Die zweite Schöpfungserzählung
- Gattung und Stilelemente
- Abgrenzung: Gen 2,4b
- Aufbau und Struktur
- Die Erschaffung des Menschen: Gen 2,7
- Das Verhältnis von Mann und Frau: Gen 2,18-24
- Der Garten Eden: Gen 2,8-17
- Zur Problematik von Gen 2,16f.: eine Androhung der Sterblichkeit?
- Überleitung mit neuen Motiven: Gen 2,25
- Zur Problematik des Sündenfalls: Gen 3,1-8
- Menschwerdung als Erwachsenwerden?
- Verhör und Strafsprüche: Gen 3,9-19
- Abschluss der Erzählung: Gen 3,20-24
- Schematischer Vergleich Gen 1 und Gen 2f.
- Quellen
1. Gattung und Stilelemente
Die Paradieserzählung von Gen 2,4b-3,24 ist in ihrer Urform einer der ältesten Texte des Alten Testaments. Der Erzählung in ihrer heutigen Gestalt geht ein längerer Entstehungsprozess voraus, der jedoch im Einzelnen nicht mehr genau rekonstruierbar ist. Sie verarbeitet zahlreiche Motive, die sie mit den Schöpfungsmythen des alten Vorderen Orients gemein hat, und kann daher auch in die Gattung des Mythos eingeordnet werden. Diese Mythen verfolgen das Ziel, die gegenwärtige Wirklichkeitserfahrung zu erschließen, da sie die Überzeugung teilen, dass „alles Gegenwärtige sein Wesen am Anfang erhalten hat“ (Gertz, 90). Ihr Interesse gilt den aktuell vorfindlichen Bedingungen des menschlichen Lebens, die sie durch eine Erzählung vom Ursprung her erklären wollen (sog. Ätiologie). Die Erzählung antwortet damit auf existenzielle Fragen und Nöte: „Warum ist das Wesen des Menschen gleichermaßen durch Mängel und Fähigkeiten bestimmt? Warum müssen wir arbeiten, leiden und sterben? Warum sind wir zum Guten wie zum Schlechten befähigt? Warum erfahren wir uns gleichermaßen als selbstständig und als unselbstständig handelnde Personen?“ (Gertz, 91). Dabei bedient sie sich verschiedener sprachlicher Mittel: eine verbreitete Form der Ätiologie ist die Etymologie, die Herleitung gewisser Gegebenheiten durch die sprachliche Verwandtschaft von Begriffen (z.B. „Mensch“ von „Erdboden“: adam < adamah, „Frau“ von „Mann“: ischah < isch, „Eva“ von „leben“: ḥavah < ḥajah). Die Paradieserzählung zeichnet darüber hinaus ein breites Netz von Motiven, die über Wort- und Klangspiele (sog. Paronomasie und Onomatopoesie) miteinander verwoben werden (z.B. „nackt“ und „klug“: arom und arum). Das Spiel mit diesen Motiven dient dazu, durch Vorankündigungen (sog. Prolepsen) Spannung aufzubauen, um sie an späterer Stelle erzählerisch auszugestalten (z.B. deutet das Verbot in Gen 2,17, vom Baum der Erkenntnis zu essen, bereits auf dessen Übertretung in Gen 3,6 hin / z.B. deutet das Fehlen der Ackervegetation in Gen 2,5f. auf das Ende voraus, an dem der Mensch den Acker bearbeiten wird und die Feldpflanzen seine Nahrung darstellen werden, Gen 3,18.23). Den Höhepunkt der Erzählung, auf den die Motive zulaufen und der den Gipfelpunkt der Spannung markiert, bilden die ätiologischen Strafsprüche in Gen 3,14-19, vom prosaischen Umfeld abgehoben durch ihre poetische Form. In ihnen offenbart der Text sein eigentliches Anliegen: die Ursprungserklärung (sog. Ätiologie) für die ambivalente Daseinserfahrung des Menschen. Diese ambivalente Lebenswirklichkeit des Menschen wird durch die Paradieserzählung beschrieben als „Transformation des irrealen ‚Vorher‘ in das erlebte ‚Jetzt‘ […] [in Form einer] Daseinsminderung“ (Gertz, 91) – oder anders gesagt: vom unerreichbaren Idealzustand in die menschliche Realität. Der Mensch ist also erst am Ende von Gen 3 tatsächlich zum realen Menschen geworden. Deswegen gehört auch Gen 3 noch zu den Schöpfungserzählungen, obwohl hier streng genommen nichts mehr geschaffen wird.
2. Abgrenzung: Gen 2,4b
Während man über die Zuteilung von Gen 2,4a („Das ist die Geschichte der Entstehung von Himmel und Erde, als sie erschaffen wurden.“) breit diskutieren kann, markiert Gen 2,4b („Zur Zeit, als Gott, der HERR, Erde und Himmel machte“) einen deutlichen Einschnitt: Zeit- und Ortswechsel, eine andere Terminologie bei der Gottesbezeichnung sowie bei den Verben und ein anderer Erzählstil heben die zweite Schöpfungserzählung klar von der ersten ab. Auffällig ist zunächst die wiederholte temporale Einleitung. Mit der Formulierung „am Tag“ (EÜ übersetzt „Zur Zeit, als …“) ist nicht der letzte Arbeitstag aus dem ersten Schöpfungsbericht gemeint, sondern mit Bezug auf den Merismus „Erde und Himmel“ wird ein zeitlicher Anfang markiert, jedoch kein konkretes Datum. Der Merismus ist ein Stilmittel zur Betonung der Ganzheit der Schöpfung (vgl. Gen 1,1). Allerdings unterscheidet sich hier die Reihenfolge der Glieder: die Anfangsposition von „Erde“ stellt heraus, dass es in der zweiten Schöpfungserzählung primär um die Entstehung des Lebensraums des Menschen geht, und betont damit von Anbeginn die Anthropozentrik. Darüber hinaus ist die Gottesbezeichnung „Gott, der HERR“ (wörtlich hebr. JHWH elohim) – also die Verbindung aus dem Gattungsbegriff elohim und dem Eigenname JHWH – für das Buch Genesis einzigartig. Gertz deutet sie als spätere Angleichung an Gen 1, sodass der Schöpfergott von Gen 1 (dort elohim) mit demjenigen der Paradieserzählung identifiziert wird. Auch für das Schöpfungshandeln Gottes wird eine andere Terminologie verwendet als in Gen 1: ʿasah („machen“, Gen 2,4b), jazar („töpfern, formen“, Gen 2,7) und banah („bauen“, Gen 2,22) beschreiben handwerkliche Vorgänge, die in ihrem anthropomorphen Gebrauch eine Nähe zu den altorientalischen Schöpfungsmythen aufscheinen lassen.
