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Jesu Botschaft vom Reich Gottes

Inhaltsverzeichnis

Der Zuspruch der Gottesherrschaft – Jesu Vergebungsbotschaft

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I. Zum Begriff

Die Rede von der Gottesherrschaft Jesu steht im Zentrum der Verkündigung Jesu und ist Grundlage für das Verständnis seines Wirkens. Das griechische Wort basileia kann sowohl mit »Königsherrschaft« als auch mit »Königreich« übersetzt werden. Beide Aspekte lassen sich in der Jesustradition erkennen: Zum einen geht es darum, dass Gott seine Herrschaft aufrichtet; zum andern gibt es aber auch Sprüche, die eine räumliche Dimension voraussetzen (»eingehen in die Basileia«). Um den Begriff offen zu halten, wird in der exegetischen Literatur häufig das griechische Wort in Umschrift verwendet.

 

II. Der Grundzug

Jesus verkündet den Anbruch der Herrschaft Gottes in der Welt als heilvolle, liebende Zuwendung Gottes zu den Menschen – ein Gnadenangebot, das an keine menschliche Vorleistung gebunden ist. Entgegen anderen Endzeitvorstellungen steht nicht das strafende Gericht Gottes als Drohung im Vordergrund (vgl. Johannes der Täufer), sondern der Zuspruch des Heilswillen Gottes. Besonders deutlich wird dieser Grundzug der Botschaft Jesu in der Zuwendung zu den Sündern: Wenn Gott seine Herrschaft in Israel aufrichtet, dann bedeutet dies, dass er alle annimmt und die Grenze zwischen Sündern und Frommen nicht mehr zählt. Die an den Rändern des Gottesvolkes werden in die Mitte zurückgeholt.

Das Anstößige der Vergebungsbotschaft Jesu wird heute oft überspielt, weil man die »Sünder« meist im Zusammenhang sozialer Desintegration versteht: Randexistenzen der Gesellschaft (»Ausgegrenzte«), denen eigentlich nichts vorzuwerfen ist, jedenfalls nichts Gravierendes. Dies ist im Blick auf die »Zöllner« kaum treffend. Nimmt man das Wort »Sünder« einmal ernst, wird das Provokative der Botschaft Jesu vielleicht deutlicher und man versteht, dass Jesus für die Akzeptanz seiner Botschaft werben musste.

 

III. Sündenvergebung: traditionsgeschichtliche Einordnung

Sündenvergebung als Kennzeichen der Endzeit

Dass Sündenvergebung im Zentrum der Basileia-Botschaft steht, lässt sich insofern in die atl-jüdische Tradition einzeichnen, als Sündenvergebung zu den Kennzeichen der Endzeit gehört – am markantesten in der prophetischen Literatur wohl in der Verheißung des Neuen Bundes in Jer 31,31–34. Diese Verheißung schließt mit Gottes Zusage: »Ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken« (Jer 31,34; s.a. Micha 7,19; Ps 130,8; Ez 16,63 [ebenfalls im Kontext des Bundes]; Hos 14,5; Dan 9,24 u.a.m.).

 

Sündenvergebung als Privileg Gottes

Dabei ist die Sündenvergebung alleiniges Werk Gottes. Endzeitlichen Gestalten wird die Vollmacht zur Sündenvergebung nicht zugeschrieben. Auch die Umkehrtaufe Johannes des Täufers zur Vergebung der Sünden (Mk 1,4; Lk 3,3) wahrt dieses Privileg Gottes: Nicht der Täufer gewährt Sündenvergebung. Auch Jesus erhebt in seiner Basileia-Botschaft nicht den Anspruch, eine solche Vollmacht zu haben. In Mk 2,10 ( »Damit ihr seht, dass der Menschensohn Vollmacht hat, auf der Erde Sünden nachzulassen … «) zeigt sich urkirchliche Christologie. Die Aussage, an der sich die Schriftgelehrten stoßen (2,6), hatte einen solchen Anspruch gar nicht formuliert: »Nachgelassen sind deine Sünden« (2,5) – mit diesem Satz spricht Jesus die Vergebung Gottes zu (passivum divinum).

