Zum Inhalt springen

Die Synoptische Frage

Das Verhältnis von Mk, Mt und Lk zueinander – eine Problemanzeige

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Mt, Mk und Lk in Grobaufriss, in der Abfolge einzelner Abschnitte und im Wortlaut povozieren die Frage nach dem gegenseitigen literarischen Verhältnis dieser Schriften.

Inhaltsverzeichnis

I. Der Stoffumfang

Mk ist das kürzeste Evangelium; auch der von der Erzählung abgedeckte Zeitraum ist beschränkt: vom ersten Auftreten Jesu in der Öffentlichkeit bei der Taufe bis zum Tod und der Auferweckungsbotschaft im Grab. Die beiden anderen Evangelien kennen Schilderungen von Geburt und aus der Kindheit und fügen am Ende Erzählungen von Erscheinungen des Auferstandenen an. Außerdem bieten Mt und Lk auch für die Darstellung des Auftretens und Wirkens Jesu zusätzliches Material. Einen Teil der zusätzlichen Stoffe haben Mt und Lk gemeinsam.

 

II. Die Stoffanordnung

In den Stoffen, die allen Evangelien gemeinsam sind, findet sich derselbe Grobaufriss. Interessanterweise sind die Stoffe, die Mt und Lk gemeinsam haben (und zwar gegen Mk), unterschiedlich angeordnet: Lk bietet dieses Material blockweise zwischen dem Mk-Stoff, Mt arbeitet die Stücke – in anderer Reihenfolge − in den Mk-Aufriss ein.

Die Gemeinsamkeiten:

  • Mt und Lk haben beinahe den gesamten Stoff des Mk gemeinsam, teilweise bis in den Wortlaut hinein.
  • Mt und Lk haben ebenso einen Teil des Stoffes, der über das Mk hinausgeht, gemeinsam, auch hier bis in den Wortlaut hinein.

Deswegen kann man sicher davon ausgehen, dass zwischen diesen Texten eine literarische Abhängigkeit bestehen muss.

 

III. Das Problem der Bewertung des Befundes

Bis heute hat man keine Antwort auf die Abhängigkeit der synoptischen Evangelien gefunden, die alle Forscher zufrieden stellt. Dennoch hat sich die sog. Zwei-Quellen-Theorie durchgesetzt, die die wenigsten ungelösten Probleme mit sich bringt und der sich auch die meisten Forscher anschlie­ßen. Allerdings erfordern die ungelösten Fragen auch, dass man alternative Modelle diskutiert. Im Folgenden soll daher die Zwei-Quellen-Theorie vorgestellt werden, anschließend werden Hinweise auf alternative (meist ältere) Modelle gegeben, die in der aktuellen Forschung immer wieder modifiziert auftreten.

nach oben

Die Zwei-Quellen-Theorie

Darstellung

Die Theorie, die bis heute die meiste Akzeptanz in der Forschung gefunden hat, ist die sog. Zwei-Quellen-Theorie. Sie ist im Ganzen die Theorie mit den wenigsten Schwächen. Die Aussagen der Theorie werden im Folgenden dargestellt.

Inhaltsverzeichnis

I. Mk ist das älteste Evangelium

Lange Zeit umstritten, setzt sich diese Ansicht allmählich im ausgehenden 19. Jahrhundert durch. Dafür sprechen folgende Beobachtungen:

  • Mk ist im Blick auf die Stoffanordnung die gemeinsame Mitte von Mt und Lk.

  • Mk findet sich in beiden anderen Evangelien beinahe vollständig, wenn auch mit Veränderungen. Deswegen ist es sinnvoller anzunehmen, das MkEv sei die Grundlage der beiden anderen Evangelien als die gegenteilige Annahme, Mk sei die Zusammenfassung bzw. das Extrakt der längeren Evangelien. Denn es ist kaum möglich Kriterien für die Kürzungen anzugeben, die Mk vorgenommen haben müsste. Mt und Lk haben weiteren, z.T. gemeinsamen Stoff, von dem sich bei Mk keine Spur findet.

  • Im Vergleich mit Mk bieten Mt und Lk eine bessere sprachliche Gestaltung sowie an nicht wenigen Stellen Verbesserungen in sachlich-inhaltlicher Hinsicht. 

