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Die »Katholischen Briefe«

Die Johannesbriefe

Das Neue Testament kennt drei Johannesbriefe, die gemeinsam mit dem Johannesevangelium traditionell als zusammenhängendes Schriftenkorpus überliefert wurden. Eine Entschlüsselung des Verhältnisses der Texte untereinander kann dabei helfen, sie besser zu verstehen.

Inhaltsverzeichnis

I. Die Verfasserangaben

Im 1Joh fehlen Angaben zu Verfasser und Adressaten, der Autor gibt sich als Augenzeuge aus (identifiziert sich allerdings nicht mit dem Geliebten Jünger aus Joh 21,24!). Gegen die Echtheit dieser Zuordnung sprechen gute Gründe (der 1Joh scheint das JohEv vorauszusetzen), daher handelt es sich wohl eher um einen »Fall von anonymer Pseudepigraphie« (H.-J. Klauck). Anonym deswegen, weil anders als in anderen Fällen kein wichtiger Name aus der Tradition bemüht wird. Der Autor entstammt mit hoher Wahrscheinlichkeit der johanneischen Schule, wird allerdings nicht identisch sein mit dem Autor des JohEv.

Im 2Joh und 3Joh bezeichnet sich der Verfasser als der »Ältere« bzw. »Älteste« (presbyteros), also als Autorität, die innerhalb der Gemeinde ihren Namen nicht zu nennen braucht. Anders als im 1Joh ist die Annahme der Pseudepigraphie kaum zu begründen. Wahrscheinlich sind beide Briefe von ein und demselben Verfasser geschrieben worden. Bedenkenswert ist der in der Forschung diskutierte Vorschlag, den Presbyter mit dem von Papias von Hierapolis erwähnten Presbyter Johannes von Ephesos zu identifizieren, allerdings ist die Quellenlage für eine eindeutige Zuordnung zu dürftig.

 

II. Die Adressaten

Die heutige Forschung vermutet, dass aufgrund der Nähe zum JohEv die Briefe im selben Milieu anzusiedeln sind und eventuell an die johanneischen Gemeinden um Ephesus gerichtet sind. Der 1Joh lässt erkennen, dass er von heidenchristlichen Adressaten ausgeht, die jedoch Kontakt zur jüdischen Tradition gehabt haben. Die Adressatenangaben in 2Joh und 3Joh helfen bei der Identifizierung nicht wesentlich weiter. 2Joh richtet sich an eine »auserwählte Herrin mit ihren Kindern«, was wohl als Metapher für die Gemeinde mit ihren Mitgliedern zu verstehen ist. Der 3Joh schließlich richtet sich an Gaius, ein Gemeindemitglied.

 

III. Das Verhältnis der Briefe zueinander

Der zweite und dritte Johannesbrief sind sich inhaltlich/sprachlich sehr ähnlich, unterscheiden sich aber stark vom 1Joh. 2Joh und 3Joh sind Gelegenheitsbriefe, die jeweils auf eine konkrete Situation reagieren. Aufgrund der Verfasserangabe geht man meist davon aus, dass der zeitliche Abstand zwischen der Abfassung beider Briefe relativ kurz ist.

Umstritten ist jedoch die Zuordnung des 1Joh. Diskutiert werden in der Forschung derzeit zwei Modelle:

  1. Der 1Joh ist das älteste der Schreiben, da die Probleme, auf die der 1Joh bereits hingewiesen hätte, im 2Joh akut werden und unter neuen Vorzeichen aufgegriffen werden.
  2. Eine andere Argumentationslinie kommt zu dem Schluss, dass 1Joh nach den beiden kurzen Schreiben zu datieren sei. Der Autor stamme womöglich aus dem Schülerkreis des Presbyters und wolle durch die fingierte Augenzeugenschaft den theologischen Positionen des Presbyters besonderen Nachdruck verleihen.

 

IV. Entstehungszeit und -ort

Wenn man dann voraussetzt, dass die vorredaktionelle Fassung des JohEv bereits bekannt war (die wiederum Kenntnisse der synoptischen Evangelien hatte), so ist eine Datierung der Briefe an den Beginn des 2. Jahrhunderts sinnvoll. Als Entstehungsort wird meist Ephesus vermutet.