 

Sündenvergebung und Kult

Abseits endzeitlicher Vorstellungen ist Sündenvergebung zur Zeit Jesu in erster Linie kultisch vermittelt. Die Ausführung von Sühneriten am Tempel schafft die Voraussetzung für die Sündenvergebung durch Gott. Das Ritual bedeutet nicht Selbsterlösung des Menschen; auch in diesem Rahmen ist das genannte Privileg Gottes gewahrt. Die Verbindung von Kult und Sündenvergebung macht deutlich, dass für die priesterliche Theologie der ordnungsgemäß ausgeübte Kult keine Nebensächlichkeit war. So passt es ins Bild, dass der für Jesus tödliche Konflikt in Jerusalem im Wesentlichen um die Bedeutung des Tempels geführt wurde.

 

IV. Entfaltung der Vergebungsbotschaft in Tat und Wort

Zusage der Vergebung Gottes in der Gemeinschaft mit Sündern

Wenn Jesus die Gemeinschaft mit Sündern sucht, illustriert er die Voraussetzungslosigkeit der Liebe Gottes. Entscheidend ist also der theologische Bezug. Es geht primär nicht um Integration sozialer Randgruppen – obwohl dies sicher zu den Konsequenzen der Verkündigung Jesu gehört. Im Vordergrund aber steht eine Botschaft von Gott und dessen Verhältnis zu den Menschen. Die Gemeinschaft Jesu mit Sündern ist nur recht verstanden, wenn man sie als Ausdruck seiner Gottesverkündigung begreift. Nur so wird auch der Widerspruch verständlich, der sich gegen die Nähe Jesu zu Sündern erhebt.

So gibt in Mk 2,15-17 nicht die bloße Gemeinschaft von Sündern Anlass zur Kritik. Offensichtlich ist Jesus ja aus seinen Tischgenossen herausgehoben: Er wird kritisiert, nicht die ganze versammelte Runde. Anstößig ist das Verhalten Jesu nur, wenn man berücksichtigt, dass er als Bote Gottes handelt und Gemeinschaft mit Sündern eingeht.

Für die Kritiker steht auf dem Spiel, dass der Unterschied zwischen Sündern und Frommen verwischt wird, wenn man den Sündern Gottes Nähe zusagt wie es Jesus tut. Für Jesus kommt es umgekehrt gerade darauf an, diese Unterschiede angesichts der Gottesherrschaft für unwesentlich zu erklären. Gott will sein ganzes Volk sammeln und keinen ausschließen. Diese von Gott ausgehende Integration demonstriert Jesus durch seine Nähe zu den »Sündern«.

 

»Freund der Zöllner und Sünder«

Offensichtlich war die Nähe Jesu zu den Sündern auch charakteristisch für sein Auftreten. In Mt 11,19 (par Lk 7,34) wird eine Bezeichnung Jesu zitiert: »Freund der Zöllner und Sünder«. Dies ist, gerade in der Zusammenstellung mit »Fresser und Weinsäufer«, nicht auf die Gemeinde nach Ostern zurückzuführen, sondern gibt Vorwürfe aus dem Wirken Jesu wieder.

In der Überlieferung der Evangelien gibt es einzelne Geschichten, in denen die Vergebungsbotschaft Jesu inszeniert ist. Es ist fraglich, ob diese Erzählungen einen konkreten historischen Haftpunkt haben; doch spiegelt sich in ihnen zutreffend ein Grundzug des Wirkens Jesu:

  • Jesus und der Sünderin (Lk 7,36–50)
  • Heilung eines Gelähmten (Mk 2,1-12)
  • Jesus zu Gast bei Zachäus (Lk 19,1-10)
  • Jesus und die Ehebrecherin (Joh 7,53-8,11).