3. Aufbau und Struktur
- Gen 2,4b-2,25 – Die Erschaffung von Mann und Frau
- 4b-6: Vorweltschilderung
- 7: Die „Formung“ des Menschen
- 8-14: Der Garten Eden
- 8: Anlage des Gartens
- 9: Anlage der Bäume
- 10-14: Die Bewässerung des Gartens
- 15: Die Aufgabe des Menschen im Garten
- 16f.: Die Nahrung des Menschen
- 18-24: Die Erschaffung der Frau
- 18: Entschluss
- 19f.: Die Erschaffung der Tiere
- 21f.: Der „Bau“ der Frau
- 23: Reaktion des Menschen
- 24f.: Erzählerkommentar mit motivischer Verbindung von Gen 2 und 3
- Gen 3,1-3,24 – Die Mühsal der Menschen
- 1-6d: Überredung zum Essen vom Baum
- 1a: Vorstellung der Schlange
- 1b-5c: Dialog Schlange – Frau
- 6a-d: Entschluss der Frau
- 6e-h: Essen vom Baum
- 7-24: Folgen der Gebotsübertretung
- 7-13: Erkenntnis der Nacktheit
- 7: Bedecken der Nacktheit
- 8: Verstecken vor Gott
- 9-12: Dialog Gott – Mensch
- 13: Dialog Gott – Frau
- 14-19: Strafsprüche
- 14f.: Strafe für Schlange
- 16: Strafe für Frau
- 17-19: Strafe für Mensch
- 20: Benennung der Frau
- 21: Bekleidung der Menschen durch Gott
- 22-24: Vertreibung der Menschen
- 22: Die zwei Bäume
- 23: Die Aufgabe der Menschen außerhalb des Gartens
- 24: Sicherung des Baums des Lebens
- 7-13: Erkenntnis der Nacktheit
- 1-6d: Überredung zum Essen vom Baum
4. Die Erschaffung des Menschen: Gen 2,7
Nachdem in Gen 2,5f. die im Werden begriffene Welt geschildert worden ist, setzt in Gen 2,7 mit der Erschaffung des Menschen das eigentliche Schöpfungsgeschehen ein. Der Schöpfungsterminus jazar („töpfern, formen“) bezeichnet ein handwerkliches und künstlerisches Gestalten, meist aus Ton. Die Formung des Menschen aus Erdmaterialien (Lehm oder Ton in Verbindung mit einer Flüssigkeit) ist ein im Alten Orient weit verbreitetes Motiv und findet sich auch bei Schöpfungsmythen aus der Umwelt des alten Israel (z.B. Atramchasis-Epos: Blut und Fleisch eines Gottes + Lehm + Speichel der Igigu). Als von Gott geformtes Wesen ist die Kreatürlichkeit das erste Merkmal des Menschen. Die Determinierung des Begriffs adam („Mensch“) durch den Artikel (ha-adam) zeigt an, dass an dieser Stelle nicht der Mensch mit dem Eigennamen „Adam“ (der erst in Gen 4,25 zum ersten Mal begegnet), sondern ein allgemeines Exemplar der Gattung „Mensch“ gemeint ist. Durch die klangliche Ähnlichkeit und die etymologische Verwandtschaft der Begriffe adam („Mensch“) und adamah („Erdboden“) wird ein weiterer Zusammenhang hergestellt: Mensch und Erdboden gehören wesensmäßig zusammen. Denn im Namen drückt sich das Wesen des Benannten aus und der Gleichklang der Worte besiegelt ihre innere Wesensübereinkunft. Die enge Verbindung des Menschen mit dem Erdboden drückt dabei verschiedene Aspekte aus: zum Einen wird proleptisch auf die Bestimmung des Menschen zur (Feld-)Arbeit vorausgewiesen. Die Paradieserzählung setzt damit einen im Vergleich zu den altorientalischen Schöpfungsmythen differierenden Akzent. Zwar ist der Mensch auch dort zur Arbeit bestimmt, jedoch zur Arbeit für/anstelle der Götter (vgl. Atramchasis-Epos). Im Gegenzug dazu arbeitet der Mensch in der Paradieserzählung in der für ihn geschaffenen Welt, zum eigenen Lebensunterhalt. Zum Anderen drücken sich in der Stoffangabe des Erdbodens Eigenschaften des Menschen aus, die er mit dieser materiellen Substanz teilt: Fruchtbarkeit und Vergänglichkeit. Die Sterblichkeit des Menschen ist demnach von Anfang an schöpfungsgemäßes Wesensmerkmal des Menschen und nicht erst eine Folge des Essens vom Baum. Der Begriff „Staub“ als Bezeichnung für lose Erde wird als Bild für die Niedrigkeit und Vergänglichkeit des Menschen gebraucht. Inspiriert ist die Rede vom Staub möglicherweise vom Fluch der Schlange in Gen 3,14, der Staub als Nahrung zugeteilt wird und die durch die Feindschaft zum Menschen in die Nähe von Tod und Unheil gerückt wird. Für das altorientalische Denken ist neben dem Herzschlag der Atem das Kennzeichen des Lebens. Jemandem den Atem einzublasen bedeutet also, ihn ins Leben zu rufen. „Im innigen Moment der Beatmung des Menschen drückt sich die besondere Verbindung des Menschen mit Gott aus“ (Gertz, 105). Dieser wird bei den Tieren nicht explizit berichtet, obwohl der Lebensatem kein Privileg des Menschen ist, sondern Kennzeichen jedes Lebewesens. Nach Gertz ist trotzdem zu beachten, dass durch die Beatmung kein göttlicher Anteil oder Funke an den Menschen übergeben wird. „Die Beatmung durch JHWH-Gott macht [lediglich] aus dem leblosen Körper ein lebendiges Wesen“ (Gertz, 106). Gleichzeitig lassen sich gewisse Gemeinsamkeiten zwischen dem göttlichen Fleisch/Blut in Altorientalischen Texten wie dem Gilgamesch-Epos oder Atramchasis-Epos und dem göttlichen Atem in Gen 2 nicht von der Hand weisen. Das Menschenbild des Alten Testaments ist jedoch nicht dichotomisch aufgeteilt in eine Trennung von Leib und Seele, sondern der Mensch wird ganzheitlich als psychosomatische Einheit betrachtet. Der Begriff næfæš (hier: „Wesen“) kann dabei körperlich-vegetative, noetische, voluntative und emotionale Aspekte umfassen. Es geht hier jedoch primär um die Vitalität des Menschen, um die Erschaffung des Menschen zunächst als Naturwesen, wie die Formulierung, die andernorts für Tiere verwendet wird, zeigt (vgl. Lev 11,46). Erst im weiteren Fortgang der Erzählung kann sich der Mensch zum Sozial- und Kulturwesen entwickeln.
