Zum Inhalt springen

Die authentischen Paulusbriefe

In der neutestamentlichen Forschung hat sich ein relativer Konsens herausgebildet, was die Frage der Echtheit der paulinischen Briefe angeht. Zu 1Thess, 1/2Kor, Gal, Röm, Phil und Phlm wird die Abfassung durch Paulus gewöhnlich nicht bestritten; dagegen gelten 2Thess, Kol und Eph (sog. Deuteropaulinen) und 1/2Tim und Tit (sog. Tritopaulinen bzw. Pastoralbriefe) als pseudepigraphische Schreiben: von späteren Autoren unter dem Namen des Paulus geschrieben. Allerdings werden vor allem in der englischsprachigen Literatur, vereinzelt auch in deutschen Forschungsarbeiten, der 2Thess und der Kol immer wieder als authentisch paulinisch bezeichnet. Absolut einheitlich ist die Forschungslandschaft nicht, aber die Aufteilung in sieben unumstritten echte und sechs nachpaulinische Briefe hat sich doch weithin durchgesetzt.

Inhaltsverzeichnis

Der erste Brief an die Thessalonicher

Inhaltsverzeichnis

I. Absender und Adressaten

Neben Paulus werden auch Timotheus und Silvanus als Absender genannt. Ob der manchmal auftretende Wir-Stil im Brief ein Verfasser-Kollektiv markieren soll und die beiden Mitarbeiter und Begleiter einschließt oder sich allein auf Paulus als Verfasser bezieht, wird unterschiedlich beurteilt. Die paulinische Verfasserschaft steht allerdings nicht zur Diskussion.

Der Brief ist gerichtet an die Thessalonicher. Gemeint ist die Gemeinde der makedonischen Hauptstadt Thessaloniki.

 

II. Chronologische Einordnung

Der erste Thessalonicherbrief ist das älteste Dokument des Neuen Testaments. Paulus hat vermutlich um das Jahr 49/50 die Stadt besucht, und so muss der Brief kurze Zeit später abgesendet worden sein, also etwa im Jahr 50.

 

III. Kommunikationssituation

Paulus verfolgt paränetische Absichten. Er musste aufgrund von nicht näher dargestellten Verfolgungen die Stadt früher als erwartet verlassen und hinterließ eine Gemeinde, die er gerne noch weiter im Glauben gefestigt hätte, bevor er die dortigen Christen in ihre »Selbstständigkeit« entlassen wollte. Er schmiedet weiter Besuchspläne, sieht aber kurzfristig keine Möglichkeiten. Während der Abfassung des Briefes befindet er sich voraussichtlich in Athen. Er nimmt den Brief zum Anlass, die junge Gemeinde zu stärken und lobt sie für ihr bisher vorbildliches Verhalten.

 

IV. Überblick über den Inhalt

Der erste Teil des Briefes versucht, wie erwähnt, die Gemeinde zu stärken. Problematisch erscheint im ersten Teil das negative Urteil über »die Juden«, die als Feinde aller Menschen beschrieben werden (2,13-16). Paulus greift an dieser Stelle ein in der Antike gängiges Urteil über die Juden auf und deutet es heilsgeschichtlich auf die Ablehnung der christlichen Mission hin um. Dieses Zitat – aus dem Kontext gerissen ein Ärgernis – lässt sich nur aus der Briefsituation heraus erklären. Wahrscheinlich wurden einzelne Gemeindemitglieder von nichtchristlichen Mitbürgern als Juden wahrgenommen und beschimpft. Diese Unsicherheit nützt Paulus aus, um seiner Verärgerung über jüdische Anfeindungen der christlichen Mission einerseits Luft zu machen und andererseits den verunsicherten Gemeindemitgliedern aufzuzeigen, dass auf sie dieses Urteil in keiner Weise zutreffe.

