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Das Evangelium nach Lukas

Verfasser und Adressaten

Der Verfasser des Lukas-Evangeliums (Lk) gibt trotz des Vorwortes keinen Hinweis auf seine Identität. Irenäus von Lyon identifiziert ihn aufgrund der Wir-Passagen der Apg und 2Tim 4,11 mit dem Paulusbegleiter und Arzt (vgl. Kol 4,14) Lukas. Diese Identifizierung findet heute kaum noch Zustimmung, da sich in der Apostelgeschichte, dem zweiten Werk desselben Autors, erhebliche Widersprüche zu den Paulusbriefen ergeben.

Überwiegend wird der Verfasser in der heutigen Forschung dem Heidenchristentum zugeordnet. Zwar spielen Judentum und Synagoge eine wichtige Rolle, Lk ahmt sogar den Stil der LXX nach, dies ist jedoch kein Hinweis auf jüdische Herkunft. Der Gedanke, dass die Geschichte Jesu und der Kirche in einer Geschichte verankert ist, die in alte Zeiten zurückreicht (die Geschichte Gottes mit Israel), konnte auch für einen heidenchristlichen Autor attraktiv sein.

Die Adressaten sind im selben Milieu anzusiedeln. Hinweise auf konkrete Gemeindeverhältnisse lassen sich dem LkEv (und der Apg) kaum entnehmen.

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Zeit und Ort der Abfassung

Der Verfasser des LkEv nutzt das MkEv als Vorlage, also muss er nach 70 schreiben. Da er das MtEv nicht kennt, dieses sich also noch nicht verbreitet hat, wird sein Werk meist um 90 angesetzt.

Lk ist im hellenistischen Kontext entstanden. Darauf weist das Vorwort hin, wie auch die Qualität der griechischen Sprache; der Verfasser überträgt für Palästina Typisches gemäß griechischen Gewohnheiten (etwa beim Hausbau) und kennt die Geographie Palästinas kaum.

Der Ort der Abfassung lässt sich, obwohl vielfach versucht, kaum näher bestimmen. Die einzig mögliche sichere Aussage ist die, dass das LkEv außerhalb Palästinas im hellenistischen Christentum entstanden sein muss. Als konkreter Ort käme am ehesten Ephesus in Frage, doch letztlich muss eine eindeutige Zuschreibung offen bleiben.

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Literarischer Charakter

Inhaltsverzeichnis

I. Übernahme und Erweiterung des Mk-Fadens

Lk hat den Mk-Aufriss übernommen, ihn aber auch entscheidend umgestaltet durch die Einfügung des »Reiseberichts« (9,51-19,27).

So ergibt sich eine klarere Dreiteilung des Werkes als im Fall des MkEv. Vorgeschaltet werden die »Kindheitsgeschichten«; angefügt die Erscheinungen; das nicht aus Mk stammende Material wird in zwei Einschaltungen eingebracht (6,20-8,3; 9,51-18,14).

 

II. Der Evangelist als Schriftsteller und Historiker

Mit dem Vorwort erhebt Lk literarischen Anspruch und führt sein Werk nach Art hellenistischer Historiker ein. Dem widerspricht nicht, dass er das Material nach seinem theologischen Konzept ordnet (s. v.a. Lk 4,14-30; Apg 10f). Dass sich Lukas auch an Vorbildern aus der zeitgenössischen Geschichtsschreibung orientierte, zeigt sich u.a. an folgenden Beobachtungen:

  • Vorwort Lk 1,1-4;
  • Bezüge der Geschichte Jesu auf die Weltgeschichte (Lk 2,1; 3,1f);
  • »Historisierungen«: Darstellung, die von konkreten Geschehnissen geprägt ist (Mk 1,7f/Lk 3,15f; Lk 7,21: 7,18-23/Mt 11,2-6).
  • Lk erweckt den Eindruck eines fortlaufenden Geschehens, indem er den bei Mk nur lose verbundenen Stoff stärker verknüpft (z.B. Lk 5,33/Mk 2,18; Lk 8,40/Mk 5,21) und den Stoff durch Vor- und Rückverweise verklammert (z.B. Lk 1,80-3,1; 2,51-4,16).

