Der Dekalog
Die Verkündigung des Dekalogs findet sich im Altem Testament an zwei Stellen: Der Textabschnitt im Buch Exodus (Ex 20,1–17) erzählt die Verkündigung des Dekalogs durch Gott am Berg Sinai. Im Buch Deuteronomium (Dtn 5,6–21) wird der Dekalog von Mose an die neue Generation der IsraelitInnen verkündet. Die Bezeichnung „Dekalog“ für die hier genannten Ge- und Verbote geht auf Ex 34,28 zurück. Dort heißt es: „Er schrieb auf die Tafeln die Worte des Bundes, die zehn Worte.“ (Ex 34,28). Die sogenannten „zehn Worte“ mit denen diese Ge- und Verbote auch an anderen Stellen des AT bezeichnet werden (vgl. Dtn 10,4), heißen in der griechischen Übersetzung der Septuaginta deka logoi (δέκα λόγοι), woraus sich die Bezeichnung Dekalog im Deutschen ergibt.
1. Die Doppelüberlieferung
1.1. Zentrale Unterschiede
Die beiden Fassungen des Dekalogs in Ex 20,1–17 und Dtn 5,6–21 weisen neben vielen Gemeinsamkeiten auch einige Differenzen auf. Im Folgenden sollen diese kurz benannt werden.
Schon der erzählerische Rahmen zeigt, dass die beiden Überlieferungen des Dekalogs nicht parallel gestaltet sind. Die Verkündigung des Dekalogs durch Gott in Ex 20,1 beginnt mit einer adressatenlosen Einleitung. Die Verkündigung erreicht dabei nur die LeserInnen, denn Mose und das Volk Israel befinden sich am Fuße des Berges Sinai, sie erleben lediglich „wie es donnerte und blitzte, wie Hörner erklangen und der Berg rauchte“ (Ex 20,18). Vor diesem Phänomen fürchtet sich das Volk Israel und bittet Mose um die Vermittlung mit Gott (vgl. Ex 20,18–19), was sich erzählerisch an den Dekalog anschließt. In Dtn 5 hingegen wird der Dekalog dem gesamten Volk Israel verkündet. Eingeleitet wird diese Verkündigung durch die Erinnerung Moses an die Situation am Sinai, als Mose die Gebote Gottes entgegennahm und zwischen dem Volk und Gott vermittelte (vgl. Dtn 5,1–5). Daraufhin folgt die öffentliche Proklamation des Dekalog, die schließlich mit der Feststellung, dass die Worte Gottes am Sinai mit den geschriebenen Steintafeln übereinstimmen, endet.
Auf synchroner Ebene ist Dtn 5 als gewichtigere Fassung des Dekalogs dargestellt, da der Dekalog dort in eine Verkündigungssituation von Mose an das Volk Israel eingebunden ist und nicht nur wie in Ex 20 den LeserInnen vom Erzähler mitgeteilt wird. Auch die literarische Entstehung sowie Weiterentwicklung unterstreichen die Priorität von Dtn 5,6–21 gegenüber von Ex 20,1–17.
Zentrale Unterschiede ergeben sich auch im Vergleich der verschiedenen Fassungen von Fremdgötter- und Bilderverbot sowie des Begehrensverbotes.
(1) Im Blick auf das Fremdgötter- und Bilderverbot fällt eine unterschiedliche Zählung ins Auge, insofern die Textfassungen sprachlich durch ein „und“ unterschieden sind.
Ex 20,3–5 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen. […] | Dtn 5,7–9 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Kultbild machen, keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen. […] |
Die Fassung in Ex 20 kennt durch das „und“ zwei Verbote: das Fremdgötterverbot (Ex 20,3) und das Bilderverbot (Ex 20,4–10). Dabei bezieht sich das Verbot, sich „vor ihnen“ niederzuwerfen, nur auf das Kultbild und die Gestalt. Die Fassung aus Dtn 5 hingegen kennt nur ein Verbot, das Fremdgötter- Bilderverbot (Dtn 5,7–10). Das Kultbild wird dabei durch die Apposition „keine Gestalt“ näher bestimmt, zugleich bezieht sich das Verbot, sich „vor ihnen“ niederzuwerfen, sowohl auf die in Dtn 5,7 genannten „anderen Götter“ als auch auf das Kultbild.
(2) Auch beim Begehrensverbot finden sich zwei voneinander unterschiedene Fassungen in Ex 20,17 und Dtn 5,21.
