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Paulus und seine Gemeinden

Ein Missionar auf Reisen

Inhaltsverzeichnis

I. Dialog in Briefen

Situative Verortung paulinischer Theologie

Eine Schwierigkeit des Zugangs zum paulinischen Gedankengebäude ist der Charakter seiner Schriften. Uns liegen Briefe vor, die alle mehr oder weniger dem Kontext der Mission zuzurechnen sind. Theologische Fragen werden in einem situativen Kontext erörtert – meist als Antworten auf Anfragen von Seiten der Gemeinde oder in Reaktion auf Fehlentwicklungen innerhalb der Gemeinden, die Paulus zu korrigieren versucht.

 

Der Sonderfall Römerbrief

Lediglich im Römerbrief scheint Paulus am theologischen Diskurs interessiert zu sein – dort legt er ausführlich wichtige theologische Positionen seines Missionskonzeptes dar. Grund hierfür wird sein, dass er die Gemeinde dort nicht gut kennt, da sie nicht von ihm gegründet wurde. Seine Ausführungen dienen zur Vorbereitung eines von ihm geplanten Besuches, voraussichtlich um mögliche strittige Positionen vorab zu klären. Ein Einblick in etwaige Gegenpositionen bzw. Anfeindungen aus Rom sind historisch nicht darstellbar, erklären sich aber aus den Konflikten, wie sie insbesondere im Galaterbrief deutlich werden.

 

Zwischen Gemeindebindung und Missionsdrang

Paulus schreibt Briefe an seine Gemeinden, um die Mission, die vor Ort stattgefunden hat, weiterzuführen. Paulus ist in Sorge, ob der Glaube seiner Gemeinden schon gefestigt genug ist, um sie in die Eigenständigkeit zu entlassen; außerdem kommen auch weiterhin Anfragen aus den anderen Gemeinden, wenn sich die Mitglieder nicht einig sind in bestimmten religiösen Fragen. Paulus steht in der Spannung zwischen zwei Anforderungen: einerseits die Gemeinden weiter zu unterstützen, andererseits sein Missionsprogramm voranzutreiben.

Eile ist geboten, und so ist Paulus von einem funktionierenden Konzept abhängig. Er erwartet nämlich die Wiederkunft Christi noch zu seinen Lebzeiten, und daher versucht er bis dahin möglichst viele Menschen erreichen zu können. Und so strebt er an, was er nicht mehr realisieren konnte und was noch drei Jahrhunderte dauern sollte – das Christentum bis nach Spanien auszubreiten (vgl. Röm 15,24).

 

II. Die Funktion der Gemeinden: Missionszentren

Paulus konzentriert sich bei seinen Missionsreisen auf die »Zentren«, d.h. er missioniert vornehmlich in großen und bedeutenden Städten. Im Idealfall breitet sich von der Stadtgemeinde der Glaube in den nächstgelegenen Orten aus, damit das Christentum auch im ländlichen Raum Fuß fassen kann und auch an Orte gelangen kann, die Paulus selbst nie besucht hat. Dies wird etwa im 1Thess deutlich, wenn Paulus seine Gemeinde dafür lobt, dass man bereits vernommen hat, dass aus Thessalonich das Wort Gottes herausschallt (1Thess 1,8) und somit das Missionswerk des Paulus fortgesetzt wird.

 

III. Verhältnis zur Gemeinde

Paulus hat ein besonderes Verhältnis zu den von ihm gegründeten Gemeinden, ohne daraus jedoch eigene Ansprüche hinsichtlich einer Führungsrolle oder persönlicher Vorteile zu stellen. Im Gegenteil, er betont seine Rolle funktional: Er hat die Aufgabe, die Gemeinde zu gründen und den Glauben zu vermitteln. Er bringt die von Gott kommende Heilsbotschaft, seine persönlichen Interessen sind nicht von Belang.

So betont er öfter seinen Verzicht auf Unterhalt, der ihm eigentlich zustände (s. v.a. 1Kor 9). Als Pharisäer hat er einen Beruf erlernt und versucht auch während seinen Missionsbesuchen seinen eigenen Lebensunterhalt nach Möglichkeit selbst zu verdienen. Allerdings gibt Paulus seine Rolle für den Gemeindeaufbau auch nach seiner Abreise nicht auf, sondern bleibt durch Briefe in Kontakt (s.o.).

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Die Struktur paulinischer Gemeinden

Inhaltsverzeichnis

I. Die Situation vor Paulus

Christliche Gemeinden außerhalb Palästinas

Wir haben aus der Frühzeit des Christentums kaum Belege für die Existenz nichtpaulinischer christlicher Gemeinden außerhalb Jerusalems. Zu nennen sind Damaskus (Apg, Gal 1,17), Rom (welthistorischer Beleg: Claudius-Edikt, in den paulinischen Briefen vorausgesetzt) und vor allem Antiochien in Syrien als frühes Missionszentrum außerhalb Palästinas.

