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Methodische Vorüberlegungen

Angesichts des Charakters der wichtigsten Quellen als Glaubenszeugnisse sind Kriterien nötig, um eine methodisch kontrollierte Rückfrage zu ermöglichen. Die wichtigsten Kriterien seien hier kurz vorgestellt.

Inhaltsverzeichnis

Drei klassische Kriterien

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I. Kriterium der Unähnlichkeit (»Differenzkriterium«)

  • Es hebt darauf ab, dass überlieferte Worte oder Taten Jesu dann auf den Jesus der Geschichte zurückgehen, wenn sie weder aus dem Judentum abzuleiten noch dem Urchristentum zuzuschreiben sind (Beispiel: die Stellung zum Fasten). Die klassische Formulierung findet sich bei Ernst Käsemann:

»Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann.«

  • Eine besonders starke Form von Differenz liegt vor, wenn Überlieferungen dem Glauben an den erhöhten Christus zuwiderlaufen oder die Position in Auseinandersetzung mit Gegnern schwächen (Kriterium der »Verlegenheit«; Beispiel: Taufe Jesu).
  • Nachteil: Es kann nur ein Minimalbestand erhoben werden. Alles das, was Jesus mit dem Judentum oder das Urchristentum mit Jesus verbindet, fällt ja definitionsgemäß unter den Tisch. 
  • Das Differenzkriterium ist ein Einstiegskriterium: Es soll eine verlässliche Basis für die Rekonstruktion bieten. Keinesfalls kann es als Ausschlusskriterium dienen, d.h.: Es kann nicht dazu eingesetzt werden, bestimmte Traditionen als unjesuanisch auszuschließen, weil sie in Übereinstimmung mit Judentum und/oder Urchristentum stehen.

II. Das Kriterium der vielfachen Bezeugung

Worte oder Taten Jesu können dann recht sicher auf den historischen Jesus zurückgeführt werden, wenn sie in verschiedenen Gattungen überliefert sind oder in Quellen erscheinen, die voneinander literarisch unabhängig sind (Beispiel: »Reich Gottes« als Zentralbegriff der Botschaft Jesu; Auseinandersetzung um den Sinn der Exorzismen in Mk 3,22-26 und Q11,14-23).

III. Kriterium der Kohärenz

Worte und Taten Jesu, die sich gut in den Rahmen einpassen, der mit Hilfe der ersten beiden Kriterien erhoben ist, können historische Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen, etwa Sprüche über das Kommen der Gottesherrschaft oder Auseinandersetzungen um die Auslegung der Tora.

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Das »historische Plausibilitätskriterium«

In der neueren Forschung hat Gerd Theißen versucht, die in der dritten Runde der Rückfrage entwickelten Kriterien im »historischen Plausibilitätskriterium« in ein methodisches System zu bündeln.

Das »historische Plausibilitätskriterium« besteht aus vier Elementen, von denen, wie in einem Koordinatensystem, jeweils zwei aufeinander bezogen werden. Auf der einen Seite stehen Kontextplausibilität (bezogen auf das Verhältnis Jesu zu seiner jüdischen Umwelt) und Wirkungsplausibilität (bezogen auf das Verhältnis Jesu zum Urchristentum). Zu beiden Größen tritt Jesus in eine doppelte Beziehung: er stimmt in manchem mit ihnen überein, und in manchem stimmt er nicht überein. Ein Gesamtbild des historischen Jesus muss also

  • mit dem Judentum im Galiläa des 1. Jh. vereinbar sein (Kontextentsprechung); zugleich muss Jesus innerhalb dieses Rahmens als individuelle Erscheinung unterscheidbar sein (kontextuelle Individualität). Ein Gesamtbild muss außerdem
  • die Nachwirkung Jesu im Urchristentum erklären können. Übereinstimmungen in unterschiedlichen Überlieferungen, Traditionsschichten und Gattungen sind angesichts der Pluralität im Urchristentum am besten auf Jesus zurückzuführen (Quellenkohärenz); dasselbe gilt für die Traditionen, die den spezifisch urchristlichen Interessen widerstreiten und dennoch überliefert werden (Tendenzwidrigkeit)
  Übereinstimmung Nicht-Übereinstimmung
historische Wirkungsplausibilität

(Jesus und das Urchristentum)

Quellenkohärenz

  • Querschnittsbeweis

  • Gattungsinvarianz

  • Mehrfachbezeugung

Tendenzwidrigkeit

historische Kontextplausibilität

(Jesus und das Judentum)

kontextuelle Korrespondenz

kontextuelle Individualität

  • Vergleichsprofil

  • Besonderheitsindizien

  • individuelle Komplexität

 Das »historische Plausibilitätskriterium« systematisiert auf beeindruckende Weise die Kriterien der Rückfrage. Es überwindet aber das Differenzkriterium nicht. Dieses erscheint unter den Namen von »Tendenzwidrigkeit« und »kontextueller Individualität«. Auch sonst begegnen alte Bekannte unter neuem Namen: die Kriterien der mehrfachen Bezeugung und der Kohärenz unter den verschiedenen Aspekten der »Quellenkohärenz«.

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