Lk nimmt sachliche Korrekturen vor und ist auf genaueren Ausdruck bedacht (Herodes Antipas als Tetrarch: Lk 3,1.19; 9,7; See Genezareth: Lk 5,1f; 8,22f). Bisweilen kürzt Lk mk Geschichten, doch für Mt ist dieser Zug wesentlich charakteristischer.

Lk verbessert Mk sprachlich und schreibt unter den Evangelisten das beste Griechisch. Trotzdem kennt er Semitismen (Ausdrucksweise, die sich dem Hebräischen oder Aramäischen verdankt). Denn er orientiert sich sprachlich an der Septuaginta (LXX), der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, und ahmt deren Stil und Ausdrucksweise nach. 

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Zur Theologie des lukanischen Doppelwerkes

Inhaltsverzeichnis

I. Heilsgeschichte

Erfüllung

Das Stichwort „erfüllen“ erhält einen besonderen Stellenwert.

  • Der Reisebericht steht unter der Überschrift der Erfüllung (Lk 9,51).
  • Die Gemeinde ist in die Erfüllung eingeschlossen (Lk 1,1; Apg 2,1).
  • Christusereignis und Geistausgießung an Pfingsten erscheinen als Erfüllung von Schriftworten (z.B. Apg 2,17-21.25-28.30f; 3,22f; 4,11).
  • Verheißungszeit vor der Erfüllung (Lk 16,16; Apg 7,2-52; 13,17-22).
  • Apg 13,32f bezeugt direkt das Bezugspaar »Verheißung – Erfüllung«.

 

Die Epochen der Heilsgeschichte

Verheißungs- und Erfüllungszeit lassen sich deutlich voneinander absetzen (Lk 16,16; Schema der Missionsreden in der Apg; s.o. zu »Erfüllung«).

Die Erfüllungszeit kann man in zwei Abschnitte unterteilen: Zeit Jesu – Zeit der Kirche (zwei Bücher; deutlicher Anfang der Kirche; Jesus-Geschichte als »Grundgeschichte«).

 

Die Kontinuität der einen Heilsgeschichte

Deutlich wird diese Kontinuität im Blick auf den Zusammenhang zwischen der Verheißungs- und Erfüllungszeit:

  • Jerusalem: Ort der Erscheinungen; Ausgang der Christusbotschaft.
  • Anlehnung an die Sprache der LXX.

Zum Zweiten wird der Zusammenhang zwischen der Zeit Jesu und der Kirche herausgearbeitet:

  • Kriterium bei der Nachwahl des Matthias (Apg 1,21f).
  • Unterweisung der Apostel über das Reich Gottes zwischen Ostern und Himmelfahrt (Apg 1,3); Reich Gottes als Inhalt der urkirchlichen Botschaft (Apg 19,8; 20,25; vgl. auch Apg 8,12; 28,23.30).

Schließlich ist das Anliegen erkennbar, den Zusammenhang innerhalb der Zeit der Kirche aufzuzeigen:

  • in der engen Anbindung des Paulus an die Urgemeinde (Apg 9,27);
  • dadurch, dass die Heidenmission durch Petrus legitimiert wird (Apg 10,1-11,18).

 

Zurücktreten der Naherwartung

Diese zeitliche Perspektive wird in folgenden Punkten deutlich:

  • Die Unkenntnis über »Zeiten und Fristen« kommt ausdrücklich zur Sprache (Apg 1,7).
  • Im Verhör vor dem Hohen Rat spricht Jesus von der Machtstellung des erhöhten Menschensohns (Lk 22,69); dass der Menschensohn komme (Mk 14,62), wird nicht gesagt.
  • Die Rede von der Nähe des Endes wird ausdrücklich als falsch gekennzeichnet (Lk 21,8 diff Mk 13,6; 19,11).

 

Die heilsgeschichtliche Rolle Israels

Diese Rolle wird nicht durch die Ablehnung Jesu bestimmt.