 

V. Theologische Intentionen

Thema des 1Joh (sowie der beiden kleineren Briefe) ist die Gemeinschaft der Christen in der Liebe. Der Brief mahnt die Liebe untereinander an, die Voraussetzung sei für die Beziehung zu Gott. Greifbar wird ein Konflikt mit sogenannten Irrlehrern, die eine aus Sicht des Verfassers falsche Meinung zur Parusie vertreten. Eine Identifizierung dieser Gegner wird in der Forschung kontrovers diskutiert, die Vorschläge reichen von den Gnostikern bis hin zur reinen Gegnerfiktion. In diesem Zusammenhang wird auch die eschatologische Position deutlich: Der 1Joh vertritt eine präsentische Christologie, wonach der wahre Christ bereits am Zustand der Erlösung teilhat. Ob man diese Positionierung allerdings unbedingt als Abwehr der gnostischen Erlösungshoffnung lesen muss, sei dahingestellt. Zu denken wäre auch an eine Korrektur übertriebener Parusieerwartung innerhalb der Gemeinde – ein Problem, das auch in paulinischen Gemeinden virulent war.

Der zweite Brief wendet sich ebenfalls gegen Irrlehrer, die als Wanderprediger auftreten. Diesen Wanderpredigern soll die Gemeinde die Gastfreundschaft versagen. Im dritten Brief wird ein personeller Konflikt thematisiert. Der Presbyter scheint den Einfluss des Diotrephes in der Gemeinde beschneiden und an dessen Stelle Gaius aufbauen zu wollen.

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Der Jakobusbrief

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I. Die Frage nach dem Verfasser

Der Verfasser gibt sich im Präskript als der Herrenbruder Jakobus zu erkennen. Die Mehrheit der Forscher jedoch ist der Meinung, dass es sich um ein Pseudepigraphon handelt. Folgende Gründe stützen diese Einschätzung:

  • Der Verfasser beherrscht die griechische Sprache auf einem sehr hohen Niveau, zudem scheint er Traditionen einzuarbeiten, die bereits in griechischer Sprache vorlagen. Eine Zuschreibung an einen Handwerkersohn aus Palästina, selbst wenn er der griechischen Sprache mächtig war, ist deshalb kaum zu begründen.
  • Im Brief ist hellenistisches Gedankengut verarbeitet, wie es wohl am ehesten für das hellenistische Diasporajudentum vorauszusetzen ist.
  • Die Bezeichnung der Adressaten als »12 Stämme« und somit der Identifzierung Israels mit der Kirche passt wohl nicht in das theologische Konzept des Herrenbruders – gerade der antiochenische Konflikt gibt zu erkennen, dass Jakobus neben der Abgrenzung vom Judentum umso mehr mit dem Umgang mit Heidenchristen ringt. Zudem erinnert die Bezeichnung »12 Stämme« an den Patriarchen Jakob, so als ob der Verfasser beide für den Glauben wichtige Personen miteinander in Verbindung setzt.

Über den Verfasser wissen wir nur, dass er eine hohe hellenistische Bildung genossen haben muss, allerdings auch umfassende Kenntnisse der alttestamentlichen und frühjüdischen Tradition besaß. Die Nähe zu Mt sowie die Verbindung des vorgestellten Verfassers zu Antiochia (vgl. Gal 2,11-14) lassen eine Lokalisierung in Syrien als wahrscheinlich erachten.

 

II. Adressaten

Falls der Verfasser eine bestimmte Gemeinde anschreibt, so wäre diese wohl am ehesten im syrischen Raum zu verorten. Allerdings fehlt eine eindeutige Adressierung, und so ist auch denkbar, dass sich der Brief ganz allgemein an christliche Gemeinden richtet.

 

III. Zeitliche Einordnung

Wenn der Brief ein Pseudepigraphon ist, so ist er nach dem Tod des Herrenbruders (62 n.Chr.) entstanden. Eine zeitliche Einordnung ist schwierig, und so reichen die Datierungsversuche in der Forschung von etwa 70 bis 100 n.Chr.

 

IV. Zum Inhalt

Greifbar wird der Konflikt zwischen gesellschaftlicher Position und christlichem Lebenswandel, der sich insbesondere darin äußert, dass soziale Unterschiede auch in der christlichen Gemeinschaft gelebt werden, wodurch eine Kluft zwischen Armen und Reichen entsteht. Dem will der Verfasser entgegenwirken, indem er die Reichen ermahnt, sich mehr um die Armen zu kümmern. Argumentativ fußt der Verfasser dabei sehr stark auf jüdischen Traditionen, indem er Dekaloggebote zur Begründung heranzieht.