Ex 20,17 (ELB) Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren. Du sollst nicht begehren die Frau deines Nächsten, noch seinen Knecht, noch seine Magd, weder sein Rind noch seinen Esel noch irgendetwas, das deinem Nächsten ⟨gehört⟩. | Dtn 5,21 (ELB) Und du sollst die Frau deines Nächsten nicht begehren. Und du sollst dich nicht gelüsten lassen nach dem Haus deines Nächsten ⟨noch⟩ nach seinem Feld noch nach seinem Knecht noch nach seiner Magd ⟨noch⟩ nach seinem Rind noch nach seinem Esel noch nach irgendetwas, das deinem Nächsten ⟨gehört⟩. |
Zunächst fällt beim Vergleich der beiden Stellen auf, dass die Gebote vertauscht sind. Während Ex 20,17 zunächst das Haus nennt und anschließend die Frau, wobei zweimal das Verb „begehren“ genutzt wird, findet sich dies genau umgekehrt in Dtn 5,21. Dtn 5,21 nutzt zudem zwei verschiedene Verben, in Bezug auf die Frau das Verb „begehren“ und in Bezug auf das Haus sowie den weiteren Besitz das Verb „gelüsten“. Dass es sich in Dtn 5,21 um zwei verschiedene Gebote handelt, wird noch dadurch unterstrichen, dass Dtn 5,21 durch die Wiederholung des „und“ am Satzbeginn die schon zuvor begonnene Reihe an Geboten weiterführt. Wie schon beim Fremdgötter-/ Bilderverbot ist damit auch an dieser Stelle eine unterschiedliche Zählung des Begehrensverbotes vorzufinden: Ex 20 kennt ein Begehrensverbot von Haus und Frau wohingegen Dtn 5 zwei getrennte Begehrensverbote in Bezug auf das Haus und die Frau des Nächsten kennt.
1.2. Besonderheiten
Im Blick auf die Textstelle fallen einige Besonderheiten ins Auge:
Der Dekalog ist auch unter dem Namen „Zehn Gebote“ bekannt. Im Blick auf diese Bezeichnung zeigen sich aber mehrere Spannungen. Der Dekalog umfasst sowohl elf Verbote, sogenannte Prohibitive (= Modus des Verbes, das ein Verbot/eine Mahnung/eine Warnung ausdrückt; „du sollst nicht“), welche sich in ihrer formalen Gestalt unterscheiden (vgl. Ex 20,3.4.5.7.10.13.14.15.16.17(2x)). Einige Prohibitive sind mit einer ausführliche Begründung ausgestattet, drei andere Prohibitive sind knapp gehalten. Neben den elf Verboten finden sich zudem drei Gebote im Modus der Imperativs (vgl. Ex 20,8.9.12). Eine Zuordnung der Ge- und Verbote zu den „Zehn Geboten“ ist daher schwierig.
Aufgrund der Spannung zwischen Gebotszahl und Zehnerzahl ist die Bezeichnung des Textabschnittes als „Dekalog“ vorzuziehen, da im biblischen Text (Ex 34,28; Dtn 10,4) selbst von den „zehn Worten“ gesprochen wird. Allerdings ergibt sich auch hier die Schwierigkeit der fehlenden Textgliederung. Der Text selbst sagt nämlich nichts darüber aus, wie die „zehn Worte“ zu zählen sind.
Die Zählweise der „zehn Worte“ ist weder in der Ex- noch in der Dtn-Fassung klar. Zudem sind die beiden Fassungen der Doppelüberlieferung nicht völlig identisch. Aus diesem Grund ergeben sich in den verschiedenen Religionen (Christentum und Judentum) wie Konfessionen (katholisch, orthodox, protestantisch) verschiedene Zählweisen des Dekalogs. Die katholische Zählweise orientiert sich dabei an der Fassung des Dekalogs in Dtn 5.
Eine Besonderheit der Ex-Fassung des Dekalogs ist die wechselnde Erzählperspektive. Während die VV. 2–6 eine Gottesrede in der ersten Person Singular darstellen folgt in V. 7 der Wechsel zur Erzählperspektive, insofern über Gott in der dritten Person Singular gesprochen wird. Die VV. 13–17 schließlich sind neutral im Hinblick auf den Sprecher, das heißt sie lassen sich nicht eindeutig einer Erzählperspektive zuordnen.
