Verfasser und Adressaten
Der Verfasser des Markus-Evangeliums (Mk) ist anonym. Die Tendenz der Alten Kirche, die Bedeutung urchristlicher Schriften durch den Hinweis auf apostolische Autorität zu stützen, hat im Falle des Mk-Evangeliums zu einer Identifizierung des Autors mit dem im 1Petr genannten »Markus« geführt, der von Papias als Dolmetscher des Petrus bezeichnet wird.
Als weiterer neutestamentlicher Bezugspunkt wird Johannes Markus aus der Apostelgeschichte vorgeschlagen, ein Judenchrist, der in der Apostelgeschichte als Paulusbegleiter erscheint. Jedoch ist diese Identifizierung bei Kenntnis des Evangeliums schwierig, da aus dem MkEv deutlich wird, dass der Verfasser mit der Geographie Palästinas wie auch mit jüdischen Traditionen nicht sehr vertraut zu sein scheint. Deshalb rechnet die Forschung überwiegend damit, dass der Verfasser im Heidenchristentum zu suchen ist.
Gerichtet ist das Werk an Heidenchristen.
- Jüdische Sitten werden erklärt (7,2-4; 14,12),
- aramäische Ausdrücke ins Griechische übersetzt (5,41; 7,11.34; 10,46; 14,36; 15,22.34) und
- das Evangelium ist universal auf die Heidenmission ausgerichtet (Mk 13,10; 14,9).
Ein judenchristliches Element unter den Adressaten ist zwar nicht auszuschließen (Fragen um das Gesetz sind aufgenommen), kann aber nicht bestimmend gewesen sein.
Zeit und Ort der Abfassung
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I. Zeit der Abfassung
In der Forschung ist man sich heute relativ einig, dass das MkEv gegen 70 n.Chr. entstanden sein muss. Mk 13 (die markinische Apokalypse) wird meist als Indiz für die bereits erfolgte (bzw. kurz bevorstehende) Zerstörung des Tempels gelesen.
- Manchen Autoren sind die Anspielungen auf das Ende Jerusalems zu unspezifisch, um als vaticinium ex eventu gelten zu können. Würde wirklich bereits zurückgeblickt auf die Tempelzerstörung, wäre mit deutlicheren Bezügen zu rechnen.
- Andere erkennen diese gerade im Bezug auf die »Zerstörung der großen Gebäude«, da die Tempelplattform selbst nicht zerstört wurde.
Ein Plus für die Zeit kurz nach 70 ergibt sich aus einer gattungskritischen Beobachtung: Die Frage der Jünger nach Zeichen und Zeitpunkt des Endes (Mk 13,4) weist in apokalyptischen Schulgesprächen auf die Situation einer enttäuschten Naherwartung (E. Brandenburger) hin. Diese Enttäuschung dürfte im Urchristentum mit dem Ende des Tempels zusammenhängen.
II. Ort der Abfassung
Es ist kaum möglich, eine sichere Aussage über den Entstehungsort des Markusevangeliums zu treffen. Sicher ist nur, dass der Text außerhalb Palästinas entstanden sein muss, da der Verfasser die Geographie Palästinas äußerst fehlerhaft wiedergibt, außerdem an vielen Stellen jüdische Bräuche und Sitten erklärt und auch Währungen und Begriffe in die griechische Vorstellungswelt überträgt.
Die Argumente, die für Rom als Abfassungsort vorgebracht werden, sind nicht zwingend; genauso aber auch die Überlegungen, die gegen eine solche Lokalisierung sprechen sollen.
Zur Theologie des Markus-Evangeliums
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I. Markinische Kreuzestheologie
Der Weg Jesu ist in der markinischen Erzählung deutlich auf das Kreuz hin ausgerichtet. Dies wird zum einen durch ausdrückliche Vorverweise auf den Tod Jesu erreicht.
- Der frühe Todesbeschluss Mk 3,6 nach einer Reihe von Streitgesprächen.
- Die Leidensankündigungen nach dem Messiasbekenntnis (8,31; 9,31; 10,32-34).
Zum andern lässt sich aus einer Reihe von Erzählmotiven und -strukturen ein theologischer Grundgedanke erschließen, der in der Forschung mit dem Begriff »Messiasgeheimnis« belegt wurde. Diesen Gedanken kann man folgendermaßen zusammenfassen:
► Die eigentliche Würde und Bedeutung Jesu darf nicht offenbar werden bis zu Tod und Auferstehung Jesu, denn erst vom Kreuz her kann Jesus angemessen verstanden werden.
Die einzelnen Elemente, durch die diese theologische Aussage des Messiasgeheimnisses erreicht wird, können in drei Punkten gebündelt werden:
Schweigegebote an
- Geheilte und Zeugen einer Heilung (z.B. 1,44; 5,43)
- Dämonen (z.B. 1,34; 3,11)
- Jünger (8,30; 9,9) – mit dem Schlüssel zum Verständnis der Schweigegebote: Sie gelten bis zur Auferstehung Jesu.
Jüngerunverständnis:
Häufig werden die Jünger so dargestellt, dass sie Jesus nicht verstehen (z.B. 4,40; 8,17-21; 9,10). Dies liegt nicht an minderer intellektueller Begabung, sondern daran, dass sie den Weg Jesu noch nicht bis zum Ende mitgegangen sind.
Spannungsbogen der Offenbarung Jesu als Sohn Gottes:
- Nach der Taufe (1,11): Allein Jesus ist Adressat der Offenbarung
- Bei der Verklärung (9,7): Ausgewählte Jünger sind Zeugen, müssen von dem Erlebten aber schweigen (9,9; s.o.)