Die Betonung des notwendigen Zusammenhangs von Glaube und Werken im Jakobusbrief hat dazu geführt, dass man in ihm einen Gegenentwurf zur paulinischen Theologie lesen wollte. Deshalb konnte insbesondere die protestantische Tradition lange Zeit nichts mit dem Brief anfangen – nach Luther handelt es sich um eine »stroherne Epistel«. Allerdings verfehlt ein solcher Gegensatz die Aussageintention des Jak. Vielmehr lehnt er einen werklosen Glauben ab, der nutzlos ist und stellt demgegenüber fest, dass gelebter Glaube nur dann funktioniert, wenn ihm eine passende Lebenshaltung zu Grunde liegt.

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Die Petrusbriefe

Der erste Petrusbrief

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I. Verfasser

Auch wenn der 1Petr im Präskript den Anspruch erhebt, ein Schreiben des Apostels Petrus zu sein, gibt es gute Gründe an dieser Zuschreibung zu zweifeln. Insbesondere die sprachliche Qualität weist darauf hin, dass Griechisch die Muttersprache des Verfassers gewesen sein muss. Zudem lässt der Inhalt auf eine spätere Zeit schließen – der Autor nennt sich etwa »Mitpresbyter« und bezeugt damit Gemeindestrukturen, die erst Ende des 1. Jahrhunderts aktuell sind. Zudem ist die Ausbreitung des Christentums in Kleinasien vorausgesetzt, die aber zu Lebzeiten des Petrus erst am Entstehen war.

 

II. Adressaten

Der Brief richtet sich an die Auserwählten in der Diaspora (1,1), was schließlich präzisiert wird auf die römischen Provinzen im Raum Kleinasiens.

Die Gemeinden setzen sich hauptsächlich aus ehemaligen Heiden zusammen. Darauf weist vor allem die Intention des Schreibens, die Adressaten in ihrer als Anfechtung erfahrenen Minderheitensituation zu bestärken. Offensichtlich haben die Empfänger des Schreibens unter verschiedenen Bedrängnissen zu leiden, die in erster Linie durch ihre Existenz in einer fremd gewordenen Mehrheitsgesellschaft verursacht sind. Gerade für Heidenchristen war dies eine neue, verunsichernde Erfahrung. Judenchristen sind in der hellenistischen Welt mit der Minderheitensituation vertraut; auch dürfte es in ihrem Fall kaum Reaktionen von Seiten der heidnischen Zeitgenossen auf ihre Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde gegeben haben, da sie schon immer als Außenseiter wahrgenommen wurden (Marlis Gielen). 

Was die Struktur der Gemeinden betrifft, so spiegelt der Brief die Bedeutung des Presbyteramtes (5,1-4), jedoch spielen auch die Charismen weiterhin eine besondere Rolle (4,10f).

 

III. Zeit und Ort der Abfassung

Im Polykarpbrief (etwa 130-140) scheint der 1Petr rezipiert zu sein (z.B. PolPhil 1,3; 2,1f). Auch 2Petr 3,1 wird häufig als Bezug auf den 1Petr gelesen (»ich schreibe einen zweiten Brief«). Dann müsste um 130 der 1Petr bereits bekannt gewesen sein. Die Abfassung um die Jahrhundertwende bzw. am Beginn des 2. Jahrhunderts würde damit harmonieren, selbstverständlich auch ein früheres Datum. Der erkennbare Verfolgungsdruck passt in die Regierungszeit Trajans (98-117), aus der mit dem Briefwechsel zwischen Plinius und dem Kaiser ein Zeugnis über die ungesicherte rechtliche Situation der Christen in Kleinasien überliefert ist (Plinius, Ep. X 96). Auch die zweite Hälfte der Regierungszeit Domitians (81-96) könnte dem Bild von der Situation der Briefadressaten entsprechen. Die Zeitspanne zwischen 90 und dem Beginn des 2. Jh. kommt grundsätzlich als Abfassungszeitraum in Frage.