 

Die Gemeinde in Jerusalem – ein Idealbild?

Die Apostelgeschichte stellt in 2,42-47; 4,34f das Idealbild einer Gemeinde vor Augen. Allerdings wird man anstelle einer vollkommenen Gütergemeinschaft eher von einer Zuwendung Bedürftigen gegenüber, von einem sozialen Ausgleich ausgehen können. Wenn es heißt, jedem würde nach seiner Bedürftigkeit zugeteilt (Apg 2,45), gibt die Beschreibung selbst einen Hinweis darauf, dass nicht alle alles gemeinsam hatten (2,44). Insgesamt wird die Gemeinde von Jerusalem wohl arm gewesen sein, was sich auch aus der in Gal 2,10 erwähnten Kollekte ergibt.

 

Mahlgemeinschaft und Taufe

Christliche Gemeinschaft äußert sich schon sehr bald als Mahlgemeinschaft, auch Brotbrechen genannt. Der Wiederholungsauftrag in Lk 22,19; 1Kor 11,24 zeigt, dass man sich dabei auf das letzte Abendmahl Jesu rückbesinnt. Dieses Erinnerungsmahl war zunächst noch in ein gemeinsames Sättigungsmahl eingebettet. Aus den Einsetzungsworten (1Kor 11,23) wird deutlich, dass Paulus auf eine Tradition zurückgreift, die den Tod Jesu als Sühnetod deutet (»für euch«). Umstritten ist, ob es neben diesem Mahltyp einen anderen gegeben hat, der sich nicht vom letzten Mahl Jesu herleitete.

Die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft erfolgte durch die Taufe. Die Taufe selbst geht auf die Johannestaufe am Jordan zurück und verweist auf die enge Verbindung zwischen Johannes- und Jesusbewegung. Die Forschung meint in Apg 2,38 eine sehr alte Taufformel zu erkennen. Sie enthält folgende Elemente: (1) Taufe auf den Namen Jesu Christi, (2) Nachlass der Sünden, (3) Geistempfang nach der Taufe.

 

II. Paulinisches Gemeindeleben

Herrenmahl und Hausgemeinde

Die Christen der paulinischen Gemeinden trafen sich zum gemeinsamen Herrenmahl. Sie trafen sich meist in den Häusern wohlhabender Gemeindemitglieder. Dies war ohne weiteres möglich, wenn man annimmt, dass in der ersten Zeit die Gemeinden nicht mehr als zwei Dutzend Mitglieder umfassten. Die Notwendigkeit des Baus eigener Gotteshäuser war jedenfalls im ersten Jahrhundert noch nicht gegeben.

 

Die Gemeinde als Leib Christi

Das beim Herrenmahl gefeierte Ereignis wird sodann bei Paulus zur Metapher für das Gemeindeverständnis überhaupt. Die Vergegenwärtigung des Leibes Christi assoziiert Paulus mit der in der Antike verbreiteten Metapher des »Leibes und der Glieder«. Mithilfe dieses Bildes kann Paulus unterschiedliche Facetten seiner Vorstellung von Gemeinde anschaulich machen.

 

Leib Christi als Erkennungszeichen christlicher Gemeinde

Zur Veranschaulichung seiner Vorstellung von christlicher Gemeinde verwendet Paulus die Metapher vom »Leib Christi«. Durch die Taufe wird man in den Leib des erhöhten Christus eingegliedert (Aufnahme durch den einen Geist, 1Kor 12,13) und beim Herrenmahl wird diese Aufnahme in symbolischer Weise (in einer »sakramentalen« Zeichenhandlung) immer wieder neu vollzogen / vergegenwärtigt / bekräftigt: »Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot.« (1Kor 10,16f)

 

Die Charismen der Gemeinde

Wie aus den Ausführungen des 1. Korintherbriefes hervorgeht, gibt es keinen fest vorgegebenen Ablauf einer christlichen Liturgie, vielmehr verweist Paulus auf das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Elemente, die abhängig von den einzelnen Gemeindemitgliedern sind: Jeder soll und kann sich einbringen aufgrund seines persönlichen Charismas, seiner eigenen Geistbegabung. Jeder Christ bringt also seine ihm eigenen Fähigkeiten hinsichtlich des Bekenntnisses zum christlichen Glaubens mit in den Gemeindegottesdienst ein.

Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass jeder Christ bei der Taufe den Heiligen Geist empfangen hat und dadurch eine besondere Begabung erhalten hat. Diese Charismen sind nun vielfältig und fallen unterschiedlich aus. Einen Einblick gewährt 1Kor 12. Paulus erwähnt dort das Zusammenspiel folgender Charismen:

  • Weisheit
  • Erkenntnis
  • Glaube
  • Heilungskraft
  • Wunderkräfte
  • Weissagung
  • Unterscheidung der Geister
  • Sprachen / Zungen
  • Auslegung von Sprachen / Zungen

Damit also ist eine unterschiedliche Bandbreite abgedeckt, die schon die Grundvoraussetzung des Christentums (Glaube) einbezieht, aber eben auch kognitive, therapeutische und enthusiastische Züge als wesentliche Elemente des christlichen Bekenntnisses anerkennt.

 

Charisma und Hierarchie

Ausgehend von den genannten Charismen ist zu fragen, wer nun innerhalb der Gemeinde das Sagen hat – und genau das ist auch der Kontext der Ausführungen des Paulus in 1Kor 12. Seiner Meinung nach ist ein Ungleichgewicht aufgetreten zugunsten extrem enthusiastischer Elemente, konkret der Zungenrede / Glossolalie. Sein Votum stärkt die Rolle der Vernunft, da er Glossolalie nur dann weiter zulassen will, wenn jemand anwesend ist, der die Fähigkeit hat, die Zungenrede allgemeinverständlich zu deuten.

Paulus jedoch versucht dies nicht mittels einer hierarchischen Einteilung der einzelnen Charismen, sondern mit dem Argument der gegenseitigen Auferbauung aller Gemeindemitglieder. Zur Verdeutlichung greift er wieder auf die Metapher vom Leib zurück. Alle Glieder müssen demnach zusammenwirken, damit der Leib funktionieren kann. Wenn einzelne Gaben wie etwa die Glossolalie ins Leere laufen oder sich selbständig machen, besteht eher die Gefahr, dass sich die Gemeinde entzweit, da für die anderen Gemeindemitglieder der Nutzen der Glossolalie nicht deutlich wird.

Paulus adaptiert und modifiziert die Verwendungsweise der Leib-Metapher wie sie in antiken Zusammenhängen bekannt ist. Livius stützt in seiner Argumentation in Ab urbe condita 2,32,8ff die Stellung der Patrizier, indem er Hierarchien in das Bild mit aufnimmt: Es gibt wichtige (Patrizier als Magen) und weniger wichtige Körperteile (Plebejer). Nicht alle Körperteile sind überlebenswichtig, ohne Magen (= die Herrschaftsschicht) ist kein Überleben möglich.

Paulus verzichtet offensichtlich bewusst auf die Möglichkeit, eine hierarchische Struktur zu fordern: Das Prinzip der Pluralität, dass jedes Glied seinen Beitrag leisten muss, wird nicht hierarchisch, sondern solidarisch aufgelöst – alle Glieder sind aufeinander angewiesen, kein Glied soll fallengelassen werden. Nicht nur hinsichtlich der Glossolalie, auch im Konflikt zwischen den »starken« und »schwachen« Gemeindemitgliedern hinsichtlich des Umgangs mit Götzenopferfleisch (1Kor 8-10). Christen sollen nicht gegeneinander, sondern füreinander agieren.

 

Diakone und Episkopen?

Das Präskript des Philipperbriefes kennt auch Diakone und Episkopen. Kann man also wichtige kirchliche Ämter bis in die Zeit des frühesten Christentums zurückverfolgen? Allerdings ist man sich in der Forschung nicht einig, ob diese Adressierung ursprünglich oder vielmehr nachträglich eingetragen worden ist.

  • Da Paulus im Brief bezeugt, von den Philippern eine Geldspende erhalten zu haben, wird vermutet, dass die genannten Amtsträger im Hintergrund dieser Aktion stehen. Gesagt wird es im Brief aber nicht.
  • Eine nachträgliche Einarbeitung andererseits scheint nicht konsequent durchgesetzt worden zu sein, da sie andere Paulusbriefe nicht erreicht, und so die Frage zu stellen ist, welches Interesse hinter einer solchen Eintragung stünde und welches Überlieferungsstadium überhaupt betroffen wäre.

Erst in den Pastoralbriefen (1/2Tim, Tit) begegnet das Amt des Episkopos wieder – und diese Schreiben sind frühestens um 100 n.Chr., eventuell sogar bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts zu datieren. Eine Rückbindung kirchlicher Ämter in die früheste Zeit erscheint also im Hinblick auf die Quellenlage als sinnlos und kann nur aus den Erfordernissen und Zielen des sich ausbreitenden Christentums im 2. Jahrhundert erklärt werden.

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