der Tempora in den Gleichnissen wie auch angesichts der Schwierigkeit, alltägliche von außergewöhnlichen Ereignissen zu unterscheiden: die Grenzen zwischen beiden »sind fließend« (S. 23).


Die ersten drei Argumente sind nicht entscheidend:

  • Auch wenn in den Evangelien nur ein Begriff für die Kennzeichnung gleichnishafter Rede belegt ist (parabole, das JohEv kennt auch paroimia), bindet das die Gattungskritik nicht.
  • Dasselbe gilt für den Befund zur antiken Rhetorik – zumal man in der Rhetorik des Aristoteles durchaus eine sachliche Analogie für die Differenzierung zwischen »Gleichnis im engeren Sinn« und »Parabel« finden kann: unter den Begriffen von logos und parabole.
  • Der Verweis auf die Uneinigkeit in der Forschung widerlegt nicht die Möglichkeit, dass eine Position im Recht sein könnte. Positionen werden nicht schon dadurch erledigt, dass sie nicht konsensfähig sind. 

Alles kommt darauf an, wie das vierte Argument zu bewerten ist:

  • Zum Tempusgebrauch ist zuzugeben, dass eine eindeutige Zuordnung zu beiden Untergattungen in den Evangelien nicht gelingt.
  • Das verhindert aber nicht, zwischen zwei Arten der Argumentation zu unterscheiden. Es mag für uns im Einzelfall schwierig sein, zwischen Alltäglichem und Außergewöhnlichen zu unterscheiden – weil uns die damalige Lebenswelt nicht ausreichend vertraut ist, nicht weil die Grenze in den Gleichnissen nicht existieren würde.

    Die Frage »Wer von euch würde nicht …« o.ä. setzt deutlich ein Einverständnis über einen Sachverhalt voraus; dieses Einverständnis will das Gleichnis für einen anderen Zusammenhang nutzen. Die Erzählung vom verlorenen Sohn schildert dagegen tatsächlich einen ungewöhnlichen Fall, wie an dem Widerspruch des älteren Sohnes deutlich wird.

  • Die »Grenzen zwischen Alltäglichem und Außergewöhnlichem« sind nicht »fließend« (S. 23), wir müssen uns in der Auslegung entscheiden, welche Argumentationsstruktur einem Gleichnis zugrunde liegt.

    Auch wenn die nächtliche Ankunft des Bräutigams sozialgeschichtlich in das damalige Hochzeitsritual passt, rekurriert die Erzählung dadurch noch nicht auf Alltägliches, es wird ja die bemerkenswerte Dummheit der fünf törichten Jungfrauen inszeniert (Mt 25,1-13).

    Wer meint, ein alltäglich scheinender Vorgang wie das Brotbacken würde durch Nennung der Teigmenge und die Auslassung des Knetvorgangs zu einem ungewöhnlichen Ereignis (vgl. Mt 13,33par), verwischt selbst die Grenze zwischen Alltäglichem und Außergewöhnlichem: Dass das Kneten nicht erwähnt ist, heißt nicht, dass es ausgeschlossen, sondern nur, dass es ausgeblendet wird. Welche Überzeugungskraft soll ein Gleichnis haben, das an einem alltäglichen Vorgang ansetzt, ihn dann aber (noch dazu: implizit) durchbricht und ein Ergebnis präsentiert, das die Hörer aus ihrer Erfahrung nicht bestätigen können: dass nämlich Sauerteig eine Mehlmenge durchsäuert, ohne mit dem Mehl vermischt worden zu sein. In diesem Fall müsste doch ausdrücklich darauf verwiesen sein, dass es sich mit dem Reich Gottes anders verhält als bei der üblichen Bereitung von Sauerteigbrot.

Fazit

Die Unterscheidung zwischen »Gleichnis im engeren Sinn« und »Parabel« ist sinnvoll, weil sie zwei unterschiedlich argumentierende bildliche Redeweisen erfasst und die Auslegung zur Stellungnahme zwingt. Wenn im einen oder anderen Fall nicht mehr eindeutig erkennbar sein sollte, zu welcher Art ein Gleichnistext gehört, spricht das nicht gegen die genannte Differenzierung. 

 

V. Ein alternatives Modell gattungskritischer Differenzierung

Eine textpragmatisch orientierte Differenzierung schlägt neuerdings Kurt Erlemann vor, eine formkritische Unterteilung habe »sich als unbrauchbar erwiesen« (Erlemann, K., Gleichnisse. Theorie – Auslegung – Didaktik, Tübingen 2020, 107). Er unterscheidet vier Gleichnistypen, die unterschiedliche pragmatische Grundtendenzen aufweisen (außerdem in weitere Unterkategorien aufzuteilen seien). Es würden »in den Gleichnissen bestimmte Themen, Problemstellungen und Ausgangsfragen regelmäßig durch dazu passende Bildspendebereiche und Erzähltechniken einer Lösung zugeführt« (ebd. 107).

Naturgleichnisse / Naturmetaphern (Grundtendenz: Vergewisserung der Glaubensgrundlagen);

Weisheitsgleichnisse / Weisheitsmetaphern (Grundtendenz: Entscheidungsfindung angesichts dessen, was notwendig, möglich, vernünftig oder absurd ist);

Alltagsgleichnisse / Alltagsmetaphern (Grundtendenz: Verunsicherung im Blick auf eingespielte Denk- und Verhaltensweisen);

Identitätsgleichnisse / Identitätsmetaphern (Grundtendenz: Vergegenwärtigung der Grundlagen christlicher Gemeinschaft).

Welche Rolle dieser Vorschlag in der weiteren Diskussion spielen wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Einerseits beeindruckt die umfassende Berücksichtigung bildhaften Materials im gesamten Neuen Testament. Andererseits entsteht ein kaum noch überschaubares System, in dem ganz unterschiedliche Texte in denselben Kategorien zusammengestellt werden (zu »Naturgleichnissen« z.B. Mk 4,26–29: selbstwachsende Saat und Mk 13,8: Motiv der endzeitlichen Wehen). Wenn Themen, Problemstellungen und Ausgangsfragen zur Kategorisierung herangezogen werden, scheint bereits eine bestimmte Auslegung von Gleichnistexten vorausgesetzt zu sein (jedenfalls dann, wenn Ausgangsfragen erst aus dem Gleichnis geschlossen werden müssen). Auch scheint die Differenzierung zwischen Weisheits- und Alltagsgleichnissen nicht recht klar. Das Gleichnis vom Hausbau (Mt 7,24–27) wird wegen der narrativen Entfaltung und des Fehlens von Suggestivfragen als Alltagsgleichnis gewertet (anders als Mk 2,18–20). Die sprachliche Gestaltung scheint für die Zuordnung entscheidend zu sein. Dass in Mt 18,23–35 »eine typische Alltagssituation mit zwischenmenschlichen Konflikten« geschildert wird, kann man mit Gründen bezweifeln, ebenso, dass hier die »Alltagsmoral als Machtinstrument entlarvt werde« (ebd. 195). Hier könnte die Typisierung zu einer gewissen verkürzten Textwahrnehmung verleitet haben.

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Zur Allegorie

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I. Die »klassische« Sicht

Seit A. Jülicher wurde die Allegorie als Gleichnisgattung bestimmt, die sich vor allem durch zwei Charakteristika auszeichnet:

  • Erzählerische Unstimmigkeit: Unplausible Erzählzüge weisen darauf hin, dass mit einzelnen Motiven anderes gemeint ist als auf der Textoberfläche ausgedrückt (z.B. Ez 17: Ein Adler pflanzt keinen Weinberg an, also steht der Adler offensichtlich für etwas Anderes).
  • Verhüllende Kodierung einzelner Begriffe: Man muss den Schlüssel kennen, um die Geschichte verstehen zu können (z.B. Ez 17: Wer nicht weiß, wer mit den Adlern gemeint ist, kann mit der ganzen Erzählung nichts anfangen).