Der Brief ist nach 5,13 in Babylon verfasst worden – ein Deckname für Rom (s.a. Offb 17,9). Diese Angabe kann aber wie diejenige des Verfassers fiktiv sein und sich der Verbindung der Petrus-Tradition mit Rom verdanken. Die Vertrautheit des Autors mit der Situation der Adressaten, die ja eindeutig im kleinasiatischen Raum angesiedelt sind, spricht eher dafür, dass der Brief in Kleinasien entstanden ist. Darauf weist auch die früheste Rezeption.

 

IV. Theologische Grundlinien

Der Verfasser des 1Petr greift in hohem Maß auf Traditionen zurück. Eine große Rolle spielen alttestamentliche Zitate und Anspielungen, die z.T. bereits durch ihre Verwendung in der urchristlichen Tradition vermittelt sind. Besonders auffällig ist die Nähe zur paulinisch geprägten Überlieferung, nicht nur im Blick auf Briefformalia (v.a. 1,1f; 5,12-14), sondern auch inhaltlich: Die für Paulus so kennzeichnende »in-Christus-Formel« begegnet auch im 1Petr (3,16; 5,10.14), ebenso theologische Begriffe wie Gnade, Freiheit, Erwählung, Charisma; der Gedanke, dass die Glaubenden im Leiden Anteil am Leiden Christi erhalten, erinnert gleichfalls an Paulus. Dennoch gibt es auch Unterschiede: Im Zusammenhang der Leidensthematik fehlt der Bezug auf das »Kreuz«, die für Paulus typischen »mit-Aussagen« begegnen im 1Petr nicht, ebenso andere wichtige theologische Begriffe (z.B. Fleisch, Ekklesia [Gemeinde]). »Man muß zweifellos von einer beachtlichen Reminiszenz, kann aber nicht von Dominanz und Ausschließlichkeit des Paulinismus im 1Petr sprechen« (Norbert Brox).

Die Situation der Adressaten als bedrängte Minderheit (s.o.) bearbeitet der 1Petr auf zweifache Weise: Einerseits rückt er die heidnische Vergangenheit in ein negatives Licht (1,14.18; 2,1.11; 4,2). Die Glaubenden haben sich von den früheren Begierden gelöst. Wer wegen der Bedrängnis durch die heidnische Umwelt den Glauben aufgibt, macht also den Existenzwechsel rückgängig, der durch das Gläubigwerden vollzogen wurde (2,9: »aus der Dunkelheit in sein wunderbares Licht«). Andererseits, und viel stärker profiliert, wird den Adressaten positiv vor Augen gestellt, wer sie sind und worauf sie zugehen. Sie sind Erwählte (bereits in der Adresse: 1,1; 2,9), Ehrentitel Israels sind auf sie übertragen (2,9f), das Heil liegt als »reines und unverwelkliches Erbe« im Himmel für sie bereit (1,3-9).

Den Glaubenden ist es möglich, die Bedrängnis im Blick auf das Beispiel Christi zu bewältigen. Die Erinnerung an die Passion Christi kann auf das Moment des Vorbildhaften zielen: Auch Christus musste leiden, so dass die gegenwärtige Not als Nachfolge Christi erfahren werden kann: 2,21-23; 4,1. Daneben aber betont der 1Petr auch die Wirkung des Leidens Christi für die Glaubenden: die Eröffnung von Heil durch Jesu Tod (1,18f; 2,24f; 3,18). Sofern das Leiden aus dem Bekenntnis zu Christus resultiert und nicht Strafe für Verfehlungen ist (2,19f im Rahmen der Sklaven-Paränese), kann es in die christliche Existenz integriert werden.

Eine vorbildliche Lebensführung hat missionarische Bedeutung (3,1f; auch 3,16). Der Verfasser des 1Petr betont zwar den Graben, der das Leben der Glaubenden von ihrer Herkunft (und also auch von ihrer heidnischen Umwelt) trennt. Er will aber keineswegs, dass die Kommunikation abreißt und die Gemeinde sich von der Umwelt abschließt. Er setzt auf die positiven Wirkungen eines vorbildlichen Lebens aus dem Glauben gerade im Blick auf die Anfeindungen, unter denen die Glaubenden zu leiden haben. »Seid stets bereit zur Antwort jedem gegenüber, der von euch Rechenschaft verlangt über die Hoffnung, die in euch ist« (3,15).