 

II. Mt und Lk haben das MkEv unabhängig voneinander benutzt

Wichtig ist für die Zwei-Quellen-Theorie, dass Mt und Lk Mk unabhängig voneinander benutzt haben. Für diese Einschätzung spricht:

  • Mt und Lk stimmen nur dann in der Reihenfolge überein, wenn sie mit Mk übereinstimmen. Weicht einer vom vorgegebenen Aufbau ab, so weicht er auch vom anderen Evangelium ab.

  • Auch die Existenz des umfangreichen Sonderguts bei Mt und Lk erklärt sich besser, wenn man keine direkte literarische Abhängigkeit zwischen beiden Großevangelien annimmt. Denn andernfalls müsste viel Material ausgelassen worden sein, ohne dass sich dafür eine plausible Begründung angeben ließe.

  • Auch weicht die Gestaltung drastisch voneinander ab: die Stoffe, die Mt und Lk gemeinsam haben, ordnet Lk blockweise (mit Sondergut kombiniert) in den Mk-Faden ein (Lk 6,20-8,3; 9,51-18,14); Mt dagegen komponiert sie geschickt in den Mk-Aufbau hinein.
    • Diese komplexen Kompositionen hätte also Lk zerschlagen und das Material von dem des Mk trennen müssen, wenn er Mt gekannt hätte.

    • Auch für den umgekehrten Fall (Mt benutzt Lk) lässt sich kein überzeugendes Redaktionsverfahren erheben, da Mt sich von den erzählenden Partien bei Lk nicht hätte beeinflussen lassen, auch kaum von der Einordnung des über Mk hinausgehenden Spruchmaterials.

 

III. Die zweite Quelle

Neben Mk haben Mt und Lk eine Sammlung von Jesus-Worten benutzt, die nicht mehr erhalten ist. Sie wird bezeichnet als Redenquelle, Spruchquelle oder meist als Logienquelle (von dem griechischen Wort für »Spruch«: λόγιον/logion) − ein Hinweis auf den Inhalt der Quelle: vor allem Worte Jesu. Als Kürzel wird »Q« verwendet. Man geht meist davon aus, dass diese Quelle schriftlich vorgelegen haben muss.

Die Existenz dieser zweiten Quelle ergibt sich aus einem doppelten Befund:

  • Mt und Lk haben gemeinsamen Stoff von ca. 230 Versen über Mk hinaus, teilweise bis in den Wortlaut hinein übereinstimmend.
  • Es ist nicht möglich, eine direkte literarische Abhängigkeit zwischen Mt und Lk zu begründen (s.o.). 
    • Daraus ergibt sich die Folgerung: Mt und Lk haben dieselbe Quelle benutzt. Aus ihr haben sie das Material, das sich bei beiden, aber nicht bei Mk findet.

Bestärkend kommt hinzu: Bei Mt und Lk finden sich bisweilen Dubletten (Texte, die ein Evangelist zweimal bietet) und Doppelüberlieferungen (Texte, die Mt und Lk beide doppelt bieten: einmal parallel mit Mk, einmal in einem Zusammenhang, der nur bei Mt und Lk begegnet). Dieser Befund erklärt sich am besten, wenn Mt und Lk zwei Quellen benutzten, die beide eine bestimmte Überlieferung enthalten haben. Mt und Lk sind jeweils ihren Quellen gefolgt und kommen deshalb zu einer höheren Zahl von Doppelbezeugungen als Mk (er kennt nur eine Dublette).

Q ist allerdings eine hypothetische Größe: Βis heute wurden keine Handschriften einer solchen Logienquelle gefunden, und so bleibt stets eine Angriffsfläche für Gegner dieser Theorie. Dennoch lässt sich der Verlust der Textbasis schlüssig erklären: Durch die Verarbeitung mit dem Mk-Material geht der Text im Mt- bzw. LkEv auf und hängt nicht mehr – ohne Erzählrahmen – »in der Luft«. Indem also die Einzellogien in den Erzählrahmen von Lk und Mt eingebettet waren, war es nicht mehr nötig, die Logien im Zusammenhang einer Spruchsammlung zu tradieren.