1.3. Zählung des Dekalogs
Je nach Textgrundlage (Ex 20,1–17 oder Dtn 5,6–21) ergibt sich eine verschiedene Zählweise des Dekalogs:
Zählung nach Ex | Zählung nach Dtn | Zählung nach Ex + Dtn |
1. Fremdgötterverbot | 1. Fremdgötter-Bilderverbot | 1. YHWHs Befreiungstat |
2. Bilderverbot | 2. Namensmissbrauchverbot | 2. Fremdgötter-Bilderverbot |
3. Namensmissbrauchverbot | 3. Sabbatgebot | 3. Namensmissbrauchverbot |
4. Sabbatgebot | 4. Elterngebot | 4. Sabbatgebot |
5. Elterngebot | 5. Tötungsverbot | 5. Elterngebot |
6. Tötungsverbot | 6. Ehebruchverbot | 6. Tötungsverbot |
7. Ehebruchverbot | 7. Diebstahlverbot | 7. Ehebruchverbot |
8. Diebstahlverbot | 8. Falschzeugnisverbot | 8. Diebstahlverbot |
9. Falschzeugnisverbot | 9. Begehrensverbot (Frau) | 9. Falschzeugnisverbot |
10. Begehrensverbot | 10. Begehrensverbot (Güter) | 10. Begehrensverbot |
orthodoxe, reformierte und anglikanische Zählweise | katholische und lutherische Zählweise | jüdische Zählweise |
2. Kontext
2.1. Der Kontext von Ex 20,1–17
Nachdem Gott das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt hatte (Ex 1–18), befindet es sich nun in der Wüste am Berg Sinai, auf den Mose hinaufsteigt, um die Gebote Gottes zu empfangen. Die Kapitel 19–24 behandeln Gottes Bund mit Israel am Sinai. In diesem Kontext findet sich auch die Verkündigung des Dekalogs. Diese beginnt in Ex 20,1 mit einer Gottesrede: „Und Gott redete alle diese Worte und sprach“ (20,1), wobei jedoch eine Adressatenangabe fehlt. Aus dem Kontext ergibt sich, dass weder Mose noch das Volk hier angesprochen sein können, da Mose in 19,24 vom Berg herabsteigt und in 19,25 mit dem Volk spricht. Der Dekalog wird in Ex 20,1–17 folglich nur den Leserinnen und Lesern mitgeteilt. Auch nach der Textstelle findet sich kein Hinweis, dass Mose oder das Volk die Verkündigung empfangen haben, denn das Volk bittet Mose in Ex 20,18–19 um die Vermittlung zwischen ihnen und Gott. Die Anweisungen Gottes im Anschluss daran bilden die Grundlage für den Bundesschluss, wobei hier in der Redesituation zwischen Gott und Mose der Dekalog keine Rolle mehr spielt.
Erst in Ex 24 kommt der Dekalog möglicherweise erneut in den Blick, wenn Mose auf dem Sinai steinerne Tafeln, näher bestimmt mit „die Weisung und das Gebot“, übergeben bekommt (Ex 24,12). Allerdings erreichen diese Tafeln das Volk nicht, da sie aufgrund des Ärgers über das goldene Kalb von Mose zerbrochen werden (vgl. Ex 32,19). Erst die neuen Tafeln erreichen das Volk (vgl. Ex 32,28–32). Deren Aufschrift wird im Text erst hier zum ersten Mal eindeutig als die „zehn Worte“ (Ex 32,28) beschrieben.
2.2. Der Kontext von Dtn 5,6–21
Der Dekalog in Dtn 5,6–21 steht im Kontext einer Reihe von Reden des Mose an dessen letztem Lebenstag. Mose erklärt dabei der neuen Generation Israels die Tora. Während in Dtn 1–3 die Geschichte seit dem Exodus zusammengefasst wird, ruft Mose in den Kapiteln 4–11 zur Treue gegenüber Gottes Bund auf. In diesem Kontext steht in Ex 4 die Rückschau auf die Ereignisse am Horeb, wobei die zehn Worte auf den zwei Tafeln erneut zur Sprache kommen. Dtn 5,2–5 blickt Mose dann erneut auf den Bund am Horeb und die dort verkündeten Worte Gottes zurück und leitet damit die erstmalige Verkündigung des Dekalogs im Wortlaut an das Volk ein (Dtn 5,6–21). Die Verkündigung des Dekalogs schließt in Dtn 5,22 mit der erneuten Nennung der beiden Tafeln: „Diese Worte sagte der HERR auf dem Berg zu eurer vollzähligen Versammlung, mitten aus dem Feuer, aus Wolken und Dunkel, mit Donners mächtiger Stimme, diese Worte und sonst nichts. Er schrieb sie auf zwei Steintafeln und übergab sie mir.“ (Dtn 5,22)
3. Gliederung von Ex 20,1–17
V. 1: Redeeinleitung
V. 2: Präambel: Befreiungstat Gottes
V. 3–7: Beziehung zu Gott
V. 3: Fremdgötterverbot
V. 4–6: Bilderverbot
V. 7: Namensmissbrauchsverbot
V. 8–17: Beziehung zur Familie und den Mitmenschen
V. 8-12: Familie
V. 8–11: Sabbatgebot
V. 12: Elterngebot
V. 13-17: Mitmenschen
V. 13: Tötungsverbot
V. 14: Ehebruchverbot
V. 15: Diebstahlverbot
V. 16: Lügenzeugenverbot
V. 17: Begehrensverbot
4. Auslegung von Ex 20,1–17
Im Folgenden soll die Auslegung des Dekalogs anhand der Fassung aus Ex 20,1–17 erfolgen. Inhaltlich gibt es eine große Überschneidungsmenge zwischen den Textfassungen in Ex 20,1–17 und Dtn 5,6–21. Zentrale inhaltliche Unterschiede zwischen den beiden Textfassungen werden in der Auslegung aber dennoch betrachtet.
