Inhaltsverzeichnis
Das hellenistische Judentum
Juden in der hellenistischen Welt
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I. In der Diaspora
Das hellenistische Judentum hat sicher einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass sich das Christentum relativ rasch in der hellenistischen Welt ausbreiten konnte. Schon lange Zeit lebten Juden in der griechischsprachigen Welt und versuchten ihren Glauben an die Rahmenbedingungen anzupassen und ihren Glauben mit Hilfe hellenistischen Gedankenguts auszulegen, sodass ein Dialog möglich wurde.
Der Einfluss des Hellenismus auf das Judentum wird in der ägyptischen Diaspora ab Mitte des 3. Jh. vC in der Namensgebung deutlich, später in der Aufnahme griechischer Philosophie (Aristobul, Philo) wie auch im Rückgriff auf literarische Formen und Denkweisen aus dem Hellenismus in der jüdischen Literatur (z.B. in den Büchern Tobit und Kohelet). Besonders die Übersetzung der autoritativen religiösen Überlieferung ins Griechische (die Septuaginta) zeigt griechischen Einfluss – zugleich aber auch das Festhalten an der eigenen Tradition (siehe hier zur Literatur).
In neutestamentlicher Zeit sind Juden im ganzen römischen Reich zu finden, besonders stark vertreten in Ägypten und Syrien. Hellenistischer Einfluss ist allerdings nicht auf das Judentum der Diaspora begrenzt, sondern auch in Palästina nachzuweisen.
II. Attraktivität und Fremdheit
Auf die heidnische Umwelt konnte das Judentum einerseits anziehend wirken, vor allem durch die Verkündigung des einen, unsichtbaren, weltüberlegenen Gottes. So gab es Nichtjuden, die ihr Interesse durch ein Leben im Umkreis der Synagoge dokumentierten (»Gottesfürchtige«); daneben auch solche, die ganz zum Judentum übertraten (»Proselyten«).
Andererseits kam es auch immer wieder zu Spannungen. Die Juden wohnten in den hellenistischen Städten in eigenen Vierteln, in einer »Stadt in der Stadt« und blieben so immer Fremde. Übergriffe der heidnischen Bevölkerung sind bezeugt.
Zur Literatur des hellenistischen Judentums
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I. Die Septuaginta (LXX)
Nach der Darstellung des Aristeasbriefes erfolgte die Übersetzung der fünf Bücher Mose auf Beschluss des ägyptischen Königs, der für seine Bibliothek eine griechische Fassung des jüdischen Gesetzes anforderte. 72 Übersetzer hätten sich ans Werk gemacht, am Abend jeweils ihr Werk verglichen und nach 72 Tagen vollendet. Zwar trägt die Darstellung legendenhafte Züge, doch kann das Unternehmen durchaus auf Ptolemäus II. zurückgehen (284-246vC). Für seine Zustimmung zu einer gewissen Selbständigkeit der jüdischen Gemeinde kann er Einblick in deren Gesetze verlangt haben.
In jedem Fall kam die LXX auch den Bedürfnissen der ägyptischen Diaspora entgegen: nicht nur zur Verteidigung der eigenen Position nach außen, sondern auch weil man hebräisch und aramäisch nicht mehr recht verstand.
Die LXX ist eine Sammlung verschiedener Übersetzungen. Streng genommen steht der Name für eine Zusammenstellung jüdischer Schriften in christlichen Handschriften. Ein früherer jüdischer Kanon muss dadurch nicht wiedergegeben werden.
Die LXX war die Schrift der Urkirche; gewöhnlich wurde nicht eigenständig aus dem hebräischen Text übersetzt.
II. Hellenistisch-jüdische Literatur als Vermittlungsphänomen
Die Werke hellenistisch-jüdischer Autoren verraten intensive hellenistische Schulbildung selbst in den Fällen, in denen sich ein distanziertes Verhältnis zur Umwelt ausdrückt (wie in den Sibyllinischen Orakeln).
Kennzeichnend ist das Bemühen, das Judentum vor den Heiden in hellem Licht erstrahlen zu lassen – auch in apologetischer Absicht, als Abwehr literarischer Angriffe auf das Judentum.
Philo von Alexandrien (geb. ca. 25 vC) will die religiöse Tradition des Judentums in Einklang bringen mit der griechischen Philosophie. Zwar legt er die atl Opfervorschriften allegorisch aus (in ihrem eigentlichen Gehalt meinen sie etwas anderes, als sie ihrem Wortlaut nach besagen), doch bedeutet dies für Philo (anders als für die von ihm getadelten »Allegoristen«) nicht, dass die Praktizierung der Vorschriften hinfällig wäre.
Philosophische Strömungen
Ein Qualitätsmerkmal antiker Lehren war das philosophische Denken, zumindest dann, wenn eine Lehre dauerhaft Bestand haben sollte. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich bei den Missionaren in Griechenland viele Argumentationslinien finden, die sicherlich von philosophischen Denkansätzen beeinflusst sind. In philosophischen Texten der ersten Jahrhunderte findet sich beides – Anerkennung christlicher Positionen wie Skepsis und Polemik gegenüber manchen Vorstellungen. Besonders das Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes scheint mit dem Prinzip des einen Ursprungs (der ebenfalls oft mit theos bezeichnet wird) gut zu harmonieren und ein Ansatzpunkt für weitergehende »Annäherungsversuche« von christlichem und griechischem Denken gewesen zu sein. Die wichtigsten philosophischen Positionen werden in den folgenden Abschnitten knapp skizziert.