Eine solche Sprachform hat im Rahmen öffentlicher Verkündigung keinen Sinn, sie dient eher der Binnenbelehrung einer Gruppe, die sich durch die Kenntnis des Codes der Erzählung nach außen abgrenzt. Deshalb lehnte Jülicher die Existenz von Allegorien unter den Gleichnissen Jesu ab. 

 

II. Die Neubewertung durch H.-J. Klauck

Allegorie nicht als eigene Gattung

Hans-Josef Klauck bewertete die Allegorie neu, im Rückgang auf antike Rhetorik und neuere Literaturwissenschaft:

  • Jülichers Definition trifft nur auf einen Teil allegorisch ausgerichteter Texte zu: Die Allegorie ist nicht notwendig verhüllend.
  • Allegorie lässt sich nicht als eigene Gleichnisgattung definieren. Sie ist vielmehr eine »rhetorische und poetische Verfahrensweise«, die »Texten eine symbolische Dimension verleiht« (H.-J. Klauck, Allegorie, S. 354).

Dies lässt sich ebenfalls am Beispiel der Adlervision in Ez 17 zeigen:

  • Wer den Text Ez 17,3-10 in seiner Entstehungszeit wahrnahm und die politische Konstellation kannte, auf die die Vision anspielt, konnte die Bildwelt verstehen, auch ohne nachträgliche Lieferung eines Schlüssels (Ez 17,11-21).
  • Diese bildhafte Geschichte unterscheidet sich nicht prinzipiell von dem Grundzug einer Parabel: Ihr liegt ein Zielgedanke zugrunde, der durch die Bildwelt inszeniert wird (Warnung vor einem Pakt mit dem ägyptischen Pharao gegen die Babylonier).

    Allerdings ist der bildhafte Anteil dadurch so hoch, dass einzelne Elemente offensichtlich für etwas anderes stehen. Ein solches Verfahren kann zur Folge haben, dass die Geschichte nicht durch Emotionalität wirkt, sondern Aufmerksamkeit durch Verfremdung weckt. Dieser (an den Texten kaum direkt nachweisbare) Unterschied zur Parabel begründet aber keine eigene Gattung.

Nach dem weiteren Verständnis von Allegorie (nicht als vierte Gattung neben Gleichnis, Parabel und Beispielerzählung) sind also alle Elemente eines Textes allegorisch, die über das wörtliche Verständnis dieses Textes hinausweisen und ihn als bildhafte Aussage kennzeichnen, als gleichnishaften Text.

  • Auch ein Gleichnis im engeren Sinn wie Lk 14,28-32 ist in diesem Sinn allegorisch, eben weil es eine bildhafte Erzählung ist, deren Aussage sich nicht auf das beschränkt, was die Textoberfläche bietet. Der Anteil des Allegorischen ist allerdings weitaus geringer als etwa in der Geschichte von den Adlern in Ez 17 (der Turm bleibt ein Turm und steht nicht für etwas Anderes).

 

Geprägte Metaphern im Bildfeld

Gleichnis und Allegorie sind also nicht so grundsätzlich unterschieden, wie Jülicher annahm, die absolute Beschränkung auf nur einen Vergleichspunkt ist nicht gerechtfertigt. Weitere Berührungen zwischen Bild und Sache sind aufgrund der Gattung nicht ausgeschlossen.

Solche Berührungen dürfen allerdings nicht im Sinne einer frei schaltenden Auflösung von Bildelementen bestimmt werden. Es muss begründet werden, warum ein bestimmtes Element der Bildebene mit einer bestimmtes Bedeutung versehen sein kann.

Dies ist möglich durch Beachtung des Phänomens geprägter Metaphern, die gewöhnlich nicht für sich stehen, sondern in ein Bündel von Bezügen eingespannt sind: das Bildfeld. Eine Sprach- und Kulturgemeinschaft verfügt über einen überindividuellen Metaphernbestand.

Beispiel: Aus atl Texten lässt sich das Bildfeld von der Hochzeit erheben. Von »Hochzeit« wurde nicht nur in wörtlichem, sondern auch in bildlichem, übertragenen Sinn gesprochen, z.B.:

  • zur Beschreibung des Verhältnisses Jahwes zu Israel (z.B. Jes 54,5; Jer 2,2; Hos 2,4; 3,1),
  • auch im Blick auf die künftige Heilszeit (Jes 62,5).
  • Jubel der Brautleute illustriert das künftige Heil (Jer 33,11),
  • das Ausbleiben dieses Jubels ist Bild für das Gericht (Jer 7,34; 16,9).

Dies lässt sich auf Mk 2,18f anwenden:

»Warum fasten die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer, deine Jünger aber fasten nicht? Und Jesus sprach zu ihnen: Können die Hochzeitsgäste fasten?«

Liest man die Antwort Jesu im Rahmen des Bildfeldes von der Hochzeit, dann schwingen weitere metaphorische Assoziationen mit. Dann ist nicht einfach von einer normalen Hochzeit die Rede, auf der natürlich nicht gefastet wird; dann ist im Bild von der Hochzeit zugleich ein Hinweis auf den Anbruch der Endzeit enthalten: »Die Jünger brauchen nicht zu fasten, weil die Heilszeit schon angebrochen ist« (H.-J. Klauck, Allegorie, S. 166).

Die Stärke der Theorie vom Bildfeld liegt auch darin, dass sie die Weiterentwicklung bildhafter Elemente einsichtig machen kann. In der oben nicht zitierten Fortsetzung heißt es:

»Können die Hochzeitsgäste fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist?«

Mit dem »Bräutigam« wird offensichtlich auf Jesus angespielt (s. Mk 2,20). Als Bild für den Messias lässt sich »Bräutigam« in der atl-jüdischen Tradition nicht nachweisen. Diese Stelle im Bildfeld war noch offen und wird in der urchristlichen Überlieferung besetzt.

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Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32)

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I. Analyse

Zur Literarkritik

Das Gleichnis gehört zum Sondergut des LkEv, Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Geschichten bestehen also nicht. Diskutiert wird, ob das Gleichnis ursprünglich in V. 24 endete, also mit dem Festmahl für den zurückgekehrten Sohn, und die Szene mit dem Auftreten des älteren Sohnes eine Hinzufügung darstellt. 

Für diese Einschätzung werden folgende Argumente vorgetragen:

  • Zwei Geschichten werden erzählt: vom jüngeren und vom älteren Sohn.
  • V. 24 ist ein erzählerisch befriedigender Abschluss.
  • Beide Teile der Parabel stimmen in den vorausgesetzten Rechtsverhältnissen nicht überein: Die Aufteilung des Erbes (V. 12) nach dem Modell der »Abschichtung« bringt mit sich, dass der Vater nicht mehr über den Besitz verfügen kann – dies tut er aber nach der Aussage des älteren Sohnes im zweiten Teil der Erzählung.
  • In der antiken Komödie gibt es eine Figurenkonstellation, die die Erweiterung der Parabel (wohl durch Lk) erklären kann: der brave Jüng­ling als Kontrastbild des liederlichen Bruders.

Gegen diese literarkritische Aufteilung sprechen folgende Überlegungen, denen insgesamt mehr Gewicht zukommt:

  • Die ersten beiden der obigen Beobachtungen sind keine positiven Argumente für ein Wachstum der Erzählung. Sprachlich lässt sich keine markante Differenz zwischen beiden Teilen erkennen.
  • Die Rechtsverhältnisse stimmen auch im ersten Teil der Geschichte nicht mit der »Abschichtung« überein (der Vater nimmt den Sohn in den Hausstand auf und schlachtet das Mastkalb).
  • Da beide Söhne von Anfang an eingebracht werden (V. 11), erwartet man, dass auch der ältere noch eine Rolle spielt. Immerhin wird der Besitz »unter ihnen aufgeteilt«. Außerdem ist das Erzählmotiv vom Vater mit zwei ungleichen Söhnen recht verbreitet.
  • In Mt 20,1-16 ist ein Parallelgleichnis überliefert – aber nur wenn man V. 25-32 zur Geschichte rechnet.

