Zum Inhalt springen

Die Passionserzählung des Markusevangeliums

Der alttestamentliche Hintergrund der Passionsgeschichte

Inhaltsverzeichnis

I. Zur Bedeutung des Schriftbezugs

Der Schriftbezug ist in den Passionsgeschichten stark ausgeprägt. Dies ist darin begründet, dass die Kreuzigung Jesu ein Problem darstellte: Warum führte der Weg des Messias ins Leiden? Dies war angesichts jüdischer Heilserwartung ein erklärungsbedürftiges Faktum. Die Schriftbezüge stellen eine Antwort auf die genannte Frage dar:

  • Dies gilt grundsätzlich: Wenn die Passion Jesu als schriftgemäß aufgezeigt wird, dann klärt sich auch, dass das Kreuz nicht gegen den Plan Gottes gerichtet sein kann, sondern übereinstimmt mit dem göttlichen Willen.
  • Die Schrift bietet, vor allem in den Psalmen, die Vorstellung vom leidenden Gerechten. Leiden und Unschuld müssen sich nicht widersprechen. Zugleich bezeugen diese Psalmen auch die Zuversicht, dass Gott den leidenden Gerechten errettet. So boten sie ein Muster für die Deutung des Geschicks Jesu aus urchristlicher Perspektive.

 

II. Formen des Schriftbezugs

Zitate: Sie sind eine eher untypische Form des Schriftbezugs in den Passionsgeschichten (gekennzeichnet nur in Mk 14,27par; Mt 27,9f; Lk 22,37).

Anspielungen sind schwerer zu fassen als Zitate, weil die wörtlich übereinstimmende Textmenge geringer ist.

  • Beispiel: Spielt das Schweigen Jesu vor Pilatus auf Jes 53,7 an? Einerseits können in den Passionsgeschichten Anspielungen auf den Gottesknecht wahrgenommen werden (der Gebrauch des Verbs überliefern, das für die Vielen ausgegossene Blut; vgl. auch Mk 14,65 mit Jes 50,6f); andererseits bleiben sie auffällig zurückhaltend.
  • Aus den Psalmen könnten (außer Ps 22) eine Rolle spielen Ps 41,10; 42,6.12; 69,22; auch Ps 2,1f.

Im Fall von Motiv-Aufnahmen werden geprägte Sachgehalte aufgegriffen, die in der atl Tradition an verschiedenen Stellen erscheinen (Beispiel: das Waschen der Hände in Unschuld; das Schütteln des Kopfes).

 

III. Zur Bedeutung von Ps 22

Der deutlichste Bezug: Ps 22,2 findet sich im Gebet des sterbenden Jesus: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mk 15,34)

  • Dadurch wird Jesus dargestellt als der leidende Gerechte; die Erniedrigung am Kreuz erweist nicht seine Schuld, denn wie der Beter von Ps 22 wird auch Jesus von Gott errettet – zwar nicht vor dem Tod, aber aus dem Tod.
  • Erkennt man den Ruf der Gottverlassenheit als Zitat, dann eröffnet sich gerade in ihm der Blick darauf, dass Jesus nicht verlassen ist von Gott. Die Erniedrigung Jesu am Kreuz wird nicht überspielt, sondern ernst genommen. Zugleich wird in jenem Schrei auch die Gewissheit der Erhörung wachgerufen – jedenfalls wenn man die Worte nicht für sich betrachtet, sondern als Zitat aus Psalm 22.

Weitere Bezüge auf Ps 22 sind in der Verteilung und dem Verlosen der Kleider zu finden (Mk 15,24; s. Ps 22,19). Mt greift in 27,43 auf Ps 22,9 zurück, Lk in der Verspottungsszene 23,35 auf Ps 22,8.

Möglichweise wird auch in folgenden Zusammenhängen auf Ps 22 angespielt:

  • Verspottung des Gekreuzigten (Ps 22,7b)
  • das Schütteln des Kopfes (wenn man es nicht als geprägtes Motiv auffasst, Ps 22,8)
  • Kreuzigung mit zwei Räubern (wenn man nicht eine Anspielung auf Jes 53,12 erkennt, Ps 22,17a)

Die Abfolge der Bezüge stimmt nicht überein mit der Abfolge der Aussagen im Psalm. Die Passionsschilderung ist also nicht aus diesem Psalm erwachsen. Den Hörern der Passionsgeschichte wird dadurch der Sinn des Geschehens eröffnet: Die Passion Jesu ist zu verstehen nach dem Muster des leidenden Gerechten. Geschichte und Deutung durchdringen sich.

nach oben

Ein Durchgang durch die Markus-Passion

Vom Todesbeschluss zum Verrat des Judas (14,1-11)

In 14,1 liegt ein Einschnitt vor, da die Hohenpriester mit ihrem Tötungsvorhaben nicht auf eine Tat oder Rede Jesu reagieren. Auch die ausführliche Zeitangabe (»das Paschafest und das Fest der ungesäuerten Brote nach zwei Tagen«) markiert einen erzählerischen Neueinsatz.

In der Salbungsgeschichte bleibt das Thema der Passion präsent, da Jesus die Handlung der Frau auf sein Begräbnis hin deutet. Dass Jesus um seinen baldigen Tod weiß, zeigt (wie auch die in V. 2 benannten Vorsichtsmaßnahmen) die begrenzte Macht der Hohenpriester.

Judas bietet den Hohenpriestern die Gelegenheit, nach der sie gesucht haben. Zugleich eröffnet sein Verrat den weiteren Erzählgang: Er sucht nun nach jener günstigen Gelegenheit (V. 11).

 

Das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern (14,12-25)

Allein in der Frage der Jünger nach der Vorbereitung des Mahles (V. 12-16) wird dieses als Pascha-Mahl gekennzeichnet (V. 12). Der Verlauf des Mahles gibt keinen Hinweis darauf, dass ein Pascha-Mahl gehalten wird. Die recht ausführliche Schilderung der Vorbereitung dient vor allem der Darstellung des überlegenen Wissens Jesu um die kommenden Ereignisse.

Dies zeigt sich auch im ersten Teil der Mahlszene (V. 17-21), in der Jesus den Verrat ankündigt, ohne allerdings den Verräter zu bezeichnen. Die Unruhe unter den Zwölfen könnte deren späteres Versagen andeuten. Bei der Gefangennahme erfüllt sich die Ankündigung Jesu (V. 43-45).

Im zweiten Teil der Mahlszene (V. 22-25) blickt Jesus auf seinen Tod voraus und deutet ihn. Als Heilstod erscheint er allein im Zusammenhang des Becherwortes: der Wein wird als Blut des Bundes bezeichnet (s. Ex 24,8), das für viele ausgegossen wird (wahrscheinlich eine Anspielung auf Jes 53).

Eine zweite Todesdeutung findet sich im sogenannten »eschatologischen Ausblick« (V. 25). Hier wird dem Tod Jesu keine Heilsbedeutung zugeschrieben. Jesus bekundet sein Vertrauen auf das Kommen der Gottesherrschaft und seiner Teilhabe an ihr trotz seines Todes.

Ausführlicher zu Mk 14,22-25 s.u.

 

Auf dem Weg zum Ölberg (14,26-31)

Der Blick weitet sich nun auf alle Jünger. Zwar geht es besonders um das Versagen des Petrus, der sich aus dem angekündigten Fehlverhalten ausnehmen will, woraufhin ihm ein noch größeres angekündigt wird: die Verleugnung Jesu (V. 29f). Es sind aber schließlich alle Jünger, die zu viel versprechen (V. 31).

Die kleine Szene weist zahlreiche Verbindungen zur weiteren Passionsgeschichte auf: Angekündigt wird die Jüngerflucht (erzählt in 14,50) und die Verleugnung durch Petrus (erzählt in 14.66-72); auch auf die Auferstehung wird vorausgeblickt (der Engel im Grab greift das auf: 16,7)

Kurz leuchtet ein österliches Licht auf, auffallenderweise aber nicht an dem Punkt, an dem Jesus erniedrigt wird, sondern im Zusammenhang mit dem Versagen der Jünger.

