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Ps 1; 2

Die Eröffnung des Psalters

  1. Psalm 1
    1. Gliederung
    2. Erläuterungen
  2. Psalm 2
    1. Gliederung
    2. Erläuterungen
  3. Bezüge zwischen Psalm 1 und Psalm 2
  4. Quellen

Psalm 1 und 2 sind dem Psalter als Prolog vorangestellt und geben dem Leser und Beter des Gesangbuchs mit ihrer jeweiligen thematischen Ausrichtung wesentliche Impulse mit auf den spirituellen Weg. Sie heben sich deutlich von den folgenden Psalmen ab, da sie beide keine Überschrift besitzen. Psalm 1 ist ein weisheitlicher Tora-Psalm (auch Ps 19 und Ps 119), der durch seine Anfangsstellung das ganze Buch der Psalmen als eine Antwort Israels auf die Weisung Gottes in der Tora darstellt. Psalm 2 folgt als Königs-Psalm einer anderen Thematik: Hier wird die Rolle des Gesalbten und Königs in der Vermittlung zwischen Gott und den Menschen greifbar, die sich ebenfalls als Leitthema durch den Psalter zieht (insbesondere im Kontext von David) mit dem Ziel einer universalen Königsherrschaft JHWHs.

1. Psalm 1

1.1. Gliederung                                                

1-3        der Gerechte   
1-2        Beschreibung des Gerechten
Negativ – Positiv
3a         Vergleich Landwirtschaft
3b-c      Folgerung für die Zukunft

4-5        die Frevler
4a         Beschreibung der Frevler

4b         Vergleich Landwirtschaft
5           Folgerung für die Zukunft

6           Begründung und Vergleich

1.2. Erläuterungen

Psalm 1 weist im Aufbau die parallele Gegenüberstellung eines Gerechten und mehrerer Frevler auf. Er beginnt mit der Seligpreisung (sog. Makarismus) eines Gerechten. Die drei negierten und mit Frevlern verbundenen Handlungen gehen, stehen und sitzen (1,1) beschreiben eine Totalität und finden ein positives Gegenstück in der Weisung Gottes zum Umgang mit dem Hauptgebot in Dtn 6,7. Wie man dort zur stetigen Rezitation des Hauptgebots aufgerufen wird, so kann der Psalter als ebensolche Reflexion der Tora gelesen werden, zumal das hebräische Verb, das als „nachsinnen“ übersetzt wird, auch „vor sich hinmurmeln“ bedeuten kann. In Vers 1 werden drei Gruppen genannt, mit denen sich der Gerechte nicht einlassen soll: Frevler, Sünder und Spötter. Dabei handelt es sich nicht um unterschiedliche Gruppen, sondern um poetische Synonyme (Parallelismus). Der Gerechte zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass er „Gefallen hat an der Weisung des Herrn“ und „bei Tag und bei Nacht über seine Weisung nachsinnt“ (1,2). Die jüdische Auslegung unterscheidet hierbei zwischen der „Weisung JHWHs“ (1,2a) und „seiner Weisung“ (1,2b), welche als Davids Weisung in Form der Psalmen gedeutet wird. Als „Tor zum Psalter“ stellt Psalm 1 somit die Tora als hermeneutischen Schlüssel zum Psalmenbuch vor. Die Psalmen bieten die Möglichkeit zur Meditation und Auseinandersetzung mit den Weisungen JHWHs. Zur Erklärung der Seligpreisung des gerechten Mannes dient die im Alten Israel geläufige Vorstellung vom Tun-Ergehen-Zusammenhang: Da der Mann die Weisungen JHWHs in der Tora befolgt, was als Tun des Guten charakterisiert wird, kann er den Segen Gottes erwarten (vgl. 1,3b-c). Dagegen wird den Frevlern gemäß ihrer schlechten Taten sowohl das diesseitige als auch das jenseitige Leben versagt. Sie werden im eschatologischen Gericht Gottes nicht bestehen (vgl. 1,5). Auffällig ist auch die Wahl des Numerus: während der Gerechte als ein einziger Mann vorgestellt wird, treten die Frevler im Plural auf. Der Gerechte ist dadurch sprachlich als Singular besonders hervorgehoben, während die Frevler als unbedeutende Menge gezeichnet werden. Dieses Bild verstärkt sich im jeweiligen Vergleich mit der Landwirtschaft: Der Gerechte wird als „ein Baum“ beschrieben (1,3a-b), der Größe, Kraft und Fruchtbarkeit, also Kennzeichen des Segens und der Fülle, repräsentiert, wogegen die Masse der Frevler mit „Spreu“ verglichen wird, „die der Wind verweht“ (1,4b); damit kommt trotz ihrer Mehrzahl deren geringe Bedeutung zum Ausdruck. Der Psalm schließt mit einer Begründung für die unterschiedlichen Zukunftsfolgerungen, eingeleitet durch die Konjunktion „denn“. Hier gipfelt der Vergleich, indem beide Parteien noch einmal genannt werden und ein Fazit hinsichtlich deren Zukunft gezogen wird: Indem Gott den Weg des Gerechten kennt, wird dieser aufseiten Gottes lokalisiert, während sich der Weg der Frevler in der Gottesferne verliert. Der Leser wird also nicht vor die Wahl zwischen zwei Wegen gestellt. Denn der Weg der Frevler ist kein Weg, der zum Ziel führt; er führt ins Verderben, in den Abgrund. Erst in 1,6 wird der einzelne Mann, der zu Beginn des Psalms seliggepriesen wird, ausdrücklich als „Gerechter“ qualifiziert. Das Fazit weckt somit angesichts der zahlreichen Klagepsalmen, die auch „Gerechte“ als Subjekt haben, die Hoffnung, dass JHWH sich ihnen immer zuwenden und ihnen den rechten Weg weisen wird. Psalm 1 ist durch die Tora als Thema und durch den Gegensatz vom Gerechten und den Frevlern als Weisheitspsalm bestimmbar. Die Weisheit beschäftigt sich mit der Frage nach der rechten Lebenspraxis und hat ihren Sitz in Bildung und Ausbildung.