Als weitere Merkmale lukanischer Redaktion werden eingeschätzt:

  1. Markante Wiederholungen und die Vorliebe des Lukas für Monologe sprechen für redaktionelle Erweiterungen in der ersten Geschichte (V. 18f; V. 20 schließt unmittelbar an V. 17 an).
  2. V. 21 könnte ebenfalls auf das Konto des Evangelisten gehen (Handlungsführung aus der Perspektive des Vaters wird gestört; Bezug auf Abstraktlexeme mit symbolischer Sprachgebung: sündigen; gegen den Himmel; nicht wert, Sohn genannt zu werden).
  3. Wertende Lexeme finden sich auch in V. 24a.32b.c (tot, wieder leben, verloren, gefunden); vom „Finden“ des jüngeren Sohnes kann eigentlich nicht gesprochen werden. Dies passt besser (wie auch das Sichfreuen) in die Gleichnistrilogie Lk 15.
  4. Vielleicht ist auch V. 30 redaktionelle Wiederaufnahme (Schlachten des Mastkalbes, zumal der Bruder hier etwas viel über den Lebenswandel des Jüngeren weiß).

Diese möglichen Eingriffe betreffen jedoch nicht die Struktur und Grundaussage der Geschichte.

 

Gattung und Aufbau

Die Gattung ist eindeutig als Parabel zu bestimmen. Erzählt wird eine einmalige spannende Geschichte, in der sich Ungewöhnliches ereignet: Aufbruch eines Sohnes aus seinem Vaterhaus, Verschwendung des Vermögens, Rückkehr zum Vater, unerwartete Annahme durch den Vater, Konflikt darum zwischen dem Vater und dem älteren Sohn. Die Erzählung ist gekennzeichnet durch Monologe und Dialoge, in denen die Handlung fortschreitet.

Die Erzählung zeigt folgenden Aufbau:

  • Einleitung: V. 11f
  • Der jüngere Sohn und der Vater V. 11-24
    • Aufbruch des jüngeren Sohnes und Verschwendung des Vermögens: V. 13
    • Der Abstieg des Sohnes: V. 14-16
    • Besinnung und Entschluss zur Rückkehr: V. 17-19
    • Ankunft und Annahme durch den Vater: V. 20-24
  • Der ältere Sohn und der Vater V. 25-32
    • Der Zorn des älteren Sohnes über das Fest: V. 25-28a
    • Dialog zwischen älterem Sohn und Vater: V. 28b-32
    • Protest des älteren Sohnes: V. 29f
    • Rechtfertigung des Vaters: V. 31f

 

II. Auslegung

Der jüngere Sohn und der Vater

In der Erzählung selbst wird nicht deutlich, dass schon der Fortgang des jüngeren Sohnes einen Fehler darstellt oder eine Schuld begründet. Der Vater teilt ohne weiteren Kommentar das Vermögen auf. Er kritisiert den Sohn nicht für sein Vorhaben. Wenn dieser in seiner Selbstbesinnung sagt, er hätte gesündigt gegen den Vater und den Himmel, so ist dies nicht auf den Weggang zu beziehen, sondern auf die Tatsache, dass er das Vermögen verschleudert hat, »haltlos lebend« (V. 13).

Der soziale Abstieg wird zwar durch den Zwang zum Schweinehüten so inszeniert, dass man auch an die Entfernung vom religiösen jüdischen Erbe denken kann. Dennoch steht die materielle Not im Vordergrund: Dem Sohn scheint selbst das Schweinefutter begehrenswert, er bekommt es aber nicht.

  • Dem Willen, diese erbärmliche Lage zu inszenieren, ist wohl auch die Unstimmigkeit zu verdanken, dass für die Arbeit des Schweinehütens doch irgendeine Entlohnung vorgesehen sein müsste. Darum kümmert sich der Erzähler nicht. Er zeigt, dass der Sohn, der von zu Hause fortzog, am Tiefpunkt angekommen ist.

Der Entschluss zur Rückkehr wird nicht in Schuldeinsicht und innerer Umkehr begründet. Der jüngere Sohn geht zwar in sich, als er auf seinem Tiefpunkt angekommen ist; aber er denkt nicht nach über seine Schuld, sondern über seine schlechte Lage und wie er sie verbessern könnte:

»Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen, und ich komme hier vor Hunger um.«

V. 17

Von seiner Sünde spricht er nur im Rahmen des Sprüchleins, das er sich für die Ankunft bei seinem Vater zurechtlegt:

»Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner«

V. 18f

Nicht Reue führt den jüngeren Sohn zu seinem Vater zurück, sondern allein die Aussicht, dort etwas zu essen zu bekommen.

Der Vater nimmt den Sohn wieder als Sohn an, ehe dieser seinen vorbereiteten Spruch loslassen kann. Er läuft dem Sohn entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn (V. 20). Der Sohn kann zwar seinen Satz noch beginnen (V. 21), aber das hat keinerlei Bedeutung für den Fortgang der Geschichte. Der Vater hat ihn durch seine Geste schon angenommen und geht mit keiner Silbe auf das ein, was der Sohn ihm sagt. Er unterbricht dessen vorbereiteten Spruch und ordnet die Vorbereitungen zu einem Fest an, mit dem der erste Teil der Erzählung endet (V. 24).

► Der Vater nimmt also nicht den reuig zurückkehrenden Sohn wieder auf, sondern den verlorenen, dem er entgegengeht, sobald er die Möglichkeit zur Begegnung hat, und den er annimmt, noch ehe der irgendetwas zu seinem Erscheinen sagen kann.

 

Der ältere Sohn und der Vater

Das Fest ruft den Protest des älteren Sohnes hervor, der jetzt erstmals als handelnde Figur auftritt (V. 25-28). Er nimmt Anstoß am gütigen Verhalten des Vaters, das er als ungerecht empfindet. Und dafür kann er gute Argumente ins Feld führen: Er hat immer dem Vater gedient und seinen Willen geachtet – und hat doch nie ein solches Fest bekommen, wie es jetzt für den unnützen Bruder veranstaltet wird.

  • Dass der ältere Bruder um die Geschichte des Jüngeren weiß, muss der Parabelerzähler voraussetzen. Es wird in der Geschichte ja auch nicht behauptet, dass er mit der Charakterisierung seines Bruders falsch läge.

Der Vater hat kein Argument gegen den Vorwurf seines älteren Sohnes, ihm nie ein Fest ausgerichtet zu haben. Er kann ihn nur einladen zur Mitfreude, weil doch der verlorene Bruder wiedergefunden wurde. Während der ältere Sohn immer bei ihm war, hatte er den jüngeren verloren. Dass er nun wieder da ist, machte das Freudenfest unumgänglich.

► Eine Reaktion des Älteren wird nicht erzählt. Dies ist insofern als offener Schluss ernst zu nehmen, als die Reaktion von Seiten der Adressaten der Parabel erfolgen soll. Ob die Rechtfertigung des Vaters den älteren Sohn überzeugt, wird deshalb nicht mitgeteilt, weil diejenigen, auf die hin der ältere Sohn transparent ist, zur positiven Reaktion eingeladen werden.