 

Im Garten Getsemani (14,32-42)

Das Thema des Jüngerversagens wird an den drei besonders ausgezeichneten Jüngern fortgeführt: Petrus, Jakobus und Johannes erscheinen im Verlauf des Wirkens Jesu in größerer Nähe zu Jesus (sie gehören zu den Erstberufenen; sie werden als erste in der Zwölferliste genannt; s.a. Mk 5,37; 9,2; 13,3). Der besonderen Erwählung entspricht die besondere Gefährdung: die Jünger schlafen ein (zu Jakobus und Johannes s.a. 10,35-40; zu Petrus 14,66-72).

Im Gebet Jesu zeigt Mk die Not Jesu, zugleich aber auch die Ergebung in den Willen Gottes. Die Abba-Anrede drückt das Vertrauen in Gott besonders nachdrücklich aus. Jesus geht auch nach dem Markus-Evangelium nicht verzweifelt in den Tod, sondern nimmt sein Geschick an.

 

Die Gefangennahme (14,43-52)

Der Faden des Judas-Verrates wird aufgegriffen. Judas identifiziert Jesus und verschwindet danach von der Bildfläche. Hintergründe des Verrats bleiben ebenso unberücksichtigt wie das weitere Geschick des Verräters. Dessen Tat bleibt als Rätsel stehen.

Zwei Besonderheiten der Szene könnten auf historische Erinnerung zurückgehen:

  1. Dem Diener des Hohenpriesters wird ein Ohr abgeschlagen (bei Mk nicht ausdrücklich durch einen Jünger).
  2. Ein junger Mann wird am Gewand ergriffen und flieht nackt.

Jesus erscheint zwar nicht so souverän wie in der johanneischen Verhaftungsszene (Joh 18,1-11), bleibt aber nicht rein passiv: Er weist auf das Unrecht der heimlichen Verhaftung hin (14,48f) und gibt mit dem Verweis auf die Erfüllung der Schriften (V. 49f) eine Deutung des Geschehens, die die ganze Passionsgeschichte durchzieht.

 

Verhör vor dem Hohen Rat – Verleugnung des Petrus (14,53-72)

Nach der Gefangennahme verschränken sich zwei Erzählfäden: die Eröffnung der Verhörszene (V. 53) und die Vorbereitung der Verleugnungsgeschichte (V. 54).

Im Verhör zeigen sich zunächst Schwierigkeiten, Jesus ein todeswürdiges Vergehen nachzuweisen: Es treten nur Falschzeugen auf; auch das Tempelwort (V. 58) wird als Falschzeugnis bezeichnet (historisch ist hier am ehesten der Ansatzpunkt für Verhaftung und Verurteilung zu sehen).

Der Hohepriester stellt Jesus daraufhin vor die Bekenntnisfrage (V. 61). Dass Jesus sich zur messianischen und zur Würde als kommender Menschensohn bekennt (V. 61), wird vom Hohenpriester als Lästerung gewertet (V. 63f).

  • Historisch ist dieser Zusammenhang unwahrscheinlich: Die Erhebung eines messianischen Anspruchs ist keine Lästerung. Die Reaktion des Hohenpriesters ist wohl vor dem Hintergrund der Konsequenzen zu sehen, die im Urchristentum aus dem Bekenntnis zum Messias Jesus gezogen wurden: im Blick auf eine hoheitliche Christologie oder die Relativierung der Tora und Öffnung zu den Heiden hin. Dies ist auf der literarischen Ebene vorausgesetzt, wenn der Hohepriester das Bekenntnis Jesu zu seiner Würde als Lästerung bezeichnet.

Zum ersten Mal bekennt sich Jesus im Markus-Evangelium öffentlich zu seiner Würde: In der Passion ist eindeutig, dass die Hoheit Jesu den Weg in die Niedrigkeit einschließt. Die Darstellung passt sich also in das Messiasgeheimnis ein, das die Darstellung des Wirkens Jesu nach Markus durchzieht. Jesu Gottessohnschaft soll nicht bekannt werden, weil Jesus nicht allein als hoheitlicher Wundertäter gesehen werden soll (s.u.). Und wie auf das Messiasbekenntnis des Petrus die erste Leidensankündigung folgt (8,29-31), so wird Jesus auf sein Bekenntnis hin zum Tod verurteilt und anschließend angespuckt, geschlagen und verspottet.

Diesen erniedrigten Jesus verleugnet Petrus, der sich also gerade von dem geschmähten Jesus lossagt – durch die Verschränkung der beiden Erzählfäden wird dieser Aspekt besonders deutlich.

Trotz dieser Kritik ist Petrus der einzige Jünger, der überhaupt noch in der Szene anwesend ist, und er erkennt sein Versagen (V. 72). So führt eine Linie von diesem Versagen zu seiner besonderen Bedeutung, die im Wort des Engels im Grab aufscheint: Petrus ist dort aus der Gruppe der Jünger herausgehoben (16,7).

Mit Petrus verschwindet der letzte männliche Jünger aus der Passionsgeschichte. In der Erzählung vom Tod Jesu erscheinen Frauen, die Jesus nachgefolgt waren und bis zum Schluss ausgehalten haben (15,40f).

 

Verhör vor Pilatus (15,1-15)

Das Gespräch zwischen Pilatus und Jesus ist schnell beendet. Nach der mehrdeutigen Antwort auf die Frage, ob er der König der Juden sei (»du sagst es«) schweigt Jesus. Im Folgenden spricht Pilatus nur noch mit den Anklägern.

Die Barabbas-Szene unterliegt insofern historischem Zweifel, als sich eine Gewohnheit zur Festtags-Amnestie nicht nachweisen lässt. Außerdem ist Jesus zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verurteilt, so dass man nicht von einer Amnestie sprechen könnte. Literarisch dient die Szene dazu, die jüdische Obrigkeit als treibende Kraft hinter der Verurteilung Jesu darzustellen.

Die Rolle des Pilatus bei der Verurteilung Jesu wird zurückgenommen: Er bietet Jesus zur Freilassung an (V. 9); er weiß um das wahre Motiv der Auslieferung Jesu (Neid: V. 10); er fragt, was Jesus denn Böses getan habe (V. 14), erkennt nichts Verurteilens­wertes; er verurteilt Jesus nur, um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten (V. 15).

  • Dieses Bild stimmt nicht überein mit dem, was aus anderen Quellen über die Regierungs­weise des Pilatus bekannt ist (s.a. Lk 13,1). Die Differenz erklärt sich aus dem Anliegen der urchristlichen Überlieferung. Dass Jesus von einem römischen Präfekten als politischer Rebell (»König der Juden«) hingerichtet worden war, bedeutete eine Belastung der christlichen Gemeinden im Römischen Reich. Dem Anliegen zu zeigen, dass man keine gegen Rom gerichteten politischen Ansprüche hatte, diente die Darstellung des Pilatus im Prozess Jesu: Er hat Jesus nicht deshalb verurteilt, weil er in ihm einen Aufrührer erkannt hätte.

 

Verspottung durch die Soldaten (15,16-20a)

Die Verspottung knüpft an die Verurteilung als König der Juden an: Jesus erhält Abzeichen königlicher Würde: Purpurgewand und (Dornen-)Krone. Zwar wird Jesus auch misshandelt (V. 19), dennoch überwiegt das Moment der Verspottung (V. 18.19c.20).

Die Verspottung ist hintergründig zu lesen im Blick auf den Königstitel: Die Soldaten huldigen sarkastisch einem, der als Messias wirklich ein König ist – ein König in der äußersten Niedrigkeit.

