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Biographie

Der vorchristliche Paulus

Inhaltsverzeichnis

I. Herkunft aus der griechischen Diaspora

Paulus ist in der Stadt Tarsus geboren, der damaligen Hauptstadt der römischen Provinz Kilikien. Paulus entstammt also einer jüdischen Familie aus der Diaspora, die nach Ausweis der Apostelgeschichte (22,28 u.ö.) das römische Bürgerrecht besaß. Diese Angabe ist umstritten, korresponidert aber mit der Tatsache, dass Paulus nach seiner Verhaftung nach Rom überstellt wurde. Paulus hatte, wie es damals unter Diasporajuden üblich war, zwei Namen: den hebräischen Namen Schaul und den griechischen Paulos. Die Gräzisierung des hebräischen Namens führte in der Apostelgeschichte zu der Angleichung Saulus – Paulus.

 

II. Von Saulus zu Paulus?

»Da wurde aus dem Saulus ein Paulus« – dieses berühmt gewordene Sprichwort ist eigentlich ein Missverständnis. Paulus hatte, wie erwähnt, zwei Namen, einen jüdischen (Schaul) und einen griechischen (Paulos). In seinen eigenen Briefen stellt er sich unter dem Namen Paulus vor, da er im griechisch-sprachigen Umfeld seinen griechischen Namen nennt.

In der Apg lernen wir ihn unter seinen beiden Namen kennen, und tatsächlich kommt es zu einer Inszenierung des Namenswechsels: Zunächst wird er als Saulus im jüdischen Umfeld bekannt als Verfolger der christlichen Gemeinde. Er behält seinen Namen aber auch noch bei seinen ersten Gehversuchen als christlicher Missionar. Der Wechsel geschieht in der Apg an exponierter Stelle, nämlich während der Bekehrung des Prokonsuls Sergius Paulus zum Christentum (Apg 13,9). Der Zeitpunkt ist vom Verfasser der Apg ebenfalls günstig gewählt, weil er durch den Namenswechsel deutlich machen kann, dass Paulus nicht mehr im Schatten des Barnabas steht, sondern sich allmählich als eigenständiger Missionar etabliert.

 

III. Der Pharisäer

Paulus hat eine Ausbildung zum Pharisäer genossen, wahrscheinlich in Jerusalem, da es keine Hinweise auf die Tätigkeit der Pharisäer außerhalb Israels gibt. Ob allerdings Gamaliel sein Lehrer war (Apg 22,3; 26,4), kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Außerdem hat Paulus ein Handwerk erlernt (die Apg beschreibt ihn als Zeltmacher, in seinen Briefen betont er, seinen Lebensunterhalt als Handwerker zu verdienen), was für einen Pharisäer damals typisch war.

 

IV. Christenverfolgung

In seiner Funktion als Pharisäer kommt er auch mit Anhängern Jesu in Konflikt. Sicherlich handelte es sich dabei aber nicht um die großangelegten Verfolgungen, wie sie in der Apg dargestellt wurden; auch war er nicht in Jerusalem tätig, da er eigenen Angaben zufolge in Jerusalem noch als christlicher Missionar unbekannt war (Gal 1,23). Folgt man der Selbstdarstellung des Paulus, findet man zumindest den Bezug zu einer von ihm nahegelegten Verfolgertätigkeit in Damaskus (Gal 1,17: Rückkehr nach Damaskus einige Zeit nach dem Berufungserlebnis).

Als Grund für die Verfolgung ist am ehesten ein Konflikt um die Tora anzunehmen, denn:

  • Nur im Blick auf das mosaische Gesetz war jüdisches Selbstverständnis so zentral getroffen, dass gewaltsame Verfolgung erklärlich ist.
  • Paulus selbst legt diesen Zusammenhang nahe, wenn er Gesetzeseifer und Verfolgertätigkeit in einem Atemzug nennt (Phil 3,6; Gal 1,13f).

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Die biographische Wende – Berufung zum Heidenapostel

Zur Interpretation der »Lebenswende« des Paulus vor Damaskus ist zunächst anzumerken, dass es sich hier nicht um eine Bekehrung im Sinne eines Religionswechsels handelt: Paulus blieb bis an sein Lebensende Jude, wenn auch sein Verhältnis zu jüdischen Überzeugungen in vielerlei Hinsicht eine neue Deutung erfahren hat; ein vom Judentum unterscheidbares Christentum hat es zu jener Zeit noch nicht gegeben.