 

Entfaltung und Rechtfertigung der Vergebungsbotschaft in Gleichnissen

Die Anstößigkeit der Vergebungsbotschaft Jesu zeigt sich nicht nur im Protest, der sich gegen Jesu Gemeinschaft mit Sündern erhob. Sie spiegelt sich auch in Gleichnissen, mit denen Jesus seine Verkündigung vom zuvorkommend gütigen Gott gerechtfertigt und für sie geworben hat.

Da die Gleichnisse vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) und von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) an anderer Stelle ausführlich besprochen sind, soll hier der Hinweis genügen.

 

V. Biographische Verortung?

Wie kam Jesus zu der Verkündigung, die Gottes zuvorkommende Liebe, seine Vergebung ins Zentrum stellte?  Vor seinem öffentlichen Wirken hatte Jesus die anders gelagerte Gottesbotschaft des Täufers akzeptiert. Wie kam es zur Wende? Tauf- oder Versuchungsgeschichte können die Frage nicht beantworten, sie sind zu sehr christologisch geprägt.

Es gibt in der ganzen Jesus-Tradition nur einen Spruch, der einen Hinweis auf so etwas wie ein Berufungserlebnis Jesu geben könnte.

►»Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen« (Lk 10,18).

Dass Satan im Himmel vorausgesetzt ist, lässt sich von zwei Vorstellungen her erklären.

  • Die Apokalyptik kannte den Gedanken, dass sich himmlisches und irdisches Geschehen entsprechen. Der Sturz Satans aus dem Himmel zeigt seine Niederlage an, das Reich Gottes wird sich jetzt auch auf der Erde durchsetzen. So erklärt sich der für Jesus kennzeichnende Akzent, dass die Basileia bereits gegenwärtig ist (siehe unter III.).
  • Satan gilt auch als Ankläger der Menschen, der die Verfehlungen der Menschen vor Gott wachhält (Ijob 1,6-12; Sach 3,1f; s.a. Offb 12,10). Wenn er in dieser Funktion entmachtet ist, dann folgt daraus: Die Herrschaft Gottes kann so zu den Menschen gelangen, dass nicht mehr ihre Verfehlungen zwischen ihnen und Gott stehen.

Das Wort in Lk 10,18 gibt solche konkreteren Hintergrundvorstellungen nicht zu erkennen. Dennoch ist die Rekonstruktion insofern sinnvoll, als sie zwei zentrale und charakteristische Merkmale der Botschaft Jesu erklären könnte.

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Der Anspruch der Gottesherrschaft

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I. Indikativ vor Imperativ

Diese Zuwendung Gottes zu den Menschen (siehe hier) fordert eine Antwort der Menschen, die sich in der Umkehr von den Sünden zeigt. Dies ist freilich der zweite Schritt. Die Liebe Gottes geht dem menschlichen Tun voraus; Jesus verkündet die Annahme des Sünders durch Gott, aus der sich die Umkehr als Konsequenz ergibt. Diesen Grundzug kann man in die Formel fassen: »Indikativ vor Imperativ«, d.h. Heilszusage vor der Forderung.

 

II. Das Gleichnis vom unbarmherzigen Schuldner (Mt 18,23-35)

Umfang und Aufbau

Dieses Gleichnis illustriert den zuletzt genannten Zusammenhang. Die eigentliche Gleichniserzählung endet in V. 34, danach folgt eine Anwendung – häufig eine sekundäre Zutat in Gleichnissen. Dass auch der tragische Schluss (»der Herr übergab ihn den Folterknechten«) nicht ursprünglich sei, lässt sich literarisch nicht begründen.

  • Wenn der König noch einmal auftritt, dann ist erzählerisch eine Reaktion gefordert, die über die rhetorische Frage in V. 33 hinausgeht. So scheint eine Abtrennung von V. 34 vor allem darin begründet zu sein, dass man Jesus die Rede vom Gericht in dieser harten Form nicht zutraut oder nicht zusprechen will.

