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Die pseudepigraphischen Paulusbriefe

Das Phänomen der Pseudepigraphie

Unter Pseudepigraphie versteht man die fälschliche Zuschreibung eines literarischen Werkes an eine bestimmte Person, der gewöhnlich besondere Autorität zukommt. Diese Zuschreibung geschieht nicht erst nachträglich, sondern das Werk ist unter falschem Namen veröffentlicht.

In diesem Kapitel wird dargestellt, welche Beobachtungen zum Urteil führen können, dass ein Brief zwar den Namen des Paulus als Absender trägt, tatsächlich aber wahrscheinlich aus nachpaulinischer Zeit stammt. Außerdem soll das Aufkommen des Phänomens falscher Verfasserangaben erklärt und bewertet werden.

Merkmale pseudepigraphischer Paulusbriefe

Im Rahmen der Paulusbriefe können folgende Merkmale auf pseudepigraphische Abfassung deuten:

Geänderte geschichtliche Situation

Beispiel Pastoralbriefe:

  • Gemeindeordnung: Ämterordnung in den Pastoralbriefen; charismatische Struktur bei Paulus.
  • Gegnerische Positionen: Eine judenchristlich bestimmte Frühform der Gnosis passt nicht in die Zeit des Paulus.
  • Biographische Angaben zu Paulus scheinen z.T. unvereinbar mit den bekannten Lebensdaten (ein allerdings eher schwaches Argument, weil die bekannten Lebensdaten ausschnitthaft sind).

 

Unterschiede in der Theologie

Beispiel Kolosserbrief:

  • Die Christologie wird in kosmischer Bedeutung entfaltet (2,9f).
  • In der Ekklesiologie zeigt sich eine andere Ausrichtung der Leib-Christi-Vorstellung mit der Bezeichnung Christi als Haupt.
  • Eschatologie: Die Hoffnung richtet sich räumlich nach oben, nicht zeitlich in die Zukunft; die Glaubenden sind durch die Taufe mit Christus gestorben und auferweckt (anders: Röm 6,4f)

 

Unterschiede in Sprache und Stil

Beispiel Epheserbrief; Pastoralbriefe:

  • Begriffe, die in den unumstritten echten Paulusbriefen nicht erscheinen, prägen die Theologie des Eph (z.B. »geistlicher Segen«, »Nachlass der Übertretungen«, »der Vater der Herrlichkeit«).
  • Begriffe erhalten einen anderen Sinn als in den unumstritten echten Paulusbriefen (etwa »Glaube« in den Pastoralbriefen).
  • Der Stil der Auseinandersetzung mit Gegnern ist in den Pastoralbriefen anders (scharfe Abgrenzung, nicht inhaltliche Argumentation).

Zur Wertung der Pseudepigraphie

Inhaltsverzeichnis

I. Warum entstanden pseudepigraphische Briefe?

Die ntl Pseudepigraphen sind entstanden in einer »Epoche des Umbruchs und der Neuorientierung« (U. Schnelle): die Gründungsgeneration war gestorben, feste Strukturen waren noch nicht entwickelt; neue Fragen kamen auf, die von den überkommenen Traditionen her nicht zu beantworten waren (Loslösung vom Judentum, Parusieverzögerung, Verfolgungen, Streit um die Lehre).

In dieser Situation der Autoritätskrise waren nur die Größen der Anfangszeit unumstritten. Im Hintergrund steht ein Verständnis von Wahrheit, nach dem Wahrheit mit Alter verbunden ist. Die Vergangenheit wird begriffen als »normative Vergangenheit« (N. Brox). Im frühen Christentum kommen als Ursprungsgrößen nur die Apostel in Frage.

► So soll die Pseudepigraphie das gegenwärtig als wahr Erkannte, um dessen Relevanz zu sichern, als Wahrheit des Ursprungs erscheinen lassen.

Im Fall des Corpus Paulinum könnten zwei Faktoren das Aufkommen der Pseudepigraphie begünstigt haben:

  • Der brieftheoretische Grundgedanke, dass der räumlich getrennte Partner durch den Brief anwesend ist, musste nur auf die zeitliche Dimension übertragen werden.
  • Dass Mitarbeiter des Paulus als Mitabsender seiner Briefe fungierten, konnte die Idee bestärken, in seinem Namen Briefe zu schreiben.