Dennoch kann man (mit Klaus Haacker) zwei Aspekte in der Lebenswende des Paulus entdecken, die der Begriff der Bekehrung erfasst. Im Blick auf die Gruppenzugehörigkeit vollzieht Paulus durchaus einen Wechsel, da er sich nun der zuvor bekämpften Gruppe anschließt. Außerdem geschieht eine Umwertung, die die Vergangenheit in schlechtem Licht erscheinen lässt.

Die Angaben aus der Apostelgeschichte widersprechen z.T. dem Selbstzeugnis des Paulus. Deshalb ist es nötig, die wenigen brieflichen Stellen zu befragen:

  • In 1Kor 15,8-10 beschreibt Paulus seine Lebenswende im Rahmen einer Ostererscheinung als Erscheinung Christi; zugleich ist nahegelegt, dass dadurch sein Apostolat begründet ist (s.a. 1Kor 9,1).
  • Gal 1,15f spricht von der »Offenbarung des Sohnes Gottes«, ausdrücklich verbunden mit dem Auftrag der Heidenmission.
  • In Phil 3,7-11 interpretiert er die Auswirkungen seiner Wende durch das Gegensatzpaar Christus – Tora.

Diese äußerst knappen Notizen deuten sein Erlebnis in der Rückschau, beschreiben allerdings nicht, was Paulus dort wirklich erlebt hat. Die sprachlichen Berichte deuten auf das Erleben einer Vision. Aus ihr folgte insofern eine Wende, als Paulus den christlichen Heilsweg nicht mehr abgelehnt, sondern als richtig anerkannt hat. Damit ist aber noch nichts zu seinem Verhältnis zur Tora gesagt. Zumindest ist es nicht notwendig – wie manche Autoren es versuchen – das Damaskuserlebnis als unumkehrbaren Anstoß für die Rechtfertigungslehre und den Zusammenbruch der Gesetzesfrömmigkeit zu sehen.

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Zwischen Damaskus und Antiochia

Für das paulinische Wirken als Heidenmissionar sind zwei Phasen zu unterscheiden:

  • die Zeit vom Damaskusereignis bis zum antiochenischen Zwischenfall, für die neben sehr knappen paulinischen Notizen nur die Apostelgeschichte Auskunft gibt;
  • die Zeit der selbstständigen Mission des Paulus, aus der alle Briefe des Paulus stammen.
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I. Die Angaben des Galaterbriefes

Relativ sichere Auskünfte geben uns nur die Angaben in Gal 1 und 2, die Auskünfte der Apg lassen sich kaum verifizieren und sind daher mit äußerster Zurückhaltung zu bewerten. Folgende Angaben lassen sich aus dem Galaterbrief erheben:

  • Aufenthalt in der Arabia und in Damaskus nach der Berufung;
  • Erster Gang nach Jerusalem für zwei Wochen, rund 3 Jahre nach der Berufung, dann Fortzug nach Syrien und Kilikien;
  • Zweiter Gang nach Jerusalem zum Apostelkonzil rund 14 Jahre nach dem ersten Besuch;
  • Aufenthalt des Petrus in Antiochia.

 

II. Erste Missionsreise

In diese Zeit fällt die sogenannte »erste Missionsreise«, wie sie in der Apostelgeschichte dargestellt wird. Paulus ist noch nicht als eigenständiger Missionar tätig, sondern steht im Schatten anderer Missionare. Ausgehend von Antiochia in Syrien bereist Paulus die Städte Salamis und Paphos auf Zypern und einige Städte in Kleinasien (Paphos, Attalia, Antiochia in Pisidien, Ikonium, Lystra, Derbe und Perge), um schließlich über Seleukia wieder nach Antiochia zurückzukehren.