4.1. Redeeinleitung und Präambel (V. 1–2)
V. 1 beginnt mit einer Redeeinleitung, welche betont, dass es sich im Folgenden um einen göttlichen Sprechakt handelt. Mit V. 2 wechselt die Erzählperspektive und es schließt sich die Gottesrede in der ersten Person Singular an. Zu Beginn steht dabei die Selbstvorstellung YHWHs: „Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ (Ex 20,2 par. Dtn 5,6). Dabei wird klar, dass das aus Ägypten befreite Volk Israel von Gott hier angesprochen wird und beide, YHWH und Volk, durch die Befreiungstat miteinander verbunden sind. Zugleich ist diese Befreiung konstitutiv für die folgenden Gebote und deren Geltungsbereich. Denn die Gebote Gottes können nur in Freiheit in Anspruch genommen werden. Der Dekalog ist damit kein „universales Gesetz oder Menschenrecht“ (Dohmen, 34), sondern ein Gesetz für Israel, das dessen Freiheit sichern und bewahren soll.
4.2. Fremdgötterverbot (V. 3 )
Das Fremdgötterverbot in V. 3 eröffnet die Reihe der Prohibitive. Das Verbot der Verehrung fremder Götter resultiert dabei aus der zuvor genannten Befreiungstat und zeigt, dass die Beziehung zwischen YHWH und dem Volk leicht zu gefährden ist. Zugleich setzt es die Existenz anderer Götter und damit einen polytheistischen Referenzrahmen voraus. Mittels des Fremdgötterverbotes werden alle Möglichkeiten des Fremdgötterkontakts ausgeschlossen und ein Ausschließlichkeitsanspruch sichtbar, insofern es in Gottes Gegenwart keine anderen Götter für Israel geben kann. Im Hintergrund steht hier die Monolatrie (Verehrung einer einzigen Gottheit, die neben anderen Göttern steht), die dem Monotheismus vorausgeht.
4.3. Bilderverbot (V. 4–6)
An das Fremdgötterverbot schließt sich in den VV. 4–6 das Bilderverbot an. Dieses Verbot bezieht sich konkret auf ein Kultbild, denn der hebräische Begriff pæsæl (פֶסֶל) findet sich ausschließlich in kultisch-religiösen Kontexten, nie in künstlerischen Kontexten. Es wird daher deutlich, dass hier auf die Verehrungsproblematik angespielt wird. Kultbilder anderer Götter spielen in diesem Gebot keine Rolle, da sie schon von vornherein durch das vorausgehende Fremdgötterverbot ausgeschlossen sind. Vielmehr bezieht sich das Verbot auf Kultbilder YHWHs, da sich YHWH durch nichts in der Welt angemessen repräsentieren lässt. Dies wird durch den Zusatz „keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde“ (20,4) unterstrichen. V. 5 unterstreicht das Verehrungsverbot ausdrücklich: „Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen.“ (20,5) Im Hintergrund steht die antike Theorie der Bilder als sichtbare und wirkmächtige Repräsentationen des Abgebildeten. Hier steht vor allem die mit den Bildern verbundene Manifestation der göttlichen Kraft und Macht im Mittelpunkt. Da man im Alten Orient unter dem Tempelbesuch bzw. dem Kult vor dem Götterbild „das Angesicht Gottes zu schauen“ verstand, geht es dem Gebot darum, die Verwechslung von Repräsentanz und Repräsentiertem zu verhindern. Seinen Ursprung findet dieses Gebot wohl in der Entwicklung hin zum Monotheismus, wobei der theoretischen Forderung der Alleinverehrung YHWHs mit dem Bilderverbot hier auch eine praktische Seite zugeordnet wird. Zugleich spiegelt sich darin auch die Auseinandersetzung mit den Göttern anderer Religionen und deren Visualisierung. Die Stellung des Bilderverbots am Beginn des Dekalogs zeigt zudem dessen bedeutendes Gewicht, so wird es auch in den alttestamentlichen Rechtskorpora mit der entsprechenden Formulierungen übernommen (vgl. z. B. Ex 20,23; 34,17; Lev 19,4; 26,1; Dtn 27,15).