 

II. Zur moralischen Rechtfertigung der Pseudepigraphie

Die Fälschung war in der Antike als literarisches Mittel verbreitet, aber keineswegs problemlos akzeptiert.
In der Alten Kirche wurde über die Rechtfertigung von Pseudepigraphie nicht debattiert. Weder pseudepigraph schreibende Autoren noch sonst jemand hatte ein Interesse an einer solchen Diskussion.

 

Eine Ausnahme: Salvian von Marseille

Nur in einem Fall gibt ein altkirchlicher Autor unmittelbar über seine Motive zur Verwendung eines falschen Namens Auskunft: Salvian von Marseille (5. Jh.).

  • Pseudepigraphe Abfassung streitet er ab: Es sei ihm nicht darum gegangen, sein unter dem Namen »Timotheus« geschriebenes Werk dem Paulusschüler zuzuschreiben; vielmehr habe er darauf angespielt, die Bücher zur Ehre Gottes geschrieben zu haben (time = Ehre; theos = Gott).
  • Das entscheidende Motiv für die Verwendung des falschen Namens ist die literarische Wirkung: Ein unbekannter Autor wird nicht gelesen.
  • Salvian stellt sich als »Skrupulant der Wahrhaftigkeit« dar (N. Brox) – möglicherweise auch, weil er unter Rechtfertigungsdruck stand. Immerhin gibt er einen Ansatzpunkt für das Urteil, dass ein Werk, welches im Geist eines anderen verfasst ist, diesem zugeschrieben werden könne (ausdrücklich sagt er es aber nicht).

 

Die Tradition von der »Nutzlüge«

Es gab in der patristischen Tradition die (umstrittene) Überzeugung, Lüge und Täuschung könne gerechtfertigt sein, wenn dies dem Heil der Getäuschten dient (ansetzend an der »Medizinerlüge« Platons und an biblischen Beispielen).

Dieser Gedanke ist auf die Pseudepigraphie nicht ausdrücklich angewendet worden. Doch könnte er den Schlüssel für die Frage liefern, wie ein pseudepigraph schreibender Autor, der täuschen wollte, sein Unternehmen rechtfertigen konnte (N. Brox).

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Der Epheserbrief

Inhaltsverzeichnis

I. Verfasserfrage, Zeit und Ort der Abfassung

Der Epheserbrief stimmt theologisch sowie sprachlich an vielen Punkten mit dem Kolosserbrief überein. Da die Positionen im Eph weiter entwickelt zu sein scheinen, nimmt man für gewöhnlich die Abhängigkeit des Eph vom Kol an (und nicht umgekehrt). Auch lassen sich die sprachlichen und theologischen Eigenheiten des Briefes kaum in Einklang mit der paulinischen Theologie bringen, sodass die Annahme pseudepigraphischer Abfassung des Briefes gut begründet ist.
Eine zeitliche Einordnung ist schwierig. Aufgrund der Weiterentwicklung des Eph im Gegensatz zum Kol wird man ihn später ansetzen, wohl in die 80er oder 90er Jahre des ersten Jahrhunderts – vor die Jahrhundertwende, da ansonsten ein Reflex zu den sozialen Konflikten unter Domitian in Kleinasien zu erwarten wäre.

Die Nähe zum Kolosserbrief spricht auch für die Abfassung in demselben Umfeld, also ebenfalls im Lykostal bzw. Hierapolis, in jedem Fall Kleinasien.

 

II. Adressaten und Briefintention

Ausgehend von der Verfasserfiktion sowie der textkritisch unsicheren Adressierung – »in Ephesus« (1,1) ist nicht in allen Handschriften bezeugt – nimmt man an, dass der Brief als Rundschreiben, eine Art Vermächtnis des Paulus, konzipiert ist. Der Verfasser hat nicht eine konkrete Gemeinde im Blick, sondern zielt mit Ephesus den Mittelpunkt seines einstigen Wirkens an und erwartet von dort aus die Verbreitung seines Schreibens. Eine spezifisch briefliche Intention lässt sich schwer ableiten. Letztlich wird dem Verfasser wohl daran gelegen sein, seine theologischen Intentionen, die als Weiterentwicklung paulinischer Theologie verstanden werden können, durch die paulinische Autorität zu legitimieren.