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Der zweite Petrusbrief

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I. Verfasserfrage

Zweifel an der Verfasserschaft des Petrus reichen bis in die Alte Kirche zurück. Sie gründen in der sprachlichen Qualität des Briefes, die auf einen gebildeten muttersprachlichen Verfasser weist und einem Fischer vom See Genesaret kaum zuzutrauen ist. Außerdem ist der Brief literarisch abhängig vom Judasbrief, und das müsste gerade angesichts der Augenzeugenschaft, die für das Wirken Jesu beansprucht wird (1,16), bei einem Autor Petrus überraschen. Der Verweis auf den pseudepigraphischen 1. Petrusbrief (2Petr 3,1) bekräftigt den pseudepigraphischen Charakter des 2Petr. Außerdem wird in 3,4 deutlich, dass der Brief nach dem Tod des Petrus verfasst worden sein muss – die erste Generation der Christen ist schon gestorben.

 

II. Adressaten

Die Adresse ist weit formuliert (»an die, die einen gleich kostbaren Glauben empfangen haben«), weshalb das Schreiben unter die »katholischen Briefe« eingeordnet ist. Der Verfasser hielt möglicherweise das behandelte Problem (Zweifel an der Wiederkunft Christi, siehe unten) für verbreitet und zielte auf eine Rezeption nicht nur in einem angebbaren begrenzten Raum. Dennoch gibt es besondere Verbindungen zu Kleinasien, da das Schreiben mit dem 1Petr verknüpft wird (»der zweite Brief«: 3,1) und also dieselben Adressaten im Blick hat. Dass auf eine Paulusbriefsammlung Bezug genomen wird (3,15f), fügt sich zu dieser Lokalisierung. Dann wäre in erster Linie an Heidenchristen zu denken. Dazu passt zudem die Warnung vor Parusiespöttern, die möglicherweise mit einer epikureisch begründeten Skepsis zusammenhängt (Ingo Broer).

 

III. Zeit und Ort der Abfassung

Die erste christliche Generation gehört bereits der Vergangenheit an (»seitdem die Väter entschlafen sind«). Die Erwähnung des 1Petr (s. hier zur Datierung) weist darauf, dass der 2Petr kaum vor der Jahrhundertwende entstanden ist. In dieselbe Richtung deutet der Bezug auf eine Sammlung von Paulusbriefen (3,15) sowie die Abhängigkeit vom Judasbrief. Eine Obergrenze dürfte durch die Benutzung des 2Petr in der Petrus-Apokalypse gegeben sein, die auf die Mitte der 130er Jahre datiert wird. Da man für die Verbreitung der jeweiligen Schriften einige Zeit veranschlagen muss, ist der 2Petr am besten in den Beginn der zwanziger Jahre des 2. Jahrhunderts zu datieren.

Zur Frage der Lokalisierung werden verschiedene Antworten vorgeschlagen: Rom (wegen der Zuschreibung an Petrus), Ägypten bzw. Alexandrien (wegen der Rezeption durch die dort entstandene Petrus-Apokalypse), Kleinasien (wegen des Bezugs auf den 1Petr und die Paulusbriefsammlung). Eine sichere Entscheidung ist kaum möglich.

 

IV. Theologische Grundlinien

Hauptthema des Briefes ist das Festhalten an der Parusieerwartung. Dies wird aber nicht allein grundsätzlich-theologisch entfaltet, sondern in Abwehr von Lehren, gegen deren Träger der Brief polemisiert. Was auf der Textebene als Zukunftsschau erscheint, bestimmt die Gegenwart des Autors: »In den letzten Tagen werden Spötter mit Spötterei kommen, die nach ihren eigenen Begierden wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an.« (3,3f) Deutlich wird also das Problem der Parusieverzögerung. Die Erwartung der Wiederkunft Christi – in der ersten Generation noch auf die unmittelbare Zukunft gerichtet – geriet mit der Zeit in die Krise.

Der Verfasser des 2Petr setzt den Gedanken der Langmut Gottes dagegen: Durch das Weiterlaufen der Zeit gibt Gott Gelegenheit zur Umkehr (3,9). Außerdem ist das andere Zeitmaß Gottes zu bedenken: »beim Herrn ist ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag« (3,8). Deshalb darf man sich durch die Fortdauer der bestehenden Welt nicht irre machen lassen. Der Tag des Herrn wird überraschend kommen (»wie ein Dieb in der Nacht«), und diese Welt wird untergehen und einem neuen Himmel und einer neuen Erde weichen (3,10-13). Als Vorbild dient die alte Welt, die in der Sintflut unterging (3,5f). Wie sie durch Wasser vernichtet wurde, so die jetzige Welt durch Feuer (3,7).