Dem Verbot folgt eine Begründung, die zugleich einen Rahmen mit V. 2 bildet, indem die Selbstvorstellung „ich bin der HERR, dein Gott“ (Ex 20,5) erneut aufgegriffen wird. Diese Rahmung zeigt zunächst, dass die VV. 2–5 eine sachliche Einheit bilden und Gottes ausschließliche Beziehung mit Israel thematisieren. Die Selbstvorstellung Gottes wird dabei in der folgenden Begründung inhaltlich weiterentwickelt, indem die Apposition YHWH als einen eifersüchtigen Gott zeichnet, der die Schuld der Väter an den Kindern heimsucht (vgl. 20,5). Damit wird eine inhaltliche Aussage über die Wirkweise Gottes getroffen (vgl. auch wiederkehrend in Ex 34,6–7), die aber nicht rein bei der Heimsuchung der Schuld bleibt, sondern in V. 6 auch die Gnade „bei denen, die mich lieben und meine Gebote bewahren“ (20,6) miteinschließt. Damit entsteht auch eine Verbindung zu kommenden Geboten, die nun in den Blick rücken und die es zu bewahren gilt. Insbesondere zum Namensmissbrauchsverbot, dass im Anschluss folgt, wird durch diese Begründung übergeleitet, denn die Rede von der Eifersucht und der Strafe wird hier bereits in Zusammenhang mit dem Gottesnamen formuliert: „Denn ich bin YHWH, dein Gott, ein eifersüchtiger Gott“ (20,6).
Dtn 5,7–9 kennt im Unterschied zu Ex 20,3–6 nur ein Verbot: das Fremdgötter-Bilderverbot (Dtn 5,7–10). Das Verbot untersagt damit die Verehrung anderer Götter und deren Götterbilder in einem. Damit bezieht sich das Niederwerfen und Dienen „vor ihnen“ (Dtn 5,9) nicht nur auf Kultbilder, sondern auch grundsätzlich auf andere Götter.
4.4. Namensmissbrauchsverbot (V. 7)
Unmittelbar an die Begründung des Bildverbotes schließt sich das Namensmissbrauchsverbot in Ex 20,7 an, das mittels der Begründung „denn der HERR lässt den nicht ungestraft, der seinen Name missbraucht“ (20,7) eine unspezifische Sanktionsankündigung mitanführt. Es fällt auf, dass von Gott hier im Gegensatz zur vorherigen Gottesrede der VV. 2–6 nun in der dritten Person gesprochen wird. Diese Erzählperspektive scheint passend für die Verkündigungssituation in Dtn 5, allerdings fügt sie sich in die Ex-Fassung nicht ohne Probleme ein. Möglicherweise wurde diese Perspektive in Ex 20,7 als stärkere Unterstreichung des Gottesnamens angeführt, der zuvor schon von Gott selbst genannt wurde.
Seinen Sinn findet das Gebot aus dem Fremdgötter- und Bilderverbot heraus, denn Bilder sind grundsätzlich mehrdeutig. Erst mit der Benennung, also durch den Gottesnamen, wird Eindeutigkeit geschaffen und das Kultbild wird ansprechbar. Während Kultbilder grundsätzlich verboten sind, wird bei der Nutzung des Gottesnamens allerdings nur der Missbrauch untersagt, denn der Name sagt etwas über die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk aus (vgl. Ex 3,13–15; 6,2–3). Wenn der Gottesname nicht mehr mit dem Wesen und der Wirkung Gottes in Verbindung gebracht wird, sondern wie jeder andere Name benutzt wird (bspw. bei Meineid, Schwur, Zeugenaussage, Fluch), dann liegt Missbrauch vor.
Das Namensmissbrauchsverbot wie auch die vorherigen beiden Prohibitive (Fremdgötter- und Bilderverbot) zielen als Einheit gelesen nicht auf den Schutz Gottes, sondern vielmehr darauf, den Menschen vor dem leichtfertigen Umgang mit Gott zu schützen. Zugleich zielen die drei Prohibitive darauf, Gottes Gegenwart zu sichern, denn Gott ist für Israel nicht einer von vielen, sondern als einziger nicht im Kultbild, sondern in seinem Namen gegenwärtig.
4.5. Sabbatgebot (V. 8–11)
Das Sabbatgebot wie auch das darauffolgende Elterngebot sind die einzigen Gebote im Dekalog, die in Form von Imperativen positiv formuliert sind. Das Sabbatgebot selbst ist durch seine Begründung das umfassendste Gebot im Dekalog. Gerahmt wird es dabei durch die Begriffe „Sabbat“ (20,8.11) und „heilig“ (20,8) bzw. „geheiligt“ (20,11). Das Gebot fordert das Volk Israel auf, dem Sabbat zu gedenken und ihn heilig zu halten. An diesem Tag soll dabei jegliche Arbeit ruhen, wobei alle eingeschlossen sind: das Volk Israel, SklavInnen, Fremde und Tiere (vgl. 20,10). Der Sabbat nach sechs Tagen der Arbeit lässt so die Arbeit an sich in einem anderen Licht erscheinen. Nachdem alle am Sabbat ruhen, ist die Arbeit nicht „ein auf andere Menschen abzuschiebendes oder zu beseitigendes Übel, sondern eben etwas ‚Normales‘“ (Dohmen, 59), wodurch auch keine Ab- oder Aufwertungen von verschiedenen Arbeiten vorgenommen werden können.