Im zweiten Teil des Briefes (4,13-18) wird zumindest ein wichtiges theologisches Problem erörtert. Offenbar hat es in der Gemeinde einen oder mehrere Todesfälle gegeben. Daher interessieren sich die Thessalonicher für die Frage, ob bei der Wiederkunft des Herrn auch die bereits verstorbenen Christen Anteil am Heil hätten, oder ob sie für immer verloren seien wie die Heiden. Paulus beruhigt sie, indem er ihnen erläutert, dass bei der Wiederkunft zunächst die Toten auferweckt würden und Christus mit ihnen anschließend die noch lebenden Gläubigen zur bleibenden Gemeinschaft mit Christus entrücken würde.

nach oben

Der erste Brief an die Korinther

Inhaltsverzeichnis

I. Verfasser

Als Verfasser des ersten Korintherbriefes werden Paulus und Sosthenes genannt. Da der Brief ansonsten in Ich-Form gestaltet ist, kann man nicht darauf schließen, dass hier zwei gleichwertige Autoren am Werke sind. Der Mitabsender muss der Gemeinde ein Begriff gewesen sein, seine Nennung mag dem Schreiben Nachdruck verleihen. Wir wissen heute nichts über Sosthenes, da er ansonsten nicht mehr genannt wird. Apg 18,17 erwähnt den Synagogenvorsteher Sosthenes, eine Identifizierung beider Personen ist jedoch spekulativ.

 

II. Zeit und Ort der Abfassung

1Kor 16,8 gibt Ephesus als Ort der Abfassung des Briefes an. Man datiert ihn zumeist aufgrund der dort genannten bevorstehenden Reisepläne ins letzte Jahr seines Wirkens in Ephesus (also um 55/56). Spätere Hinweise über seine Gefangenschaft in Ephesus, aber auch die Hinweise in 2 Kor 1,15-22 über die durchkreuzten Reisepläne, lassen diese Datierung zumindest nicht zwingend erscheinen. Auch eine Abfassung im Jahr 53 oder 54 ist denkbar.

 

III. Adressaten und Briefsituation

Der Brief ist gerichtet an die Gemeinde von Korinth. Korinth war eine der bedeutendsten Handelsstädte der Antike, die durch die beiden Häfen Lechaion und Kenchreä angesteuert werden konnte. Die Stadt hatte zur Zeit des Paulus ca. 100.000 Einwohner. Johannes Weiß bezeichnete in seinem bedeutenden Kommentar zum 1Kor die Stadt Korinth mit treffendem Wortwitz als das »Sankt Pauli der Antike«, womit alles über den zweideutigen Ruf der Metropole ausgesagt ist.

Die Gemeinde setzt sich zu großen Teilen aus Heidenchristen zusammen. Die meisten waren der Unterschicht zuzurechnen, Röm 16,23 zählt aber auch wohlhabende Gemeindemitglieder in Korinth auf. Insgesamt scheint die Gemeinde in vielen Punkten zerstritten bzw. unsicher zu sein. Paulus erhielt schriftliche Anfragen und Nachrichten aus der Gemeinde, auf die er in seinem Brief eingeht, um die Einheit der Gemeinde zu bewahren und ihr Sicherheit im Glauben zu geben.

 

IV. Zum Inhalt

Paulus reagiert auf Anfragen aus Korinth und geht zunächst auf Gefahren ein, die ihre Einheit gefährden bzw. einzelne Mitglieder vor eine theologische Zerreißprobe zu stellen scheinen:

  • Parteienbildung 1,10-4,21
  • Missstände in der Gemeinde 5,1-6,20
  • die Frage nach Ehe und Ehelosigkeit 7,1-40
  • die Frage nach Genuss von Götzenopferfleisch 8,1-11,1
  • Missstände bei der Feier des Gottesdienstes 11,2-34
  • Die Frage nach den unterschiedlichen Geiestesgaben 12,1-14,40

Was die Frage nach dem Genuss von Götzenopferfleisch angeht, steht Paulus einerseits auf Seiten der »Starken«, die der Meinung sind, man könne dieses Fleisch ohne Bedenken verzehren, weil die Götter, auf die es geweiht ist, nicht existierten bzw. keine Macht besäßen. Andererseits aber sieht er, dass noch nicht alle Gemeindemitglieder diese Position als selbstverständlich betrachten, und so mahnt er die »Starken«, zugunsten der »Schwachen« auf den Genuss von Götzenopferfleisch zu verzichten.