Die Erzählung ist deutlich in drei Teile gegliedert, die durch den Wechsel des Ortes und der Personen angezeigt sind.

  •  Die erste Szene (V. 23-27) führt den König als Gläubiger ein, der im Rahmen einer grundlegenden Abrechnung auf einen Schuldner trifft, dessen riesige Schuld er schließlich erlässt.
  • In der zweiten Szene (V. 28-30) tritt der Knecht, dem gerade die Schuld erlassen wurde, nun seinerseits als Gläubiger auf, der aber auf der Einklagung der Schulden beharrt.
  • In der dritten Szene (V. 31-34) wird der erste Knecht nun wieder in der Rolle des (begnadigten) Schuldners seinem ehemaligen Gläubiger vorgeführt.

 

Bildebene

Die ersten beiden Szenen sind sorgfältig aufeinander abgestimmt. In der ersten erhält ein Knecht, der mit einer unvorstellbar hohen Summe in der Kreide steht, überraschend einen Schuldenerlass. In der zweiten Szene findet ein Rollenwechsel statt: Der ehemalige Schuldner tritt nun als Gläubiger auf, allerdings in einem wesentlich unbedeutenderen Fall (100 Denare). Ein anderer Knecht erscheint in der Rolle des Schuldners – und verhält sich genauso wie der erste Knecht in der Szene zuvor (vgl. V. 29 mit V. 26).

Dennoch ist dessen Reaktion ganz anders als die des Königs; er lässt seinen Mitknecht in Schuldhaft werfen. Deutlich sind die beiden Szenen so erzählt, dass die Hörer den Schluss ziehen: Dieses Verhalten ist unerhört. So werden sie vorbereitet auf die Reaktion des Königs, der seinen Schuldenerlass zurücknimmt. Als Pointe ergibt sich:

►Der selbst (in überreichem Maß) erfahrene Schuldenerlass muss zu ebensolchem Verhalten einem Schuldner gegenüber führen, sonst erfolgt die Rücknahme des Erlasses.

 

Sachebene

Diese Pointe lässt sich beziehen auf die Verkündigung Jesu vom zuvorkommend gütigen Gott, der den Menschen ihre Verfehlungen vergibt. Der Annahme durch Gott muss aber auch ein ebensolches Verhalten den Mitmenschen gegenüber entsprechen: Umkehr ist die notwendige Konsequenz, sonst droht die Rücknahme der gnädigen Zuwendung Gottes.

 

III. Gerichtsmahnung

Die zwei Dimensionen des Gerichts

Auch in anderen Zusammenhängen als dem gerade besprochenen Gleichnis ist in der Jesustradition die Rede vom Gericht, und dies nicht nur vereinzelt. Das Thema ist zu häufig belegt, als dass man es aus der Verkündigung Jesu heraushalten könnte. Grundsätzlich kommt das Gericht in zwei Dimensionen zum Tragen:

  • im Zusammenhang verweigerter Umkehr wie im Gleichnis vom unbarmherzigen Schuldner;
  • als Kehrseite des Heilsangebotes: Wer sich diesem Angebot verweigert, zieht sich das Gericht zu, schließt sich aus von der Rettung durch Gott.

 

Gerichtsworte als Mahnung

Gerichtsworte beschreiben keine künftigen Abläufe. Wenn die Rede ist vom Hinauswerfen in die äußerste Finsternis, von Heulen und Zähneknirschen, in Stücke reißen, unauslöschlichem Feuer o.ä., werden Bilder verwendet, die den Ernst der Lage vor Augen führen sollen. Gerichtsaussagen wollen in erster Linie mahnen. Pointiert könnte man formulieren: Gerichtsaussagen werden getroffen, um zu vermeiden, dass das geschieht, wovon sie handeln. Sie rufen die Hörer dazu auf, alles zu tun, damit das Gericht nicht eintritt.