Von der Annahme einer mündlichen Überlieferungsform von Q ist eher abzusehen, da es dann schwierig wäre, die nicht unerheblichen wörtlichen Übereinstimmungen von Mt und Lk zu erklären.

 

IV. Sondergut

Neben Mk und Q haben Mt und Lk auf Sondergut zurückgegriffen: Traditionen, die nur jeweils einem der beiden zugänglich waren. Dieses Sondergut lässt sich aber keiner Quellenschicht zuweisen (deshalb spricht man nicht von einer Drei- oder Vier-Quellen-Theorie); es handelt sich um verschiedene Einzelüberlieferungen.

Anfragen und Kritik

Die Zwei-Quellen-Theorie erklärt zwar die literarischen Beziehungen von Mk, Mt und Lk am besten, doch hat sie auch Schwächen, die deutlich machen, dass es sich hierbei um eine Theorie handelt, die nicht alle Zweifel ausräumen und somit andere Erklärungsversuche nicht endgültig ausschließen kann. Die drei wichtigsten Einwände seien hier deshalb kurz umrissen.

Inhaltsverzeichnis

I. Sondergut des MkEv

Auch Mk bietet Stoff, der weder bei Mt noch bei Lk zu finden ist. Dies lässt sich dann erklären, wenn man Gründe für das Fehlen solcher Textstellen aufgrund redaktioneller Interessen bei Mt und Lk erkennen kann – Mk 9,49 etwa ist als schwer verständliche Aussage wohl getilgt worden; Stellen wie Mk 3,20f; 7,31-37 oder 8,22-26 wurden wohl als anstößig und Mk 14,51f; 15,44 als nebensächlich aufgefasst; Mk 2,27 ist vielelicht wegen des kontextuell schwierigen Anschlusses ausgelassen worden (2,28 argumentiert christologisch). In manchen Fällen aber ist es schwierig, eine befriedigende Antwort zu finden, wie etwa 4,26-29; 9,48 deutlich machen.

 

II. Lukanische Lücke

Im LkEv fehlt der Zusammenhang Mk 6,45-8,26. Zwar rechtfertigt dies nicht die Umkehrung der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Lk und Mk, dennoch muss nach Motiven für die Auslassung gefragt werden.

Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass ein Großteil der Texte wohl deshalb ausgelassen wurde, weil sie sich entweder theologisch nicht in die lukanische Darstellung fügen oder als Doppelungen zu bewerten sind (Lk oder Apg). Einzig schwer erklärbar ist das Fehlen der Seewandelgeschichte mit anschließendem Summarium (Mk 6,45-56). Oft wurde argumentiert, dass der gesamte Komplex im Exemplar des Evangelisten gefehlt hätte − eine Hypothese, die allerdings kaum nachzuprüfen und deshalb ohne Erklärungskraft ist. Die lukanische Lücke für sich genommen stellt die Zwei-Quellen-Theorie nicht in Frage.

 

III. Minor agreements

Bei den sog. minor agreements handelt es sich um Übereinstimmungen von Lk und Mt gegen Mk im Mk-Stoff. Dabei unterscheidet man positive und negative Übereinstimmungen.

  • Positive Übereinstimmungen meinen Änderungen der Formulierung oder Erweiterung der Textbasis über Mk hinaus,
  • negative Übereinstimmungen beziehen sich auf gemeinsame Auslassungen.

Auf den ersten Blick sind eine Menge solcher minor agreements zu finden, bei genauerem Hinsehen relativiert sich die Anzahl der aussagekräftigen Fälle jedoch beträchtlich, da Mt und Lk nicht selten stilistische und sprachliche Schwächen des markinischen Texts verbesserten.

Es dürfte auch keine Theorie zum synoptischen Problem geben, die mit den minor agreements keine Schwierigkeiten hätte. Geht man von direkter Abhängigkeit zwischen Lukas und Matthäus aus – gleich in welcher Richtung –, stellt sich die Frage: Warum soll sich der literarisch abhängige Evangelist an solchen Kleinigkeiten wie den minor agreements orientiert haben, substantielle Änderungen seiner (neben Mk zweiten) Quelle aber übergangen haben?