 

Pointe auf der Bildebene

Die Beobachtungen münden in die Formulierung der bildinternen Pointe:

Der Vater verhält sich gegenüber dem Sohn, der ihn verlassen hat und nun zurückgekehrt ist, gütig und ruft dadurch den Protest des älteren Sohnes hervor, der immer bei ihm geblieben ist. Der Vater versucht sein Verhalten zu rechtfertigen durch die außergewöhnliche Situation: der Verlorene ist wiedergefunden, deshalb konnte er nicht anders handeln.

 

Pointe auf der Sachebene

Das Gleichnis erzählt von einem gütigen Verhalten, das als ungerecht empfunden wird. Den ersten Teil der Erzählung (bis V. 24) kann man auf den Grundzug der Verkündigung Jesu beziehen. Das Kommen der Gottesherrschaft bedeutet: Gott nimmt die Sünder als Sünder an, ohne Vorbedingung, so wie der jüngere Sohn vom Vater angenommen wurde, ehe er irgendetwas von Reue und Umkehr sagen konnte. Im Protest des älteren Sohnes wird dem Widerspruch gegen diese Botschaft Jesu Raum gegeben.

Dieser Widerspruch dürfte in erster Linie von den Gesetzesfrommen gekommen sein, wie wir sie in den Evangelien vor allem in den Pharisäern repräsentiert finden. Sie versuchen, dem Willen Gottes zu entsprechen, indem sie ihr Leben an der Tora ausrichten. Das Gesetz des Mose ist ja Offenbarung des Willens Gottes. Sie konnten sich fragen: Was ist das für ein Gott, der nun die Sünder genauso annimmt wie die Gerechten? Ist diese Güte den Sündern gegenüber nicht ungerecht gegenüber denen, die sich um die Erfüllung des Willens Gottes bemühen? Jesu Botschaft von der Annahme der Sünder war nicht ganz so harmlos wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

Jesus versucht mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, dem Einwand der Frommen zu begegnen. Er verweist auf die besondere Situation: Gott hat jetzt, da er seine Herrschaft aufrichtet, das Verlorene wiedergefunden – und dies ist etwas so Großartiges, dass man sich freuen und mitfeiern muss.

Trifft diese Auslegung zu, dann liegt Lukas mit seiner Einleitung der drei Gleichnisse vom Verlorenen auf der Linie der Verkündigung Jesu. Denn dieser Einleitung zufolge hat Jesus das Gleichnis als Antwort auf die Kritik der Pharisäer und Schriftgelehrten an seiner Gemeinschaft mit »Zöllnern und Sün­dern« erzählt (15,1f).

 

Metaphorische Elemente

Angesichts der in der jüdischen Gottesrede verankerten Vater-Meta­phorik kann der Vater des Gleichnisses ohne Weiteres auf Gott bezogen werden. Die Aussage des Gleichnisses verschiebt sich dadurch nicht.

Ansonsten scheinen keine stehenden Bilder aufgegriffen zu sein, sondern eher geprägte Erzählmotive, wie jenes vom missratenen, verschwenderischen Sohn (filius luxuriosus).

Abseits der Frage geprägter Bilder kann man fragen, ob die erzählte Welt Hinweise auf die angezielte Sachebene gibt, wenn es heißt,

  • der ältere Sohn habe dem Vater gedient und
  • nie ein Gebot übertreten (V. 29).

Hier scheint schon das Verhältnis zum Gebot Gottes im Blick zu sein, und nicht nur die Weisung, die ein Vater seinem Sohn gegeben hat. Auch in der Rede vom Dienen könnte sich anzeigen, dass es in der Geschichte um das Gottesverhältnis geht.

Im Rahmen des LkEv erkennt Michael Wolter in der Konstellation von V. 28 eine metaphorische Transparenz. Dass der ältere Sohn nicht hineingehen wollte (V. 28), könnte im Rahmen des LkEv an das endzeitlich relevante Hineingehen erinnern (11,52; 13,24; s.a. 14,23). Damit würde die Notiz einen mahnenden Unterton bekommen.

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Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16)

Inhaltsverzeichnis

I. Analyse

Zur Literarkritik

Die eigentliche Gleichniserzählung endet in V. 15. Den nachfolgenden Satz spricht nicht mehr eine Figur des Gleichnisses, sondern der Gleichniserzähler Jesus. Da dieser Satz die unmittelbar vor dem Gleichnis stehende Aussage (19,30) leicht variiert wiederholt, hat er seinen Ort offensichtlich in der Komposition des MtEv. Die Auslegung wird zeigen, dass dieses Kommentarwort dem Erzählduktus nicht entspricht, sondern eine neue Pointe einbringt.

Außerdem wird vorgeschlagen, die Figur des Verwalters (V. 8) und die zweite bis vierte Anwerbung (V. 3-5) als nachträgliche Erweiterungen zu werten (L. Schenke), denn:

  • Der Verwalter tritt unvermittelt auf, hat bei der Anwerbung keine Rolle gespielt und dürfte allegorisierend auf den Menschensohn-Richter verweisen;
  • die von der dritten bis zur neunten Stunde angeworbenen Arbeiter verschwinden nachfolgend aus der Geschichte.

Dies nötigt allerdings nicht zu dem Urteil, dass diese Elemente sekundär seien, denn:

  • Jesus als Endrichter müsste doch eine profiliertere Rolle spielen. Die Figur des Verwalters erklärt sich wohl aus dem gewählten Bildfeld.
  • Dass die zwischen erster und elfter Stunde angeworbenen Arbeiter am Abend nicht mehr auftreten, ist notwendig, um die Dramatik der Szene zu erhalten. In der »Anwerbungsphase« erleichtern sie die erzählerische Zumutung, dass noch eine Stunde vor Arbeitsschluss Arbeiter gedungen werden.

 

Gattung und Aufbau

Es handelt sich um eine Parabel: Dialoge tragen die Geschichte, in der Außergewöhnliches inszeniert ist, wie sich vor allem am Protest der Arbeiter der ersten Stunde zeigt.

Hinsichtlich der Struktur ist zunächst eine Zweiteilung vorzunehmen:

  • Am Tag: Anwerbung der Arbeiter zu verschiedenen Zeiten (V. 1-7)
  • Am Abend: Lohnauszahlung, Diskussion über Entlohnung (V. 8-15)

Der expositionsartige erste Teil lässt sich weiter untergliedern nach den angegebenen Tageszeiten (V. 1f / 3-5a / 5bc / 6f), der zweite in drei szenische Abschnitte:

  • Lohnauszahlung (V. 8-10)
  • Einspruch der Ganztagsarbeiter (V. 11f) 
  • Antwort des Weinbergbesitzers (V. 13-15)

 

II. Auslegung

Die Anwerbung

Das Bildfeld entstammt der palästinischen Arbeitswelt zur Zeit Jesu. Hier gab es das System der Lohnarbeit, die jeden Tag neu vergeben wurde. Dies bedeutete für den Arbeiter also eine grundlegende soziale Unsicherheit. Diese Art der Lohnarbeit setzt das Gleichnis voraus, kritisiert sie aber nicht, auch nicht durch die ungewöhnliche Lohnverteilung am Ende des Arbeitstages. Entsprechend kann man auch nicht die mangelnde Solidarität der Arbeiter untereinander zum springenden Punkt machen.

Warum der Besitzer des Weinbergs mehrmals am Tage und sogar noch zur elften Stunde Arbeiter anwirbt, wird nicht weiter ausgeführt. Deshalb sollte man auch keine Motivierung eintragen. Der Weinbergbesitzer ist durch seine Anwerbepraxis weder verschlagen noch gütig.

  • Die späte Anwerbezeit dient nicht der Senkung der Arbeitskosten (so Luise Schott­roff). Dass sich die Arbeiter der letzten Stunde nicht recht um Arbeit bemüht hätten und die Einstellung zur elften Stunde der Güte des Weinbergbesitzers zuzuschreiben sei (Peter Fiedler), sagt die Erzählung nicht.