Begründet wird dieses Gebot dabei durch die Schöpfungsordnung: „Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er.“ (20,11; vgl. im Hintergrund Gen 1,1–2,4b). Dem Sabbat zu gedenken (vgl. Ex 20,8) heißt dabei, sich der durch den Sabbat gesetzten Zeitstruktur zu vergewissern und bewusst zu werden. Im Hintergrund dieser Vorstellung steckt ein fester Wochenrhythmus von „6+1“, das heißt, dass an sechs Tagen gearbeitet wird und am siebten Tag alles ruht. Der Sabbat ist also als wöchentlicher Ruhetag zu verstehen. Dieser Rhythmus von 6+1 findet altorientalische Parallelen. So war in der kananäischen Umwelt im siebten Jahr die sogenannte Landbrache üblich, in der sich der Boden regenerieren konnte und woraus sich nach kananäischer Vorstellung eine ‚Fülle‘ ergab. Die Zahl sieben kann im Semitischen nämlich mit der Fülle vom Wortstamm her (šbʿ; שבע) assoziiert werden. Auch im AT findet sich eine solche Landbrache zugunsten einer sozialen Regelung. Als Weiterentwicklung ergibt sich daraus im Folgenden eine Ruhetagsregelung, welche eine Arbeitsruhe für alle, das heißt vom Arbeiter bis zum Arbeitstier hin, durchsetzt. Solche Ruhetagsregelungen finden sich auch in altorientalischen Arbeitsverträgen.
Das Sabbatgebot ist zugleich das Gebot des Dekalogs, das die größten Unterschiede zwischen den beiden Fassungen in Ex und Dtn aufweist. Während die Ex-Fassung die Schöpfungsordnung als Begründung für die Sabbatruhe anfügt, begründet Dtn 5,12–15 den Sabbat durch die Befreiung aus Ägypten. Damit scheint der Sabbat in Dtn eher ein Feiertag verbunden mit Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten zu sein. Zu diesem Festcharakter passt auch die Aufforderung „Beachte den Sabbattag“ (Dtn 5,12 ELB), welche die Einhaltung der Feiertagsregelungen einschärft. Ein solcher Feiertag muss dabei wohl noch nicht zwingend wöchentlich begangen werden, eher kann an einen monatlichen Sabbat als Fest- bzw. Gedenktag gedacht werden. Ein monatlicher Feiertag findet sich auch im Kalender der Babylonier. Am 15. Tag im Mondmonat wurde der sogenannte „Schapattum“, der Festtag zum Vollmond, gefeiert. Ob dieser der Vorläufer des hebräischen Sabbats ist, bleibt jedoch unklar.
4.6. Elterngebot (V. 12)
Auch das Elterngebot in V. 12 ist positiv formuliert und fordert folglich ein konkretes Tun und nicht ein Unterlassen. Gefordert wird die Ehre gegenüber den Eltern, was sich konkret in der Ahnenverehrung und der sozialen Versorgung der eigenen Eltern zeigen kann. Parallelen zu einer solchen Forderung finden sich auch in altorientalischen Testamenten und Adoptionsverträgen, in denen stets die lebenslange respektvolle Behandlung und ordentliche Versorgung festgehalten werden. Zentral ist im Elterngebot aber der Finalsatz „damit du lange lebst, in dem Land, dass der HERR, dein Gott, dir gibt!“ (Ex 20,12). Dadurch wird den Angesprochenen ihr künftiges Schicksal vor Augen gestellt, indem sie zwischen der vorherigen und nachfolgenden Generation eingeordnet werden. Der Rekurs auf die Landverheißung qualifiziert das Land als von Gott gegeben und zeigt damit auch die durch die Zeiten gehende Volksgemeinschaft. Damit wird die zentrale Bedeutung des Elterngebotes sichtbar, denn es bedarf des Schutzes der Familie nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch weil die Familie der Ort ist, an dem der Gott Israels durch das praktische Leben des Gottesverhältnisses weitergegeben wird.
Die formal enge Verbindung zum Sabbatgebot durch die positive Formulierung ist in Dtn 5 durch den zusätzlichen Hinweis auf Gottes Befehl (vgl. Dtn 5,12.16) noch stärker unterstrichen.
4.7. Tötungsverbot (V. 13)
Ab V. 13 folgen Prohibitive, die keine Begründung mehr aufweisen. Zunächst findet sich in V. 13 ein objektloser Kurzprohibitiv, der das Tötungsverbot sehr allgemein formuliert. Das hierbei verwendete hebräische Verb rṣḥ (ratsach) bezeichnet ein gewalttätiges, schuldhaftes Töten, was im Deutschen mit „morden“ wiedergegeben werden kann. Dennoch weist dieses Verb ein weites Verwendungsspektrum auf, sodass sowohl Totschlag wie auch Aspekte des sozialen Todes, im Sinne von sozialen Folgen einer Handlung, welche die Lebensgrundlage rauben, eingeschlossen sind. Der Prohibitiv ist dabei an den gesellschaftlichen Konsens gebunden, insofern Schuld und Gewalt Grenzen zwischen erlaubt und unerlaubt voraussetzen, die durch eine fortwährende gesellschaftliche Übereinkunft getragen werden.