Im Ganzen entkräften die minor agreements die Zwei-Quellen-Theorie nicht.

nach oben

Alternative Lösungsversuche

Ältere Lösungsansätze

Inhaltsverzeichnis

I. Urevangeliums-Hypothese

Darstellung: Am Ursprung der Evangelien steht ein aramäisches Urevangelium, das in bearbeiteter Form Quelle für die Synoptiker war (G.E. Lessing, J.G. Eichhorn).

  • Problem: Das Urevangelium ist eine hypothetische Größe, die Behauptung mehrerer Bearbeitungen willkürlich; die Unterschiede zwischen den Evangelien in Inhalt und Aufbau bleiben unerklärt, da sie auf eine nicht mehr erhaltene Literatur zurückgeführt werden.
  • Ertrag: Den Evangelien ist ein längerer Traditionsprozess auch literarischer Art vorausgegangen.

 

II. Fragmenten-Hypothese

Darstellung: Die synoptischen Evangelien gehen zurück auf eine Sammlung von Einzelaufzeichnungen (zu Wundern, Worten Jesu, zur Passion); sie sind das Endstadium dieses Sammlungsvorgangs.

  • Problem: Die Übereinstimmungen zwischen den Synoptikern werden nicht überzeugend erklärt, wenn man sich auf eine Vielzahl von Texten bezieht. 
  • Ertrag: In den Evangelien ist Traditionsgut verschiedener Herkunft verarbeitet. 

 

III. Traditions-Hypothese

Darstellung: Den synoptischen Evangelien ging ein mündlich überliefertes Urevangelium voraus, ursprünglich aramäisch, dann ins Griechische übersetzt und in zwei verschiedene schriftliche Formen gebracht.

  • Problem: Die Übereinstimmungen zwischen den Synoptikern werden nicht wirklich erklärt, vor allem nicht die Übereinstimmungen in der Reihenfolge des Stoffs.
  • Ertrag: Den Evangelien ging eine längere Phase mündlicher Tradition voraus.

 

IV. Benutzungs-Hypothese

Darstellung: Die synoptischen Evangelien sind untereinander direkt literarisch abhängig. Augustinus: Mk benutzt Mt, Lk benutzt Mt und Mk. J.J. Griesbach: Lk benutzt Mt, Mk benutzt Mt und Lk.

  • Problem: Mk kann im Blick auf Stoffumfang und sprachliche Gestalt kein Auszug aus einem der längeren Evangelien sein (erst recht nicht aus beiden).
  • Ertrag: Die Übereinstimmungen sind durch Benutzung zu erklären. Dies nimmt auch die Zwei-Quellen-Theorie an.

Neuere Alternativmodelle

Inhaltsverzeichnis

I. Deuteromarkus-Theorien

Darstellung: Deuteromarkus-Theorien gibt es in verschiedenen Fassungen. Zum einen dienen sie der Erklärung der minor agreements: Mt und Lk benutzten eine überarbeitete Version des Mk-Evangeliums. Was uns als Übereinstimmung von Mt und Lk gegen Mk erscheint, wurde durch diese geänderte Fassung vermittelt.

Albert Fuchs hat eine umfassendere Theorie vertreten: Auch größere Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk, die in der Zwei-Quellen-Theorie der Logienquelle zugeschlagen werden, seien der Überarbeitung des MkEv zuzuschreiben.

  • Problem: Der Plan, der hinter der Überarbeitung des MkEv steht, bleibt dunkel: Warum und in welcher Absicht ist das Werk überarbeitet worden? Außerdem ist Deuteromarkus nicht weniger hypothetisch als Q. Vor allem aber: Diese überarbeitete Fassung des MkEv müsste deutliche Spuren in der Textüberlieferung hinterlassen haben. Da sie den anderen beiden Evangelien ähnlicher gewesen sein müsste, gibt es keine Tendenzen in der handschriftlichen Überlieferung, die den weitgehenden Verlust des Deuteromarkus erklären könnten.