 

III. Theologische Akzente

Der Autor bringt eine Fülle von kosmologischen Vorstellungen in seine Argumentation ein, daneben finden sich viele Wendungen, die an gnostisches Gedankengut erinnern (Ab- und Aufstieg des Erlösers in 4,7-11, Pleroma, Anthropos, vollkommener Mann, …), wobei ähnliches Gedankengut auch im alexandrinischen Judentum (vgl. Philo) verbreitet war und somit eine eindeutige traditionsgeschichtliche Verortung nicht möglich ist.
Von diesem Gedankengut her entwirft nun der Autor eine kosmologische Christologie. Im Mittelpunkt steht dabei die Befriedung des Kosmos, welche in Christus geschieht und sich in unterschiedlichen Weisen manifestiert: (a) in der Einung der zerrissenen Welt durch Unterwerfung der die Christen gefährdenden Mächte; (b) durch die Einung von Juden und Christen in der einen Kirche sowie (c) in der Einung unterschiedlicher sozialer Rollen durch das Band der Liebe.

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Der Kolosserbrief

Inhaltsverzeichnis

I. Paulinische Verfasserschaft?

Die sprachlichen sowie theologischen Abweichungen des Kolosserbriefes im Vergleich zu den als authentisch anerkannten Paulusbriefen lassen sich nicht als Weiterentwicklungen des paulinischen Denkens verstehen. Besser lässt sich der Befund durch die Annahme erklären, dass der Brief nicht von Paulus verfasst worden ist. Dass sich die Personalnotizen in 4,7-18 mit dem Philemonbrief überschneiden, ist dann als Versuch zu werten, die Brieffiktion authentisch erscheinen zu lassen. Der unbekannte Verfasser stattet sein Schreiben bewusst mit paulinischer Autorität aus.

 

II. Adressaten, Zeit und Ort der Abfassung

Es ist davon auszugehen, dass die pseudepigraphischen Paulusbriefe erst nach dem Tod des Paulus verfasst worden sind. Anders als in späteren Schreiben dieser Art spielen im Kol Fragen der Gemeindestruktur noch keine Rolle, und so wird die Abfassung meist für den Beginn der 70er Jahre des ersten Jahrhunderts vermutet.

Als Adressaten werden die Heiligen in Kolossä genannt, daneben die Gemeinde in Laodizea (4,16); im Blick ist zudem die Gemeinde von Hierapolis (4,13). Die Adressierung nach Kolossä spricht sehr dafür, dass es sich auch bei der Adressatenangabe um eine Fiktion handelt. Die Stadt Kolossä, die sich im Lykos-Tal befindet, wurde nämlich Ende der 60er Jahre durch ein Erdbeben verschüttet. Mit der fiktiven Adressierung nach Kolossä konnte das Auftauchen eines Paulusbriefes Jahre nach seinem Tod eventuell plausibel gemacht werden. Bedeutung erhält das Schreiben für andere Gemeinden durch die Angabe in 4,16: Der Brief ist zwar an die Gemeinde in Kolossä gerichtet, soll aber auch von anderen Gemeinden gelesen werden. Eventuell war die Gemeinde in Laodizea der wirkliche Adressat. Sichere Angaben sind nicht möglich. Allenfalls wird deutlich, dass die Adressaten Heidenchristen waren (vgl. 1,27; 2,13).

Ebenso ist es kaum möglich den Entstehungsort zu bestimmen. Eventuell ist der Brief im Lykos-Tal entstanden, allerdings wäre auch Ephesus als Entstehungsort – und Ort einer Paulusschule (?) – in Erwägung zu ziehen.

 

III. Einblicke in den Brief und die Kommunikationssituation

Eine »kolossische Philosophie«

Der Verfasser setzt sich mit der als betrügerisch gekennzeichneten »Philosophie«, die in Kolossä eine Rolle zu spielen scheint, auseinander (2,8). Inhaltlich vereint diese Philosophie kosmische Argumente (im Mittelpunkt stehen die sog. Weltelemente), asketische Ideale, Rituale wie die Einhaltung von Festen, Neumonden und Sabbaten sowie bestimmte Formen von Engelverehrung. Aus dem Text scheint es kaum möglich zu sein, eine Gruppierung hinter dieser Position zu identifizieren. Deshalb ist mit I. Maisch anzunehmen: Der Verfasser identifiziert diese falsche Philosophie, um den Adressaten aufzuzeigen, dass sie in vielen Punkten noch ihrem alten Glauben anhängen und das christliche Bekenntnis oft durch heidnische Praktiken überlagert ist. Diese Annahme wird insbesondere auch dann plausibel, wenn man die theologischen Akzente des Verfassers gegenliest.

