Zum Inhalt springen

Voraussetzungen für die Entstehung der Evangelien

Theologische Voraussetzung: Ostern als Überwindung der Glaubenskrise

Auch wenn die Evangelien eindeutig das Bekenntnis zu Jesus Christus bezeugen, zeichnete sich dies in der Situation der Jünger nach Jesu Tod keineswegs ab.

Nach Mk 14,50 flohen die Jünger nach der Verhaftung Jesu. Sie hatten nicht nur Angst, dass sie dasselbe Schicksal wie Jesus ereilen würde. Auch ihr Glaube geriet ins Wanken: Der Anspruch Jesu, den göttlichen Heilswillen zu offenbaren, scheint durch den Kreuzestod ad absurdum geführt. Jesus hatte den Willen Gottes in anstößiger Weise ausgelegt, er starb nicht als Märtyrer für die Tora, wie etwa die Aufständischen zur Zeit der makkabäischen Erhebung. So lag es nahe, den Tod Jesu am Kreuz als ablehnende Antwort Gottes auf Jesu Anspruch zu deuten. 

Doch einige Zeit nach dem Karfreitag traten die Jünger wieder öffentlich auf und verkündeten: Gott hat Jesus nicht verflucht, sondern

► ihn auferweckt und in himmlische Machtstellung eingesetzt; vom Himmel her wird Jesus als Mittler des vollendeten Heils erscheinen.

Zu dieser Einsicht gelangen die Jünger nach dem Zeugnis des NT durch Erscheinungen. In diesem Begriff ist eine Erfahrung gefasst, die die Jünger nach dem Karfreitag gemacht haben. Diese Erfahrung wird nicht beschrieben, sondern in gedeuteter Form weitergegeben. Wenn nämlich davon die Rede ist, dass Jesus den Jüngern erschien, ist Begrifflichkeit aus atl Erzählungen aufgegriffen, in denen Gott sichtbar und redend auftritt (so genannte Theophanien). Wenn dies auf Jesus übertragen wird, ist seine Einsetzung in göttliche Macht vorausgesetzt – und dies gehört zum Kern des österlichen Bekenntnisses.

Die Erscheinungen begründen nicht nur den Osterglauben, sondern führen auch zur erneuten Sammlung des Jüngerkreises und zur Verkündigung des neu gewonnenen Glaubens. Dieser Zusammenhang zeigt sich bei Paulus wie auch in den Erscheinungsgeschichten der Evangelien.

Deswegen rückt auch

► die Auferstehungsbotschaft ins Zentrum der urchristlichen Verkündigung.

Von der Ostererfahrung her wird nun die Gestalt Jesu neu gedeutet, entwickelt sich die Christologie, in der die Bedeutung Jesu in seinem Verhältnis zu Gott bedacht und formuliert wird.

nach oben

Überlieferungsgeschichtliche Voraussetzung: Das Faktum mündlicher Tradition

Zunächst schien die Notwendigkeit nicht groß zu sein, das Leben Jesu schriftlich zu fassen. Die frühen Christen warteten auf seine baldige Wiederkunft (vgl. 1Thess 4,15; Röm 13,11-14). Erst das Ausbleiben der Parusie machte es notwendig, wichtige Stationen aus dem Leben Jesu niederzuschreiben. Daher erklärt sich auch die zeitliche Distanz von knapp 40 Jahren bis zur Endredaktion des ersten Evangeliums.

In der Antike waren schriftliche Werke einem elitären Kreis vorbehalten. Mündliche Überlieferung war deshalb weit verbreitet. Auch für das Umfeld der neutestamentlichen Schriften ist sie nachweisbar, wie ein Blick auf die rabbinische Tradition ergibt. Eine Analyse der Evangelientexte zeigt auch ihren speziellen Charakter: die synoptischen Evangelien sind nicht Werke aus einem Guss, sondern bewahren die Struktur ihrer Quellen und sind aus geprägten Formen zusammengesetzt − ein klarer Hinweis auf eine mündliche Vorgeschichte.

Es gibt auch ausdrückliche Hinweise auf die Bedeutung mündlicher Tradition im frühen Christentum:

  1. Das Vorwort des LkEv spricht nicht nur davon, dass es schon Erzählungen vom Wirken Jesu gegeben habe; es bezieht sich auch auf Überlieferungen (von Augenzeugen). »Überlieferung« ist ein Fachbegriff zur Bezeichnung mündlicher Weitergabe.
  2. Auch in Joh 21,25 findet sich ein, wenn auch übertreibender, Hinweis, dass das verschriftlichte Jesus-Gut auf eine Auswahl aus mündlichen Überlieferungen zurückgeht, wenn es heißt, dass im Blick auf die »Dinge, die Jesus getan hat … selbst die Welt die geschriebenen Bücher nicht fassen« könnte.
  3. Jesus-Überlieferung ist nach der Abfassung der Evangelien mündlich weitergegeben worden (sicher bezeugt v.a. durch Papias von Hierapolis). Das legt nahe, dass auch vor der Abfassung eine mündliche Überlieferung bestand – eine Überlieferung, die durch die Verschriftlichung nicht einfach beendet wurde.

nach oben