 

II. Direkte Abhängigkeit von Mt und Lk unter Annahme der Mk-Priorität

Darstellung: Direkte Abhängigkeit von Mt und Lk wird in beiden Richtungen vertreten: Lk hat Mt benutzt (Farrer, Goulder, Goodacre) bzw. Mt hat Lk benutzt (Hengel)

  • Problem: Diese Theorien beanspruchen zwar, die minor agreements zu erklären; im Detail ergeben sich aber Probleme: Warum sollte sich Lk in Kleinigkeiten von der Vorlage Mt beeinflussen lassen (bzw. Mt von Lk), deren substantiellere Eigenheiten aber übergehen? Außerdem ist hier an die Überlegungen zu erinnern, die für die Existenz der Logienquelle sprechen: Wesentlich für diese Annahme waren die Schwierigkeiten, die die Annahme einer direkten Abhängigkeit zwischen Mt und Lk bereitete (s. hier).

 

III. Two Gospel Hypothesis (Neo-Griesbach-Hypothese)

Darstellung: Den alten Ansatz von Griesbach aufnehmend verteidigt diese Theorie die Mt-Priorität, sieht Lk von Mt abhängig und Mk von Mt und Lk.

  • Problem: Die Mk-Priorität aufzugeben schafft unüberwindliche Probleme: Warum sollte Mk so viel Stoff nicht übernommen haben (Doppeltradition Mt/Lk, Sondergut)? Warum sollte er seine Vorlagen sprachlich verschlechtert haben? Die minor agreements sind ein noch größeres Problem als für die Zwei-Quellen-Theorie: Mk müsste eine Übereinstimmung seiner beiden Quellen ohne erkennbaren Grund geändert haben.

 

IV. Neuere Traditions-Hypothese

Darstellung: Es wird auch vertreten, auf ein literarisches Abhängigkeitsverhältnis zwischen den synoptischen Evangelien ganz zu verzichten und den Zusammenhang rein traditionsgeschichtlich zu erklären: durch eine relativ feste mündliche Überlieferung (Armin D. Baum).

  • Problem: Baum arbeitet mit Analogien aus antiker Literatur, Experimentalpsychologie, Oral-poetry-Forschung und rabbinischer Tradition und daraus gewonnenen statistischen Werten. Ob die Analogien alle treffend sind, kann man bezweifeln, ebenso die Aussagekraft der gewonnenen statistischen Ergebnisse. Kann die mündliche Tradition so stabil gewesen sein, dass sie die Übereinstimmungen im Aufbau der Evangelien erklären kann (Mt folgt ab Mk 2,23 genau seiner Vorlage und lässt nur aus, was er schon gebracht hat oder nicht bringen will)? Eine solche Annahme ist schwierig, weil ja andererseits auch starke Unterschiede zu beobachten sind. Dieser doppelte Befund erklärt sich besser, wenn man mit literarischer Beziehung rechnet: die Übereinstimmungen gehen auf die Übernahme der Vorlage zurück, die Differenzen auf die Eingriffe durch den Redaktor.

nach oben

Die Logienquelle

Zum literarischen Charakter

Inhaltsverzeichnis

I. Schriftliche Überlieferung

Die weitreichenden wörtlichen Übereinstimmungen von Mk und Lk, die Existenz von Dopplungen und  Doppelüberlieferungen sowie Gemeinsamkeiten in der Stoffanordnung sprechen dafür, dass die Logienquelle schriftlich überliefert wurde. Die Annahme unterschiedlicher Fassungen zur Erklärung von Unterschieden bei Lk und Mt würde den hypothetischen Charakter verstärken. Zu bedenken ist im Blick auf jene Unterschiede auch: Die Zusammenarbeitung mit dem Mk-Evangelium erforderte sowohl bei Mt als auch bei Lk redaktionelle Tätigkeit.

 

II. Umfang, Aufbau, Inhalt

Der Umfang ist schwer zu bestimmen, da nicht in allen Punkten zu entscheiden ist, ob eine Parallele zwischen Mt und Lk als Teil der Logienquelle zu werten ist. Umstritten ist etwa das Gleichnis von den Minen bzw. Talenten Lk 19,12-27 par. Mt 25,14-30. Beide Fassungen folgen einem gemeinsamem Schema, differieren allerdings in Details sehr stark voneinander.