Andere Quellen bieten keine direkte Bestätigung für diese Missionsreise. Die Darstellung der Apostelgeschichte ist zudem sehr geprägt von schriftstellerischen Ideen des Lukas; das missionarische Interesse der antiochenischen Gemeinde jedoch steht außer Frage, sodass die Mission von Antiochia aus als historisches Faktum anzunehmen ist. Paulus tritt während dieser Zeit noch nicht selbständig als Wortführer auf, sondern wird als Begleiter des Barnabas bzw. Mitglied der antiochenischen Gemeinde dargestellt.

 

III. Das Apostelkonzil

Im Verlauf dieser missionarischen Tätigkeit bekommt es Paulus – wie auch alle anderen Missionare – immer mehr mit der Frage zu tun, auf welche Weise Heiden in die christliche Heilsgemeinschaft aufgenommen werden sollten. Noch hatte sich das Bewusstsein einer eigenständigen Religion nicht herausgebildet, die Missionare betrachteten sich weiterhin als Juden. Allerdings waren sie uneins, zu welchen Bedingungen Heiden in die entstehenden Gemeinden aufgenommen werden konnten. Zu identifizieren sind in diesem Zusammenhang zwei unterschiedliche Positionen:

  1. Heiden können in die Gemeinde aufgenommen werden, wenn sie sich auf die Tora verpflichten, wie es auch Proselyten taten, die den Übertritt zum Judentum vollzogen.
  2. Entscheidend ist allein das Bekenntnis zu Jesus Christus, eine weitere Bedingung ist für die Rettung nicht zu befolgen. Wahrscheinlich steht im Hintergrund dieser Position die Vorstellung, dass das Gottesvolk sich endzeitlich um die gläubigen Heiden erweitert, die mit dem Bekenntnis zu Christus ja auch den Gott Israels anerkennen.

Es unterscheiden sich folglich die Positionen hinsichtlich der Tragweite des Christusereignisses für das endzeitliche Geschehen. Die Frage nach einer neuen Religion dagegen entwickelt sich frühestens Ende des ersten Jahrhunderts nach dem endgültigen Auseinanderdriften von Judentum und Christentum.

Paulus vertritt die Position, dass bekehrte Heiden sich dem jüdischen Gesetz nicht unterstellen müssen (genauer sogar: nicht dürfen). Daher kommt es bald zum Konflikt mit anderen Missionaren, die der gegenteiligen Auffassung sind. Das sogenannte Apostelkonzil wurde einberufen, um diese Frage zu erörtern. Die Ergebnisse stellt Paulus im Gal folgendermaßen dar:

  • Die Heidenmission wird ohne Auflagen bejaht, zur Unterstützung der Gemeinde in Jerusalem wird eine Kollekte vereinbart.
  • Die Missionsgebiete werden aufgeteilt: Paulus / Barnabas missionieren weiterhin die Heiden, die »Säulen« Jerusalems (Gal 2,9) missionieren unter den Juden.

 

IV. Antiochenischer Konflikt

Auch wenn Paulus die Beschlüsse des Apostelkonzils in der für ihn passenden Zuspitzung präsentiert, so kann er es sich in der Situation des Galaterbriefs nicht leisten, falsche Angaben über den Ausgang zu treffen. Dass die in Jerusalem gefundene Lösung nicht alle in der Praxis auftretenden Fragen gelöst hat, zeigt der antiochenische Zwischenfall.

Anlass des Konfliktes war die Kritik des Jakobus an der Tischgemeinschaft des Petrus mit Heidenchristen. Jakobus akzeptierte zwar die gesetzesfreie Heidenmission, sah die Judenchristen aber weiterhin an die Tora gebunden. Die Frage, wie Juden- und Heidenchristen in einer Gemeinde miteinander leben können, war auf dem Apostelkonzil mit seiner Aufteilung der Missionsgebiete offensichtlich nicht geklärt worden. Die Praxis erweist, dass zu den oben genannten zwei Positionen eine dritte hinzuzunehmen ist: Heiden können als Heiden aufgenommen werden; Judenchristen dürfen aber ihren Tora-Gehorsam nicht relativieren.

Das Einlenken des Petrus sowie des Barnabas Jakobus gegenüber irritiert Paulus und führt zum Konflikt, was wohl schließlich auch zur Trennung von Paulus und Barnabas führt. Über den Ausgang dieses Konfliktes berichtet Paulus selbst nichts, was dafür spricht, dass er sich nicht durchsetzen konnte.