Wichtig ist allein: Der Weinbergbesitzer wirbt mehrmals am Tag, zu verschiedener Stunde, Arbeiter an.

► Entscheidend für die dramatische Gestaltung der Parabel ist ein erzählerisches Detail bei der Anwerbung der Arbeiter: Nur im ersten Fall wird eine feste Lohnvereinbarung getroffen (V. 2), die wohl der üblichen Höhe entspricht. Dadurch ergibt sich eine Spannung auf das Ende hin, die Lohnauszahlung am Abend. Dass den später angeworbenen Arbeitern ein gerechter Lohn in Aussicht gestellt wird, weckt die Erwartung, es werde abgestuft nach Arbeitsleistung bezahlt (Christian Dietzfelbinger).

 

Die Lohnauszahlung

Der Beginn der Lohnauszahlung bei den Letzten ist allein im erzählerischen Arrangement begründet: nur so erhalten die Arbeiter der ersten Stunde Kenntnis von der Höhe des Lohnes, der den Arbeitern der letzten Stunde zugemessen wird.

► Es geht der Erzählung also offensichtlich nicht nur darum, dass der Weinbergbesitzer für ungleiche Arbeit gleichen Lohn auszahlt. Es soll über diese Handlungsweise auch zum Konflikt kommen.

Dass die Gerechtigkeit des Besitzers zur Debatte steht, wird aus dem Protest der Arbeiter der ersten Stunde (»Du hast sie uns gleichgemacht«) und aus der Antwort des Besitzers deutlich. Sie stellt klar: Sein Vorgehen ist kein Unrecht gegenüber den Arbeitern, die den ganzen Tag gearbeitet haben. Sie haben den gerechten Lohn, dem sie zugestimmt haben, empfangen.

 

Pointe auf der Bildebene

Damit kommen wir zu folgender Pointe auf der Bildebene:

Wenn der Gutsbesitzer sich den Arbeitern der letzten Stunde gegenüber als gütig erweist und ihnen einen höheren Lohn bezahlt als ihnen eigentlich zusteht, so handelt er nicht ungerecht gegenüber den Arbeitern der ersten Stunde: diese erhalten den vereinbarten Lohn.

 

Pointe auf der Sachebene

Das so verstandene Gleichnis lässt sich in die Verkündigung Jesu gut einordnen. Jesus sieht sich dem Einspruch gegen seine Botschaft vom zuvorkommend gütigen Gott gegenüber, der den Sündern vorbehaltlos vergeben will. Der Einspruch besagt, dass ein derart handelnder Gott nicht mehr gerecht wäre, da er Sünder und Gerechte gleich behandelt. Welche Bedeutung soll dann noch die Bemühung um Einhaltung der Tora haben, die Bemühung darum, gerecht zu sein?

Man wird diese Kritik an der Botschaft Jesu wohl am ehesten in pharisäischen Kreisen vermuten können. Sie sollen durch das Gleichnis zur Erkenntnis kommen, dass der von Jesus verkündigte gütige Gott nicht gegen die Gerechtigkeit verstößt. Dies geschieht erzählerisch geschickt dadurch, dass dem Einspruch der Adressaten in der Erzählung Raum gegeben wird, ja er erscheint in gewisser Weise sogar als naheliegend. So in die Geschichte verstrickt, sollen sie aber erkennen, dass das gütige Handeln Gottes niemanden um seinen »gerechten Lohn« bringt.

Zwar wirbt das Gleichnis um Verständnis für die Güte, es greift aber die Vorstellung des gerechten Lohnes nicht an. Die Arbeiter der ersten Stunde erhalten ihren Lohn wie ausgehandelt. Keine Spur der Kritik wird an der Erwartung dieses Lohnes für harte Arbeit auch nur angedeutet. Die Antwort des Weinbergbesitzers basiert vielmehr darauf, dass die Lohnvereinbarung angemessen ist. Dann kann der Einspruch gegen versklavendes Lohndenken nicht das Thema des Gleichnisses sein.

Die Auslegung macht deutlich, dass V. 16 nicht die Sinnspitze des Gleichnisses trifft und also eine sekundäre Anwendung sein muss. Die Umkehrung von Ersten und Letzten ist ein Nebenzug im Gleichnis – erzählerisch notwendig, damit die Arbeiter der ersten Stunde überhaupt erfahren, welchen Lohn die Arbeiter der letzten Stunde erhalten.

 

Metaphorische Elemente

Die Metaphern vom Weinberg für Israel und vom Herrn des Weinbergs für Gott (vgl. Jes 3,14; 5,1-7; 27,2-6; Jer 2,21; 12,10; Ez 15,1-8; 17,1-21; 19,10-14; Hos 10,1; Joel 1,7; Ps 80,9f.16) können bekräftigen, dass hier eine Geschichte erzählt wird, die auf das Gottesverhältnis der Adressaten zielt. Sie sind aber zu allgemein, als dass sie, sofern aktiviert, besondere inhaltliche Akzente setzen könnten.

Metaphorische Möglichkeiten eröffnet der Kontext des Matthäus-Evangeliums:

  • In diesem Rahmen könnte die Rede vom Lohn eine eschatologische Dimension erhalten – allerdings bleibt das Gleichnis sperrig für solchen Bezug: Die Ausbezahlung gleichen Lohns passt nicht zum für Mt typischen Gedanken endgerichtlicher Scheidung.
  • Im Rahmen des MtEv kann von 9,37f her die Rede von den Arbeitern auf die Jünger Jesu deuten. Dann könnte das Gleichnis einen Akzent gegen »Leistungsdenken« in der Nachfolge Jesu setzen. Immerhin macht Mt das Gleichnis durch die Einbettung in den literarischen Kontext zum Jüngergleichnis (s. nächsten Abschnitt).

 

Die Redaktion des Matthäus

Mt verschiebt schon durch die Adressierung den Sinn des Gleichnisses, indem er es zur Jüngerbelehrung einsetzt. Er illustriert mit ihm das Logion von den Ersten und Letzten, mit dem er das Gleichnis rahmt. Dadurch gewinnt es einen warnenden Unterton: Den Jüngern wird gesagt, dass es im Blick auf das Ende keine Heilsgarantien gibt – ein gut matthäisches Thema.

Die Bedeutung des Gleichnisses für Mt zeigt sich auch daran, dass der Evangelist an dieser Stelle den Mk-Faden verlässt. Von Mk übernimmt er das Wort von den Ersten und Letzten, schließt das Gleichnis an und wiederholt das Wort in der Anwendung. Dadurch verschiebt er die Pointe des Gleichnisses, in dem die Umkehrung von Ersten und Letzte ja nur ein erzählerisch notwendiger Nebenzug, aber nicht Aussageziel ist.

Wird die »Arbeiter-Metaphorik« aktiviert (s.o.), kann die Dimension des Zuspruchs hinzutreten: für diejenigen, die nicht wie Petrus und die Jünger (s. 19,27-29) auf besonderen Einsatz verweisen können. Das Gleichnis legt mit der identischen Belohnung für alle nahe, dass auch geringere Arbeit ihren Lohn erhält.

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Das Gleichnis vom Sämann (Mk 4,3-9)

Inhaltsverzeichnis

I. Analyse

Zur Literarkritik

Die Einleitung (V. 1f) verweist deutlich auf einen größeren Erzählzusammenhang, sodass sie in dieser Formulierung kaum ursprünglicher Eingang des einzelnen Gleichnisses sein kann. Des Weiteren dürfte V. 9 nicht zum ursprünglichen Bestand des Gleichnisses gehören. Der sogenannte »Weckruf« ist eine stehende Wendung, die an verschiedenen Orten auftreten kann (vgl. Mk 4,23; Mt 11,15; 13,43).