Dies wird besonders deutlich, wenn man einmal das Neue Testament im Ganzen in den Blick nimmt. Wenn man die Gerichtsaussagen unter dem Aspekt künftiger Ereignisse betrachtet, lassen sie sich gar nicht miteinander vereinbaren. Zu unterschiedlich sind die Szenarien.

  • Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Die Ereignisse vor der Wiederkunft Christi schließen in manchen Texten Katastrophen im Sinne apokalyptischer Tradition ein; andere dagegen verzichten darauf. Paulus weiß nichts von »endzeitlichen Wehen«, wenn er auf die Vollendung in der (nahen) Zukunft blickt. In Mk 13,24-27 dagegen hören wir von kosmischen Katastrophen, dem Verfinstern von Sonne und Mond, dem Herabfallen der Sterne, zuvor schon von Kriegen und Hungersnöten. Solche Widersprüche auf der »Geschehensebene« können auch innerhalb ein und derselben Schrift begegnen.

Man kann also nicht aus den ntl Gerichtstexten folgern, es müsse, weil in ihnen davon die Rede ist, einen Unheilsort und Verdammte geben. Diese Frage bleibt theologisch offen. Die Hölle kann leer sein, auch wenn in Mt 25,31-46 von denen die Rede ist, die ins »ewige Feuer« gehen.

 

IV. Inhaltliche Entfaltung der Umkehrforderung

Was Umkehr näherhin für das Handeln bedeutet, wird in jenen Stoffen entfaltet, die auf das Handeln der Jesusjünger zielen. Da dies an anderer Stelle ausführlich besporchen wird, genügt hier der Hinweis.

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Zeitliche Dimensionen

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I. Eine nicht aufhebbare Spannung

In der Reich-Gottes-Verkündigung der Evangelien kommen zwei aufeinander zugeordnete zeitliche Dimensionen zum Tragen. Einerseits steht die Gegenwärtigkeit im Mittelpunkt:

  • Das Reich Gottes ist bereits Realität und nicht erst für eine ferne Zukunft zu erwarten.
  • Dennoch bleibt der Vorbehalt einer erst künftigen Vollendung des Reiches Gottes.

Diese Spannung von »schon und noch nicht« prägt die Aussagen zur Basileia in der Jesustradition. Sie lässt sich nicht dadurch auflösen, dass nur eine der beiden zeitlichen Dimensionen für jesuanisch gehalten wird.

 

II. Die Gegenwärtigkeit der Basileia

In verschiedenen Zusammenhängen begegnet der Gedanke, dass die Basileia als schon gegenwärtige Größe im Blick ist. Am häufigsten wird auf Lk 11,20par verwiesen.

»Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen«.

Das für »kommen« verwendete griechische Wort (φθάνειν/phthanein) meint nicht nur »nahe herbeikommen«, sondern »hingelangen, heranreichen, einholen«. Die Gegenwart ist also schon durch Gottes Reich bestimmt. Es ist aus der Welt Gottes zu den Hörern gelangt. Zeichen dafür sind die Dämonenaustreibungen, die Jesus wirkt. In ihnen wirkt sich die Entmachtung Satans aus, er muss seine Beute, die von bösen Geistern besetzten Menschen, herausrücken.

Weitere Belege für diese zeitliche Dimension:

  • Das Bildwort von der Bindung des Starken: Der Sieg über Satan gehört in die Vorstellung der vollendeten Basileia Gottes (Mk 3,27).
  • Die Seligpreisung der Augenzeugen des Wirkens Jesu in Mt 13,16f/Lk 10,23 bezeugt den Gedanken, dass die erwartete Heilszeit gekommen ist.
  • Der »Stürmerspruch« (Mt 11,12f par), im Detail äußerst schwierig zu deuten, spricht in jedem Fall davon, dass die Basileia gegenwärtig ist.
  • Lk 17,21 (das Gottesreich ist »mitten unter euch«) zielt wohl darauf, dass die Basileia im Erfahrungsbereich der Hörer liegt (B. Heininger).