- Unter dem Kreuz (15,39): Der heidnische Hauptmann bekennt Jesus als »(einen) Sohn Gottes«, als er Jesus »so (=mit einem Schrei) sterben sah«.
Die Leser erfahren schon früh von der wahren Bedeutung Jesu, zugleich aber davon, dass diese Bedeutung nicht bekannt werden soll (durch die Schweigegebote). Erst nach seinem Tod kann Jesus offen als Sohn Gottes bekannt werden: Das Bekenntnis des römischen Hauptmanns unterliegt keinem Schweigegebot mehr.
II. Jüngerbild
Die Jünger erscheinen nicht nur unter dem negativen Aspekt des Unverständnisses, sondern auch als diejenigen, die in die Nähe Jesu gerufen werden.
- Dies gilt in besonderer Weise für die Zwölf (3,13-19; 6,7-13; 14,17-50) und den Kreis von drei bzw. vier eigens herausgehobenen Jüngern: Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas (1,16-20; 5,37; 9,2; 13,3; 14,33).
- Gerade die besonders Ausgezeichneten sind aber auch die besonders Gefährdeten (8,32f; 10,35-45; 14,37f.40.41.66-72).
Die Jünger sind nicht nur Größen der Vergangenheit, sondern auch Typen der Glaubenden, die in denselben Gefährdungen stehen wie die Jünger, vor allem im Blick auf das Unverständnis dem Leidensgeschick Jesu gegenüber. Vor allem im mittleren Teil (8,27-10,52) sind die Stoffe entfaltet, die besonders auf die Adressaten des Werks zielen (M. Ebner).
- Dass hier das rechte Verständnis des Weges Jesu und der Nachfolge eröffnet werden soll, zeigen die beiden (metaphorisch zu deutenden) Blindenheilungen, die diesen Teil rahmen (8,22-26; 10,46-52). Es sollen die Augen geöffnet werden für die Kreuzesnachfolge (10,52).
- Im Aufbau zeigt sich ein wiederkehrendes Schema, das zwar nicht alle Inhalte erfasst, aber den Mittelteil doch entscheidend prägt: Leidensankündigung / Unverständnis der Jünger / Belehrung zur Nachfolge (8,31-38; 9,31-37; 10,32-45).
- Außerdem kann die Belehrung Jesu an einer bestimmten Szene anknüpfen: Verklärung (9,2-10); Dämonenaustreibung (9,14-27); Streitgespräch um die Ehescheidung (10,2-9); verweigerte Nachfolge (10,17-22).
III. Glaube
Wenn ausdrücklich vom Glauben die Rede ist, hat Mk sicher auch die Adressaten unmittelbar im Blick. Dieses Thema erscheint in mehreren Zusammenhängen:
- in der Zusammenfassung der Botschaft Jesu (1,15);
- negativ in der Verweigerung Jesus gegenüber (3,5; 6,6, auch 3,22-30; 8,11-13);
- positiv im Glaubensaufruf (9,23; 11,20-25) und dem Glauben, auf den Jesus trifft (2,5; 5,34; 10,52).
IV. Universale Ausrichtung
Sie zeigt sich in ausdrücklichen Ankündigungen: das Evangelium wird »allen Völkern« (13,10) bzw. »auf der ganzen Welt« (14,9) verkündet werden. Auch erzählerisch wird diese Ausrichtung umgesetzt: Heilung einer Heidin (7,24-30); Tempel als Bethaus für alle Völker (11,17); heidnischer Hauptmann mit Gottessohn-Bekenntnis (15,39).
Anlass und Zweck
Markus lebt in einer Zeit, in der die Augenzeugen Jesu sowie insgesamt die erste christliche Generation ausstirbt. Die Tradition wird durch Verschriftlichung bewahrt.
Der besondere inhaltliche Akzent, die Ausrichtung des Weges Jesu auf das Kreuz, könnte dafür sprechen, dass Mk einer Gefahr entgegensteuern wollte: Jesus einseitig als den Verherrlichten zu sehen und darüber seine Niedrigkeit zu vergessen.
Der Schluss des Markus-Evangeliums
Das MkEv endete ursprünglich in 16,8. Dafür sprechen mehrere Beobachtungen:
- Die besten Handschriften (außerdem einige Kirchenväter) bezeugen einen Text, der nur bis zu dieser Stelle reicht.
- Mt und Lk haben Mk nur bis zu 16,8 gekannt. Danach verarbeiten sie eigenes Material oder Sondertraditionen.
- Was in den Handschriften als Fortsetzung von 16,8 begegnet, kann nicht ursprünglich sein.
→ 16,9-20, der »kanonische Mk-Schluss«, setzt neu ein mit der Auferstehung Jesu am Morgen des ersten Tages der Woche und der Erscheinung vor Maria Magdalena. Es wird nicht die in 16,7 angekündigte Erscheinung erzählt, sondern die Ostertradition aus den anderen Evangelien zusammengefasst.
→ Ein kurzer Mk-Schluss ist in vielen Handschriften mit dem zusätzlichen langen (16,9-20) verbunden.
→ Das Freer-Logion (Einfügung zwischen 16,14 und 16,15) bestätigt die Unsicherheit der Textüberlieferung.
Die erhaltenen Mk-Schlüsse haben keinen anderen ersetzt, der verloren gegangen wäre. 16,8 ist der originale Schluss. Mk lässt so sein Evangelium offen enden und in die Welt der Leser oder Hörer münden.