  • Israel bleibt Adressat der Predigt (Apg 2,14ff; Bild des paulinischen Wirkens).
  • Juden nehmen den Glauben an Christus an, vor allem in der Zeit der Jerusalemer Verkündigung (Apg 2,41.47; u.ö.), später mit abnehmender Tendenz und zunehmend feindlicher Reaktion.
  • Einerseits hängt die Adressierung des Evangeliums an die Heiden mit der Ablehnung durch die Juden zusammen (z.B. Apg 13,46); andererseits ist sie unmittelbar im Willen Gottes begründet (z.B. Apg 10). Die Spannung wird nicht aufgelöst.

 

II. Jesusbild

Das Jesusbild des dritten Evangelisten hat zwei Seiten:

  • Er betont die hoheitsvollen Züge (Lk 7,11-17; Hoheitstitel »Herr« auch in erzählenden Partien),
  • aber auch die menschlichen (z.B. Lk 4,18; 6,20f; 7,36-50; 14,12-14).

In Lk 7,11-17 hat er beides miteinander verbunden (V. 13: »der Herr bekam Mitleid«).

Häufig wird Jesus betend gezeigt (z.B. Lk 5,16; 6,12; 9,18 ; 3,21; 22,42; [22,43f; 23,34: textlich unsicher]).

Die Passion Jesu zeichnet Lk als das Leiden des zu Unrecht Verfolgten. Ausdrücklich wird gerade von Seiten der (römischen) Obrigkeit die Unschuld Jesu festgestellt:

  • Pilatus (23,4.14.20.22);
  • Herodes in der Auswertung durch Pilatus (23,6-12.15);
  • Hauptmann unter dem Kreuz (23,47).

Der Beitrag der jüdischen Obrigkeit wird stärker akzentuiert, um das Christentum vom Verdacht politischen Aufrührertums zu befreien.

Im Blick auf die Deutung des Todes Jesu tritt der Sühnegedanke zurück (nur Lk 22,19f; Apg 20,28). Jesus stirbt als der unschuldige Gerechte, in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes; Heil entsteht aus dem ganzen Weg Jesu. Anteil an dem von Jesus gewirkten Heil kann man gewinnen, wenn man der Botschaft des Evangeliums glaubt und den Weg Jesu im eigenen Leben mitgeht (A. Weiser).

 

III. Jünger und Kirche

Die Jünger Jesu werden an vielen Stellen gegenüber dem MkEv geschont (vgl. Petrus: Mk 8,31-33/Lk 9,22; Mk 14,71/Lk 22,60; s.a. 22,31f; 22,61; außerdem: Mk 4,13/Lk 8,11; Mk 10,26/Lk 18,26).

Über die Jünger ist auch die Kirche der späteren Zeit mit dem Ursprung verbunden, mit der Geschichte Jesu und der Ursprungszeit der Kirche. Diese Zeit wird der eigenen Gegenwart als Ideal vorgestellt.

Die Verbindung mit dem Ursprung hat die Dimension des Geistes.

  • Jesus verdankt seine Existenz dem Wirken des Geistes (1,35) und ist Geistträger (Lk 4,1.14; s.a. 4,18; Apg 10,38).
  • Die urkirchliche Verkündigung wird vom Geist initiiert (Lk 24,49; Apg 1,8; 2,1ff) und geleitet (Apg 4,8; 6,10; 10,19f; 16,6 u.ö.).
  • Der Geist eröffnet auch den Blick in die Zukunft. Die späteren Amtsträger sind eingesetzt vom heiligen Geist (Apg 20,28).

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Anlass und Zweck

Der Autor selbst gibt in seinem Vorwort Auskunft über seine Absicht. Er sei allem sorgfältig nachgegangen, damit sich Theophilus überzeugen kann von der Zuverlässigkeit der Lehre, in der er unterwiesen wurde.

Was Theophilus durch LkEv und Apg gesagt wird, gilt einem weiteren Kreis; es zeigt letztlich das Problem der dritten christlichen Generation am Ende des 1. Jh.: Sie muss eine Antwort finden auf das Ausbleiben der Wiederkunft Christi; und sie steht vor der Frage, wie sie die Kontinuität zum Anfang und damit ihre Identität wahren kann. Auf diese Herausforderung antwortet Lukas mit seinem Doppelwerk.

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