 

III. Künftige Vollendung

Beispiele

In der Jesusüberlieferung begegnen auch Aussagen, in denen von der Basileia im Blick auf die Zukunft gesprochen wird.

  • Im Gebet, das Jesus seinen Jüngern gegeben hat, richtet sich eine Bitte auf das Kommen des Reiches (Lk 11,2/Mt 6,10)
  • Die Seligpreisungen können neben der präsentischen Dimension (»ihnen gehört das Reich Gottes«) im Nachsatz auch auf die Zukunft blicken (»werden getröstet werden«/»werden gesättigt werden«). Hier stoßen also beide zeitliche Dimensionen unmittelbar aufeinander.
  • In Lk 13,28f/Mt 8,11f ist ein Wort überliefert, in dem Jesus die Erwartung der endzeitlichen Völkerwallfahrt zum Zion aufgreift und auf die Basileia-Verkündigung anwendet.
  • Einen Ausblick in die eigene Zukunft angesichts des drohenden Todes unternimmt Jesus im endzeitlichen Abendmahlswort (Mk 14,25), dem so genannten eschatologischen Ausblick.

 

Das Bild vom Mahl

Die Jesustradition kennt keine genaueren Vorstellungen über die Gestalt der vollendeten Gottesherrschaft. Von der Traditionsgeschichte des Begriffs her ist es ausgeschlossen, an ein jenseitiges Reich zu denken, in das die Frommen nach ihrem Tod gelangen. Zwar gibt es durchaus transzendente Vorstellungen, sie sind aber nicht individuell ausgerichtet. Von welchen Vorstellungen Jesus geleitet war, lässt die Überlieferung nicht mehr erkennen. Wir finden Bilder, die sicher keine Beschreibung des künftigen Zustandes sein sollen. Relativ häufig begegnet das Bild vom endzeitlichen Mahl, das aber sehr zurückhaltend bleibt und nicht ausgemalt wird.

 

IV. Entfaltung in Gleichnissen

Dass die endzeitliche Herrschaft Gottes bereits angebrochen sei, war kein Gedanke, der sich den Hörern leicht erschlossen hätte. Denn die Heilsverheißungen, die sich mit der Basileia Gottes verbanden, schienen ja keineswegs eingelöst. Die besondere Herausforderung Jesu an seine Adressaten bestand darin, trotz der immer noch notvollen Gegenwart an den Anbruch des Gottesreiches zu glauben. Manche Gleichnisse können diesem Anliegen zugeordnet werden.

 

Das Gleichnis vom Sämann (Mk 4,3-8parr)

Auf der Bildebene ergibt sich grundsätzlich das Erzählgefälle: Misserfolg und Erfolg beim Säen stehen einander gegenüber. Auf zahlenmäßige Verhältnisse ist nur am Schluss, beim Ernteertrag abgehoben. Es wird also nicht gesagt, dass die Menge des Saatguts, die verloren geht, größer sei als die Frucht bringende.

Der Kontrast von Misserfolg und Erfolg hat eine zeitliche Dimension, begründet in der Spanne von Aussaat und Frucht. Dies gilt aufgrund des gewählten Bildfeldes, auch wenn die zeitliche Dimension nicht unmittelbar im Gleichnis ausgesagt ist. Die Pointe lässt sich folgendermaßen formulieren:

Bei der Aussaat geht zwar manches Saatgut verloren, dennoch führt sie schließlich zum Erfolg, denn ein Teil fällt auf guten Boden und bringt Frucht.

Auf der Sachebene, im Rahmen der Gottesreichverkündigung Jesu, könnte die Geschichte auf eine Anfrage an die Botschaft Jesu antworten. Diese Frage lautet: Woran ist denn der Anbruch der Gottesherrschaft zu erkennen? Wie steht es mit den großartigen Heilsverheißungen, die mit der Aufrichtung von Jahwes Herrschaft verbunden waren? Ist die Welt nicht noch genauso, wie sie zuvor war?