Der Zerrissenheit der Gemeinde versucht er mit der Leib-Metapher zu begegnen. Das in der Antike verbreitete Modell, gesellschaftliche Strukturen und Hierarchien zu festigen, münzt Paulus um zu einer Metapher der pluralen Gestalt der Gemeinde und des solidarischen Aufeinander-Angewiesenseins ihrer Glieder. Damit versucht er die Streitereien der Gemeindemitglieder ad absurdum zu führen und jedem eine gleichwertige Rolle in Christus zuzuweisen – besonders im Blick auf den Streit über die unterschiedlichen Gnadengaben.

Ein Aufruf zur Kollekte sowie die Nennung seiner Reisepläne schließen den Brief ab.

nach oben

Der zweite Brief an die Korinther

Inhaltsverzeichnis

I. Verfasser

Die Authentizität des Briefes ist in der aktuellen Forschung unbestritten. Als Mitabsender nennt Paulus seinen Begleiter Timotheus.

 

II. Zeit und Ort der Abfassung

Die Zeitangabe in 2Kor 8,10 auf die Kollekte, die im vergangenen Jahr stattgefunden habe, weist darauf hin, dass der 2Kor mindestens ein halbes Jahr nach dem 1Kor geschrieben sein muss (der 1Kor wurde im Frühjahr geschrieben und kündigt die Kollekte an, der Jahreswechsel war im Herbst). Zu datieren wäre der Brief dann für den Zeitraum 54-56.

 

III. Ein Brief oder mehrere Briefe? Zur Situation der brieflichen Kommunikation

Zwischen Kapitel 9 und Kapitel 10 kommt es zu einem inhaltlichen Bruch, der sich im Rahmen ein und desselben Briefes kaum schlüssig erklären lässt. Der versöhnliche Teil des ersten Teils wird plötzlich durchbrochen durch einen ganz anderen, anklagenden Ton. Der Wechsel geschieht ohne Überleitung und ohne Einordnung der Konfliktsituation. Daher ist davon auszugehen, dass irgendwann im Überlieferungsprozess die beiden Briefe zu einem einzigen Brief verbunden wurden und der vorausgehende Brief (oft wegen 2Kor 2,4 als »Tränenbrief« bezeichnet) an den späteren Brief (»Versöhnungsbrief«) angehängt wurde.

Es gibt auch Ansätze, die einen dritten Brief extrahieren – die apostolische Apologie in 2,14-7,4 –, der dann der älteste Teil der Korrespondenz sein müsste.

In jüngster Zeit geht die Tendenz der Forschung eher in Richtung Einheitlichkeit. Das Problem des Bruches zwischen Kapitel 9 und 10 bleibt freilich eine Hypothek für diese Position.

 

IV. Zum Inhalt

Der frühere Brief (Kap. 10-13) setzt sich sehr scharf mit Gegnern auseinander. Diese waren Judenchristen, die den Apostolat des Paulus vor der korinthischen Gemeinde in Zweifel zogen. Die Kritik scheint – anders als im Galaterbrief – keine theologischen Grundsatzfragen (Beschneidung, Verpflichtung auf die Tora etc.) zu berühren. Vielmehr scheinen die Gegner Paulus dafür zu kritisieren, dass bei seiner Verkündigung Machterweise und ekstatische Phänomene keine Rolle spielen. Zudem könnten sie auch den bewussten Verzicht des Paulus auf Unterhalt durch die Gemeinde als Argument gegen sein Apostelsein gewendet haben.