Die aufgebrochenen Streitfragen werden Paulus bei seiner weiteren Missionsarbeit immer wieder einholen.

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Die selbständige Mission des Paulus

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I. »Zeit der Briefe«

Dieser Zeitraum betrifft die Zeit, aus der wir wieder viele Selbstzeugnisse des Paulus haben – seine Missionstätigkeit ist teilweise dokumentiert in seinen Briefen, in denen er Kontakt hält zu von ihm gegründeten Gemeinden. Trotz mancher Differenzen zur Apostelgeschichte können aus beiden Quellensträngen die Stationen der paulinischen Mission rekonstruiert werden, die zur Gründung von Gemeinden geführt haben: Philippi, Thessalonich, Korinth, die Gemeinden Galatiens.

 

II. Zweite und dritte Missionsreise

Die Apostelgeschichte stellt das missionarische Wirken des Paulus in Missionsreisen dar (Apg 15,36-18,22; 18,23-21,17). Wahrscheinlich dient diese Aufgliederung in Reisezyklen der Veranschaulichung des Verfassers, der damit auch auf die immer größer werdenden Kreise des paulinischen Wirkens aufmerksam machen will. Zumindest verlagert sich das Wirken des Paulus endgültig von Antiochien (Ausgangspunkt der zweiten und dritten Reise) nach Ephesus.

Die zweite Missionsreise fasst die Gemeindegründungen in Kleinasien (eventuell galatische Gemeinden) und Europa (Philippi, Thessalonich, Korinth) zusammen. In Athen scheitert der Missionsversuch. Die genannten Gemeinden auf dieser Route sind auch deshalb wichtig, weil es genau jene Orte sind, mit denen Paulus in Korrespondenz stand, wie die erhaltenen Briefe bezeugen.

Der 1Thess entsteht auf der »zweiten Reise« (in Korinth), während die anderen Briefe aus der späteren Phase stammen. Die »dritte Reise« ist geprägt von den Stationen Korinth und v.a. Ephesus, wo sich Paulus sehr lange Zeit aufhält und wahrscheinlich den Großteil seiner Briefe verfasst hat. Endpunkt dieser Reise ist Jerusalem, der Ort der Verhaftung.

 

III. Der umstrittene Heidenmissionar

Das Missionswerk des Paulus blieb umstritten. Neben innergemeindlichen Konflikten, wie sie in Korinth auftreten, sind es vor allem die bereits erwähnten Streitigkeiten um das richtige Verständnis der jüdisch-christlichen Heilsgemeinschaft. Insbesondere der Gal macht deutlich, dass von Seiten judaisierender Missionare das paulinische Missionswerk angezweifelt und gefährdet wurde. Paulus antwortet seinen Gegnern mit weit ausholenden theologischen Erörterungen zum Thema Gesetz und Rechtfertigung, die zentralen Themen insbesondere des Galater– und des Römerbriefes.

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Das Ende des Paulus

Nur noch aus der Apg kann erschlossen werden, was nach der »dritten Missionsreise« geschehen ist. Paulus wird demzufolge in Jerusalem verhaftet, nach Cäsarea überstellt, nach zweijähriger Haft nach Rom gebracht und dort wohl anfangs der 60er Jahre hingerichtet. Vom Ende des Paulus allerdings schweigt die Apg. Sie erzählt vielmehr von seinem Wirken noch während seiner Gefangenschaft und endet offen mit dem Bild der ungehinderten Verkündigung des Evangeliums. Die Nennung eines Zeitraums (»zwei Jahre«) deutet allerdings das Ende des Paulus an (s.a. 20,25.38; 21,10f).

Eindeutig ausgesprochen wird die Hinrichtung des Paulus allein in außerneutestamentlichen Schriften. Interessant ist dabei einzig die Aussage, dass Paulus anders als andere christliche Missionare enthauptet wurde. Dies kann eventuell als indirekte Bestätigung dafür dienen, dass Paulus tatsächlich das römische Bürgerrecht besaß, was zur Folge hatte, dass die grausame Hinrichtung am Kreuz an ihm nicht vollzogen werden durfte (wenn es nicht einfach abgeleitet ist aus dem Bürgerrecht, das in der Apg überliefert ist).

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