 

Christozentrik

Der Verfasser stellt die Exklusivität des christlichen Bekenntnisses im Rahmen seiner christologischen Überlegungen heraus. Dies wird insbesondere im Christushymnus 1,15-20 deutlich und in der folgenden Argumentation entfaltet. Alle kosmischen Mächte sind ihm, dem präexistenten Schöpfungsmittler und Schöpfungserhalter unterstellt und verlieren so ihre Macht und ihren Einfluss für die Gläubigen.

 

Ekklesiologie

Die aus dem 1Kor bekannte Leib-Christi-Metapher wird im Kol auf die Kirche angewendet. Die Kirche erscheint nun als der Raum, in der sich die Herrschaft Christi manifestieren kann und den Gläubigen vor anderen kosmischen Mächten schützt.

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Der zweite Brief an die Thessalonicher

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I. Verfasserfrage, zeitliche Einordnung und Intention des Briefes

Der 2Thess wirkt wie eine Kopie des 1Thess. Sowohl im Aufbau als auch in den behandelten Themen lehnt er sich sehr stark an das erste Schreiben an, korrigiert die Aussagen des 1Thess und verschiebt die argumentativen Schwerpunkte. Versuche, diese Korrekturen auf Paulus selbst aufgrund veränderter Situationen zurückzuführen, scheitern an den dadurch entstehenden Spannungen und Diskontinuitäten zu seinen sonstigen Schreiben. Der Brief spiegelt eine spätere Situation – das Ausbleiben der Parusie, Bedrängnisse der Endzeit, fest ausgeprägte Gemeindestruktur – und verweist damit auf das Ende des ersten Jahrhunderts.

Verfasser, Adressaten und Ort der Abfassung lassen sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Die Paulusbriefe waren in allen Gemeinden aktuell. In welcher Gemeinde daher der Brief seinen »Vorgänger« als erstes zu ersetzen versuchte, ist nicht mehr zu rekonstruieren.

 

II. Zum Inhalt

»Der Tag des Herrn ist schon da« (2,2) – diese theologische Position, die sich angesichts endzeitlicher Bedrängnis herausgebildet hat und von urchristlichen Propheten in der Gemeinde verkündet worden war, scheint der Auslöser zu sein, der den Verfasser dazu verleitet hat, zu einer Entgegnung anzusetzen. Anscheinend wurde das Ausbleiben der Parusie für immer mehr christliche Gruppen gegen Ende des ersten Jahrhunderts zu einem unerträglichen Problem, wofür eine Lösung gefunden werden musste.

Der Verfasser mahnt die Gemeinde zu Geduld und schildert die kommenden Endereignisse, die noch vor der Parusie eintreten werden (2,3-12): Erst wenn der Mensch der Sünde sowie der Sohn des Verderbens erscheinen wird, sei die Zeit für ein göttliches Eingreifen gekommen. Diese negativen Kräfte müssen sich offenbaren, um dann bei der Parusie vernichtet zu werden. Allerdings existieren noch Kräfte, die die Offenbarung des christlichen Widerparts noch zurückhalten. Diese Kräfte werden als bekannt vorausgesetzt und daher im Brief nicht benannt.

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Die Pastoralbriefe (1/2Tim / Tit)

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I. Frage nach der Verfasserschaft

Die Pastoralbriefe unterscheiden sich sehr stark von den authentischen Paulusbriefen, sodass ihre Verfasserschaft mit Recht in der Forschung gewöhnlich nicht anerkannt wird. Aus der missionarischen Situation heraus ist es jedenfalls nicht möglich, sich die auftretenden Positionsänderungen des Paulus zu erklären. Daher muss mit pseudepigraphischer Abfassung unter Berufung auf Paulus gerechnet werden.