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2. Psalm 2

2.1. Gliederung

1-3        Erde: Revolte der Völker und Könige gegen JHWH
4-6        Himmel: Reaktion JHWHs
7-9        Zion: Reaktion des Gesalbten
10-12d   Erde: ultimative Aufforderung an revoltierende Könige
12e       Abschließende Seligpreisung

2.2. Erläuterungen

Psalm 2 weist einen klaren und kunstvollen Aufbau auf, der sich durch je gleich lange Abschnitte, Ortswechsel und Kulmination in direkten Zitaten auszeichnet. Während der erste und vierte Abschnitt von Völkern und Königen handelt und auf der Erde spielt, kommen im zweiten und dritten Abschnitt JHWH und sein Gesalbter zu Wort, die zugleich von hervorgehobenen „Orten“ aus sprechen (Himmel, Zion). Durch diesen Aufbau wird eine besondere und enge Beziehung zwischen JHWH und seinem Gesalbten hergestellt. Gleichzeitig lassen sich durch Stichwortverbindungen zu „Erde“ und „Völkern/Nationen“ der erste und dritte Abschnitt gruppieren und durch das Stichwort „Zorn Gottes“ der zweite und vierte Abschnitt. JHWH tritt in die Auseinandersetzung zwischen Israel und den Völkern ein und nimmt Stellung zugunsten Israels. Die Bildsprache des zweiten Psalms ist an die ägyptische, neuassyrische und hellenistische Königsideologie angelehnt, um die israelitische Königsfamilie der Davididen den Großkönigen im Umfeld Israels gleichzustellen. So erinnert die Abfolge der Abschnitte des Psalms an das Ritual der altorientalischen Königseinsetzung: Die Revolte der Völker zu Beginn des Psalms kommt der Beschreibung eines Chaos gleich, wogegen der König im Auftrag Gottes kämpft und damit die Schöpfung verteidigt und erneuert. Der zweite Abschnitt kann mit der Proklamation des neuen Königs verglichen werden, insbesondere der Zuspruch Gottes in Vers 6. Als nächstes folgen die Amtseinsetzung und der Herrscherauftrag, die sich im dritten Abschnitt widerspiegeln. Zum Schluss käme eigentlich ein Element der Bestätigung des Königs durch das Volk. Anstelle dieser Huldigung steht im Psalm durch den vierten Abschnitt eine Aufforderung zur Anerkennung der Herrschaft JHWHs, der als Gott der höchste König ist. Das gewaltvolle Bild, das in Vers 9 entfaltet wird, kann im Kontext von ikonographischen Darstellungen und Königsinschriften aus der Umwelt Israels gedeutet werden: Es geht nicht um rohe Gewalt, sondern um die Abwehr und den Sieg über die Feinde. Durch die Querverbindungen zu Psalm 1 wird aus dem gewaltsam beschriebenen König ein weisheitlicher König der Tora, aus „einem Mann des Schwertes wird ein Mann des Wortes“ (Zenger, 50). Die theologische Konzeption des zweiten Psalms ist die des erneuerten Königtums. In seiner Programmatik hält er fest an der Verheißung JHWHs, dass die Herrschaft Davids gültig bleibt und erfüllt wird. Da er vom König Israels und seinem Verhältnis zu Gott handelt, gilt Psalm 2 als Königspsalm (vgl. auch Ps 72 und Ps 89), der auf die weiteren Königspsalmen hingeordnet ist. Darüber hinaus ist er ein messianischer Psalm, da der König als „Gesalbter“ präsentiert wird, und hat durch seine Verweise auf Psalm 1 weisheitliche Züge (2,10). Neben der Tora wird durch Psalm 2 die universale Königsherrschaft JHWHs als eschatologische Zielperspektive programmatisch in Aussicht gestellt, auf die der Psalter am Ende mit dem Schluss-Hallel einstimmt (vgl. Ps 149f.).

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3. Bezüge zwischen Psalm 1 und Psalm 2

Beiden Psalmen fehlt die Psalmenüberschrift, was sie deutlich von den folgenden Psalmen abhebt. Der Makarismus, der Psalm 1 eröffnet („Selig der Mann“ 1,1) und Psalm 2 abschließt („Selig alle“ 2,12b), spannt einen Bogen über die beiden Psalmen, die das Proömium für den Psalter darstellen. Allen Betern der Psalmen wird hiermit der Segen Gottes zugesprochen, da sie sich im Vollzug des Betens denkend und fühlend seiner Weisung widmen und dadurch als Gerechte auszeichnen. Weitere Verbindungen zwischen den beiden eröffnenden Psalmen finden sich in einzelnen Stichworten: Das Verb, das in Ps 1,2 für „nachsinnen“ verwendet wird, findet sich in Ps 2,1 wieder, wo es mit „(Pläne) ersinnen“ übersetzt wird (hebr. hgh). Zudem wird am Ende von Psalm 2 in der wörtlichen Aufnahme „damit […] euer Weg sich nicht verliert“ (Ps 2,12a) das negative Los der Frevler aufgegriffen, das am Ende von Psalm 1 beschrieben wird („der Weg der Frevler aber verliert sich“ Ps 1,6b). Inhaltlich könnte man die Revolte der Völker und Könige in Psalm 2 als Entfaltung des Treibens der Frevler in Psalm 1 betrachten. Sowohl formal als auch inhaltlich sind die beiden Psalmen also eng aufeinander abgestimmt, geben jedoch in ihrer unterschiedlichen theologischen Konzeption zwei verschiedene, doch gleichermaßen zentrale Leseperspektiven für das Buch der Psalmen vor.

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4. Quellen

  • Hossfeld, Frank-Lothar/Zenger, Erich, Die Psalmen I. Psalm 1-50, Würzburg 1993 (NEB.AT).

Erstellt von Marion Bohlender, 2023.