5. Das Verhältnis von Mann und Frau: Gen 2,18-24
Nach der Beschreibung des Paradiesgartens bemerkt Gott: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (Gen 2,18a). Denn der Mensch ist ein Wesen, das auf Geselligkeit angelegt ist. „Durch die Ankündigung, Jhwh-Gott wolle dem Menschen ‚eine Hilfe‘ (ezær) beigesellen, wird das Alleinsein mit Hilflosigkeit gleichgesetzt“ (Gertz, 121). Aufschlussreich für das Verhältnis von Mann und Frau ist darüber hinaus der Begriff „ebenbürtig“ (hebr. kenægdo, wörtlich „wie sein Gegenüber/Gegenstück“ oder „wie seine Vorderseite“). Er drückt somit sowohl die Verschiedenheit als auch die Vervollständigung des Menschen aus. Die Hilfe ist damit gekennzeichnet als ebenbürtiges Gegenüber des Menschen: Beide stehen sich auf gleicher Augenhöhe gegenüber. Interpretationen, die aufgrund dieser Stelle die Frau als Gehilfin des Mannes deuten und daraus eine Unterordnung der Frau legitimieren wollen, gehen an der Aussage und Intention der hebräischen Wortbedeutung vorbei. Im Gegenteil: die Erläuterung durch die Formulierung kenægdo schwächt eher eine in der Hilfe anklingende Überlegenheit ab. Auf der Suche nach einem Wesen, das diesen Anforderungen entspricht, werden zunächst die Tiere erschaffen. Sie bestehen aus dem gleichen biologischen Material wie der Mensch (Erdboden) und werden auf gleiche Weise durch Gottes „Formen“ erschaffen, doch das macht sie lediglich zu Mitgeschöpfen. Ebenbürtigkeit ist damit noch nicht erreicht, was sich in der fehlenden Anerkennung des Menschen zeigt. Daraufhin lässt Gott „einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen“ (Gen 2,21) und es wird beschrieben, wie die Frau aus einer Rippe des Menschen gebaut wird. Die Formung der Frau aus der Rippe des Menschen ist keine traditionelle Schöpfungsvorstellung, doch finden sich motivliche Anklänge im sumerischen Mythos „Enki und Ninhursanga“, wo die Göttin Ninti (sum. NIN „Frau, Herrin“ + TI „Rippe“, „Leben“), deren Name Anklänge an den Namen Eva trägt, zur Heilung der Rippe von Enki geboren wird. Eine Erklärung für die Aufnahme dieses Motivs bietet der Kontext des Jubelrufs des Menschen, wo es heißt: „Das endlich ist Bein von meinem Bein / und Fleisch von meinem Fleisch“ (Gen 2,23a). Es handelt sich hierbei um eine abgewandelte Form der Verwandtschaftsformel (vgl. Gen 29,14). Die Rede vom „Bein“ und „Fleisch“ kann als Inspiration für die Vorstellung einer physischen Herkunft der Frau aus dem Menschen herangezogen werden. Der Begriff ṣelaʿ (in EÜ mit „Rippe“ übersetzt) wird eigentlich im Sinne von „Seite“ verwendet und zur Bezeichnung von Baumaterial verwendet. Auch das Verb banah („bauen“) entfaltet den Schöpfungsvorgang der Frau analog zur Herstellung eines handwerklichen Kunstwerks. Den Höhe- und Abschlusspunkt der Menschenschöpfung bildet schließlich der Jubelruf des Menschen (Gen 2,23). Die Einleitung „Das ist endlich“ betont die Unterscheidung von den zuvor erschaffenen Tieren und die Verdoppelung der Elemente aus der Verwandtschaftsformel („Bein“ und „Fleisch“) stellt die enge Zusammengehörigkeit beider heraus. Nun hat der Mensch seine „bessere Hälfte“ erhalten, erst jetzt ist er als Mensch komplett, jetzt ist er zum sozialen Wesen geworden. In der darauffolgenden Namensetymologie der „Frau“ (hebr. ischah) als Herleitung vom „Mann“ (hebr. isch) drückt sich die intuitive Anerkennung der Frau als Gegenüber aus. Auffällig ist an dieser Stellung der Wandel vom geschlechtsneutralen Begriff „Mensch“ (hebr. adam) zur differenzierten Bezeichnung von Mann und Frau, die mit einer ersten Einsicht des Menschen in die Geschlechtlichkeit und ihrer Wahrnehmung gedeutet werden kann. Die Passivformulierung „soll sie genannt werden“ verdeutlicht, dass die Namensgebung an dieser Stelle kein Akt der Machtausübung ist, wie es bei den Tieren der Fall war, die der Mensch aktiv benannte (vgl. Gen 2,19f.). Vielmehr ist die ursprünglich von Gott angedachte Beziehung zwischen Mann und Frau ein „tiefe[s] und intime[s], auf Gleichrangigkeit beruhende[s] und auf Gegenseitigkeit hin ausgerichtete[s] [Verhältnis]“ (Gertz, 125). Vers 24 ist erklärungsbedürftig, weil hier ein der patrilokalen und patriarchalischen Lebenswelt der ursprünglichen Adressaten gegenläufiges Modell vorgestellt wird. Man kann es als Gegenentwurf zur Herrschaft des Mannes über die Frau betrachten, wie sie in Gen 3,16 beschrieben wird. Dort wird sie im Kontext der Strafsprüche eindeutig als Daseinsminderung qualifiziert und somit auch indirekt kritisiert. Gen 2,24 will im Kontrast dazu herausstellen, dass die patriarchalische Unterordnung der Frau nicht zur Schöpfungsintention Gottes gehört. Indem der Mann seine leibliche Verwandtschaft verlässt und sich mit der Frau verbindet, stellt der Vers heraus, dass es neben der Kategorie der Verwandtschaft noch eine andere, intimere Art der Beziehung gibt: die Liebe zwischen Mann und Frau. Diese „[vermag] die gegebene Herrschaftsordnung zu überwinden“ (Gertz, 127) und diese Möglichkeit besteht auch über das Paradies hinaus. Die Formulierung „und sie werden ein Fleisch“ drückt dabei sowohl eine sexuelle Konnotation als auch geistliche Verbundenheit und allumfassende, persönliche Gemeinschaft aus.