Im Gleichnis selbst ist der Teil, der sich mit dem Saatgut auf felsigem Boden befasst (4,5f), stark ausgestaltet. Möglicherweise ist dies sekundär, ein erläuternder Zusatz, der die Auslegung in 4,16f vorbereitet. Die Grundaussage des Gleichnisses ist davon nicht betroffen. Deshalb kann man auch für die Auslegung auf der Ebene der Verkündigung Jesu vom Wortlaut des Gleichnisses ausgehen, den Markus in 4,4-8 überliefert.

 

Die Diskussion um die Gattung

Umstritten ist die Bestimmung der Gattung. Für die Einordnung als Parabel werden folgende Punkte angeführt:

  • Die Erzählung spielt in der Vergangenheit.
  • Die Häufung widriger Umstände für das Saatgut ist nicht alltägliche Erfahrung.
  • Der Ernteertrag sprengt die Grenzen der Realität.

Die Beobachtungen sind aber nicht durchschlagend, denn:

  • Die Erzählzeit ist kein untrüglicher Hinweis – und eine dramatische Gestaltung ist in dem Text nur ansatzweise zu erkennen: nur eine handelnde Person, also keine Dialoge, nicht einmal ein Monolog.
  • Um den Verlust des Saatguts im Gleichnis zu erklären, kann man zwar nicht davon ausgehen, dass in Palästina prinzipiell erst nach dem Säen gepflügt wurde (sodass notwendigerweise nicht nur gute Erde besät wurde). Aber auch wenn man die Metho­de des Vorpflügens annimmt, ist das Geschick des Saatgutes nicht ungewöhnlich:
    • Einiges fällt beim schwungvollen Auswerfen auf den Weg, wird nachfolgend nicht untergepflügt und kann von den Vögeln aufgepickt werden.
    • Die Humusschicht ist bisweilen dünn, so dass dort der Same auch nach dem Unterpflügen keine Wurzeln ausbilden kann.
    • Das Säen »in die Dornen« kann als verkürzte Rede verstanden werden: Es wird dorthin gesät, wo später Dornen wachsen, weil nicht alle Dornenwurzeln vom Pflug oder der Hacke entfernt wurden.Wenn die Einzelzüge alle realistisch sind, bringt auch ihr gehäuftes Vorkommen keinen wesentlichen Verfremdungseffekt. Ein normales Geschehen ist im Blick.
  • Der Ernteertrag lässt sich verstehen über das Phänomen der Bestockung: Bisweilen wachsen mehrere Halme aus einem Korn. Dies erklärt bei einer durchschnittlichen Zahl von 30 Körnern pro Ähre die Angaben 30, 60, 100.

Fazit: Außer der Zeitstufe weist nichts auf die erzählerische Inszenierung als Parabel. Das Argumentationsmuster entspricht dem des Gleichnisses im engeren Sinn, das im Übrigen auch dem der Landwirtschaft entnommenen Gleichnis­stoff besser entspricht.

 

Aufbau

Der Aufbau des Textes ist klar: Beschrieben wird, was bei der Aussaat (V. 3) geschieht – untergliedert nach der Verschiedenheit des Untergrundes, auf den das Saatgut fällt: Weg (V. 4), felsiger Boden (V. 5f), Dornen (V. 7), guter Boden (V. 8).

 

II. Auslegung

Erzählgefälle und Pointe auf der Bildebene

Das Gleichnis handelt vom unterschiedlichen Geschick des Saatgutes auf unterschiedlichem Boden. Dreimal wird der Misserfolg festgestellt. Von der breit geschilderten Gefährdung des Saatgutes hebt sich die Notiz über den Teil des Samens, der Frucht bringt, kontrastreich ab. Dieser Kontrast wird sprachlich dadurch stark hervorgehoben, dass am Ende der Schilderung des Misserfolgs ausdrücklich vermerkt ist: »und es brachte keine Frucht« (V. 7c).

► Dies zielt zwar zunächst nur auf den unter die Dornen gesäten Teil des Saatgutes ab, schließt aber gleichzeitig auch die zuvor erwähnten Fälle (V. 4-6) sachlich ein. Misserfolg und Erfolg beim Säen stehen einander gegenüber.

Bei dieser Gegenüberstellung ist nicht auf zahlenmäßige Verhältnisse abgehoben. Es wird nicht gesagt, dass die Menge des verlorenen Saatgutes größer sei als diejenige, die Frucht bringt. Das Gleichnis hebt auf Mengen nur am Schluss ab, bei der Beschreibung des Ertrags. Die dreimalige Nennung des Misserfolgs ist ein erzähltechnischer Kunstgriff, um die Spannung auf den Schluss hin aufzubauen und den Kontrast von Fruchtlosigkeit und Ertrag herauszustreichen.

  • Für diese Interpretation spricht auch die obige Gattungsbestimmung: Geht es um typische Vorgänge aus der Landwirtschaft, so kann man bei aller Berücksichtigung bescheidener Bodenverhältnisse in Palästina doch davon ausgehen, dass der Teil des Saatgutes, der auf den Weg, auf felsigen Grund oder unter die Dornen fällt, nicht größer ist als derjenige, der auf guten Boden gesät wird und schließlich Frucht bringt.

► Nehmen wir die zeitliche Dimension des Gleichnisses auf, die in dem Vorgang von Aussaat und Frucht enthalten ist, so geht es nicht nur um den Gegensatz von Misserfolg und Erfolg bei der Aussaat; es geht dann auch um den Kontrast von bedrohtem, erfolglos scheinendem Anfang und dem doch in diesem Anfang schon grundgelegten Ernteertrag.

Auf der Bildebene kann man die Pointe des Gleichnisses so formulieren:

Bei der Aussaat geht zwar manches Saatgut verloren, dennoch führt sie schließlich zum Erfolg, denn ein Teil fällt auf guten Boden und bringt Frucht.

 

Pointe auf der Sachebene

Das Gleichnis lässt sich in die Reich-Gottes-Botschaft Jesu einordnen. Jesus hat die bereits angebrochene endzeitliche Gottesherrschaft verkündigt, deren Vollendung noch aussteht. Das Problem, das sich für diese Predigt leicht ergeben konnte, ist die Frage, woran denn nun der Anbruch der Gottesherrschaft zu erkennen sein soll: Was hat sich denn seitdem geändert? Wie steht es mit den Heilsverheißungen, die mit der Aufrichtung von Gottes Herrschaft verbunden waren? Auf solche zweifelnde Einwände hin könnte unser Gleichnis gesprochen sein.

Wie die Aussaat von zahlreichen Bedrohungen begleitet wird, die dem Unternehmen den Anschein des Scheiterns geben, schließlich aber zum erfolgreichen Ende führt, so ist auch im Anbruch der Gottesherrschaft trotz der bescheidenen Realität die Vollendung verbürgt.

Hält man das Gleichnis vom Sämann für eine Parabel mit nicht-alltäglichen Zügen, so kann sich das Ungewöhnliche allein im Ernteertrag ausdrücken: Er wird dann als so großartig gedeutet, dass er alle realen Dimensionen sprengt. Zu der oben vertretenen Auslegung käme hinzu: die Vollendung der Gottesherrschaft übertrifft alle menschlichen Zukunftshoffnungen und Heilserwartungen (Hans-Josef Klauck).

