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Quellen

Die Quellen, die mit Gewinn für die historische Rückfrage heranzuziehen sind, kann man in drei Untergruppen untergliedern: (1) Evangelien und sonstige frühchristliche Schriften, (2) jüdische Quellen und (3) römische Zeugnisse.

Der Durchgang zeigt: Die kanonischen Evangelien sind die wichtigsten Quellen der Rückfrage, auch wenn sich ihr Interesse nicht auf die historische Aufarbeitung der Geschehnisse richtete, sondern in ihnen Jesus in der Perspektive des Christusbekenntnisses wahrgenommen wurde. Die jüdischen und römischen Quellen kennen diese Perspektive nicht, sind aber nicht unbedingt neutral und haben wegen des geringen Umfangs nur sehr begrenzte Bedeutung.

Inhaltsverzeichnis

Frühchristliche Quellen

Synoptische Evangelien

Die synoptischen Evangelien sind mit Abstand die wichtigsten Quellen für die historische Rückfrage nach Jesus. Aufgrund der literarischen Abhängigkeit der Evangelien (siehe hier) sind vorrangig Mk, die Logienquelle Q sowie das Sondergut von Mt und Lk auszuwerten: die jeweils ältesten zugänglichen literarischen Schichten.

 

Johannes-Evangelium

Im Vergleich zu den Synoptikern kommt dem Johannesevangelium ein wesentlich geringerer Quellenwert für die historische Rückfrage zu, denn es ist noch stärker als die ersten drei Evangelien von theologischer und christologischer Reflexion geprägt. So fehlen in ihm z.B. vollständig die Gleichnisse Jesu, die nach Mk, Mt und Lk die Verkündigung Jesu prägen und sicher auch in das Wirken des historischen Jesus gehören. Die Botschaft Jesu unterscheidet sich im JohEv so grundsätzlich von der Darstellung der Synoptiker, dass man in der historischen Rückfrage nicht beiden Modellen zugleich folgen kann. Und da das JohEv das christologische Bekenntnis noch viel konsequenter in die Erzählung vom Wirken Jesu eingebracht hat, kann die Entwicklung nur von den Synoptikern hin zu Johannes gelaufen sein, nicht umgekehrt.

In Einzelfragen zu den äußeren Daten des Lebens und Wirkens Jesu kann das JohEv aber dennoch Quellenwert besitzen.

 

Neues Testament außerhalb der Evangelien

Apg 20,35, 1Thess 4,15 und 1Kor 7,10 zitieren Worte Jesu, die auf historische Plausibilität überprüft werden können. Das Material außerhalb der Evangelien ist äußerst begrenzt und betrifft ausschließlich Worttradition. Hinweise auf das Wirken Jesu gibt es außerhalb der Evangelien im Neuen Testament nicht.

 

Agrapha

Als Agrapha bezeichnet man Jesus-Worte, die von den Kirchenvätern überliefert wurden, jedoch nicht im NT überliefert sind (daher die Bezeichnung agrapha, zu deutsch ungeschrieben). Diese sind hinsichtlich der Botschaft Jesu auszuwerten, ergänzen allerdings die historische Rückfrage nur unwesentlich.

 

Nichtkanonische Evangelien

Manche Jesusforscher schreiben den apokryphen Evangelien oder den Traditionen, die sie verarbeiten, Quellenwert für die historische Rückfrage zu. Sieht man von Extrempositionen ab (z.B. John Dominic Crossan), beschränkt sich die Diskussion fast ausschließlich auf das Thomas-Evangelium. Es kann aber schon aufgrund des begrenzten Materials in der historischen Rückfrage mit den synoptischen Evangelien nicht konkurrieren.

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Jüdische Quellen

Flavius Josephus

Auf den jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus geht das sog. flavianische Zeugnis in Ant. XVIII 63f/3,3 zurück, das Wirken Jesu, Jüngerschaft, Tod unter Pontius Pilatus und Entstehen der Christengemeinde bestätigt.

Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch, wenn man ihn denn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er vollbrachte nämlich ganz erstaunliche Taten und war Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen. So zog er viele Juden und auch viele Heiden an sich. Er war der Messias. Und obwohl ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Denn er erschien ihnen am dritten Tage wieder lebend, wie gottgesandte Propheten dies und tausend andere wunderbare Dinge von ihm vorherverkündigt hatten. Und noch bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm nennen, fort.