6. Der Garten Eden: Gen 2,8-17
Im Abschnitt Gen 2,8-17 werden die Anlage, Ausstattung und Lokalisierung des Gartens beschrieben. Die Paradieserzählung nimmt damit Bezug auf die altorientalische Tradition von Tempel- und Palastgärten, die es auch in Juda und Jerusalem gegeben hat (vgl. 2Kön21,18 oder die sogenannten „hängenden Gärten von Babylon“). Auch der Begriff „Paradies“ weist in diese Richtung: Die Septuaginta verwendet das griechische Lehnwort paradeisos für den avestischen (d.h. altpersischen) Begriff pairidaeza, der „Umwallung“ oder „Umzäuntes“ bezeichnet und für ummauerte Gärten gebraucht wird. Ein derartiger Garten fungiert durch den Schatten und die Früchte der (Obst-)Bäume als Ort der Erholung und des Genusses und seine sorgsame Anlage spiegelt die Ordnung der Schöpfung. Gärten zu besitzen und Gärtner zu sein ist ein Privileg von Königen, denn nur die äußerste Oberschicht kann sich diesen Luxus leisten. Wenn es nun in Gen 2,15 heißt, dass der Mensch den Garten bearbeiten und behüten solle, so ist das Gärtner-Dasein des Menschen im Paradies als königliches Privileg zu verstehen, das ihm mit der Vertreibung aus dem Paradies entzogen wird (Gen 3,23): Somit erklärt der Text, wie der Mensch vom Gärtner im Paradies zum Bauer in der Realität wird. Zugleich ist damit ausgedrückt, dass „auch die paradiesische Existenz mit Arbeit verbunden [ist], wenngleich noch ohne die Erfahrung der vergeblichen Mühe (vgl. Gen 3,17-19). Mythisches Urbild und gedankliches Gegenstück der Palast- und Tempelgärten sind die Göttergärten, zu denen auch der Garten in Eden […] gehört“ (Gertz, 110). Der Ortsname „Eden“ (Gen 2,8) bedeutet im Hebräischen „Üppigkeit, Wohlleben, Wonne“, sodass sich in diesem Namen alle zuvor genannten Aspekte bündeln und der sprichwörtliche Garten Eden als „Garten der Wonne“ übersetzt werden kann. In der Erzählung wird er „im Osten“ (Gen 2,8) lokalisiert, doch handelt es sich hierbei nicht um eine geographische, sondern eine mythisch-symbolische Verortung des Gartens: in lokaler wie temporaler Hinsicht befindet sich der Garten Eden in mythischer Ferne. In diesem Zusammenhang beschreibt der Garten eine Gegenwelt, denn der Aufenthalt dort ist gekennzeichnet von einem Zustand des Heils, der seligen Gottesgegenwart und der ungebrochenen Nähe zu Gott, was nach der Vertreibung des Menschen in die irdische Realität nicht mehr selbstverständlich gegeben ist. Die Rezeptionsgeschichte hat den Garten Eden als Paradies reich ausgestaltet und „zum Inbegriff für den Idealzustand der Schöpfung und [zum] eschatologischen Sehnsuchtsort“ (Gertz, 112) gemacht.
Die sogenannte Paradiesgeographie in Gen 2,10-14 steht in enger Verbindung zur Rede vom Baum des Lebens. Beide Motive stellen einen Zusammenhang zwischen dem Garten Eden und dem Tempel von Jerusalem her, der ebenfalls einen abgeschlossenen, rings umgrenzten heiligen Raum darstellt, der nur nach Osten offen ist. Die Beschreibung der vier Flüsse erinnert an das altorientalische Motiv der vier Weltufer, das zur Versinnbildlichung der ganzen Welt verwendet wird. Der Garten Eden als Ursprung dieser vier Flüsse wird dadurch motivisch zum Zentrum des folgenden (Welt-)Geschehens.
7. Zur Problematik von Gen 2,16f.: eine Androhung der Sterblichkeit?
Mit dem Gebot in Gen 2,16 spricht Gott den Menschen zum ersten Mal mit „du“ an, worin sich das Zutrauen von Eigenverantwortlichkeit erkennen lässt. Er gibt dem Menschen die Früchte aller Bäume des Gartens zum Verzehr frei. Dieses Gebot steht in engem Gegensatz zum darauffolgenden Verbot, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. „Angesichts der großzügigen Freigabe aller Früchte wiegt es umso schwerer, dass die Menschen ausgerechnet die eine vorenthaltene Frucht essen“ (Gertz, 117). Aus narratologischen Gründen des Spannungsaufbaus ist dieses Verbot im Hinblick auf seine Übertretung formuliert (Gen 3,6.11f.) und lässt damit schon den schlechten Ausgang der Geschichte erahnen. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Erkenntnis von Gut und Böse als Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit ist im Alten Testament nicht negativ konnotiert. Im Gegenteil: Weisheit, Erkenntnis und kluge Urteilsfähigkeit werden in der alttestamentlichen Literatur hochgeschätzt und begegnen häufig als Privilegien von Königen (vgl. 2 Sam 14,17.20). In Gen 2-3 geht es jedoch noch nicht um weisen Umgang und kluges Urteil, sondern um deren Vorbedingung: die bloße Erkenntnis an sich, die zunächst überhaupt erst die Möglichkeit des falschen Urteils und der Verantwortungslosigkeit eröffnet. Die Fähigkeit des Erkennens kann dabei mehrere Konnotationen wachrufen: Das Verb jadah („erkennen“), das auch zum Ausdruck des Geschlechtsverkehrs verwendet wird, könnte auf eine sexuelle Deutung hinweisen, zumal Nacktheit und Scham weitere Motive darstellen, die u.a. mit Sexualität in Verbindung gebracht werden können. Mit Blick auf das Strafverhör (Gen 3,8-13) könnte man eine moralische Deutung der Erkenntnis in Form einer Gewissensentwicklung mit dem Phänomen des schlechten Gewissens vertreten. Auf jeden Fall ist mit der Erkenntnis von Gut und Böse kein Merismus im Sinne von Allwissenheit gemeint, sondern der Schritt in die Verantwortlichkeit, die bewusst angenommen, aber auch – im Sinne der Schuldfähigkeit – verleugnet oder missbraucht werden kann. Im besten Falle folgt auf diesen Schritt die „Fähigkeit, eigenverantwortlich zwischen dem Lebensförderlichen und Lebensabträglichen zu unterscheiden und dementsprechend zu handeln“ (Gertz, 119), also die gute Urteilsfähigkeit, die die Mündigkeit des Menschen kennzeichnet. Im Hinblick auf die positive Konnotation dieser Eigenschaft, gerade im Kontext von Königen, könnte man darin auch eine Anknüpfung an den Aspekt der Gottebenbildlichkeit aus Gen 1 erkennen, der hier weiter entfaltet wird und gerade in der nicht erreichten Unsterblichkeit vor Vereinnahmungen und Fehldeutungen geschützt wird, indem herausgestellt wird, dass sich der Mensch trotz Ebenbildlichkeit in der Sterblichkeit deutlich von Gott unterscheidet.