Wie die Aussaat von zahlreichen Bedrohungen begleitet wird, die nach Misserfolg aussehen, schließlich aber zum erfolgreichen Ende führt, so ist es mit der Gottesherrschaft: In ihrem Anbruch ist trotz der noch bescheidenen Realität die Vollendung verbürgt.

 

Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32parr)

Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkörner nicht zum ursprünglichen Gleichnis gehört. Doch könnte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen. Geht man also von der Vertrautheit der Hörer mit den erzählten Verhältnissen aus, dann ergibt sich auf der Bildebene ein Kontrast durch die Fortsetzung. Pointe:

Aus dem kleinsten Samenkorn wird, wenn es ausgesät ist, die größte Gemüsepflanze.

Auf der Sachebene kann man dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und großartigem Ende ohne Schwierigkeiten einen Ort zuweisen. Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen? Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis: Wie es zu einem großen Gewächs wird, wenn es einmal ausgesät ist, so ist es auch mit der Gottesherrschaft: Trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang, in ihrem Anbruch, den Jesus verkündet, das großartige Ende verbürgt.

 

Das Gleichnis vom Sauerteig (Mt 13,33par)

Auffälligerweise wird auf der Bildebene nicht davon gesprochen, dass der Sauerteig mit dem Mehl (und mit Wasser) verrührt wird. Stattdessen heißt es: Sie nahm und verbarg den Sauerteig. Daraus ergibt sich eine doppelte Folgerung:

  • Es soll nicht die Tätigkeit der Frau betont werden. Nicht ihr Anteil am Vorgang des Brotbackens interessiert, sondern was durch die Zugabe von Sauerteig in Gang gesetzt wird.
  • Die Zubereitung eines Brotes ist so geschildert, dass das Wirken des Sauerteigs als verborgenes Wirken in den Blick kommt.

Nach dem Verbergen des Sauerteigs geht der Blick gleich auf das Ende des Vorgangs der Durchsäuerung: »… bis es ganz durchsäuert war.« Damit ist zwar eine Entwicklung beschrieben; aber an dieser Entwicklung interessiert allein das Ende. Als Pointe ergibt sich:

Sauerteig, unter Mehl gemischt, führt auf verborgene Weise dazu, dass der ganze Teig durchsäuert wird.

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Botschaft für Israel

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I. Die Sammlung ganz Israels

Bereits bei der Kennzeichnung der Basileia-Botschaft als Vergebungsbotschaft hat sich gezeigt, dass die Öffnung zu den Sündern der Sammlung Israels dient. Wer am Rand steht oder ausgeschlossen scheint, soll wieder in die Mitte des Gottesvolkes zurückfinden. Diese Ausrichtung auf ganz Israel wird besonders profiliert durch die Berufung von Jüngern bzw. der Zwölf. Beide Größen, der weitere Kreis von Jüngern wie auch die Gruppe der Zwölf, haben besondere Bedeutung für diesen Anspruch auf ganz Israel (Näheres dazu unter Nachfolge und Jüngerschaft). Die Vorstellung vom »Heiligen Rest«, in dem allein noch das Gottesvolk verwirklicht ist, hat in Jesu Botschaft keinen Platz.

Allerdings stellt sich die Frage, ob die Sammlung Israels nicht doch exklusiven Charakter hat – im Blick auf die Heiden. Die Frage ist in einem ersten Schritt eindeutig zu bejahen; in einem zweiten Schritt muss dies aber etwas relativiert werden.

 

II. Der Vorbehalt gegenüber Heiden

Jesus hat nicht unter den Heiden gewirkt und seine Botschaft nicht an sie gerichtet. Möglicherweise hat Jesus die Grenzen des Landes Israel verlassen. In den synoptischen Evangelien ist das Wirken in Tyrus und Sidon, Gerasa und Caesarea Philippi erwähnt, also außerhalb des jüdischen Siedlungsgebiets. Sollte Jesus tatsächlich dort gewirkt haben, dann hat er sich wahrscheinlich an die dort als Minderheit lebende jüdische Bevölkerung gewandt.

