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Die Briefe des Paulus und ihre Sammlung

Die Paulusbriefe im Rahmen antiker Epistolographie

Die Paulusbriefe lassen sich keiner der drei Gruppen von antiken Briefen eindeutig zuordnen.

  • Einerseits tragen sie das Merkmal von Gebrauchsliteratur: Sie haben einen bestimmten Anlass und Zweck, sind wirkliches Kommunikationsmittel, mit dem der abwesende Apostel bei der Gemeinde ist. Paulus macht bisweilen das Verhältnis zu den Adressaten direkt zum Gegenstand der Aussage, wenn er sich an das Vergangene erinnert (Gal 4,13-15) oder seine Sehnsucht nach der Gemeinde ausdrückt (1Thess 2,17).
  • Andererseits weisen die Briefe des Paulus auch Elemente des literarischen Briefes auf. So finden sich in den Paulusbriefen literarische Kunstformen (Antithesen, Typologien, Vergleiche, Ironie u.a.m.). Die Verbindung von lehrhaften und ethischen Passagen erinnert an philosophische Briefe, in denen sich auch Selbstdarstellung und Selbstzeugnis findet – ähnlich bei Paulus (z.B. 1Kor 4,16f; Phil 1,12-26; 2Kor 11,16-12,13; s.a. Länge und Sammlung).

So stellen die Paulusbriefe eine Übergangsform zwischen nichtliterarischen und literarischen Briefen dar.

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Inhaltsverzeichnis

I. Briefanfang

Wie in antiken Briefen üblich, setzt sich die Eröffnung zusammen aus Präskript und Proömium.

Im Präskript folgt Paulus der griechischen Konvention darin, dass der Absender im Nominativ voransteht und die Angabe des Adressaten im Dativ folgt. Aus dem orientalischen Formular übernimmt er die Zweisätzigkeit: Paulus schreibt als Eingangsgruß nicht χαίρειν; er setzt nach der Nennung von Absender und Adressaten neu ein mit dem Gnaden- und Friedenswunsch.

  • Als Absender erscheinen Paulus und Mitarbeiter; gewöhnlich bezeichnet sich Paulus als Apostel (Röm 1,1; Phil 1,1 als »Knecht Christi«; nur in 1Thess 1,1 keine Titulierung); die Mitarbeiter werden als »Brüder« bezeichnet (außer Phil 1,1: »Knecht Christi«).
  • Adressaten sind Gemeinden, meist bezeichnet als ekklesiai (auch im Philemonbrief als Mitadressat), andere Umschreibungen nur im Röm und im Phil (»Heilige in Christus Jesus«; »Geliebte Gottes, berufene Heilige«); Funktionsträger nur im Phil als Mitadressaten (»Episkopen und Diakone«); s. dazu auch hier).
  • Der Gruß hat eine feste Form: »Gnade euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus« (nur 1Thess 1,1 – also der älteste Paulusbrief – bietet eine Kurzform).

Das Proömium gestaltet Paulus gewöhnlich als Danksagung an Gott; Grund des Dankes ist die Gemeinde. Nur im 2Kor findet sich eine Eulogie (»Gepriesen sei Gott …«). Im Galaterbrief besteht kein Grund zum Dank (»Ich wundere mich …«). Funktion des Proömiums:

  • Wohlwollen der Leser gewinnen (Captatio benevolentiae);
  • Vorbereitung des Inhalts und Anliegens des Briefes.

 

II. Briefschluss

Die formale Bestimmung des Briefschlusses ist nicht so eindeutig durchzuführen wie die des Briefanfangs. Vor allem der Beginn des Schlussteils ist oft strittig. Offensichtlich verfuhr Paulus bei der Gestaltung des Briefschlusses wesentlich freier als bei der Brieferöffnung.

Als wiederkehrende Elemente des Epilogs zeigen sich

  • allgemeine Mahnungen (z.B. 1Thess 5,16; 1Kor 16,13)
  • Ausblick auf einen Besuch (Phlm 22)
  • fürbittender Segenswunsch (1Thess 5,23; Röm 15,33)

Das Postskript bildet sich aus zwei Elementen:

  • Schlussgrüße, bei denen sich alle Formen finden, die in antiken Briefen üblich waren (für den Typ »1. Person« kommt allerdings nur 1Kor 16,21 in Frage: Gruß mit eigener Hand).
  • Segenswunsch, vergleichbar dem Wohlergehenswunsch in antiken Privatbriefen. Die paulinische Form entspricht dem Abschluss des Präskripts, denn der Zuspruch der Gnade erscheint auch hier, allerdings überwiegend nur christologisch bestimmt: »Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch« (1Thess 5,28; 1Kor 16,23; Röm 16,20) oder »…mit eurem Geist« (Phil 4,23; Phlm 25; Gal 6,18).

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Die Sammlung der Paulusbriefe

Ursprünglich waren die Paulusbriefe Einzelschreiben an bestimmte Gemeinden gewesen, die aber im Lauf der Zeit gesammelt und zu einem Briefkorpus vereinigt wurden (13 oder 14 Briefe, je nachdem ob man den Hebräerbrief einbezieht). Der Weg zu dieser Sammlung kann nicht mehr im Einzelnen erhellt werden, doch lassen sich Indizien benennen, die diese Entwicklung plausibel erscheinen lassen.

  • Paulus selbst rechnete mit der Weitergabe seiner Briefe, wenn er einen weiteren Adressatenkreis anschrieb: die Gemeinden Galatiens, »alle Heiligen in der Achaia« (2Kor 1,1).
  • Der Kolosserbrief, wahrscheinlich ein pseudepigraphisches Schreiben, belegt, dass in paulinischen Gemeinden Paulusbriefe ausgetauscht wurden (Kol 4,16). Darauf deutet auch die Benutzung mehrerer Paulusbriefe durch die Verfasser der deutero- und tritopaulinischen Briefe.
  • Der 1. Clemensbrief – entstanden Ende der 90er Jahre in Rom – verwendet in einem Brief an die Gemeinde von Korinth zumindest den 1Kor, vielleicht noch weitere Briefe.
  • 2Petr 3,15f (um 120) spricht von »allen Briefen« des Paulus, setzt also deutlich eine Sammlung voraus.
    Wahrscheinlich bildeten sich zunächst »lokale Kleinsammlungen« (U. Schnelle), aus denen größere Einheiten erstellt wurden, denn: die frühen Kanonverzeichnisse kennen kein festes Anordnungsprinzip. Vielleicht haben die Pastoralbriefe (1/2Tim; Tit) besondere Bedeutung beim Übergang zu größeren Sammlungen gehabt, da sie als relativ späte Erzeugnisse wohl nur noch im Rahmen einer Neuedierung der Paulusbrief-Sammlung in Umlauf gebracht werden konnten. Dass Paulus selbst für die erste Sammlung seiner Briefe gesorgt habe (so D. Trobisch), hat kaum Zustimmung gefunden.

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