Gen 2,17b ist deswegen problematisch, weil die Androhung des Todes nach Ausgang der Erzählung nicht in die Tat umgesetzt wird. Es heißt dort: „denn am Tag, da du davon isst, wirst du sterben“ (Gen 2,17b). Die Androhung des Todes ist im Hebräischen in Form eines besonderen Stilmittels, einer figura etymologica (mot-tamut), gestaltet, womit die Ernsthaftigkeit des Verbots bekräftigt wird und durch die existenzielle Reichweite einer Übertretung Spannung aufgebaut wird. Doch wie die Schlange in Gen 3,4f. bemerkt, wird der Mensch nicht sterben, sondern vielmehr die Erkenntnis von Gut und Böse erlangen. Wie ist diese Stelle also zu deuten? Wie kann die Androhung des Todes mit der Nicht-Umsetzung des Gotteswortes zusammengebracht werden? Die Bearbeitung dieses vermeintlichen Widerspruchs hängt eng mit der ursprünglich angedachten Zeitlichkeit des Menschen zusammen. In der Tradition gibt es dazu zwei Auslegungsoptionen: Die erste, traditionelle Lesart versteht die Androhung des Todes als Androhung der Sterblichkeit. Der Mensch wäre demnach für das Dasein im Paradies als unsterbliches Wesen erschaffen. Versteht man den Menschen also als ursprünglich unsterbliches Wesen, so stirbt der Mensch mit der Vertreibung aus dem Paradies zwar nicht, verliert aber seine Unsterblichkeit. Das göttliche Wort (die Androhung) würde mit der göttlichen Tat (Vertreibung und Verlust der Unsterblichkeit) übereinstimmen. In diese Lesart fügt sich, dass auch die Strafsprüche mit einem expliziten Hinweis auf die Sterblichkeit enden (Gen 3,19). Die zweite Lesart versteht den Menschen aufgrund seines physischen Materials von vornherein als sterblich erschaffenes Wesen. Zudem begegnet in den Strafsprüchen nicht der Tod als Folge der Gebotsübertretung, sondern andere Formen der Daseinsminderung (Mühsal, Schmerzen, vergebliche Arbeit; vgl. Gen 3,16-19). Der Unterschied zwischen dem Menschen im Paradies und dem Menschen in der realen Welt ist nicht die Form seiner Zeitlichkeit, sondern vielmehr der Grad seines Bewusstseins. Der Mensch, der von Anfang an sterblich ist, stirbt also in dem Sinne, dass ihm ab dem Zeitpunkt der Gebotsübertretung und der damit einhergehenden Erkenntnis seine eigene Sterblichkeit bewusst wird. Als dritte Option könnte der vermeintliche Widerspruch motivisch bedingt sein, da sich viele Gemeinsamkeiten zum altbabylonischen Adapa-Mythos zeigen: auch dort wird der Tod angedroht, obwohl Unsterblichkeit hätte erlangt werden können, und dennoch stirbt der Mensch nicht.
8. Überleitung mit neuen Motiven: Gen 2,25
Im Überleitungsvers Gen 2,25, der den Erzählzusammenhang von der Menschenschöpfung im Paradies mit dem sog. „Sündenfall“ verbindet, eröffnen die Begriffe „nackt“ und „sich schämen“ neue Motivhorizonte, die im Verlauf der Erzählung weiter entfaltet werden. Gertz erklärt, dass diese Ausdrücke im Hebräischen „keine primär sexuelle Bedeutung haben. Vielmehr geht es vornehmlich um den sozialen Status und seine Bewertung. Scham ist Ausdruck eines negativen (Selbst-)Verhältnisses. Entsprechend ist Nacktheit im gesamten alten Vorderen Orient negativ konnotiert, und zwar als Zeichen der Minderung, Niedrigkeit und Statuslosigkeit, während die Kleidung einen Status herstellt und Beziehungen zwischen Menschen ordnet“ (Gertz, 128). Die Nacktheit der Menschen deutet also auf ihren noch unbestimmten sozialen Status hin. Dass sie sich in dieser Situation nicht voreinander schämen, zeugt von einer vollkommen heilen Gemeinschaft, in der es aufgrund der Statuslosigkeit (noch) keine Bloßstellung oder gegenseitige Über- bzw. Unterordnung gibt. Es wird deutlich, dass dieser Urzustand mit Blick auf den ätiologischen Fortgang der Geschichte konstruiert ist: Denn durch den Akt der Bekleidung (Gen 3,21) wendet sich Gott den Menschen zu und gewährt ihnen den notwendigen sozialen Status, der zuvor in den Strafsprüchen (vgl. Gen 3,16d) zur Erklärung der Realität der Adressaten beschrieben wird. Mit der Nacktheit und Scham verhält es sich wie mit der Sterblichkeit: „erst durch ihre bewusste Wahrnehmung [erhalten sie] eine prägende Bedeutung für das menschliche Dasein und können allein so ihre negative Bedeutung realisieren“ (Gertz, 129).
Gleichzeitig erzeugt der Begriff „nackt“ (ʿārōm) ein Wortspiel mit dem in Gen 3,1 auftauchenden Adjektiv „klug“ (ʿārūm), das für die nähere Beschreibung der Schlange verwendet wird und das im Fortgang wichtige Leitmotiv der Erkenntnis anklingen lässt.