 

II. Zeit und Ort der Abfassung

Eine Ortsangabe für die Entstehung der Briefe ist schwierig. Diskutiert werden Ephesus und Rom, wobei sichere Rückschlüsse aufgrund der Brieffiktion nicht möglich sind. Für Ephesus spricht die häufige Nennung innerhalb der Briefe, für Rom die Gestaltung des 2Tim als Testament des Paulus vor seiner Verurteilung in Rom.

Etwas sicherer schien man sich lange Zeit mit der Datierung des Briefes gewesen zu sein. Da die Pastoralbriefe in der Tradition immer zum Corpus Paulinum gezählt wurden, gehen viele Forscher davon aus, dass sie nicht zu spät entstanden sein können. Zudem geben die Briefe die Entwicklung einer frühchristlichen Gemeindestruktur zu erkennen, die sich in den Ignatiusbriefen (meist vor 117 datiert) gefestigt zu haben scheint. Daher meinte man, die Pastoralbriefe um 100 ansetzen zu müssen. Da aber in der Forschung immer mehr gute Gründe herausgearbeitet wurden, die Ignatiusbriefe ebenfalls als pseudepigraphische Schreiben zu betrachten, welche frühestens in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts zu datieren seien, mehren sich die Stimmen, die auch die Pastoralbriefe in die Zeit zwischen 130 und 150 ansetzen. Schließlich ist eine äußere Bezeugung auch erst für das Ende des 2. Jahrhunderts nachzuweisen.

 

III. Die Adressaten

Timotheus und Titus waren Mitarbeiter des Paulus. Ist der Autor Paulus eine Fiktion, so sind es auch die beiden Adressaten. Die Adressierung hat wohl eine zweifache Funktion: Als Apostelschüler garantieren sie die Konituität zu Paulus, verbinden zwischen der Zeit des Apostels und der Gegenwart der Pastoralbriefe. Außerdem werden sie transparent für die Anforderungen, die sich laut den Briefen für die Gemeindeleiter ergeben. Was den Briefadressaten gesagt wird, gilt zugleich für die Amtsträger zur Zeit der Pastoralbriefe.

Meist werden die drei Briefe als zusammengehörendes Briefcorpus verstanden (in neuerer Zeit wird dies aber auch bestritten). Sie sind keine situativen Schreiben, sondern reflektieren theologische Fragestellungen. Die Wahl zweier unterschiedlicher Adressaten ist wohl ebenso Absicht: Sie befinden sich an unterschiedlichen Orten (Ephesus und Kreta), und so ist der Briefinhalt nicht nur für eine einzige Gemeinde von Bedeutung, sondern kann Allgemeingültigkeit beanspruchen.

 

IV. Zum Inhalt

Auseinadersetzung mit Gegnern

Auch wenn keine konkrete Situation als Anlass für den Brief ausgemacht werden kann, so ist dennoch die Auseinandersetzung mit Gegnern ein zentrales Thema innerhalb der Briefe. Die Gegner scheinen ein judenchristlich-gnostisches Profil zu besitzen, gegen das der Autor meint vorgehen zu müssen, um die christlichen Gemeinden davor zu schützen.

 

Die Gemeindeordnung

Zur Zeit der Pastoralbriefe hat sich offenbar schon eine Ämterstruktur herausgebildet. Episkopos (Bischof), Presbyter (Älteste) und Diakone scheinen für das Gemeindeleben verantwortlich zu sein. Eine genaue Definition dieser drei Ämter findet sich nicht, jedoch scheint der Episkopos als Gemeindeleiter an der Spitze zu stehen und steht in der besonderen Verantwortung, die »gesunde Lehre« angesichts der Gegner zu verteidigen.

Mit der Ausbildung der Ämter scheint zugleich die Zurückdrängung der Frauen aus dem aktiven Gemeindeleben verbunden zu sein. Anscheinend haben die Christen versucht, ihre internen Strukturen an diejenigen der hellenistischen Umwelt anzupassen, bei denen die Rolle der Frau ebenso auf die Familie beschränkt war. Zugleich konnten sie sich von Gemeinschaften – wie etwa der Gnosis – abgrenzen, bei denen Frauen gleichberechtigt waren, was eben von der hellenistischen Umwelt als inakzeptabel aufgefasst werden und zu offener Ablehnung führen konnte.

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Der Hebräerbrief  »