Was den Aufbau anbelangt, folgt die Forschung meistens der Reihenfolge des Q-Stoffes im LkEv, da Lk nicht wie Mt die Q-Passagen einzeln in die Mk-Handlung eingearbeitet, sondern blockweise eingearbeitet hat. Folgt man dieser Annahme, findet sich auch ein planvoller Aufbau der Q-Texte, der erkennen lässt, dass es sich nicht um eine lose Spruchsammlung handelt, sondern um ein theologisch durchdachtes Dokument (die Zählweise der Q-Perikopen orientiert sich deshalb an der lukanischen Zählweise):

  • Johannes und Jesus (Q3,2-7,35)
  • Nachfolge und Sendung (Q9,57-10,16; Q14,26-17,6)
  • Das Gebet der Jünger (Q11,2b-4.9-13)
  • Jesus in Auseinandersetzung mit »dieser Generation« (Q11,14-42)
  • Gericht über Israel (Q13,29-14,24)
  • Endzeitereignisse: Das Kommen des Menschensohnes (Q12,39-46.49-59; Q17,23-22,30).

Es spannt sich also auch in der Logienquelle ein inhaltlicher Bogen von Johannes dem Täufer über Jüngerbelehrungen bis hin zu eschatologischen Fragestellungen. Inhaltlich auffällig ist das Fehlen der Passionsgeschichte, die auch keine Spuren in den anderen Logien hinterlässt (sieht man von Q14,27, dem Spruch vom Kreuztragen, einmal ab).

 

III. Gattung

Die Redenquelle ist wohl eine Gattung eigener Art, da es keine Vorbilder in der Tradition für Spruchsammlungen gibt (nur das apokryphe Thomas-Evangelium, das in Nag Hammadi gefunden wurde, lässt sich entfernt vergleichen; es hat allerdings keinerlei narrative Elemente).

Kann man Q als Evangelium bezeichnen? Wenn für die Gruppe, die hinter Q stand, diese Schrift ihre Form der Verkündigung von Jesus Christus war, gibt es keinen inhaltlich-theologischen Grund, dieser Sammlung den Titel »Evangelium« abzusprechen. Dies könnte dann allein aus literarischen Gründen geschehen. Man sollte eine Spruchsammlung ohne erzählerischen Rahmen nicht mit demselben Gattungsbegriff belegen wie das MkEv. Allerdings könnte der Begriff »Spruch-Evangelium« diesen Unterschied einfangen. (zur Theologie der Logienquelle)

 

IV. Trägerkreis

In Q finden sich sowohl Anweisungen an Wanderprediger (Aussendungsrede) als auch eindeutige Bezüge zu einer sesshaften Gemeinde. Eventuell spielen beide sozialen Gruppen eine Rolle bei der Bestimmung des Trägerkreises (die sesshaften Sympathisanten als materielle Basis für die Wanderprediger). Geographisch hat Q seinen Ort im ländlichen Raum Galiläas, da nur kleinere Ortschaften erwähnt werden, jedoch keine Städte.

 

V. Zeit und Ort der Abfassung

Man geht heute meist davon aus, dass Q in mehreren Stufen gewachsen ist; die nähere Rekonstruktion der einzelnen Schichten ist allerdings  umstritten. Zeitlich ist es am sinnvollsten, die 50er- und 60er-Jahre für die Entstehung der Sammlung anzunehmen, da der Gegensatz zu Israel wohl schon auf die wachsenden Spannungen zwischen den Anhängern Jesu und der Synagoge verweist. Vertreter einer Spätdatierung um ca. 70 n.Chr. setzen in Q13,34f die Zerstörung des Tempels voraus.

Ort der Entstehung wird – wie die Überlegungen zum Trägerkreis ergeben haben – Galiläa sein, eventuell kann man die Endredaktion im südlichen Syrien ansetzen.

Zur Theologie der Logienquelle

Inhaltsverzeichnis

I. Christologie

Die Bedeutung Jesu wird ohne Blick auf die Passions- und Ostertradition entfaltet. Jesus wird unter zwei Aspekten profiliert:

► Jesus ist der Lehrer, auf dessen Wortverkündigung zu hören ist.