Mit den nachfolgenden Verboten von Ehebruch und Diebstahl lässt sich bei den drei Prohibitiven ein Ursprung in der prophetischen Kritik ausmachen (vgl. Hos 4,2; Jer 7,9). Alle drei Verbote zielen, positiv formuliert, darauf ab, die eigenen Güter zu schützen. In Fall des Tötungsverbotes soll das Gut des Lebens geschützt werden.
4.8. Ehebruchverbot (V. 14)
Auch das Verbot des Ehebruchs zielt darauf, ein Gut zu schützen, hier das Gut der Familie. Wie auch das Tötungsverbot hat das Verbot des Ehebruches ein weites Bedeutungsspektrum, das die Institution der Ehe miteinschließt, wenngleich die juristischen, religiösen, sozialen und moralischen Aspekte sich durch die Zeiten hindurch entwickeln. Letztlich zielt das Verbot aber auf den Schutz der sozialen, rechtlichen und biologischen Verhältnisse der Nachkommen, denn die altisraelische Gesellschaft bestimmt die Erbfolge und religiöse Zugehörigkeit über den Vater. Im Falle des Ehebruchs ist die Vaterschaft zum einen nicht leicht zu klären und zum anderen ergibt sich dadurch eine Rechtsunsicherheit für das Kind. Im Zentrum steht folglich die Rechtssicherheit des Nachwuchses.
4.9. Diebstahlverbot (V. 15)
Auch im Blick auf das Diebstahlverbot zeigen sich Unsicherheiten in der Bestimmung des Objekts. Nahliegend ist es, dass das Gebot sein Ziel im Schutz der wesentlichen Güter findet. Der Gebrauch des Verbes ohne konkretes Objekt verdeutlicht dabei, dass jedwede Art des Diebstahls unzulässig ist. Folglich soll das gesamte persönliche Eigentum gesichert werden, unabhängig von dessen Umfang, Wert oder Qualität. Das Verbot und gleichzeitig der Schutz gelten dabei jedem einzelnen Israeliten und nicht bestimmten Gruppen oder Klassen der Gesellschaft.
4.10. Lügenzeugenverbot (V. 16)
Die letzten beiden Verbote des Dekalog in den VV. 16–17 betreffen den Bereich des Zwischenmenschlichen, wodurch sie sich vom Diebstahl- und Ehebruchverbot abgrenzen. Das zeigt sich im Stichwort „Nächster“, dass in den beiden Versen vier Mal verwendet wird. Das in V. 16 verwendete Verb „aussagen“ hat einen juristischen Hintergrund, insofern es sich auf Falschaussagen oder Meineid bezieht. Dabei steht aber nicht die Sache, also das Lügenzeugnis, im Zentrum, sondern der Lügenzeuge. Es geht nämlich um das Verhältnis von Mensch und Mitmensch, denn durch die Falschaussage kann der Nächste in seinem Recht gemindert und in Bezug auf seinen Besitz oder seine Ehre geschädigt werden. Dadurch werden die gegenseitige Achtung und die Würde des Einzelnen zerstört und möglicherweise kann der Lügenzeuge auch noch Profit aus dem Schaden des anderen ziehen. Das Verbot zielt also darauf, die lügenhafte (Ex 20,16) oder nichtige Aussage (Dtn 5,20), mit der das Recht des Nächsten gebeugt und dieser benachteiligt oder geschwächt wird, zu verhindern. Diese Kritik an Lügenzeugen findet Parallelen in der prophetischen Kult- und Sozialkritik. Mit dem Lügenzeugenverbot wird sowohl der Bereich der zwischenmenschlichen Beziehung als auch die Haltung und die Absicht, die hinter den Taten stecken, in den Blick genommen.
4.11. Begehrensverbot (V. 17)
Der Dekalog schließt in Ex 20,17 mit dem Begehrensverbot. Formal gesehen umfasst dieses Verbot zwei Verbote, die sich nur in ihrem Objekt unterscheiden. Das Verb ist dabei identisch: Verboten ist das „Begehren“ der Objekte. Das Verb hält die beiden Verbote sachlich zusammen, sodass es in der Zählung der Ex-Fassung als ein Verbot gezählt wird. In Dtn 5 hingegen unterscheiden sich die beiden Verben der Verbote. Dtn 5,21 fordert dazu auf, nicht die Frau des Nächsten zu „begehren“ und nicht nach dem Besitz des Nächten zu „trachten“. Durch die zwei verschiedenen Verben finden sich hier auch formal zwei einzelne Verbote. Dieser Unterschied hat mit der Zehnzahl der Gebote zu tun: Während Ex 20 das Fremdgötter- und Bilderverbot als einzelne, getrennte Verbote sowie das Begehrensverbot als eines zählt, um auf insgesamt zehn zu kommen, fasst Dtn 5 das Fremdgötter- und Bilderverbot als ein einziges Verbot zusammen und zählt stattdessen die Begehrensverbote in Dtn 5,21 als zwei Einzelverbote.