 

Kreuzigung und Tod Jesu (15,20b-41)

1) Der Weg zur Hinrichtungsstätte und Kreuzigung (V. 20b-27)

Der Weg zur Hinrichtungsstätte wird knapp erzählt. Die Notiz zu Simon von Kyrene gibt wohl ein historisches Detail wieder: Es ist kein Motiv für eine spätere Entstehung erkennbar, auch die Namen der Söhne des Simon weisen auf historische Erinnerung.

Die Grausamkeit der Kreuzigung wird nicht ausgemalt, nur kurz heißt es: »Sie kreuzigen ihn« (V. 24). Der Titel König der Juden als Angabe der Schuld ist historisch glaubwürdig. Er ist, weil politisch kompromittierend, kaum von den ersten Christen erfunden worden. Die Römer sind gegen auch nur vermeintliche politische Unruhestifter kompromisslos vorgegangen.

Die Erwähnung der Mitgekreuzigten ist möglicherweise als Inszenierung des Hofstaats des gekreuzigten Königs zu verstehen, so dass die Verspottung fortgesetzt wird. Denkbar ist auch eine Anspielung auf Ps 22,17 oder Jes 53,12 (»den Übeltätern zugerechnet«).

 

2) Die Verspottung des Gekreuzigten (V. 29-32)

Die dritte Verspottungsszene (nach 14,65; 15,16-20a) umfasst drei Gruppen von Spottenden: Vorübergehende (also ist nicht an eine Massenszene gedacht), Hohepriester, Mitgekreuzigte.

Insofern die Spottenden lästern, sind sie als Sünder gekennzeichnet. Ihr Spott ist zum einen mit dem Wort vom Abreißen des Tempels und dem Wiederaufbau eines neuen Tempels verbunden (V. 29), zum andern mit dem Messias- und Königstitel. Der Spott setzt am Kontrast zwischen beanspruchter Vollmacht und hilfloser Lage an. Das Kreuz wird als Widerlegung dieses Anspruchs verstanden. Dagegen sieht der Evangelist in der Ohnmacht Jesu den Gehorsam dem Willen Gottes gegenüber.

 

3) Der Tod Jesu (V. 33-39) – s.u.

 

4) Frauen als Zeuginnen (V. 40f)

Die namentlich genannten Frauen, die »von ferne schauten« (V. 40), werden durch den Begriff der Nachfolge als Jüngerinnen Jesu vorgestellt.

Sie sind die einzigen, die aus dem Jüngerkreis noch übriggeblieben sind, und so das personale Bindeglied zwischen dem Karfreitag und der Osterverkündigung im leeren Grab. Zwei erscheinen auch als Zeuginnen der Grablegung (15,47). Sie spielen also eine wichtige Rolle für den auf Ostern zulaufenden Spannungsbogen.

 

Die Grablegung (15,42-47)

Der Erzählabschnitt dient der Überleitung zur Geschichte von der Auferweckungsbotschaft im leeren Grab. Josef von Arimathäa wird nicht ausdrücklich als Jünger präsentiert, sondern über die Ausrichtung auf die Gottesherrschaft in eine gewisse Nähe zu Jesus gerückt. In der Erzählung bleibt das Motiv für sein Handeln dennoch offen.

Falls historische Erinnerung bewahrt sein sollte, könnte sich Josef als Ratsherr um die kultische Reinheit des Landes gesorgt und deshalb auf die Abnahme der Leichen vom Kreuz hingewirkt haben, müsste also nicht aus Sympathie für die Jesus-Bewegung gehandelt haben.

Die zweite erzählerische Funktion (neben der Vorbereitung von 16,1-8) ist die Versicherung, dass Jesus wirklich gestorben ist (V. 44f).

 

Auferweckungsbotschaft im Grab (16,1-8) – s.u.

nach oben

Das letzte Mahl (Mk 14,22-25)

Inhaltsverzeichnis

I. Zur Überlieferungsgeschichte der Abendmahlstradition

Vergleich der beiden Traditionsstränge

Die Abendmahlstradition ist in zwei Überlieferungssträngen bezeugt:

  • Eine Linie wird von Markus und Matthäus bezeugt (Mk 14,22-25; Mt 26,26-30),
  • die andere von Lukas und Paulus (Lk 22,15-20; 1Kor 11,23-25).
    Genauer ist zu sagen: Lukas zeigt Spuren beider Stränge, er hat die Mk-Vorlage mit Elementen der anderen Traditionslinie verbunden.

Die folgende Synopse stellt die literarisch ältesten Bezeugungen der beiden Stränge einander gegenüber:

Mk 14,22-25 1Kor 11,23-26
Und während sie aßen, Der Herr Jesus
nahm er nahm in der Nacht,
  in der er überliefert wurde,
Brot, Brot,
sprach den Lobpreis dankte,
brach es, brach es
und gab es ihnen  
und sprach: und sprach
Nehmt,  
dies ist mein Leib. dies ist mein Leib
  für euch. Dies tut zu meinem Gedächtnis.
Und er nahm Gleichfalls auch
den Becher, den Becher
  nach dem Mahl,
dankte und gab ihn ihnen.  
Und sie tranken aus ihm alle.  
Und er sprach zu ihnen: indem er sagte:
Dies ist mein Dieser Becher ist der
Blut des Bundes, neue Bund in meinem Blut.
das ausgegossen wird für viele.  
  Dies tut, so oft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis.
Amen, ich sage euch: Nicht mehr werde ich trinken vom Gewächs des Weinstocks bis zu jenem Tag, an dem ich von neuem trinke im Reich Gottes. So oft ihr nämlich dieses Brot esst und diesen Becher trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Eine Synopse aller vier Versionen mit Markierung der verschiedenen Übereinstimmungen findet sich hier.

1) Wenn wir die beiden Formen miteinander vergleichen, zeigen sich zunächst folgende Gemeinsamkeiten des Handelns Jesu beim letzten Mahl:

  • Jesus nimmt Brot.
  • Er bricht das Brot.
  • Er deutet das Brot als (seinen) Leib.
  • Er nimmt (gleichfalls) den Becher.
  • Jesus deutet diese Handlung, indem er eine Beziehung zu seinem Blut und dem Bund herstellt.

Vor dem Brechen des Brotes ist bei Mk und Mt eine Segenshandlung, bei Lk und Paulus das Danken eingefügt.

2) Die wichtigsten Unterschiede zwischen beiden Traditionssträngen bestehen in fünf Punkten:

  • Die mk/mt Linie bietet eine Aussage über die Heilsbedeutung des Todes Jesu nur im Rahmen des Becherwortes (Mk 14,24; Mt 26,28), während Paulus und Lukas beim Brotwort vom »Leib für« sprechen (Lk kombiniert beide Linien).
  • Nach Mk und Mt ist das Blut für die Vielen ausgegossen; folgt man der Fassung von Lukas und Paulus, hat Jesus die anwesenden Jünger angesprochen: für euch.
  • Das Bundesmotiv ist unterschiedlich ausgerichtet. In 1Kor 11,25; Lk 22,20 ist in Aufnahme von Jer 31 die Rede vom neuen Bund; dagegen ist der Bezug auf das Bundesblut in Mk 14,24; Mt 26,28 als Anspielung auf Ex 24,8 und damit auf die Schließung des Sinai-Bundes zu verstehen.
  • Einen Wiederholungsauftrag kennt nur die pl/lk Linie: »Tut dies zu meinem Gedächtnis«. Lukas bietet dies nur im Zusammenhang des Brotwortes, Paulus auch nach dem Becherwort (»dies tut, sooft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis«).
  • In Mk 14,25 par Mt 26,29 begegnet der sogenannte »eschatologische Ausblick«, den Lukas vor die Abendmahlsworte gesetzt hat, im Zusammenhang eines eigenen Becherwortes (22,18, s.a. 22,16).