So kann der 2Kor insgesamt und die Passage 2,14-7,4 im Besonderen als Apologie des paulinischen Apostolats gelesen werden. Im Gegensatz zu seinen Gegnern definiert Paulus seine Apostolizität durch die Macht Gottes. Die Betonung seiner Schwachheit dient ihm dazu, auf die Kraft Gottes, die im Apostel wirkt, zu verweisen. Er ist von Gott beauftragt, das Evangelium zu verkünden. Nicht an persönlichen Vorzügen und Äußerlichkeiten entscheidet sich der Aposteldienst, sondern an der Botschaft. Wer also an der Apostolizität des Paulus zweifelt, der zweifelt an der Botschaft, die er verkündet.

nach oben

Der Brief an die Galater

Inhaltsverzeichnis

I. Zeit und Ort der Abfassung

Der chronologisch einzige verwertbare Hinweis für die Abfassung des Galaterbriefes ist die Notiz zur Kollektenvereinbarung auf dem Apostelkonzil (2,10). Da die Kollekte im Gal keine Bedeutung mehr hat, scheint sie bereits abgeschlossen zu sein. Damit ist der Gal wohl nach dem 1Kor abgefasst, dem zufolge die Kollekte in Galatien wohl noch im Gang ist (16,1). Wie groß der Abstand zum 1Kor ist, lässt sich allerdings nicht bestimmen. Inhaltliche Überlegungen weisen freilich darauf hin, dass der Gal vor dem Röm entstanden sein muss. So ist eine Datierung auf den Zeitraum 54-56 sinnvoll. Rückt man den Brief in die Nähe des 1Kor, so wird man als Abfassungsort auch Ephesus annehmen können. Möglich wäre aber auch, dass der Brief auf der Reise von Ephesus nach Makedonien entstanden ist.

 

II. Adressaten und briefliche Situation

Es ist aus heutiger Sicht strittig, wen Paulus mit den »Gemeinden der Galatia« angesprochen hat. Die Forschung diskutiert zwei unterschiedliche Positionen:

  • Die Landschafts- oder nordgalatische These geht davon aus, dass Galatien auf die im Norden der Provinz gelegene Landschaft Galatien zu beziehen sei.
  • Nach der Provinz- oder südgalatischen These hingegen wird die Bezeichnung für die gesamte Provinz Galatien verwendet und somit seien auch die Landschaften Pisidien, Lykaonien und Isaurien einzuschließen.

Der Brief gibt keine Hinweise in der Frage, wann die Gemeinde gegründet wurde. Sicher ist, dass die Gemeinde heidenchristlich geprägt ist. Das wird aus dem Anlass des Schreibens überdeutlich: In der Gemeinde sind judenchristliche Missionare tätig geworden, die die Galater auf die Tora verpflichten wollten und wahrscheinlich die apostolische Autorität des Paulus angezweifelt haben. Paulus hat von den Entwicklungen erfahren und schreibt einen Brief, der polemische Passagen enthält, aber auch theologisch argumentiert.

 

III. Zur theologischen Argumentation

Die Konfrontation mit den Judenchristen veranlasst Paulus zur Formulierung der Rechtfertigungstheologie. Die Forderung, die Heidenchristen müssten sich beschneiden lassen und die Gebote der Mose-Tora befolgen, um das Heil Gottes zu erlangen, lehnt Paulus ab. »Der Mensch wird nicht gerechtfertigt aus Werken des Gesetzes, sondern durch Glauben an Jesus Christus« (2,16). Tod und Auferstehung Christi sind nach Paulus zum Heil aller Menschen geschehen. Eine Verpflichtung auf die Tora würde diese Heilsvorstellung zunichte machen: Da die Tora allein den Juden gegeben ist, wären die Heiden als Heiden vom Heil ausgeschlossen; es würde eine zusätzliche Bedingung für die Rettung erhoben, »Christus wäre umsonst gestorben« (2,21).