Gerade im Zusammenhang mit Tyrus und Sidon ist eine Erzählung überliefert, die die Beschränkung auf Israel bezeugt. Zunächst schlägt Jesus die Bitte einer heidnischen Frau um Heilung ihrer Tochter ab, weil es nicht recht sei, den Kindern das Brot zu nehmen und es den Hunden zu geben (Mk 7,27). Hier werden im Bild deutlich negative jüdische Urteile über die Heiden umgesetzt. Erst die Schlagfertigkeit der Frau bringt Jesus zur Sinnesänderung (»auch die Hunde erhalten von dem, was unter die Tische fällt«: 7,28).

Unabhängig von der Frage, ob diese Episode einen konkreten historischen Haftpunkt im Wirken Jesu hat, ist festzustellen: es gibt keine Traditionen, in denen Jesus vorbehaltlos seine Botschaft an Heiden gerichtet hätte. Denn diese wären im Laufe der Überlieferung nach Ostern mit der Öffnung zur Heidenmission sicher nicht verloren gegangen. So gibt es tatsächlich nur eine Geschichte, die Jesus vorbehaltlos unter Heiden wirken lässt: die vom Besessenen von Gerasa (Mk 5,1-20).

Auch die Begegnung Jesu mit dem Hauptmann von Kapharnaum (ursprünglichere Version wohl in Mt 8,5-13) passt in das gezeichnete Bild. Denn wahrscheinlich ist 8,7 als ablehnende Frage zu lesen: »Und ich soll kommen und ihn heilen?« Als Jude betritt Jesus kein heidnisches Haus. Dies motiviert jedenfalls am besten die Reaktion des Hauptmanns: Sein Vertrauen in Jesus ist so groß, dass er ihm die Fernheilung zutraut und Jesus zu verstehen gibt, dass er sein Haus gar nicht betreten müsse (»Herr, ich bin ich nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach …«: 8,8). Mit diesem Vertrauensbeweis überwindet der Hauptmann die ablehnende Haltung Jesu wie auch die syrophönizische Frau in Mk 7,28.

 

III. Relativierug der Grenze

Es gibt also Überlieferungen, in denen die Grenze zwischen Israel und Heiden relativiert wird. Dies könnte in Zusammenhang stehen mit Jesusworten, in denen die Verbindung der Basileia mit Heiden als Mahnung an Israel eingesetzt zu sein scheint: 

  • der Spruch von denen, die aus dem Osten und Westen kommen und mit Abraham und den übrigen Vätern zu Tisch liegen im Reich Gottes (Mt 8,11) – und zwar im Gegensatz zu den eigentlichen Heilserben, also dem Volk Israel (andere Auslegungen deuten auf die Gegenüberstellung von Juden aus dem Land Israel und der Diaspora [=aus Osten und Westen]); 
  • das Gleichnis vom großen Gastmahl (Lk 14,16-24) weist in seiner Grundstruktur auf die Herbeiholung von ursprünglich nicht »geladenen Ersatzgästen«. Diese lassen sich angemessen nur auf die Heiden beziehen.

Diese Relativierung der Grenze zu den Heiden besagt nicht ihre Aufhebung. Eigentlicher Adressat der Botschaft Jesu bleibt Israel, gerade im Zusammenhang des drohenden Verlustes der Basileia. Doch erscheint es, falls Israel sich verweigert, nicht ausgeschlossen, dass Gott sein Reich den Heiden zuwendet. Dass Jesus eine solche Sicht möglicherweise bereits bei Johannes dem Täufer kennengelernt hat, kann die hier vertretene Interpretation bestärken: In Q3,8 wird im Rahmen der Täuferpredigt der Gedanke zurückgewiesen, man könne sich auf die Herkunft von Abraham berufen. Gott kann seine Verheißung an Abraham auch an Israel erfüllen, »dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken« (Mt 3,9).

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