 

Sekundäre Elemente

Die Frage, welche der beiden Fassungen größeren Anspruch auf Ursprünglichkeit erheben kann, wird kontrovers diskutiert. Dabei kann es nicht um ein Entweder-Oder gehen, sondern nur um die Frage, welche Fassung bei der Rekonstruktion dominiert. So wird wohl meist eine Mischung aus Elementen beider Traditionslinien als ursprünglich vorgeschlagen. Folgende Elemente dürften als sekundär gelten:

  • Die Formulierung »für euch« berücksichtigt die Abendmahl feiernde Gemeinde und ergäbe im Zusammenhang des letzten Mahles Jesu keinen rechten Sinn. Warum sollte Jesus gerade den Jüngern das sühnende Sterben zueignen? Dass »für viele« sekundäre Angleichung an Jes 53,12 sei, ist demgegenüber weniger wahrscheinlich, zumal die Anspielung undeutlich bleibt (keine wörtliche Übereinstimmung, auch nicht mit der LXX).
  • Der Wiederholungsbefehl (»tut dies zu meinem Gedächtnis«) erklärt sich ebenfalls am besten aus der liturgischen Herrenmahlfeier der Gemeinde, die ihr Tun ausdrücklich auf Jesus zurückführt. Eine sekundäre Tilgung in der mk/mt Linie ist nicht erklärbar.
  • Diejenigen Elemente, die eine stringentere parallele Gestaltung ergeben:
    1. das Nehmen des Bechers, Danken und Geben des Bechers in der mk/mt Linie
    2. die Form des Becherwortes bei Mk und Mt, die stärker an das Brotwort angeglichen ist als das der pl/lk Linie
    3. der Wiederholungsauftrag
    4. die doppelte soteriologische Bestimmung bei Lk: »für euch« beim Brot- und beim Kelchwort

Zwar weisen nicht alle Beobachtungen in dieselbe Richtung, doch könnte sich aus dieser Übersicht ein Hinweis ergeben, dass die Suche nach der ursprünglichen Form der Abendmahlstradition vor allem an der mk Fassung ansetzen muss.

Dafür spricht eine weitere Beobachtung. Nur in dieser Linie ist ein Spruch belegt, der Jesu Tod im Zusammenhang mit der Gottesherrschaft erwähnt (Mk 14,25). Dies dürfte ein Indiz dafür sein, dass die Suche nach der »Jesus-Stufe« hier ansetzen muss. Tatsächlich ließe sich aus Mk 14,22-25 eine Fassung rekonstruieren, die sich

  1. sinnvoll ins Wirken Jesu zurückverfolgen lässt und die
  2. als Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung verständlich gemacht werden kann.

 

Der Ansatzpunkt bei Mk 14,24f

Ausgangspunkt der Beobachtungen ist der »eschatologische Ausblick« (Mk 14,25) und die Frage, wie er sich in das Gesamt des Textes einfügt. Dazu fallen zwei Dinge auf:

  1. Außer der Tatsache, dass inhaltlich der Tod Jesu die entscheidende Rolle spielt, gibt es keinen inneren Zusammenhang zwischen V. 24 und V. 25. Die nachfolgende Aussage nimmt nicht ein Stichwort aus der vorangegangenen auf.
  2. Über das Deutewort zum Becher hinweg zeigt sich ein Zusammenhang mit der Notiz vom Trinken aller (V. 23). Das Stichwort »trinken« wird aufgenommen: »sie tranken alle aus ihm (dem Becher)« – »ich werde nicht mehr trinken…«. Der Anschluss von V. 25 an V. 23 ist also viel enger als an V. 24.

Hält man den Zusammenhang von V. 23 und V. 25 für ursprünglich, würde sich auch die Auffälligkeit erklären, dass Jesus erst seinen Tod deutet (V. 24), ehe er von der Gewissheit seines Todes spricht (V. 25): Das Element der Deutung wäre nachträglich hinzugekommen. Mit diesem Wachstum wäre auch verständlich, warum die Worte zum Becher strukturell ein solches Gewicht einnehmen gegenüber dem Brotwort.

Ist das Becherwort Mk 14,24 sekundär, ergäbe sich eine Rekonstruktion der Abendmahls­worte, in der die Sühnedeutung des Todes Jesu fehlt (s. dazu auch die Überlegungen hier):

»Jesus nahm Brot, sprach den Lobpreis/dankte, brach es und gab es den Jüngern und sprach: ‚Das ist mein Leib.‘ Gleichfalls den Becher (nach dem Mahl), und sie tranken aus ihm alle. Und er sprach zu ihnen: ‚Amen ich sage euch: Ich werde nicht mehr trinken vom Gewächs des Weinstocks bis zu jenem Tag, an dem ich von neuem trinke im Reich Gottes.«

Zur Diskussion einer alternativen Rekonstruktion s. hier.

 

II. Brot- und Becherwort beim letzten Mahl Jesu (historische Ebene)

Hinter Mk 14,22-25 ist nach den obigen Überlegungen eine ältere Überlieferungsform zu erkennen, in der Brot und Becher eine Rolle spielten, eine Deutung des Todes Jesu als sühnendes Sterben aber noch fehlt.

 

Brotwort

Wenn die Gabe des Brotes begleitet war von den Worten »das ist mein Leib«, könnte im gebrochenen Brot die Erwartung des Todes angedeutet sein. Hinter dem griechischen Wort für »Leib« dürfte das aramäische gufa stehen. Damit ist nicht allein der Körper bezeichnet, sondern der Mensch als Person, in seiner Individualität. »Das ist mein Leib« würde also bedeuten »das bin ich«. Es wäre noch kein soteriologisches Element mit dem Brot­wort verbunden (also: der für euch gegebene Leib). Dennoch wäre verständlich, wie sich diese Todesdeutung nachösterlich mit dem Brotwort verbinden konnte.

Mit dem Deutewort »das ist mein Leib« könnte aber auch ein weiterer Gedanke verbunden sein: Da Jesus das Brot seinen Jüngern gibt, würde Jesus die Jünger der bleibenden Gemeinschaft mit ihm versichern – über den Tod hinaus (A. Vögtle). Im gebrochenen und geteilten Brot bleibt er unter ihnen gegenwärtig.

  • Ein solches Verständnis könnte gut erklären, dass die Jünger nach Ostern zusammenkamen zum gemeinsamen Mahl und Brotbrechen in Erinnerung an das letzte Mahl Jesu. Auch in diesem Fall wäre verständlich, dass sich die Deutung des Todes Jesu als heilswirkendes Sterben auch an das Brot­wort heften konnte: Sie ließ sich mit der Gabe des Brotes an die Jünger verbinden (Leib für euch).

 

Becherwort

Versteht man den »eschatologischen Ausblick« als ursprüngliches Becherwort, dann liegt kein unmittelbarer Bezug zum Todesgeschick Jesu vor. Jesus nimmt vielmehr das Trinken aus dem Becher zum Anlass, von seinem Tod zu sprechen: Es ist das letzte Mal, dass er Wein trinkt; und er versichert seine Jünger des Kommens der Basileia trotz seines Todes (s. dazu auch hier).

Insofern Jesus das Weintrinken als Bild für die vollendete Basileia gebraucht (Mk 14,25), könnte er seinen Jüngern (wohl auch im Rückgriff auf die zurückliegenden Mahlfeiern) ein Zeichen hinterlassen haben, das ihnen das endgültige Kommen der Gottesherrschaft verbürgte.

  • In diesem Rahmen könnte das gemeinsame Trinken aus einem Becher (wenn es denn nicht urkirchliche Praxis spiegelt) auf die Jüngergemeinschaft bezogen sein, die durch den Tod Jesu nicht abbrechen, sondern weiterbestehen soll im Blick auf die Vollendung der Basileia.