  • Er gibt Weisung zum Verhalten (Q6,27-49; Q12,22-34).
  • Er sendet die Wanderprediger, die sein Wort weitertragen (Q10,2-16).
  • Jesus gibt Einblick in die Endereignisse (Q12,39-13,21; 17,23-22,30).
  • Die Machttaten Jesu werden vorausgesetzt, aber kaum erzählerisch inszeniert.

► Jesus ist der Menschensohn, der zum Gericht kommen wird.

  • Unter den drei Gruppen von Menschensohn-Worten in den Evangelien (gegenwärtig wirkender, leidender, in Zukunft kommender Menschensohn) legt Q den Akzent eindeutig auf den zum Gericht erscheinenden Menschensohn.
  • Betont wird die Zusammengehörigkeit des irdischen Jesus mit dem künftig erscheinenden Menschensohn – so auch die Bedeutung der Botschaft Jesu.
  • In der Funktion als Menschensohn-Richter wird Jesus auch in die Botschaft Johannes des Täufers eingeordnet.

► Weitere Hoheitstitel (der Sohn, Sohn Gottes) erscheinen nur am Rande, zeigen aber, dass Q eine hoheitliche Christologie vertritt.

 

II. Heilsgeschichte

  • Der »Stürmerspruch« (Q16,16) bezeugt einen heilsgeschichtlichen Einschnitt mit dem Anbruch der Gottesherrschaft: Gesetz und Propheten bis Johannes, dann die Gottesherrschaft.
  • Das Schema »Verheißung-Erfüllung« erscheint nicht unter diesen Begriffen, wohl aber sachlich im Zusammenhang von Schriftbezügen (Q7,22; 7,27).
  • Der heilsgeschichtliche Einschnitt bedeutet keine Relativierung des Gesetzes (Q11,42; 16,17).
  • Q bezeugt keine Öffnung hin auf die Heidenmission.

 

III. Eschatologie

  • Durch die Christologie (Jesus als Menschensohn-Richter) ist die ganze Verkündigung Jesu in Q unter eschatologisches Vorzeichen gesetzt. Auch die Jesusnachfolger betrifft die Mahnung des Gerichts (z.B. Q6,46-49; 12,8f; 12,42-46).
  • An den Endereignissen wird betont ihre Unvorhersehbarkeit (Q12,42-46), die Sicherheit ihres Eintreffens (Q17,26f) und die Sichtbarkeit (Q17,23f).

nach oben

Das Verhältnis des Johannes-Evangeliums zu den Synoptikern

Das Verhältnis des Johannesevangeliums zu den Synoptikern ist sehr viel schwerer zu klären als das der Synoptiker untereinander. Lange Zeit vertrat man die These, dass das Johannesevangelium literarisch vollständig unabhängig von den synoptischen Evangelien entstanden sei. Dieser einstmalige Konsens der Forschung wird in den letzten Jahren allerdings schwächer. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Joh zumindest eines der synoptischen Evangelien gekannt hat.

Auch Joh erzählt die Geschichte Jesu vom Auftreten Johannes des Täufers bis zur Passion und den Ostererscheinungen; und in seltenen Fällen ist sogar die Abfolge der Abschnitte identisch. Diese Übereinstimmungen deuten darauf hin, dass Joh die Gattung »Evangelium« nicht ein zweites Mal erfunden hat. Und manche wörtliche Parallelen (besonders zum LkEv) bestätigen, dass Joh nicht vollständig unabhängig von den Synoptikern entstanden ist.

Daraus ergibt sich aber keine literarische Abhängigkeit, die mit den Gegebenheiten bei den Synoptikern vergleichbar wäre. Selbst wenn Joh einen dieser Texte gekannt haben sollte, dann hat er ihn doch wohl eher sehr assoziativ verwendet, er überarbeitet die Texte nicht als Redaktor, sondern schafft ein eigenständiges Werk.

Der Vorschlag, das JohEv als Text über die drei Synoptiker zu lesen (Hartwig Thyen), führt dazu, dass das Profil des JohEv abgeschliffen und diese Jesus-Erzählung nicht mehr als eigenständiges Werk wahrgenommen wird.

nach oben