9. Zur Problematik des Sündenfalls: Gen 3,1-8
Die Traditions- und Rezeptionsgeschichte der Erzählung in Gen 3, dem sog. „Sündenfall“, ist reich und teils ethisch problematisch. Über viele Jahrhunderte hat man immer wieder „Adams Fall“ mit „Evas Schuld“ begründet und damit zum Teil die soziale Unterordnung der Frau theologisch legitimiert. Daneben hat man in der Erzählung die Frage nach der Herkunft des Bösen beantwortet gesehen. In Auseinandersetzung mit dieser Auslegungsgeschichte ist es wichtig, auf der Ebene der Pragmatik zwischen ätiologischem und legitimatorischem Zweck zu unterscheiden. Die vorliegende Erzählung will als Ätiologie die realen, ambivalenten Lebensverhältnisse des Menschen von ihrem Ursprung her erklären. Das bedeutet nicht, dass diese Verhältnisse damit gutgeheißen oder gar legitimiert werden. Der Erzähler ist mit einer Bewertung zurückhaltend, doch werden die Strafen, die die realen Verhältnisse wiedergeben, eindeutig als Daseinsminderungen dargelegt. Begriffe wie „Sünde“, „Schuld“ oder „Fall“ begegnen in der Erzählung nicht. Ebenso bietet die Erzählung keine expliziten Anhaltspunkte für eine Erklärung des Bösen in der Welt. Denn der Handlungsantrieb der Schlange, die Menschen zur Erkenntnis zu motivieren, wird in der Erzählung weder genannt noch verhandelt. Darüber hinaus wird die Schlange als eines der „Tiere des Feldes“ eingeführt, die Gott zuvor als Teil der Schöpfung geschaffen hat (vgl. Gen 2,19). Der Fortgang der Geschichte liefert eine Ätiologie für die Lebensweise der Schlange (vgl. Gen 3,14f.), womit die Schlange folglich als Vorfahr aller Schlangen präsentiert wird. Weder repräsentiert sie explizit eine widergöttliche Macht noch stellt sie eine Personifizierung des Bösen dar. Betrachtet man dagegen die kulturübergreifende Bedeutung von Schlangen, so lassen sich Klugheit, Heilkunst, Weisheit, Macht, (ewiges) Leben, Tod und die Verbindung mit heiligen Bäumen als Charakteristika von Schlangen verzeichnen. Damit erweist sich die Schlange als ideales literarisches Motiv für die Lokalisation am Baum und die Motivation zur Erkenntnis. Da sie im Alten Orient aufgrund ihrer Fähigkeit, sich zu häuten, vorwiegend mit dem ewigen Leben konnotiert wird, könnte im Sinne von Lebensweisheit im Alter auch ihre Verbindung mit Klugheit auf diesen Aspekt der „ewigen Jugend“ zurückgehen. Das Auftreten der Schlange schafft also einen literarischen Handlungsbogen, der die Spannung steigert, indem sie die Handlung vorantreibt. In einer harmlos klingenden Frage eröffnet die Schlange den Dialog mit der Frau und tut dabei ihr Interesse kund, ohne eine Absicht zu preiszugeben. Ihre zuvor genannte Klugheit wird im Dialog mit der Frau an mehreren Stellen sichtbar: Die pluralische Anrede („ihr“, Gen 3,1b) zeugt davon, dass die Schlange erkannt hat, dass das Verbot in Gen 2,17 für beide Menschen gilt. Gleichzeitig verdreht sie in ihrer Frage Erlaubnis und Verbot, sodass sich die Frau während der argumentativen Auseinandersetzung von Vornherein in der Defensive befindet. In ihrer Verlegenheit verändert die Frau den Wortlaut des Verbots (Gen 3,2f.), was der Schlange wiederum Anlass zum Einspruch gibt (Gen 3,4f.). Durch die Rede der Schlange verändert sich der Blick auf den Baum: er wird „köstlich“, „eine Augenweide“ und „begehrenswert“, weil er Erkenntnis erlangen lässt. Das Öffnen der Augen, das Gewinnen von Erkenntnis sowie das Bemühen um Weisheit sind später im Alten Testament stets positiv konnotierte Tugenden, die aber bereits den mühsam erlernten rechten Umgang mit der schon vorhandenen Grund-Verantwortlichkeit betreffen. Die Motivation Evas offenbart dennoch auch eine anthropologische Grundeinsicht: den Menschen als grundsätzlich erkenntnis-suchendes Wesen. Das Begehren nach Erkenntnis wird im Text neben Köstlichkeit und Augenweide als eine Motivation für das Essen genannt. Der Wunsch, wie Gott zu sein – ein Vergleich, den die Schlange (und nicht Gott oder der Mensch) im Kontext der Teilhabe an einem Gott vorbehaltenen Wissen anstellt (Gen 3,5) –, wurde rezeptionsgeschichtlich im Sinne der Hybris als Grund für den Abfall von Gott gewertet. Er wird in Gen 3,6 allerdings nicht wiederholt und stellt daher nicht explizit eine Motivation für das Essen dar. Gen 3,6 nennt als Begründung lediglich das Streben nach Klugheit („[…], um klug zu werden“). Allerdings zeigt die Erzählung auch ein Problembewusstsein für die Ambivalenz und Kehrseite des Erkenntnisvermögens, indem „die Minderungen menschlichen Daseins als Strafe für den untersagten Erkenntnisgewinn [dargestellt werden]“ (Gertz, 133). Die menschliche Erkenntnisfähigkeit fordert eben auch einen selbstverantworteten Umgang mit der Vernunft, sodass das Handeln des Menschen in Autonomie Verantwortungsübernahme sowohl vor Gott als auch vor den Mitmenschen verlangt. So ist die Übertretung göttlicher Gebote in menschlicher Autonomie und damit ein Vertrauensbruch und Entfremdung zwischen Gott und Mensch ab sofort ein immer wiederkehrendes Thema.
10. Menschwerdung als Erwachsenwerden?
Die erste Erkenntnis, die der Mensch gewinnt, ist die seiner eigenen Nacktheit (Gen 3,7a). Die notdürftige Selbstbekleidung und das Verstecken vor Gott (Gen 3,7f.) können als Handlungen gedeutet werden, die einem Schamgefühl entspringen. Die Beschreibung des Erwachens der menschlichen Erkenntnisfähigkeit am Beispiel der Nacktheit und der Entdeckung der Scham kann als Adoleszenzmotiv gedeutet werden: Das Erlangen des Erkenntnisvermögens markiert nach Gertz somit einen „Schritt aus der kindlichen Naivität in die Welt des sich seiner selbst bewussten Erwachsenen“ (Gertz, 134). Zugleich kann in der Reaktion des Menschen auf die Zurredestellung Gottes eine allmähliche Individualisierung und Trennung des Menschenpaares beobachtet werden. Bei der Selbstbekleidung (Gen 3,7) handeln die beiden noch zusammen, es ist ihre letzte Tat in der ungebrochenen Einheit, wie sie in Gen 2,25 konstatiert wurde. In Gen 3,10 antwortet der Mensch auf die Anfrage Gottes bereits im Singular, sodass hier die Subjekte einzeln in den Blick geraten. „Vollzogen ist die Trennung schließlich mit der Schuldzuweisung des Mannes an die Frau (V. 12)“ (Gertz, 135). Hier zeigt sich eine deutliche Distanzierung zum Jubelruf in Gen 2,23: die Frau wird nun als eigenständiges Gegenüber wahrgenommen, was mit dem Bewusstwerden des eigenen Selbst einhergeht („die Frau, die du mir beigesellt hast“, Gen 3,12), zu dem der Mensch durch den Erkenntnisgewinn fähig geworden ist. Besiegelt wird die Individualiserung zuletzt mit der persönlichen Namensgebung der Frau in Gen 3,20.