Im Galaterbrief spricht Paulus vom Gesetz rundum negativ – wahrscheinlich aufgrund der polemischen Situation. Im Römerbrief finden sich theologische Versuche, das Gesetz wieder in ein etwas positiveres Licht zu rücken. Ob er dort zu einer ausgeglicheneren Position findet, ist allerdings umstritten.

nach oben

Der Brief an die Philipper

Inhaltsverzeichnis

I. Zeit und Ort der Abfassung

Der Philipperbrief ist ein Gefangenschaftsbrief. Die Haftbedingungen werden allerdings als sehr locker geschildert. Da dies sehr gut mit den Angaben der Apostelgeschichte zur Haft des Paulus in Rom passt, wird Rom immer wieder als Abfassungsort des Phil ins Spiel gebracht. Der rege Austausch zwischen dem verhafteten Paulus und der Gemeinde aus Philippi wird aber durch die weite Entfernung eher unwahrscheinlich. Gleiches gilt für Cäsarea, wo wir ebenfalls Notizen über eine Haft des Paulus haben. Daher ist wohl eher Ephesus als Abfassungsort anzunehmen. Dort hielt sich Paulus einige Zeit auf und spricht immerhin davon, in der Asia in Todesgefahr gekommen zu sein (2Kor 1,8f), was auf einen Prozess mit der Gefahr eines Todesurteils in Ephesus schließen ließe.

Entscheidet man sich für Ephesus, dann ist der Brief vor dem Aufbruch des Paulus nach Makedonien anzusetzen, also um das Jahr 55.

 

II. Adressaten

Philippi wurde um 358/357 v.Chr. durch Philipp II. von Makedonien gegründet. Die Stadt war stark römisch geprägt. Eine Synagoge konnte bis heute nicht nachgewiesen werden. Die Gemeinde setzt sich also vornehmlich aus Heidenchristen zusammen. Die Philipper sind nicht irgendeine Gemeinde, sondern die »Lieblingsgemeinde« des Paulus – die einzige Gemeinde, von der er jemals finanzielle Unterstützung angenommen hat. Der dem Brief vorausgehende ständige Dialog zwischen Apostel und Gemeinde wurde dabei nicht aus rein missionarischen Interessen gepflegt, sondern aktiv durch die Gemeindemitglieder am Laufen gehalten.

 

III. Fragen zur Einheitlichkeit

Wahrscheinlich ist mit 3,2-4,3 ein zweiter Brief aufbewahrt worden, der sich mit möglichen Gegnern der paulinischen Mission beschäftigt. Eventuell wurde dieser Teil nach Ausbruch der galatischen Krise verfasst und nachträglich dem früheren Schreiben einverleibt.

Die Adressierung an die Episkopen und Diakone könnte ein späterer Einschub sein, da Ämterstrukturen bzw. Amtsbezeichnungen bei Paulus ansonsten noch keine Rolle spielen (nur Röm 16,1 erwähnt Phoebe als Diakon [διάκονος]) und erst in den Pastoralbriefen auftauchen. Im weiteren Verlauf des Briefs werden die »Episkopen und Diakone« nicht mehr erwähnt. Es ist schwer zu erklären, warum Paulus in der Briefadresse Episkopen und Diakone eigens grüßen sollte. Allerdings bezeugen alle Handschriften die fragliche Wendung – eine Schwierigkeit, mit der die Einschätzung, es handle sich um einen Nachtrag, zu kämpfen hat.

 

IV. Situation und Inhalt

Der ältere Brief, der bei der Redaktion die Grundlage bildete, kommt der antiken Gattung des Freundschaftsbriefes ziemlich nahe. Hierbei geht es vor allem um das Aufrechterhalten der Kommunikation mit der Gemeinde. Anlass ist eine konkrete Geldspende der Gemeinde für die Missionsarbeit des Paulus. Der Einschub in Kap. 3 scheint eine spätere Situation zu reflektieren. Paulus fürchtet anscheinend ähnlich wie in Galatien eine »Gegenmission« durch judenchristliche Missionare und bezieht mit rechtfertigungstheologischen Anspielungen vorbeugend Position gegen sie (»Gebt acht auf die Hunde«, 3,2).