Es bleibt also vieles offen. Dies hängt nicht nur mit Unsicherheiten in der Rekonstruktion des Umfangs der ursprünglichen Tradition zusammen. Worte und Gesten bleiben in der dargestellten Knappheit mehrdeutig, so dass man über die Rekonstruktion von Möglichkeiten kaum hinauskommt. Der vorgestellte Kernbestand hätte allerdings den Vorteil, dass er in der Frage, wie sich die Deuteworte der Abendmahlstradition entwickelt haben, alle Möglichkeiten offen lassen würde.

  • So könnte z.B. die Tatsache berücksichtigt werden, dass das Becherwort der pl/lk Linie darin einen ursprünglicheren Eindruck macht als Mk 14,24, dass es nicht so stark an das Deutewort vom Brot angeglichen ist. In der rückblickenden Perspektive nach Ostern konnte der »eschatologische Ausblick« »den Wiederholungsauftrag und die Bundesstiftung aus sich heraus freisetzen« (H.-J. Klauck).

 

III. »Für euch« / »Für (die) viele(n)«

Nach der hier vertretenen Rekonstruktion sind die »Für-Aussagen« nicht ursprünglich, sondern erst im Lauf der nachösterlichen Überlieferung in die Abendmahlstradition gekommen. Warum ist das geschehen? Wie sind die entsprechenden Aussagen zu verstehen?

 

Das »Für« als Kennzeichnung stellvertretender Sühne

Die deutsche Präposition »für« hat (wie das griechische Pendant hyper) eine zweifache Bedeutung: Es kennzeichnet zum einen ein zugunsten von, zum andern ein anstelle von. Beide Dimensionen lassen sich nicht streng voneinander trennen. Indem Jesus für uns stirbt,

  • tritt er an unsere Stelle als Sünder (Gedanke der Stellvertretung)
  • und befreit von der Sünde, handelt also uns zugunsten (Gedanke der Sühne).

Mit der Rede von »Sünde« ist allerdings ein Begriff eingebracht, der in der Abendmahls­tradition nur bei Mt belegt ist. Darf er dennoch auch dort vorausgesetzt werden, wo er nicht genannt ist? Diese Frage betrifft nicht nur die Abendmahlstexte, sondern auch Kurzformeln, in denen der Tod Jesu als »für uns« geschehen gekennzeichnet wird (z.B. 2Kor 5,14; Röm 14,15; Gal 2,20). Mehrheitlich wird die Frage bejaht, und das mit guten Gründen. Man kann den Gedanken der Stellvertretung nicht isolieren vom Gedanken der Sühne.

  • In diesem Fall wäre zu klären, inwiefern uns der Tod zugekommen wäre, Jesus in seinem Sterben an unsere Stelle getreten sei. Hier liegt die Grenze von Parallelen aus der griechischen Welt, die das »Sterben für« verstehen im Sinne des Lebenseinsatzes für Nahestehende, Freunde oder das Gemeinwesen. In diesen Fällen verbindet sich der Lebenseinsatz mit einer Rettung, die sich im Weiterleben der Geretteten unmittelbar dokumentiert. Dies ist in der Verkündigung des Todes Jesu nicht der Fall. »Der Tod Jesu rettet nicht die Einwohner Jerusalems vor einer Pest, er stirbt nicht stellvertretend, um einige seiner Freunde oder seine Familie aus einer physischen Notlage zu befreien. Der Tod Jesu durchbricht den Tat-Folge-Zusammenhang zwischen Sünde und Todesgericht, und zwar für alle.« Die Für-Formeln »implizieren eine ,Sühnevorstellung‘« (C. Breytenbach).

So ist in den Für-Worten der Abendmahlstradition durchweg der Gedanke der stellvertretenden Sühne ausgedrückt, auch wenn vom Nachlass der Sünden nur in Mt 26,28 die Rede ist.

 

Verbindung zu Jes 53

Der Tod Jesu zugunsten der Vielen (Mk 14,24par; vgl. auch 10,45par) weist auf das vierte Gottesknechtslied (Jes 53), in dem wiederholt dieser Begriff erscheint. Der Gottesknecht trägt die Sünden von vielen (V. 12), er macht die Vielen gerecht (V. 11). Der Be­griff begegnet nicht nur, wenn es um die Bedeutung des Gottesknechtes für andere geht; er kennzeichnet auch die anderen in ihrer Stellung zum Gottesknecht: Viele haben sich über ihn entsetzt (52,14); viele Völker setzt er ins Staunen (52,15).

Setzt man diesen Hintergrund voraus, gewinnt die Sühneaussage einen deutlich universalen Akzent. Mit den »Vielen« ist nicht nur unbestimmt eine Mehrzahl bezeichnet. Unabhängig von der Frage, ob »viele« im Semitischen die Bedeutung von »alle« annehmen kann, ist das vierte Gottesknechtslied (wie auch das erste und zweite in Jes 42; 49) von einem Horizont bestimmt, der über Israel hinausgeht.

  • Dies ist für die urchristliche Verkündigung sicher von Bedeutung gewesen, da sie die Grenzen des Volkes Israel mit der Mission unter Samaritanern und dann unter Heiden verlassen hat. Obwohl ausdrückliche und klare Bezüge auf Jes 53 in den frühen Traditionen fehlen, dürfte diese atl Passage für die urchristliche Theologie sehr wichtig gewesen sein. Die Abendmahlstradition bietet einen der andeutenden Bezüge auf das vierte Gottesknechtslied.

Dass der Tod Jesu gedeutet wurde als stellvertretender Sühnetod, in dem universal und endzeitlich-endgültig Sündenvergebung zugesprochen wird, lässt sich aus den besonderen Bedingungen der Situation nach Karfreitag und Ostern erklären (s. dazu hier).

Zur Deutung des Wiederholungsauftrags in der pl/lk Linie s. hier.

nach oben

Der Tod Jesu am Kreuz (Mk 15,33-39)

Inhaltsverzeichnis

I. Die apokalyptischen Zeichen

Die Kreuzigungsszene hat eine Zeitangabe eingeführt, die im Abschnitt über Jesu Tod aufgegriffen wird. Gekreuzigt wurde Jesus um die dritte Stunde, also um 9 Uhr morgens. Dies wird aufgegriffen, wenn es heißt, dass von der sechsten bis zur neunten Stunde eine Finsternis über die ganze Erde kam (V. 33).

 

Zeitenwende im Tod Jesu

Diese Schilderung ist schon ein erster Hinweis, dass Jesu Tod nicht einfach berichtet wird, sondern dessen Bedeutung dargestellt werden soll. Es kann sich nicht um eine gewöhnliche Sonnenfinsternis handeln, denn es wird auf der ganzen Erde dunkel (wenn man das griechische Wort γῆ/ge nicht mit »Land« übersetzt). In jedem Fall schließt die Verbindung des Pascha-Festes mit dem Frühlingsvollmond eine natürliche Sonnenfinsternis aus.

Dass die Sonne nicht mehr scheint, gehört in der Apokalyptik zu den Schrecken der Endzeit, die den Einbruch der neuen Welt Gottes unmittelbar ankündigen. So könnte sich auch erklären, dass die Finsternis bis zum Tode Jesu dauert, also nicht mit ihm einsetzt. Es geht demnach nicht um ein Motiv, das die Trauer der Erde über den Tod eines bedeutenden Menschen ausdrücken würde. Vielmehr: Die Wende der Welten geschah im Tod Jesu.

 

Mehrdeutig: Das Zerreißen des Tempelvorhangs

Der Tod Jesu ist mit einem anderen apokalyptischen Zeichen verbunden: dem Zerreißen des Tempelvorhangs. Dass dies von oben nach unten geschieht, zeigt an: die Teilung geht zurück auf Gott.