11. Verhör und Strafsprüche: Gen 3,9-19
Das Verhör (Gen 3,9-13) und die Strafsprüche (Gen 3,14-19) zeigen einen konzentrischen Aufbau: Die Befragung durch Gott erfolgt in der umgekehrten Reihenfolge des Auftritts der Akteure in der vorherigen Szene und die Bestrafung erfolgt in abermals umgekehrter Abfolge (1. Übertretung: Schlange – Frau – Mann; 2. Verhör: Mann – Frau – [ᵾSchlange]; 3. Strafsprüche: Schlange – Frau – Mann). Das Verhör durch Gott knüpft dabei an das zuvor entfaltete Adoleszenzmotiv an, indem es wie die elterliche Befragung ertappter Kinder gestaltet ist, bei dem Gott in der Elternrolle einen Wissensvorsprung hat und die kindlichen Menschen durch gezieltes Fragen ihrer Tat überführt (Gen 3,11). Doch anstatt die Übertretung des Gebots zu bekennen, weisen die Menschen ihre Schuld jeweils von sich ab, indem sie je auf den zuvor genannten Akteur verweisen. Die Schuldzuweisungen belegen die fehlende Bereitschaft der Menschen zur Verantwortungsübernahme und verdeutlichen somit, dass die Menschen einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Vernunft noch nicht erlernt haben (Gen 3,12f.). Zugleich markiert die Schuldzuweisung des Mannes an die Frau nicht nur eine Distanzierung gegenüber der Frau, sondern auch gegenüber dem Schöpfergott („die du mir beigesellt hast“, Gen 3,12), da der Mensch damit versucht, die Schuld zur eigenen Entlastung Gott anzuheften. In der konzentrischen Struktur besonders auffällig ist, dass beim Verhör die Schlange nicht befragt wird. Dies zeigt, dass es der Erzählung nicht um die Herkunft des Bösen an sich geht, sondern dass ihr Interesse allein den Menschen und den negativen Folgen ihres durch die Übertretung des Gebots hervorgerufenen Erkenntniszuwachses gilt.
Die Strafsprüche in Gen 3,14-19 bilden schließlich den ätiologischen Zielpunkt der Erzählung, da sie endlich die ambivalente Lebenswirklichkeit der ursprünglichen Adressaten spiegeln. Zustände, die zur Zeit der Abfassung des Textes faktisch bestehen, sollen so erklärt werden. Die Übertretung des Gebotes erläutert demnach, wie der paradiesische Mensch zum gegenwärtigen Menschen wurde. Formal heben sich die Strafsprüche durch ihre poetische Form von der übrigen prosaischen Erzählung ab. Sie beschreiben je eine individuelle Daseinsminderung mit nachhaltiger Störung der bisherigen Gemeinschaft. Trotzdem lassen sie auch das Walten göttlicher Gnade erkennen, indem dem Menschen weiterhin die Möglichkeit und Weitergabe des Lebens gewährt wird anstatt die Strafe mit dem Tod einzulösen, die in Gen 2,17 angedroht wurde.
Parallel zur Reihenfolge des Auftritts der Akteure in der Erzählung wird als erstes die Schlange verflucht. Sie wird ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Lebewesen des Feldes und ihre Strafe betrifft vor allem ihre Fortbewegung und Lebensweise, die offenkundig als erklärungsbedürftig (Tier ohne Beine) und besonders demütigend galt. „[Unabhängig] davon, ob die Aussage [vom Fressen des Staubes] metaphorisch oder naturkundlich gemeint ist, weist sie auf eine Verbindung von Schlangen mit Tod und Unheil hin“ (Gertz, 140). Dieser bedeutungsträchtige Konnex hat in der Auslegungsgeschichte dazu geführt, „das Werden des Menschen zu Staub als Folge der Übertretung [zu deuten]“ (Gertz, 140). Die Feindschaft zwischen der Schlange und den Menschen (Gen 3,15) gilt als erstes Beispiel einer gestörten Gemeinschaft unter den Geschöpfen. Im Gegensatz zur Utopie des ursprünglichen Tierfriedens im Paradies (vgl. Gen 2,19f.) zeigt sich nun das reale Verhältnis zwischen den Geschöpfen, das von Konkurrenz und gegenseitiger Bedrohung zwischen Mensch und Tier gekennzeichnet ist.
Der Strafspruch über die Frau (Gen 3,16) liefert Ätiologien für die Rolle der Frau als Mutter und als Partnerin. In der Rolle als Mutter werden der Frau hinsichtlich von Schwangerschaft und Geburt Mühsal und Schmerzen (im Hebräischen derselbe Begriff: ʿæzæb) auferlegt. Der hier verwendete Begriff für „Schwangerschaft“ (heron) begegnet im gesamten Alten Testament nur an dieser Stelle (sog. Hapax Legomenon) und die Syntax am Beginn von Gen 3,16 gestaltet sich schwierig: Die EÜ übersetzt „Viel Mühsal bereite ich dir und häufig wirst du schwanger werden.“ Da die Ansage einer Vielzahl an Schwangerschaften in der Antike aber nicht in den Kontext von Strafe passt, sondern eher an eine segensreiche Mehrungsverheißung erinnert, ist die Syntax anders zu beziehen und besser mit Gertz zu übersetzen: „Ich will grenzenlos machen deine Mühsal, vor allem während deiner Schwangerschaft.“ Die Rolle der Frau als Partnerin ist einerseits vom „Verlangen“ der Frau nach ihrem Mann geprägt. Der Begriff ist nicht grundsätzlich negativ, sondern beschreibt auch Zuneigung, Intimität und erotische Liebe in der Beziehung. Obwohl das Verlangen nur im Strafspruch der Frau begegnet, handelt es sich nicht um ein rein weibliches Phänomen, sondern auch Männer können davon erfasst werden (vgl. Hld 7,11). Damit bildet diese Tatsache die gesellschaftliche Realität einer Beziehung ab. Andererseits erfährt die Frau durch den Strafspruch eine Minderung in der Beziehung, indem der Mann über sie herrscht. Diese Aussage stellt keine schöpfungsgemäße Legitimierung der Unterordnung der Frau dar, sondern erklärt die vorfindlichen patriarchalen Strukturen vor einem ätiologischen Hintergrund, stellt diese aber durch den Kontext der Strafe eindeutig als Daseinsminderung heraus und kritisiert sie dadurch auch. Die Einseitigkeit in der Beziehung einer patriarchalischen Ordnung ist daher weniger schöpfungsgemäß als die Intensität der Beziehung. Zudem besteht weiterhin das Potenzial, gesellschaftliche Normen zu überwinden (vgl. Gen 2,24). Der Ausdruck für „herrschen“ (mašal) ist in der Wertung relativ neutral und bezeichnet jegliche Form von Autorität. Er kann auch für eine von Schutz und Fürsorge geprägte, gerechte Herrschaft stehen.