 

Metaphorische Elemente

Aus atl-jüdischen wie auch aus Texten der hellenistischen Umwelt lässt sich eine Saatmetaphorik mit verschiedenen Nuancen erschließen:

  • Säen und Wort können miteinander verbunden sein. Das gesprochene (oder auch geschriebene) Wort kann wie ein Same in einen anderen Menschen gelegt werden (z.B. Plutarch, Phyt Or 1 [394E]; 4Esra 9,30ff).
  • Säen kann auch als Bild für das menschliche Tun verwendet werden, z.B. »Sät Gerechtigkeit, erntet nach dem Maß der Liebe« (Hos 10,12; vgl. auch Spr 22,8; TestLev 13,6; Hos 8,7; Sir 7,3).
  • Das Bild von der Wurzel kann in umfassendem Sinn eingesetzt sein, um das Scheitern der Frevler oder das gelingende Leben der Gerechten zu beschreiben (Jes 40,24; Sir 40,15; Hos 9,16 bzw. Jer 17,7f; Ps 1,3). Auch Dürre und Dornen finden sich in diesem Zusammenhang in metaphorischem Sinn (Jer 12,13; Nah 1,10).
  • Gott sät Menschen, meist bezogen auf Israel – dieses Bild findet sich etwa in Sach 10,9; Hos 2,25; Jer 31,27f; 4Esra 8,41.
  • In apokalyptischen Texten ist übergroße Fruchtbarkeit Zeichen der Heilszeit (äthHen 10,19; syrBar 29,5), das Ausbleiben der Frucht zählt zu den »endzeitlichen Wehen«, die dem Kommen der Heilszeit vorausgehen (4Esra 6,22; äthHen 80,2f).

Diese Aufstellung gibt das metaphorische Potential des Gleichnisses wieder. Man kann nicht sagen, dass zu seinem Verständnis eine bestimmte Ausprägung der Saatmetaphorik notwendig wäre. Das Gleichnis lässt sich auch verstehen, wenn man allein das Handeln eines Bauern als Vergleich vorgestellt sieht. Der Text selbst macht nicht deutlich, dass er das Handeln des Sämanns in einem uneigentlichen Sinn versteht.

Die Deutung in Mk 4,13-20 setzt beim ersten und vierten Punkt an. Dass Hörer des Jesus-Gleichnisses diese Metaphorik wachgerufen haben, ist denkbar, aber nicht notwendiger Verstehenshorizont. Möglich wären auch endzeitliche Assoziationen nach dem fünften Punkt – oder eben gar keine metaphorischen Assoziationen.

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Die Deutung des Gleichnisses vom Sämann (Mk 4,13-20)

Inhaltsverzeichnis

I. Analyse

Zum sekundären Charakter der Deutung

Folgende Beobachtungen führen zu dem Urteil, dass die Deutung des Gleichnisses nachträglich angefügt wurde, das Gleichnis also nicht auf diese Deutung hin entworfen ist:

Es gibt eine Unstimmigkeit bei der Auflösung des Bildes vom Saatgut:

  • Zunächst heißt es: Der Sämann sät das Wort.
  • Dann aber fährt der Text fort: »Diese sind die auf den Weg (Gesäten) … auf das Felsige Gesäten … die in die Dornsträucher Gesäten … auf die gute Erde Gesäten.« In diesen Fällen wird das Saatgut mit den Hörern des Wortes identifiziert, nicht mit dem Wort selbst – obwohl der Bezug auf das Wort erhalten bleibt.

    Die tragende Metaphorik ist in der Deutung also nicht stimmig durchgehalten. Und das bedeutet: Das Gleichnis wurde nicht auf diese Deutung hin entworfen.

Im Rahmen der Rückführung des Gleichnisses in die Verkündigung Jesu kommen weitere Beobachtungen ins Spiel:

  • Die Figur des Sämanns wird nicht aufgelöst. Das ist gut erklärlich in der Situation der Urkirche, die diesen Text überliefert. Denn so kann der Sämann Chiffre bleiben für jeden Verkünder, der das Wort verkündigt, der eine Botschaft ausrichtet.
  • Es finden sich sprachliche Besonderheiten in der Deutung, die kennzeichnend sind für urchristliche Missionssprache, wie sie sonst in den Briefen bezeugt ist, aber nicht in der Jesus-Tradition (Joachim Jeremias):
  1. »das Wort«, absolut gebraucht zur Bezeichnung der Botschaft;
  2. Wendungen, die mit »dem Wort« verbunden sind: aufnehmen des Wortes (z.B. 1Thess 2,13), in Freude (1Thess 1,6); Bedrängnis und Verfolgung wegen des Wortes (1Thess 1,6; 2Tim 2,9); Anstoß nehmen am Wort (1Petr 2,8);
  3.  »säen« im übertragenen Sinn für »verkündigen« (1Kor 9,11);
  4. »Wurzel« als Bild für »innere Festigkeit« (Kol 2,7; Eph 3,17);
  5. »Frucht bringen« im übertragenen Sinn (Röm 7,4f; Kol 1,6.10)
  • Weitere Begriffe sind ansonsten nur in der Briefliteratur bezeugt (Verführung, Reichtum, unfruchtbar).

 

Aufbau

Der Aufbau des Abschnitts ist am Gleichnis orientiert. Nach der einleitenden Frage, die sich auf das Unverständnis der Jünger richtet und deshalb wahrscheinlich auf das Konto des Markus geht (V. 13), wird zunächst das Tun des Sämanns (V. 14) und dann nachein­ander das Geschick des Saatguts auf unterschiedlichem Boden ausgelegt: Weg (V. 15), felsiger Boden (V. 16f), Dornen (V. 18f), guter Boden (V. 20).

 

II. Auslegung

Grundsätzlich geht es um das Schicksal des Wortes bei verschiedenen Hörern, deren Differenz bildlich im unterschiedlichen Boden dargestellt wird. Dabei besteht, wie oben gesehen, eine bildliche Inkongruenz bzw. eine Auffälligkeit:

  • Das Ausgesäte ist zum einen das Wort (V. 14), dann aber auch der Hörer des Wortes (V. 15-20). So konnten, anknüpfend an die oben genannten metaphorischen Prägungen (erster und vierter Punkt), die unterschiedlichen Reaktionen auf die Verkündigung eingebracht werden.
  • Der Sämann wird nicht übersetzt. So können sich in ihm auch die urchristlichen Verkünder entdecken.

 

Die unterschiedlichen Hörer

Das unterschiedliche Geschick des Samens auf unterschiedlichem Boden, das im Gleichnis auf den Kontrast von Misserfolg und dem trotzdem schon in der Aussaat begründeten letztlichen Erfolg angelegt war, wird in der Deutung Zug um Zug gleichgesetzt mit dem unterschiedlichen Geschick der Verkündigung bei verschiedenen Hörern:

  • Zunächst ist die Außenperspektive bestimmend: Es geht um die diejenigen, die vom Wort der Verkündigung innerlich gar nicht erreicht werden (zu Satan als »Hinderer« s.a. 1Thess 2,18; 3,5). Auf der Erzählebene des MkEv ist vor allem an die Gegner Jesu zu denken, die gegen sein Auftreten protestieren (Ludger Schenke). Es können aber auch entsprechende Erfahrungen, wie sie etwa in der Areopag-Szene in Apg 17 eingefangen sind, bei den Adressaten des Evangeliums ohne Weiteres wachgerufen werden. Darin liegt die Stärke der auch in der Deutung relativ offen bleibenden Metaphorik.
  • Danach sind diejenigen im Blick, die die Verkündigung annehmen und zur Gemeinde gehören, denen aber angesichts von Bedrängnis und Verfolgung das Durchhaltevermögen fehlt. Bedrängnis und Verfolgung verheißt Jesus denen, die ihm nachfolgen (Mk 13,9-13). Er fordert auf zur Kreuzesnachfolge (8,34). Die Deutung des Sämanns-Gleichnisses verleiht diesen Ausführungen insofern ein besonderes Profil, als sie in ein Raster möglicher Fehlformen der Reaktion auf Jesu Botschaft bzw. das Evangelium eingebettet erscheinen: Im Ergebnis unterscheidet sich dieses Scheitern nicht von anderen kritisch betrachteten Reaktionen, es kommt nicht zur Ausbildung der Frucht.
  • Das Verhaftetsein an diese Welt führt bei der dritten Gruppe von Hörern (V. 18f) dazu, dass das Wort erstickt und fruchtlos bleibt. Als Gründe sind genannt:
    • die Sorgen der Welt,
    • Verführung durch Reichtum,
    • Begierde nach den übrigen Dingen.