Der äußere Vorhang im Tempel schützt das Innere vor den Blicken von außen, grenzt den heiligen Bezirk ab zum Vorhof hin. Der innere Vorhang grenzte das Allerheiligste, das nur der Hohepriester einmal im Jahr betreten durfte, vom übrigen Tempelhaus ab. Welcher der beiden Vorhänge gemeint ist, lässt der Text offen.

Eine sichere Deutung dieses Zeichens ist kaum möglich. Es bietet unterschiedliche Rezeptionsmöglichkeiten:

  • Im Tod Jesu kündigt sich das Ende des Tempelkultes an, da Vergebung der Sünden nun durch diesen Tod gewährt wird; der Sühnekult verliert seine Bedeutung.
  • Der Zugang zu Gott ist nun über Jesus und seinen Tod eröffnet, nicht über den Tempel als dem Ort der dichtesten Gegenwart Gottes in Israel.
  • Für Markus, der nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 schreibt, könnte sich dieses Ereignis im Zerreißen des Vorhangs ankündigen.

 

II. Die Ereignisse vor dem Tod Jesu

Zwischen die apokalyptischen Zeichen, die die Bedeutung des Todes Jesu herausstellen, ist das Sterbegebet Jesu und ein sich daran anschließendes Missverständnis eingefügt.

 

Jesu Sterbegebet

Zu Ps 22 als Sterbegebet siehe oben. Das Zitat zeigt Jesus als leidenden Gerechten, der trotz der erfahrenen Gottesferne seine Hoffnung auf Gott setzt.

  • Die Wiedergabe des Psalmanfangs auf aramäisch ist Aufmerksamkeitssignal und erzählerischer Anker für das Missverständnis, Jesus habe Elija gerufen.
  • Dass die Dabeistehenden die Worte Jesu bewusst verdrehen, deutet der Text nicht an. Es kommt nur darauf an, dass das Stichwort Elija fällt und die Spötter so ihr Spiel mit dem Gekreuzigten weitertreiben können.

 

Tränkung mit Essig

Dieses Motiv spielt auf Ps 69,22 an:

»Und sie gaben mir zur Speise Gift und in meinem Durst tränkten sie mich mit Essig.«

Der Trank ist wohl als lebensverlängernde Gabe zu verstehen (Linderung von Wundfieber und Durst), allerdings nicht im Sinne eines Barmherzigkeitserweises. Dass die Akteure ernsthaft mit dem Kommen Elijas rechnen, ist nach den vorherigen Verspottungsszenen auszuschließen.

Man kann in 15,36 auch übersetzen: »Er versuchte ihn zu tränken«. Dann könnte der Tod Jesu sehr deutlich als Durchkreuzung der geplanten Verspottung gekennzeichnet sein. Jesus stirbt, ehe der Schwamm an seinen Mund kommt.

Auch wenn man nicht so übersetzt, wäre diese Sinnspitze nicht ausgeschlossen: Direkt auf die Essiggabe stirbt Jesus, der Plan der Verlängerung der Qual unter dem Vorwand, eine Rettung durch Elija zu ermöglichen, scheitert. Hintergründig deutet sich der Tod Jesu als Sieg über seine Widersacher an.

 

III. Der Tod Jesu

Die Reaktion des Hauptmanns angesichts des Todesschreis

Der Tod Jesu wird zum einen durch das Zeichen des zerreißenden Tempelvorhangs gedeutet (s.o.), zum andern durch die Reaktion des Hauptmanns unter dem Kreuz: Als er Jesus so, mit einem lauten Schrei sterben sieht, sagt er:

»Wahrlich, dieser Mensch war (ein) Sohn Gottes.«

V. 39

Es bleibt unklar, warum der Hauptmann aufgrund des Todesschreis zu dieser Aussage kommt. Soll er beeindruckt sein von der Kraft, die sich in dem lauten Ruf äußert, da gekreuzigte Sterbende gewöhnlich zu lauten Äußerungen nicht mehr fähig sind? Dass ausgerechnet im Tod Jesu die Linie der Erniedrigung abgebrochen wäre, die für die Markus-Passion typisch ist, müsste allerdings überraschen. Eher zeigt auch der laute Todesschrei die Erniedrigung Jesu an (bei Lukas und Johannes stirbt Jesus nicht mit einem unartikulierten Schrei).

 

Der Spannungsbogen vom »Sohn Gottes«

Im Rahmen des Markus-Evangeliums kann eine Antwort versucht werden mit Blick auf den Spannungsbogen, der mit dem Titel »Sohn Gottes« verbunden ist. Zwei Mal war den Lesern Jesus bereits in besonders herausgehobener Form als Sohn Gottes vorgestellt worden, in zwei Offenbarungsszenen: die Himmelsstimme bekennt sich zu Jesus als dem geliebten Sohn nach der Taufe und bei der Verklärung.

»Du bist mein geliebter Sohn, an dir fand ich Gefallen.«

Mk 1,11

»Dieser ist mein geliebter Sohn, hört auf ihn.«

Mk 9,7

Auffällig ist diese Offenbarung auch deshalb, weil sonst Jesus nicht in dieser Würde bekannt gemacht werden soll. Den Dämonen, die Jesus kennen, verbietet er, ihn als Sohn Gottes bekannt zu machen (1,34; 3,12). Daraus, wie auch aus den Schweigegeboten an Geheilte und vor allem an die Jünger (8,30; 9,9), ist zu schließen, dass der Blick auf den vollmächtig wirkenden Jesus für Markus nicht genügt. Es wäre ein einseitiger Blick (s. dazu auch hier oder hier die Erörterung im Rahmen der Wunderchristologie). Da in 9,9 zudem die Auferstehung von den Toten als Endpunkt des Schweigegebots an die Jünger angegeben ist, ergibt sich ein stimmiges Bild, in das sich auch die Äußerung des Hauptmanns einordnen lässt:

Man muss den Weg Jesu bis zum Ende, bis zum Kreuz mitgehen, um angemessen von seiner Hoheit und Würde als Sohn Gottes sprechen zu können. Wer dieses schmähliche Ende ausklammert, kennt Jesus nicht wirklich. Deshalb bekennt der Hauptmann Jesus gerade angesichts der tiefsten Erniedrigung als Sohn Gottes.

nach oben

Die Auferweckungsbotschaft im leeren Grab (Mk 16,1-8)

Inhaltsverzeichnis

I. Der erzählerische Rahmen

Die Geschichte von der Auferweckungsbotschaft im leeren Grab (16,1-8) ist nicht nur der Abschluss der Passionsgeschichte, sondern auch des MkEv. Die V. 9-20 sind nachträglich angefügt worden, weil man das Ende des MkEv als unbefriedigend empfand, sicher aufgrund des Vergleichs mit den anderen Evangelien.

Die tragende Rolle als menschliche Akteure spielen die Frauen, die auch als Zeuginnen des Todes Jesu vorgestellt wurden. Abgesehen von Josef von Arimathäa, der freilich nicht ausdrücklich als Jünger Jesu bezeichnet wird, sind sie die einzig verbliebenen der Anhänger Jesu. Sie allein können mit einem Gang zum Grab verbunden werden.

In historischer Hinsicht ist ihr Verhalten in wenigstens dreifacher Hinsicht erstaunlich:

  • die Salbungsabsicht nach der Beerdigung, zumal zwei Tage nach dem Tod, ist unter den klimatischen Bedingungen Palästinas nicht vorstellbar;
  • die Gedankenlosigkeit der Frauen, die recht spät die Schwierigkeit bemerken, die sich für ihren geplanten Gang ins Grab ergibt;
  • die Reaktion der Frauen auf die Botschaft des Engels: Sie schweigen.

Ausgangspunkt der Erzählung ist also höchstwahrscheinlich kein Erlebnis von Jüngerinnen am Sonntag nach dem Tod Jesu. Dafür spricht auch die Zentrierung der Geschichte auf die Botschaft des Engels hin. Wenn es wesentlich darum geht, dass die Kunde von der Auferweckung Jesu laut wird, dann ist auch anzunehmen, dass das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu den Ausgangspunkt der Erzählung darstellt.