Der jüngere Brief könnte von 3,2 bis 4,3 gereicht haben. Liest man 4,4 direkt hinter 3,1, würde sich auch gut erklären, warum Paulus sagt, es sei ihm nicht lästig »euch dasselbe zu schreiben«. Er schreibt nämlich dann dreimal hintereinander: »Freut euch!«

Den Rahmen für das Verständnis der theologischen Aussagen bildet die Spannung zwischen Todesgefahr und der Freude als christlicher Grundstimmung. Besonders folgende Argumentationslinien innerhalb des Phil sind hervorzuheben:

  • Die Auseinandersetzung mit seinem eigenen Tod führt Paulus dazu, neben seinen üblichen Aussagen zur Parusie als universelles Geschehen am Tag des Herrn, auch den individuellen Tod zu bedenken. Der Tod des Einzelnen führt demnach zur Christusgemeinschaft. In der Forschung ist man sich nicht einig, wie der scheinbare Widerspruch dieser beiden Sichtweisen zu verstehen ist. Schnelle etwa setzt den Brief erst nach dem Röm an und erkennt in den Aussagen zum individuellen Tod eine theologische Weiterentwicklung des Paulus. Da im Brief allerdings beide Argumentationsstränge parallel auftauchen, wird man die Unterschiede wohl allein in der unterschiedlichen Perspektive festmachen müssen.
  • Diese Christusgemeinschaft wird auch zur ethischen Maxime des Briefes. In einer theologischen Argumentationslinie wird den Glaubenden zugesichert, dass Gott das Werk, das er an den Glaubenden begonnen hat auch vollenden wird. Allerdings beschränkt dies den Glaubenden nicht auf ein passives Warten auf Gottes Heilshandeln, sondern stellt – unter christologischer Hinsicht – ethische Ansprüche an die Gläubigen: Jeder solle auf des Wohl des anderen bedacht sein (2,1-4), gewissermaßen in Nachahmung des gesamten Christusgeschehens, das überhaupt erst das Heil möglich gemacht hat und in den Gläubigen weiter wirken soll.

nach oben

Der Philemonbrief

Inhaltsverzeichnis

I. Abfassungssituation

Paulus befindet sich bei der Abfassung des Briefes in Gefangenschaft. Die Haftbedingungen waren offensichtlich nicht sehr streng, sodass der Kontakt zu Mitarbeitern und Gläubigen ungehindert zu funktionieren scheint.

 

II. Adressaten, Zeit und Ort der Abfassung

Anders als die übrigen Paulusbriefe ist dieser Brief nicht an eine Gemeinde gerichtet, sondern an eine einzelne Person: Philemon. Nicht zufällig wird im Eingangs- und Schlussteil aber auch die ganze Hausgemeinde des Philemon als Adressatin erkennbar. Paulus will durchaus, dass der Brief eine gewisse Öffentlichkeit erhält.

Im Hauptteil allerdings wird nurmehr Philemon persönlich angesprochen. Leider geht aus dem Text nicht hervor, in welcher Stadt sich die Hausgemeinde des Philemon befindet. Da die Namen Archippos und Onesimus auch im Kolosserbrief belegt sind, spricht sich die Mehrzahl der Forscher für Kolossae als Sitz der Hausgemeinde des Philemon aus. Ist diese Annahme richtig, so bietet sich Ephesus als Abfassungsort des Phlm an. Dementsprechend muss der Brief Mitte der 50er Jahre (55/56 n.Chr.) entstanden sein.