In dieser Form ist der Text ein Bekenntnis zu Jesus Christus, das unmöglich von Josephus stammen kann. Deshalb wurde häufig die ganze Passage als Einschub gewertet, im Zuge der handschriftlichen Überlieferung von christlichen Schreibern eingetragen. Nimmt man aber die fettgesetzten Passagen heraus, ergibt sich eine Fassung, die Josephus zugeschrieben werden kann:

Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch. Er vollbrachte nämlich ganz erstaunliche Taten und war Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen. So zog er viele Juden und auch viele Heiden an sich. Und obwohl ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Und noch bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm nennen, fort.

Die Formulierungen unterscheiden sich in einigen Punkten vom üblichen urchristlichen Sprachspiel. Auch passt die Passage insofern zu Josephus, als er in seinem Werk mehrere Bewegungen beschreibt, die mit dem Tod des Anführers endgültig zerschlagen waren. Dass eigens erwähnt wird, die Anhängerschaft Jesu habe über dessen Tod hinaus bestanden, lässt sich also gerade für Josephus gut erklären, weniger gut für einen christlichen Interpolator.

Außerdem lässt sich eine kurze Notiz in Ant. XX 200/9,1 auswerten: Der Hohepriester Hannas II. ließ Jakobus, »den Bruder Jesu, des sogenannten Christus« hinrichten. Josephus bietet keine nähere Erläuterung zu Jesus. Dies wäre schwer erklärlich, wenn er an dieser Stelle zum ersten Mal von Jesus sprechen würde – ein Argument für die Ursprünglichkeit der Passage in Buch XVIII.

 

Rabbinische Texte

In rabbinischen Texten finden sich Auseinandersetzungen mit dem entstehenden Christentum. Sie erklären die Spaltung des Christentums vom Judentum, geben aber keine historisch auswertbaren Hinweise, die unser Wissen über den historischen Jesus erweitern würden.

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Römische Quellen

Außer in christlichen und jüdischen Quellen wird Jesus vereinzelt auch in Schriften römischer Autoren aus dem frühen 2. Jahrhundert erwähnt. Der Wert für die historische Frage ist insofern nicht unerheblich, als damit die Existenz Jesu aus außerchristlichen Quellen bestätigt wird. Allerdings ist deren Informationsgehalt sehr beschränkt.

 

Tacitus, Annalen (um 116/117) 15,44

Im Zusammenhang mit dem Brand Roms erwähnt Tacitus das Vorgehen Neros gegen die Christen:

Keine menschliche Anstrengung, keine Spenden des Herrschers, keine Sühnezeremonien für die Götter verscheuchten den Verdacht, es habe auf Befehl gebrannt. Um das Gerücht aus der Welt zu schaffen, schob er (Nero) die Schuld auf andere und verhängte die ausgesuchtesten Strafen über die wegen ihrer Verbrechen Verhassten, die das Volk »Chrestianer« nannte. Der Urheber dieses Namens (Chrestianer) ist Chrestus, der unter Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war. Dieser verderbliche Aberglaube war für den Augenblick unterdrückt worden, trat aber später wieder hervor und verbreitete sich nicht nur in Judäa, wo er aufgekommen war, sondern auch in Rom, wo alle Gräuel und Abscheulichkeiten der ganzen Welt zusammenströmen und geübt werden.

Tacitus weiß von der Existenz des Christentums im Rom der 60er Jahre des 1. Jh. n.Chr.; ihm ist bekannt, dass sich diese religiöse Bewegung auf einen »Christus« berief – von Tacitus offensichtlich als Eigennamen verstanden; er weiß von dessen Hinrichtung unter Pontius Pilatus und Judäa als Ursprungsland des Christentums. Seine Kenntnis von Jesus geht also nicht über das hinaus, was man überall erfahren konnte, wo es Christen gab.

 

Sueton, De vita Caesarum (um 120 n. Chr.) Kap. 25,4

Sueton erwähnt ein Edikt des Kaisers Claudius aus dem Jahr 49:

»Claudius vertrieb die Juden, die auf Anstiftung des Chrestus Tumult stifteten, aus Rom.«

Wahrscheinlich stehen im Hintergrund dieser Notiz Auseinandersetzungen zwischen Juden und Christen aufgrund der Christusverkündigung. Sueton hat aber keine genaue Vorstellung von den Ereignissen und Hintergründen, da er sich »Chrestos« zur Zeit des Claudius in Rom vorstellt.

Dass Jesus von Nazaret in römischen Quellen so wenig Spuren hinterlassen hat, ist nicht überraschend. Aus römischer Sicht ist die Hinrichtung eines Provinzialen durch einen römischen Statthalter am Rande des Imperium Romanum kein Sachverhalt, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Deshalb stoßen wir bei römischen Autoren auf Jesus auch nur in Zusammenhängen, in die christliche Gemeinden involviert waren, also im Rahmen der Wirkungsgeschichte Jesu.

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