 

II. Die Botschaft des Engels

Das Zentrum der Erzählung

Die Botschaft des Engels steht im Zentrum der Erzählung. Dies ergibt sich nicht nur sachlich aus der Bedeutung der Auferweckung für das urchristliche Bekenntnis; auch die Gestalt der Erzählung führt zu diesem Urteil.

  • Sie ist so aufgebaut, dass die Frauen zunächst unterwegs zum Grab sind, aber schon von Anfang an beabsichtigen, in das Grab zu gehen.
  • Dort treffen sie auf den göttlichen Boten, der ihnen die Kunde von der Auferweckung ausrichtet.
  • Und auf diese Kunde reagieren die Frauen, wenn sie mit Furcht und Zittern vom Grab fliehen.

► Die Bewegung zum Grab, der Aufenthalt dort und das Fliehen vom Grab – alles ist auf die Botschaft des Engels bezogen.

 

Der Nazarener, der Gekreuzigte

Auffällig ist die ausführliche Identifizierung Jesu: »Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den gekreuzigten?« Warum wird Jesus ausdrücklich als Nazarener bezeichnet?

  • Möglicherweise bildet Mk hier eine Klammer zum ersten Auftreten Jesu, wo es vor der Taufe Jesu betont heißt: Es kam Jesus von Nazaret (in Galiläa). Erinnert wäre dann an das »Bekenntnis« der Himmelsstimme nach der Taufe, das Jesus als Sohn Gottes vorstellt.
  • Möglich ist daneben aber auch, dass ein Rückblick auf das Wirken Jesu im Ganzen angezielt ist. Denn in diesem Rahmen kommt die Bezeichnung Nazarener ebenfalls vor, vom öffentlichen Auftreten (1,24; 10,47) bis in die Passionsgeschichte (14,67, im Rahmen der Verleugnung des Petrus). Es geht also um diesen Jesus von Nazaret, der in Galiläa und Umgebung auftrat, der verkündete und heilte, der in Jerusalem schließlich verhaftet wurde.

Der Rückblick auf das Ende der Geschichte Jesu kommt dann noch deutlicher in der zweiten Charakterisierung zum Tragen: der Gekreuzigte. Die Botschaft von der Auferweckung ist nicht am Kreuz vorbei zu haben. Mk betont also: Der Erhöhte bleibt der Gekreuzigte, »nur in dieser Verknüpfung ist das christologische Bekenntnis richtig« (Lorenz Oberlinner).

 

Suche am richtigen Ort

Aus dieser Akzentsetzung ergibt sich eine wichtige Folgerung. Das Verhalten der Frauen, ihr Gang zum Grab wird nicht kritisiert. Es wird ihnen nicht vorgeworfen, dass sie Jesus am falschen Ort suchen. Der Gang zum Grab ist Nachfolge des Gekreuzigten und wird in der Geschichte keinesfalls negativ gewertet. Auch wenn die Frauen Jesus nicht so finden, wie sie es erwartet hatten, so erwächst daraus, anders als in Lk 24,5, kein Vorwurf an sie.

Im Wort der Verkündigung erfahren die Frauen von Ostern – wie auch die Adressaten des MkEv. So wird die Darstellung der Frauen transparent für die Situation der späteren Zeit. Mk nutzt die literarischen Figuren, die Jüngerinnen Jesu, um die Hörerinnen und Hörern seiner Zeit mit der Osterbotschaft zu konfrontieren.

 

III. Die Reaktion der Frauen

Von dem zuletzt genannten Anliegen erklären sich auch die beiden auffälligen Besonderheiten des Abschlusses der Erzählung.

 

Keine Erscheinungsgeschichte

Dies ist zum Ersten das Fehlen einer Erscheinungsgeschichte. Die Erscheinung wird angekündigt (16,7), aber nicht erzählt. Der Evangelist weiß um die Erscheinungen des Auferstandenen, die ja schon die alte Formel 1Kor 15,3b-5 bezeugt. Dies bleibt aber ausgeblendet, weil es den Blick auf die Vergangenheit lenken würde. Deshalb lässt Mk sein Werk nicht mit dem Blick auf das Damals enden, sondern auf die eigene Gegenwart:

► Die Botschaft von der Auferweckung ist entscheidend, nicht das Empfangen von Erscheinungen, das den Osterzeugen gewährt wurde.

 

Das Schweigen der Frauen

So erklärt sich zum Zweiten auch das Verhalten der Frauen, nachdem sie aus dem Grab gegangen sind. Furcht und Entsetzen hat sie gepackt, und aus Furcht sagen sie niemandem etwas (V. 8). Diese Reaktion scheint in Widerspruch zu stehen zum Auftrag des Engels, den Jüngern vom Vorangehen nach Galiläa zu erzählen.

Aber die Jünger sind gar nicht mehr recht im Blick. Es heißt, die Frauen sagten niemandem etwas. Bezugspunkt des Schweigens ist die Botschaft von der Auferweckung (V. 6). Das Schweigen hängt zusammen mit der Furcht (»sie fürchteten sich nämlich«), Furcht ist die typische Reaktion des Menschen auf die Begegnung mit der göttlichen Welt.

► Die Frauen haben verstanden, dass sie konfrontiert wurden mit einer Gottesoffenbarung.

Mit diesem Schluss gelingt es Markus, die Geschichte, und das heißt: seine ganze Jesus-Geschichte, offen in die Welt der Adressaten münden zu lassen. Sie stehen in derselben Situation wie die Frauen, werden konfrontiert mit der ungeheuren Botschaft von Jesus von Nazaret, dem Künder der Gottesherrschaft, der vor allem in Galiläa gewirkt hat, verkündend und heilend, der gekreuzigt wurde, den Gott aber auferweckt hat von den Toten.

nach oben

Anhang

Alternative Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte

Zur Priorität des pl/lk Strangs

Gerd Theißen setzt beim paulinischen Traditionsstrang an, um die älteste Überlieferungsform zu rekonstruieren. Seine Argumentation wird im Folgenden besprochen.

1. Das mk Brotwort (ohne die Für-Aussage) könnte insofern sekundär sein, als in diesem Strang Brot- und Becherwort nicht getrennt sind durch die Notiz »nach dem Mahl«. Deshalb können beide Deuteworte stärker als Einheit aufgefasst werden; die soteriologische Formel wird an die besser passende Stelle verlagert (»Blut, ausgegossen für viele«).

  • Gegenargumentation: Dass wegen der fehlenden Mahlnotiz die Tendenz zur Parallelisierung nicht mehr durchschlagen sollte, ist unwahrscheinlich. Es bestand für die urchristliche Tradition kein Anlass, ein überliefertes »für« zu streichen (Theißen hält auch in diesem Fall eine Entscheidung für »nur schwer möglich«, allerdings »sprechen gewichtige Argumente für die pln Form«).

2. Die Frage, welche Fassung des Becherwortes ursprünglich sei, ist zugunsten der paulinischen Variante zu entscheiden, denn: (1) Hier wird nicht die jüdisch kaum denkbare Vorstellung vom Blutgenuss wachgerufen (es heißt nicht: »… dies ist mein Blut«). (2) In der paulinischen Formulierung ist das Becherwort weniger mit dem Brotwort parallelisiert als in der mk.

  • Gegenargumentation: Man kann diesem Argument zustimmen, doch ist damit nur die paulinische zur mk Form in Beziehung gesetzt: sie ist ursprünglicher. Wenn es Gründe für die Annahme gibt, dass das Becherwort überhaupt sekundär ist, wäre die Frage nach der ursprünglichen Fassung neu zu stellen. Dass Theißen darauf nicht eingeht, ist eine Schwäche seiner Rekonstruktion.