 

III. Grund des Schreibens

Paulus hat Onesimus – einen Sklaven Philemons, der sich wohl ohne Erlaubnis von seinem Herrn entfernt hat – in der Gefangenschaft zum Christusglauben bekehrt und möchte ihn gern als Mitarbeiter für sich gewinnen. Er versucht in dem Brief, einen nicht näher genannten Konflikt zwischen Philemon und Onesimus zu schlichten (V. 18: »Wenn er dir Unrecht getan hat oder etwas schuldet, setze es auf meine Rechnung«). Zudem bittet Paulus Philemon, das Verhältnis zu Onesimus neu zu bedenken und ihn als gleichgestellten Bruder anzunehmen. Ohne direkt die Freilassung des Sklaven zu fordern, macht die Bitte des Paulus deutlich, dass die Selbstverständlichkeit der Sklaverei durch den christlichen Glauben zumindest in Frage gestellt werden konnte.

nach oben

Der Brief an die Römer

Inhaltsverzeichnis

I. Verfasser

Die paulinische Verfasserschaft steht in der Forschung nicht zur Diskussion. Zwar hat der Brief eine Sonderstellung, da er im Gegensatz zu den anderen Briefen an eine Gemeinde gerichtet ist, die Paulus nicht gegründet hat, und grundsätzliche theologische Argumentationen enthält. Jedoch lässt sich dies schlüssig aus der Briefsituation erklären.

 

II. Die Adressaten

Über die Entstehung der Gemeinde ist nichts überliefert. Parallel zu Paulus agierende Missionare im Westen des Reiches sind nicht bekannt und aufgrund des Schweigens der Quellen auch eher unwahrscheinlich. Entweder sind Judenchristen aus dem Osten nach Rom übergesiedelt und haben ihren Glauben dort verbreitet oder römische Juden haben – z.B. auf der Jerusalemwallfahrt – den neuen Glauben kennengelernt und in ihrer Heimat verbreitet.

Wahrscheinlich hat es in Rom verschiedene Kristallisationspunkte des Christentums gegeben (P. Lampe), mehrere (Haus-)Gemeinden, die organisatorisch nicht in einer Gesamtgröße verbunden waren. Dazu passt, dass Paulus in der Briefadresse den Begriff »Ekklesia« nicht verwendet. Er richtet den Brief an die »berufenen Heiligen« (1,7).

 

III. Zeit und Ort der Abfassung

Der Brief ist aller Wahrscheinlichkeit nach in Korinth entstanden. Dafür spricht zum einen die Darstellung in Apg 19f, die sehr gut mit den Angaben im Briefschluss harmoniert. Zum andern können die im Röm erwähnten Namen sehr gut mit der korinthischen Gemeinde in Zusammenhang gebracht werden. Eine Verortung in Korinth macht eine Verfassung für Winter/Frühling 55/56 bzw. 56/57 wahrscheinlich, da der Brief vor der geplanten Kollektenreise verfasst worden ist.

 

IV. Briefsituation

Paulus sendet einen Brief an die römische Gemeinde, die seinen Besuch vorbereiten soll. Paulus wird sehr ausführlich – er kennt einzelne Gemeindemitglieder, ist allerdings nicht Gemeindegründer. Im Gegenteil, er muss seine Position ausdrücklich erläutern, scheint doch die Gegnerschaft, die im Gal schon erkennbar war, auch seine Stellung vor der Gemeinde in Rom zu beeinflussen. Die Gemeinde muss er allerdings für sich gewinnen. Seine Missionsarbeit im Osten will er beenden und Rom zu einem Stützpunkt für die geplante Mission in Spanien aufbauen (15,23f).

 

V. Zum Inhalt

Der »lehrhafte« Teil

Der Römerbrief ist ein theologisches Dokument von unermesslichem Wert. Gerade weil Paulus nicht mit einer Gemeinde kommuniziert, die er kennt, muss er seine Gedanken ausführlicher darlegen. Der Leser muss nicht das Vorwissen der Adressaten mitbringen, um den Kommunikationsprozess nachvollziehen zu können. Paulus verdeutlicht seine Position mittels unterschiedlicher theologischer Argumentationsstränge und verzichtet dabei auch auf die Polemik des Galaterbriefes. Das große Thema des Römerbriefes ist das missionarische Selbstverständnis des Paulus als Heidenmissionar. Röm 1,16f bietet die Themenangabe des Briefes: die Evangeliumsverkündigung an Juden und Heiden. Folgende Argumentationsstränge kann man hierzu verfolgen:

  • Die Menschen unter dem Zorn Gottes (1,18-3,20)
  • Die Gerechtigkeit aus Glauben (3,21-4,25)
  • Das Leben der Gerechtfertigten (5,1-8,39)
  • Das Evangelium und das Heil Israels (9,1-11,36)

Damit legt Paulus nicht nur seine Position aus dem Galaterbrief erneut dar, sondern gibt ihr ein auf der Heiligen Schrift basierendes argumentatives Fundament. Im ersten Durchgang stellt er die Gründe dar, die den Zorn Gottes erregen: Verfehlungen vor allem der Heiden, aber auch die Juden sind davon nicht ausgenommen. Die Berufung auf die Tora reicht nicht aus, um der Macht der Sünde zu entgehen. Die Gerechtigkeit kommt nicht – so argumentiert Paulus in einem zweiten argumentativen Durchgang – aus dem Gesetz, sondern aus dem Glauben. Dabei beruft er sich auf das Glaubenszeugnis Abrahams in Gen 15,6:

»Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet«

Die Schrift bezeugt den Zusammenhang von Glaube und Gerechtigkeit. Und somit beschränkt sich Gottes Gerechtigkeit nicht auf diejenigen, die nach dem Gesetz leben; sie gilt denen, die glauben. Das Leben der Gerechtfertigten schließlich stellt er auf ein christologisches Fundament. In der Adam-Christus-Typologie wird Christus gewissermaßen als »Antityp« zu Adam dargestellt: Von der Sünde, die Adam in die Welt gebracht hat, hat Christus die Welt wieder befreit; wer sich zu Christus bekennt und durch Taufe in sein Todesgeschick einbezogen ist, stirbt der Macht der Sünde und ist von ihr befreit zu einer neuen geistbestimmten Existenz.

Ein letzter argumentativer Strang widmet sich ausführlich dem Heil Israels, das sich auf die Verheißung Abrahams verlässt, sich aber nicht zu Christus bekennen will. Paulus versucht mit viel Mühe, die Frage, ob Gott seinem eigenen Volk untreu geworden ist, zu klären. Zunächst stellt er fest, dass er zumindest einem Teil des Gottesvolkes treu geblieben ist, nämlich den Judenchristen. Was aber wird aus dem – mehrheitlichen – Rest des Gottesvolkes, das sich nicht zu Christus bekennt? Gott wird seinem Volk nicht untreu. Seine Heilszusage löst er auch dem »Rest« seines Volkes gegenüber ein – und zwar bei der Wiederkunft Christi. In der Begegnung mit dem Erlöser, dem Parusiechristus, wird »ganz Israel« gerettet werden (11,25-27).

 

Der paränetische Teil

Die Kapitel 12-15 beinhalten Mahnungen zur richtigen Lebensführung, wie etwa das schon aus dem 1Kor behandelte Thema der Gnadengaben, der Nächstenliebe, dem Verhältnis von Starken und Schwachen innerhalb der Gemeinde.

Eine besondere Wirkungsgeschichte haben dabei die Ausführungen zum Verhältnis zur staatlichen Obrigkeit entfaltet (13,1-7). Aus dem Zusammenhang gerissen scheint die Forderung des Paulus, sich der staatlichen Obrigkeit zu unterwerfen ein »blindes Untertanendenken« (G. Bornkamm) zu fördern. Paulus allerdings argumentiert situationsbezogen. Dabei versteht er die staatliche Ordnung grundsätzlich auch als anzuerkennendes Gut, welches dem Menschen Orientierung gibt und nicht vorschnell abgelehnt werden sollte. Sobald dieses Gut durch staatliche Maßnahmen allerdings in Gefahr gerät, bietet sich gemäß der paulinischen Einschränkung durchaus ein Ansatzpunkt für Obrigkeitskritik.

nach oben