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Redaktionskritik

  1. Aufgabe
  2. Methode
  3. Relevanz

I. Aufgabe

Die Redaktionskritik fragt nach der Integration einzelner Traditionen in einen übergeordneten Zusammenhang: Wie hat der Autor einer Schrift diese einzelnen Überlieferungen verstanden, wie hat er sie in sein Gesamtwerk eingeordnet? Die Redaktionskritik richtet sich auf die überlieferte Gestalt eines Werkes als Endstadium eines Entstehungsprozesses. Außerdem bestimmt sie den jeweiligen theologischen und geschichtlichen Standortes des Verfassers innerhalb der frühen kirchlichen Entwicklung.

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II. Methode

a) In der Redaktionskritik geht es um das besondere Profil einer neutestamentlichen Schrift im Rahmen eines diachronen Zugangs. Eingeschlossen ist also ein Urteil darüber, was im gebotenen Stoff inhaltlich auf den Autor zurückgeht. Deshalb setzt der Schritt, sofern Texte Anlass für die literarkritische Scheidung von Tradition und Redaktion bieten, diese Scheidung voraus und baut gegebenenfalls auf dem synoptischen Vergleich auf.

Während die Literarkritik die einzelnen Schichten von der redaktionellen Schicht getrennt hat, um eventuelle Vorstufen des überlieferten Textes zu erheben, ist es Aufgabe der Redaktionskritik, die Arbeitsweise des Redaktors zu bestimmen.

b) Die Methode der redaktionskritischen Analyse orientiert sich an den typischen Tätigkeiten, mit denen der Verfasser einer ntl Schrift mündliche Traditionen oder schriftlichen Quellen bearbeitet. Die verschiedenen Möglichkeiten der Bearbeitung vorgegebenen Stoffes lassen sich in vier Gruppen zusammenstellen:

Auswahl: Hat der Verfasser bestimmte Stücke seiner Vorlage ausgelassen? Lässt sich zeigen, dass er bestimmte Themen meidet? Ist umgekehrt eine Vorliebe für bestimmte Stoffe und theologische Themen zu erkennen?

Anordnung: Gibt es thematische Blöcke? Wird durch die Versetzung eines Stückes in einen anderen literarischen Zusammenhang der Akzent verlagert?

Rahmung: In welchen Gesamtrahmen sind die einzelnen Traditionen gestellt? Wie sind die Einzelstücke miteinander verbunden (Frage nach den Rahmenstücken am Beginn und Schluss eines Abschnitts)?

Abwandlung: Abwandlung kann auf vielfältige Weise geschehen, z.B. Anfügung von Traditionsstücken, Kürzung und Auslassung, Umstellung, stilistische Verbesserung.

c) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass für die redaktionskritische Analyse ein Überblick über die behandelte Schrift unerlässlich ist. Eine Darstellung des literarischen und theologischen Charakters der Evangelien (oder anderer neutestamentlicher Schriften) findet sich in den Einleitungshandbüchern (Link) zum Neuen Testament. Daneben bieten auch die Kommentare zu den verschiedenen Evangelien unter der Rubrik »Einleitung« meist eine Übersicht über das besondere literarische und theologische Profil der kommentierten Schrift.

d) Im Blick auf die redaktionskritische Analyse eines Einzeltextes (z.B. Mt 8,14f als Bearbeitung von Mk 1,29-31) kann man in folgenden Schritten vorgehen:

(1) Beobachtungen am Einzeltext: Hier handelt es sich um die Schritte, die im synoptischen Vergleich bei der Auswertung der Unterschiede verfolgt wurden: Welche Eingriffe (Auslassungen, Hinzufügungen, Änderungen) hat der Redaktor vorgenommen? 

Bei Erzähltexten kann die Systematisierung in den drei genannten Formen von Eingriffen auf folgende Textmerkmale gerichtet sein:

– Beschreibung szenischer Voraussetzungen,

– Darstellung der auftretenden Personen,

– Entfaltung des Geschehensablaufs,

– Gestaltung wörtlicher Rede,

– Erzählerkommentare.  

(2) Einordnung des Einzeltextes in den Erzählfaden: Da die synoptischen Evangelien aus in sich abgerundeten Einzelstücken (Perikopen) zusammengesetzt sind, ist ein wesentliches Gestaltungsmittel die Komposition dieses Materials. Deshalb ist darauf zu achten, an welche Stelle im Erzählfaden des jeweiligen Evangeliums das untersuchte Einzelstück eingeordnet ist. Haben Mt und Lk einfach die Abfolge der Perikopen übernommen, die bei Mk vorgegeben war? Oder haben sie einen neuen Zusammenhang geschaffen?

Durch solche Änderungen kann der Abschnitt eine neue Funktion und Bedeutung bekommen. Mit ihnen können außerdem Abweichungen beim Perikopenbeginn zusammenhängen.

(3) Zusammenschau: Die gesammelten Einzelbeobachtungen sollen schließlich in eine Zusammenschau münden, die in zwei Dimensionen entfaltet werden kann:

• Bezogen auf den Einzeltext: Lassen sich die beobachteten Änderungen einem oder mehreren Leitgedanken zuordnen?

• Bezogen auf das Gesamtwerk: Gibt es Zusammenhänge zwischen den Eingriffen am untersuchten Einzeltext und anderen Texten des jeweiligen Evangeliums? Sind die Änderungen typisch für den Evangelisten, können sie einer literarischen oder theologischen Besonderheit des jeweiligen Werkes zugewiesen werden?

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III. Relevanz

Die Redaktionskritik richtet den Blick auf das Gesamtwerk und lässt das literarische und theologische Profil neutestamentlicher Schriften hervortreten. Da sie sich nicht rein synchron auf die überlieferte Textgestalt richtet, sondern auch Traditionen und Quellen berücksichtigt, kann die Redaktionskritik auch zur historischen Verortung der Schriften einen wesentlichen Beitrag leisten.

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