Der Strafspruch über den Menschen (Gen 3,17-19) ist umfangreicher, da zur Begründung das Geständnis und das Verbot zitiert werden, und deutlicher auf den Vorkontext bezogen. Aufgrund der sprachlichen Verweise und der betonten Schlussstellung wird der Mensch als Hauptverantwortlicher herausgestellt. Seine verfügte Strafe ist zwar weniger spezifisch, dafür betrifft sein Schicksal auch Frauen und Kinder, also den Menschen im Allgemeinen: Zeit seines Lebens muss er selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen und dabei harte, auch vergebliche Arbeit leisten. Durch die deutliche Wiederaufnahme der Begriffe vom Anfang der Erzählung („Erdboden“ aus Gen 2,7; „Feldpflanzen“ aus Gen 2,5; „Staub“ aus Gen 2,7) spannt der Strafspruch über den Menschen einen Bogen zur Ausgangslage und stellt zugleich den Zielpunkt der ätiologisch-anthropologischen Anliegen dar. „[Der] Hinweis auf die Sterblichkeit […] [gibt den Strafsprüchen] durch seine Schlussposition […] insgesamt einen (noch) düstereren Ton. Allein der Tod begrenzt die Mühsal der Menschen (V. 19a). Er bestimmt die menschliche Existenz als Sein zum Tode. Mit seinem Griff nach der verbotenen Frucht hat der Mensch neben seiner Kulturfähigkeit und seiner Einsicht in die grundlegenden Bedingungen des Soziallebens auch diese bittere Erkenntnis erlangt“ (Gertz, 145).
12. Abschluss der Erzählung: Gen 3,20-24
Mit den Versen 20.21.23 bringt der Erzähler die Motive und Hauptstränge der Handlung zum Abschluss. Zunächst wird die Benennung der Frau mit dem Eigennamen „Eva“ aufgeführt. Bei der Erklärung des Namens mit „Leben“ handelt es sich um eine Volksetymologie, die den Eigennamen „Eva“ (ḥawwāh) von der Wurzel für „leben“ (ḥajah) ableitet. Angesichts der Gnade Gottes, die ihn doch leben lässt, fasst der Mensch neuen Mut und benennt die Frau nach dem Leben, weil ihr trotz aller Mühsal gewährt wird, das Leben weiterzugeben. Die Hoffnung auf das Leben ist somit die Antwort auf die Gnade Gottes, dem düsteren Ausblick auf den Tod entgegengestellt. „Mit der Bekleidung des Menschenpaares durch Jhwh-Gott kommt das wichtige Leitmotiv der Nacktheit und Bekleidung zum Abschluss (V. 21). Zugleich ist die Bekleidung ein Akt der bleibenden Zuwendung des Schöpfergottes, der die notdürftige Bedeckung durch Schurze aus Feigenblättern ersetzt und dem Menschen mit einer angemessenen Bekleidung seine Würde verleiht“ (Gertz, 146). In V. 23 wird der Mensch schließlich aus dem Paradiesgarten entlassen (EÜ „wegschicken“), um seiner Bestimmung zur Feldarbeit nachzukommen. Die Erzählung nimmt die Wesensbestimmung des Menschen, die aus seiner stofflichen Herkunft abgeleitet wird („damit er den Erdboden bearbeite, von dem er genommen war“ Gen 3,23b-c) wieder auf und spannt somit einen Bogen zum Beginn der Erzählung (vgl. Gen 2,5.7). Mit dem Verb „vertreiben“ in Gen 3,24 findet sich eine deutliche Verschärfung zum „entlassen/wegschicken“ in Gen 3,23. Nachdem der Mensch nun eines der zwei göttlichen Privilegien von Weisheit und Unsterblichkeit, nämlich die Erkenntnis, erlangt hat, soll der Unterschied zwischen Gott und Mensch nicht vollständig aufgehoben werden. Daher verliert der Mensch abschließend die Möglichkeit auf Unsterblichkeit. Durch die Positionierung dieser Botschaft an den Schluss des Textes erhält diese Aussageabsicht ein besonderes Gewicht.
13. Schematischer Vergleich Gen 1 und Gen 2f.
Gemeinsamkeiten:
- Gottes Schöpfungshandeln als Thema
- Wasser als Urelement und Lebensgrundlage; Pflanzliche Lebensweise
- Herausragende Stellung des Menschen
- Schöpfungsgemäße Gleichberechtigung von Mann und Frau
- Monotheistisches Gottesbild (vor polytheistischem Hintergrund)
Unterschiede:
Gen 1 |
Gen 2f. |
|
Gattung |
Wissenschaftsprosa/Bericht, einzigartig und neuartig |
Erzählung/Mythos (< mündl. Tradition), viele Motive altorientalischer Mythen |
Datierung |
P |
Nicht-P |
Ausrichtung |
Kosmologie |
Anthropologie |
Erzählabsicht |
theologisch gedeutetes Weltwissen |
Ätiologie der menschlichen Lebenswirklichkeit |
Vorzustand der Welt |
„Tohuwabohu“ – ungeordnetes Chaos überschwemmte Ebene |
ausgetrocknete Steppe, feuchte Erde |
Abfolge |
|
|
Bezeichnung Gottes |
elohim als Eigenname/Gattungsbegriff („Gott“) –> kein Artikel |
Jhwh-elohim Eigenname JHWH in Kombination mit Gattungsbegriff |
Schöpfungshandeln |
barah „erschaffen“ –> abstraktes Schaffen, Schöpfung durch das Wort |
ʿasah „machen“ jazar „formen, bilden“ banah „bauen“ –> handwerkliches Tun (töpfern) |
Hervorhebung des Menschen |
Unterscheidung von anderen Lebewesen und Nähe zu Gott: Gottebenbildlichkeit |
Unterscheidung von Gott und Gemeinsamkeit mit allen Lebewesen: Unterscheidung von anderen Lebewesen und Nähe zu Gott: |
14. Quellen
- Fischer, Georg (2018): Genesis 1-11 (HThKAT), Freiburg im Breisgau [u.a.].
- Gertz, Jan Christian (2018): Das erste Buch Mose. Genesis. Die Urgeschichte Gen 1-11 (ATD 1), Göttingen, 80-149.
- Levin, Christoph, Jahwist, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet :: bibelwissenschaft.de [zuletzt besucht am 10.06.2023].
- Pfeiffer, Hendrik, Paradies / Paradieserzählung, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet :: bibelwissenschaft.de [zuletzt besucht am 10.06.2023].
Erstellt von Marion Bohlender, 2023.