      Die hier verwendeten Begriffe spielen im MkEv keine besondere Rolle, allein die Warnung vor dem Reichtum findet sich in 10,23-27 – im Zusammenhang der Erzählung von einer Nachfolge, die wegen des Reichtums scheitert (10,17-22). Dies ist aber nicht nur eine Gefährdung, die Außenstehende betrifft, sondern reicht auch in die Reihen der Glaubenden herein.
  • Erst bei der letztgenannten Gruppe trifft das Wort auf Hörer, die es aufnehmen und Frucht bringen in verschiedenem Maße. Die Deutung bleibt knapp. Es wird nicht ausgeführt, was die sich steigernde Zahlenreihe (30, 60, 100) in der Sache bedeutet. Auch was es heißt, »Frucht zu bringen«, wird nicht gesagt. Das Bild bleibt (wie auch die bildhaften Ausdrücke »Wurzel« und »ersticken«) unübersetzt.

    Durch diese metaphorisch bleibende Sprechweise, die zu »Frucht bringen« häufig in der urchristlichen Überlieferung begegnet, ergibt sich ein weites Bedeutungsspektrum der wirklichen, dauerhaften Aufnahme des Wortes.

Misserfolg und Erfolg der Verkündigung werden also einander gegenübergestellt, allerdings nicht in der kontrastierenden Zuspitzung, auf die das Gleichnis angelegt war. Dadurch, dass drei Mal der Misserfolg der Verkündigung verzeichnet wird, erhält dieser sogar ein gewisses Übergewicht gegenüber dem Erfolg – im Vergleich zum Gleichnis ein neuer Akzent.

 

Die Intention der Deutung

Aus dieser Ausrichtung der Deutung kann man auf ein zweifaches Anliegen schließen.

  • Ermutigung und Trost: Der urchristliche Missionar kann angesprochen sein, er soll trotz Fehlschlägen nicht resignieren.
  • Ermahnung: Der Hörer, v.a. der neu zum Glauben Gekommene, wird aufgefordert, seine Stellung zu überprüfen: Zu welcher Gruppe von Hörern gehöre ich, bringe ich wirklich Frucht, oder bin ich dabei, das Wort in mir ersticken zu lassen, bei Bedrängnissen den Glauben fallen zu lassen?

    Angesichts des Vokabulars, das aus der urchristlichen Paränese bekannt ist (Bedrängnis, Verfolgung, Sorgen, Gefahr durch Reichtum, Begierde), kann der ermahnende Unterton kaum überhört werden.

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Anhang: Erzählgesetze der Parabel (nach Rudolf Bultmann)

1) Knappheit der Erzählung

  • Es treten nur Personen auf, die für die angezielte Aussage notwendig sind.

    Andere Figuren, die zwar vom gewählten Bild her eine Rolle spielen müssten, erscheinen doch nicht in der Erzählung, wenn ihnen keine Funktion im Blick auf die Pointe zukommt (etwa: die Mutter des verlorenen Sohnes [Lk 15,11-32]; die Frau des in der Nacht geweckten Freundes [Lk 11,5-8]).
  • Das Personeninventar ist in den Hauptrollen prinzipiell auf drei begrenzt, überwiegend treten nur zwei Hauptpersonen auf.

    Sie können auch als Gruppen erscheinen, die sich gegenüberstehen. Dabei kann eine Gruppe völlig geschlossen sein (z.B. die Winzer im Gleichnis von den bösen Winzern) oder sich auch in verschiedene Teile auffächern, die aber in (mehr oder weniger) gleichem Sinne agieren (wie die zum Festmahl Geladenen, die alle ablehnen).
  • Nur selten werden die auftretenden Personen durch ein Attribut ausdrücklich charakterisiert (wie z.B. der Richter in Lk 18,2, der Gott nicht fürchtet). Häufiger geschieht die Charakterisierung der Personen durch die Beschreibung ihres Handelns oder durch eine in der Handlung auftretende Person.

    Nebenpersonen werden nur ganz selten charakterisiert (so erfahren wir z.B. im Gleichnis vom barmherzigen Samariter nichts über den überfallenen Wanderer).
  • Empfindungen und Handlungsmotivierungen werden nur geschildert, wenn sie für die Pointe wichtig sind.

    Warum etwa der (verlorene) Sohn die Auszahlung des Erbteils fordert, erfährt der Hörer nicht. Ebenso wenig ist ersichtlich, warum der Weinbergbesitzer in Mt 20,1-16 so viele Arbeiter nötig hat. Auch die Schilderung der Vorgänge und Handlungen selbst ist beschränkt auf das Notwendige (z.B. Lk 16,1-8: wie der Verwalter das Vermögen seines Herrn verschleudert hat, wird nicht gesagt). Was erzählt wird, wird aber konkret gezeichnet (z.B. die Höhe der Schulden in Mt 18,23-35 – grundlegend wichtig für die Geschichte).
  • Der szenische Aufbau ist bestimmt durch
  1. das Gesetz der szenischen Zweiheit:
    Immer nur zwei Personen (bzw. Gruppe als Person) reden und handeln gleichzeitig. Sind in der Szene noch andere Personen anwesend zu denken, so greifen sie doch nicht ins Geschehen ein und sind nur Statisten.
  2. die Einsträngigkeit der Erzählung:
    Zumindest in der ursprünglichen Fassung von Parabeln kommen nicht zwei gleichzeitig sich abspielende Vorgänge in den Blick. Es wird aus der Perspektive einer Person erzählt. Zwar kann die dafür gewählte Person im Verlauf eines Gleichnisses wechseln (z.B. in Mt 18,23-35), aber es ergibt sich durch diesen Perspektivenwechsel keine zeitliche Überschneidung zweier Szenen.

 

2) Direkte Rede und Selbstgespräch

Durch diese Mittel wird die Erzählung lebendiger. Beispiele für direkte Rede erübrigen sich, Monologe sind etwa im Gleichnis vom ungerechten Verwalter zu finden (Lk 16,1-8) oder im Gleichnis vom ungerechten Richter und der Witwe (Lk 18,2-8).

 

3) Das Gesetz der Wiederholung

Wörtliche Wiederholung findet sich z.B. in Mt 18,26.29 oder Lk 15,18f.21. Dieses Erzählgesetz wirkt auch dort, wo sich dieselben Verhaltensweisen wiederholen, ohne dass wörtliche Übereinstimmung in der direkten Rede gegeben ist, wie z.B. in den ablehnenden Antworten der geladenen Gäste (Lk 14,18-20).

 

4) Die Dreizahl

Sie spielt eine besondere Rolle in volkstümlichem Erzählen (und ist etwa auch aus Märchen gut bekannt). So kommen zu dem von den Räubern überfallenen Menschen drei Männer (Lk 10,30-33), entschuldigen sich im Gleichnis vom großen Gastmahl (als Beispiel für alle) drei der Eingeladenen (Lk 14,18-20), wird das Geld drei Dienern anvertraut (Mt 25,15).

 

5) Das Gesetz des »Achtergewichts«

Ihm zufolge soll das am Ende einer Geschichte Erzählte betont werden, wird das Wichtigste zuletzt erzählt. Im Gleichnis von den anvertrauten Talenten, das einen mahnenden Grundton trägt, wird deshalb der Knecht, der falsch gehandelt hat, erst als dritter vor den Herrn geführt. Eine andere Reihenfolge würde die erfolgte Rüge (Mt 25,26-28) wesentlich abschwächen.

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