Durch die Thematisierung des Nächsten in Ex 20,17 schließt sich das Verbot an das vorausgehende Lügenzeugenverbot an. Wie im vorherigen Gebot steht auch beim Begehrensverbot die zwischenmenschliche Beziehung im Vordergrund. Das Verb „begehren“ hat dabei eine weite Bedeutung, so bezeichnet es das Ansehen einer Person, das Empfinden der Freude oder der Lust, ein inneres Verlangen, ein Besitzenwollen oder ein Besitzergreifen. Das Gewicht liegt hier aber stärker auf den Aspekten, die zur Tat führen. Damit ist das Begehren an sich nicht Inhalt des Verbotes, „sondern all das, was mit dem Ziel der Aneignung fremder ‚Güter‘ geschieht“ (Dohmen, 70). Verboten wird also die Aneignung von fremdem Gut durch „legale“ aber vom Gesetz nicht erfasste,unfaire Praktiken, wie bspw. das Ausnutzen von Notsituationen bei einer Verschuldung oder die Übernahme von Frauen, deren Männer im Krieg sind. Solche Situationen werden auch immer wieder in der prophetischen Literatur (vgl. bspw. Mi 2,2) kritisiert. Das Verbot zielt folglich darauf, dass ein Mitmensch seiner Lebensgrundlage nicht beraubt werden darf – weder mit legalen Mitteln noch mit Mitteln, die das Gesetz nicht erfasst.
Das Objekt des Verbotes ist dabei genau wie die Bedeutung des Verbes „begehren“ breit angelegt. In Ex 20,17 findet sich eine Aufzählung dreier Dinge, die einen besonderen Wert darstellen (vgl. dieses Muster auch in Dtn 28,30). Drei Mal wird der Nächste sowie das, was ihm gehört, genannt, ohne dass das Verbot auf die genannten Dinge beschränkt wird: „Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren. Du sollst nicht die Frau deines Nächsten begehren, nicht seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel oder irgendetwas, das deinem Nächsten gehört.“ (Ex 20,17) Es werden also das Haus, die Frau und der weitere Besitz des Nächsten genannt, zugleich wird damit klar, dass hier nicht der materielle Besitz im engeren Sinne geschützt wird. Vielmehr geht es um den Schutz dessen, „was dem einzelnen Menschen etwas wert ist, was ihm etwas bedeutet“, sodass „er selbst als Mitmensch, als Nächster, in seiner Würde ernst genommen“ wird (Dohmen, 71). Damit zielt auch das letzte Verbot darauf, die Würde des einzelnen Menschen, aber zugleich damit auch das Zusammenleben derer zu schützen, die YHWH aus Ägypten befreit hat (vgl. Ex 20,2).
Dtn 5,21 unterscheidet hier zwei Begehrensverbote. Das erste Begehrensverbot untersagt es, die Frau des Nächsten an sich zu bringen (vgl. auch in Ex 20,17). Das zweite Verbot „und du sollst nicht das Haus deines Nächsten verlangen, nicht sein Feld, seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel, nichts, was deinem Nächsten gehört“ (Dtn 5,21) setzt durch das Verb einen anderen Akzent. Es geht hier um ein Trachten, ein Verlangen nach dem Besitz des Nächsten, dass den Nächsten um seine Existenz als freien Bürger bringt. Das Verb betont so noch einmal stärker, dass die Handlung Folgen für den Nächsten nach sich zieht.
5. Fazit
Der Dekalog ist weder als „universales Gesetz oder Menschenrecht“ (Dohmen, 34), noch als Gesetz, das die Freiheit der Israeliten einschränken soll, zu verstehen. Vielmehr soll er ermöglichen, die nach dem Exodus neu gewonnene Freiheit zu leben und zu bewahren. Aus diesem Grund wird der Dekalog auch nicht nur vorgeschrieben, sondern begründet. Es gilt das Verhältnis der Menschen untereinander sowie das Verhältnis zwischen Gott und Mensch in Freiheit durch die Ge- und Verbote des Dekalog zu sichern.
6. Quellen
- Dohmen, Christoph, Exodus 19 – 40, Freiburg – Basel – Wien 22012 (HThKAT 2/2).
- Fischer, Georg / Markl, Dominik, Das Buch Exodus, Stuttgart 2009 (NSK.AT 2).
- Köckert, Matthias, Art. Dekalog / Zehn Gebote (AT), in: WibiLex online (http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/10637/) [zuletzt besucht am 15.01.2024].
Erstellt von Katharina Neu, 2024.