Daraus ergibt sich die Forderung eines »heiligen Wandels«, dem auch eine Funktion für das Kommen des Endes zugeschrieben wird: Er beschleunigt das Kommen des Tages Gottes (3,11).

Damit wird zugleich ein Gegenprogramm zu den Falschlehrern präsentiert. Diese erscheinen als Vertreter eines libertinistischen Ethos: Sie sind gekennzeichnet durch »fleischliche Begierden«, »Ausschweifungen«, »Schwelgerei bei Tage«, »Befleckungen der Welt«, haben »Augen voll Begierde nach der Ehebrecherin«, sind »wie unvernünftige Tiere, von Natur aus zum Eingefangenwerden und Verderben geschaffen«, »Kinder des Fluches«, »Sklaven des Verderbens« (vgl. 2,10-22). Noch ehe gesagt wird, was die »falschen Propheten« und »falschen Lehrer« (2,1) an falscher Lehre vertreten, werden sie ethisch abqualifiziert und in ihrer Gefährlichkeit für die Glaubenden profiliert. Die Polemik wird als Mittel der Abschreckung eingesetzt.

Deshalb ist es schwer, ein historisch zutreffendes Bild der Gegner zu gewinnen. Da sie offensichtlich die »Freiheit« betont haben (2,19) und ihnen eine Fehldeutung der Paulusbriefe vorgeworfen wird (3,16), könnten sie sich auch auf Paulus berufen haben, der im Zusammenhang der Debatten um die Mose-Tora die Freiheit in Christus betont hat (s. v.a. im Galaterbrief). Die Zuordnung der Gegner zur Gnosis hat in letzter Zeit an Boden verloren. Einen ethischen Laxismus kann man ihnen nicht zuschreiben, da die entsprechenden Passagen offensichtlich polemische Funktion haben.

Literarisch wird die Bedeutung der Mahnungen und Warnungen des »Petrus« dadurch unterstrichen, dass sie als Testament gestaltet sind (1,14: »das Ablegen meines Zeltes geschieht bald«). Die letzten Worte, so der Anspruch, bringen das für die Zukunft Wichtige zur Sprache. Auch die Erinnerung an die Augenzeugenschaft des Wirkens Jesu und der Offenbarung von dessen Würde (1,16-19) dient diesem Anliegen der Vergewisserung: Wer die Worte des Apostels beachtet, baut auf sicherem Grund.

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Der Judasbrief

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I. Verfasserfiktion

Der Verfasser weist sich im Präskript als Judas, Bruder Jesu, aus. (Gemeint ist also nicht der Verräter Judas Iskariot.) Er verrät seine Fiktion jedoch selber, indem er auf die apostolische Tradition (Jud 17) zurückblickt. Womöglich will er die Autorität des Herrenbruders nutzen. Der Autor ist als Judenchrist zu identifizieren, er kennt apokryphe wie pseudepigraphische jüdische Traditionen.

 

II. Adressaten, Zeit und Ort der Abfassung

Zu den ursprünglichen Adressaten lassen sich keine Angaben machen. Der Brief richtet sich universell an alle »Berufenen, die von Gott dem Vater, geliebt und für Jesus Christus bestimmt und bewahrt sind« (Jud 1). Die Nähe zum 2. Petrusbrief (der den Brief als Vorlage benutzt hat) lässt die Abfassung in Kleinasien vermuten, was allerdings keinesfalls sicher ist. Die im Brief vorausgesetzte Situation, die mögliche Nähe zum Jakobusbrief sowie der zeitliche Abstand zu den Aposteln lassen eine Abfassung um die Jahrhundertwende vermuten.

 

III. Intention und Inhalt

Der Brief reagiert auf Irrlehren, die womöglich von Wanderpredigern verbreitet werden und die Gemeinde bedrohen. Inhaltlich scheint insbesondere ein hohes pneumatisches Selbstbewusstsein sowie eine libertinistische Grundhaltung die Position der Gegner zu bestimmen. Meinte man früher, die Gegner mit Gnostikern identifzieren zu müssen, so wird in der neueren Forschung auch die Alternative einer Auseinandersetzung mit der Paulustradition diskutiert.

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Die Offenbarung des Johannes  »