3. Die Rede vom neuen Bund (nicht vom »Blut des Bundes«) passt zu einem Bundesschluss, da dies ein einmaliger Vorgang ist. So richten sich die Worte Jesu nur auf das Geschehen beim letzten Mahl, nicht auf dessen liturgische Wiederholung und Vergegenwärtigung.

  • Gegenargumentation: Das Argument kann nur belegen, dass die rekonstruierte Urfassung besser für die Situation Jesu passt als die mk Formulierung »Blut des Bundes«. Ein positives Argument, dass der Bezug auf den neuen Bund historisch ist, lässt sich so nicht gewinnen.

    Es ist auch nicht begründbar, dass die Ausrichtung auf den Akt des Bundesschlusses für die Tilgung des »neuen Bundes« im mk/mt Strang der Abendmahlsüberlieferung verantwortlich sein könnte (weil der einmalige Akt nicht gut zur liturgischen Wiederholung passen würde). Die pl/lk Linie zeigt, dass sich beides verbinden lässt. Dass sich der »neue Bund« nicht überall durchgehalten hat, bleibt unerklärt.

 

Zur Rekonstruktion der ursprünglichen Version

Auch Gerd Theißen unterscheidet die älteste urchristliche Überlieferungsstufe von der Situation des letzten Mahles Jesu. Aus der pln Fassung des Becherwortes streicht er den Bezug auf das Blut Jesu – als offensichtlichen Eintrag aus der österlichen Perspektive. So bleibt die Rede vom neuen Bund: »Dies (das Trinken des Bechers) ist der neue Bund.«

Als positive Argumente für die Richtigkeit der Rekonstruktion werden genannt:
1. In Joh 13 könnte mit dem »neuen Gebot« eine Erinnerung an den neuen Bund vorliegen. Auch im »eschatologischen Ausblick« begegnet das Stichwort »neu«. Dies könnte »ein Nachklang der ursprünglichen Worte« sein.

  • Gegenargumentation: Dass die Rede vom neuen Bund aus der Abendmahlsüberlieferung wieder verschwunden wäre, wenn sie Jesus klar geäußert hätte, ist nicht denkbar. Mk 14,25 lässt sich nicht als Nachklang jener Rede erklären. Zwischen »neuem Gebot« und »neuem Bund« lässt sich keine Brücke schlagen.

2. Der neue Bund ist nach Jer 31,31-34 nicht mit blutigen Opfern verbunden. In der »Damaskus-Schrift« (auch in Qumran gefunden) ist »neuer Bund« die Selbstbezeichnung einer Gruppe, die dem Tempelkult fernbleibt. Wenn dieses Element alt ist, könnte man zudem erklären, warum es im Urchristentum auch Mahlfeiern ohne Bezug auf den Tod Jesu gegeben hat.

  • Gegenargumentation: Die Qumran-Gruppe hat durchaus in Kategorien des Tempelkults gedacht; sie hat nur den konkret ausgeübten Kult kritisiert (wahrscheinlich vor allem wegen eines anderen Kalenders) und sich deshalb zurückgezogen. Dass der Mahltyp ohne Bezug zum Tod Jesu ursprünglich ist, ist umstritten (s. dazu hier).

Zum Wiederholungsauftrag in der pl/lk Linie

Der liturgische Ort der Abendmahlstradition

Nur in der pl/lk Linie findet sich ein ausdrücklicher Wiederholungsauftrag: »Tut dies zu meinem Gedächtnis«. Dies weist auf eine Besonderheit der Abendmahlsüberlieferung, die auch für den mk/mt Strang gilt. Die Texte sind geprägt von der Abendmahl feiernden Gemeinde. Merkmale ihrer Liturgie fließen in die Gestaltung der Abendmahls­tradition ein, die so ätiologische Funktion gewinnt.

  • Damit ist gemeint: Die Gemeinde begründet mit den Abendmahlstexten ihre Feier des Abendmahls. Auf diese Weise erklären sich auch Übereinstimmungen und Differenzen in den Texten: Unterschiedliche liturgische Traditionen, die sich auf dasselbe Geschehen beziehen (das letzte Mahl Jesu), schlagen sich nieder.

Dies zeigt sich etwa daran, dass die Notiz »nach dem Mahl« (Lk 22,20; 1Kor 11,25) bei Mk und Mt fehlt. Nach Lk und Paulus sind Brot- und Becherwort durch das Mahl getrennt; Mk und Mt bieten sie zusammenhängend. Dies dürfte Reflex der liturgischen Praxis sein.

Wahrscheinlich war auch in der Herrenmahl-Feier der Gemeinde von Korinth »die Doppelhandlung zu Brot und Wein … bereits geschlossen an das Ende der Mahlzeit gerückt« (H.-J. Klauck). Doch hat dies noch nicht eingewirkt auf die Abendmahlsüberlieferung, die Paulus als Tradition zitiert (»vom Herrn empfangen«). Mk und Mt bieten also in diesem Punkt ein späteres Stadium der Herrenmahltradition, das stärker durch die liturgische Feier der Gemeinde geprägt ist.

 

Zur Bedeutung des Gedenkens

Die Wendung »tut dies zu meinem Gedächtnis« zielt nicht nur auf ein Erinnern; sie meint nicht nur, dass die Glaubenden an Jesus denken. Es geht um »eine Vergegenwärtigung des Vergangenen, wie man sie besonders beim jüdischen Pascha vollzog und in späterer Zeit explizit reflektierte« (J. Kremer; er bezieht sich hier auf die rabbinische Aussage, jeder Jude, der das Pascha feiert, solle sich so betrachten, als sei er selbst aus Ägypten ausgezogen).

 

Zwei Mahltypen?

In der Forschung wird auch die Annahme vertreten, es habe in der Urkirche zwei verschiedene Mahltypen gegeben. Neben derjenigen, die sich auf das letzte Mahl und den Tod Jesu bezieht, lasse sich eine zweite Form nachweisen. Sie knüpfe an den Mahlgemeinschaften des irdischen Jesus an und sei zu verstehen als Vorwegnahme des künftigen endzeitlichen Mahls in der vollendeten Basileia (begründet wurde diese Theorie von H. Lietzmann; in neuerer Zeit modifiziert aufgegriffen von L. Schenke).

  • Ansatzpunkt dieser Rekonstruktion ist die Didache, eine Schrift, die um 100 entstanden ist. Sie kennt eine Mahlfeier, in der die Erinnerung an das letzte Mahl Jesu und an seinen Tod keine Rolle spielt (9,1-10,6). Und sie bezeichnet diese Feier mit demselben Titel wie Apg 2,46: das Brotbrechen (Did 14,1).

Es ist aber fraglich, ob sich diese Rekonstruktion ausreichend positiv begründen lässt.

  • Die Bezeichnung »Brotbrechen« ist zu wenig, um die Notiz in der Apg auf einen bestimmten Mahltyp zu beziehen, von dem Lukas selbst nichts überliefert. Er kennt, wie gesehen, die Abendmahlstradition, mit ausdrücklichem Wiederholungsauftrag (Lk 22,19); also hat er das »Brotbrechen« wohl auf diese Weisung bezogen – auf den »bekannten« Mahltyp.
  • Die Verbindung zu den Gemeinschaftsmählern des irdischen Jesus ist in urchristlichen Traditionen vom Gemeinschaftsmahl nicht zu erkennen. Dass sich die Speisungsgeschichten einem bestimmten Mahltyp als Hintergrund zuweisen lassen, ist unwahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Erzählung von den Emmaus-Jüngern.
  • Man kann aus der Didache wohl schließen, dass es eine Mahlfeier gegeben hat, die sich vom Mahl des Todesgedächtnisses unterschieden hat; ob dies aber die ursprüngliche, in der Urgemeinde zu Beginn geübte Form war, ist eine andere Frage.

nach oben