Zur Bedeutung antiker Philosophie für das frühe Christentum
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I. Inhaltliche Berührungen
Die Philosophie war der Ort, an dem man Theologie betrieben hat. Das zeigt die Areopagrede in Apg 17 (trotz des Ansatzes bei der kultischen Verehrung: »Altar des unbekannten Gottes«; 17,23). Paulus erscheint im Gespräch mit epikureischen und stoischen Philosophen (17,18).
Den philosophischen Schulen ging es um die Bewältigung des Lebens, sie wollten, ausgerichtet auf das Individuum, anleiten zu einem gelingenden, glückseligen Leben. »Was sie betrieben, kann man mit einigem Recht Seelsorge bzw. Seelenführung oder auch Psychotherapie nennen. Bedenken wir: Andere Seelsorger und andere Therapeuten gab es in der Antike nicht« (H.-J. Klauck).
Die Hinwendung zu einer bestimmten Philosophie bezeichnete man als Bekehrung, und eine solche Bekehrung schloss ethische Konsequenzen ein. Grundsätzlich dominiert die Ethik in der Philosophie des Hellenismus, die beiden anderen Disziplinen (Logik und Physik) sind ihr untergeordnet. Dadurch ergeben sich Berührungen mit dem Urchristentum, dem vom atl-jüdischen Erbe die Verknüpfung von Gottesbekenntnis und Ethik vorgegeben war.
II. Vergleichbare Kommunikationsform
Die Wanderbewegung um Jesus war in der Antike kein Einzelfall, der auf die judäische Provinz begrenzt war – im Gegenteil. Wandernde Prediger waren ein verbreitetes Phänomen der Antike. In einer Zeit fehlender Kommunikationsmedien war es in gewisser Weise notwendig, dass Informationen durch Boten von Stadt zu Stadt getragen wurden. Neben offiziellen Gesandten, die Erlasse, Edikte etc. überbrachten bzw. Informationen an die Statthalter weitertrugen, gab es selbstverständlich auch individuelle Reisende, die ihr Wissen, ihre Kenntnisse etc. verbreiten wollten. Dies betraf einerseits den Bereich von Unterhaltung / Geschichten (Ilias!), andererseits allerdings auch die Vermittlung von Weisheiten / Lehren – also Religion und Philosophie, die nicht mehr allein an Akademien vermittelt wurde, sondern – nach sokratischem Vorbild – auf die Marktplätze der Städte getragen und verkündet wurde.
Epikureer
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I. Quellenlage
Die Werke Epikurs (341-271/70 v.Chr.) sind weitgehend verloren. Die wichtigste Quelle ist die Darstellung des Diogenes Laertius (3.Jh. n.Chr.): neben biographischen Daten auch drei Briefe, das Testament Epikurs sowie eine Sammlung von 40 Lehrsätzen. Außerdem erhält man Zugang zum Werk Epikurs durch Zitate bei anderen Schriftstellern und Papyrusfunde.
II. Gottesvorstellung
Die Götter (ihre Existenz ist für Epikur nicht zweifelhaft) haben nichts zu tun mit dem Geschehen auf der Erde. In »Zwischenwelten« führen sie ein glückseliges Leben. Die Furcht vor den Göttern ist unbegründet, sie müssen nicht gnädig gestimmt werden durch Gebete und Opfer.
Dennoch haben die Epikureer an einer Verehrung der Götter festgehalten: als Vergegenwärtigung des Ideals eines glückseligen Lebens, unberührt vom Treiben in der Welt.nach oben
III. Die Haltung zum Tod
Vor dem Tod muss sich der Mensch ebenso wenig fürchten wie vor den Göttern. Es erwarten ihn keine Strafen in der Unterwelt, denn ein Fortleben der Seele nach dem Tod gibt es nicht. Die Seele wird materiell gedacht und zerfällt mit dem Körper. »Solange wir sind, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr.« (Diog Laert, VitPhil 10, 125) Auch der vorzeitige Tod ist für Epikur kein Argument gegen diese Sicht, denn entscheidend ist nicht die Dauer des Lebens, sondern dessen Qualität.
IV. Das »Lustprinzip«
Das glückselige Leben verbindet sich für Epikur mit dem Begriff der Lust. Einerseits empfiehlt er ein lustvolles Leben, durchaus sinnlich verstanden, andererseits aber auch Genügsamkeit. Denn es gilt auch die Folgen des Handelns zu bedenken. Das Lustprinzip ist gebunden an Einsicht. Zu meiden sind Lustempfindungen, »sofern uns aus ihnen noch mehr Unannehmlichkeiten erwachsen«. So vertritt Epikur also letztlich eine besonnene Lebensweise. »Auch Brot und Wasser gewähren höchsten Genuss, wenn man sie aus Hunger zu sich nimmt«.
V. Epikureer und Urchristentum
Berührungspunkte zwischen Urchristentum und epikureischer Philosophie gab es höchstens in der Kritik der Göttermythen. Ansonsten bestehen keine inhaltlichen Analogien. Wenn Paulus in 1Kor 15,32 die Parole zitiert »Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot«, könnte dies gegen epikureische Lebenshaltung gerichtet sein (H.-J. Klauck).
Stoa
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Begründet wurde die Stoa durch Zenon von Kition um 300 v.Chr. Originale Werke besitzen wir allein aus der Spätphase der Stoa (50-180 n.Chr.: Seneca, Marc Aurel; mit Einschränkungen Epiktet). Die Werke der alten Stoa sind nicht erhalten, aber recht gut dokumentiert durch Zitate bei anderen Autoren. Für die mittlere Stoa (150 v. Chr. bis zur Zeitenwende) ist die Quellenlage noch schlechter als für die ältere Stoa.
I. Ethik
Die Ethik ist »das Herz der stoischen Philosophie« (G. Hansen). Tugend besteht darin, dass der Mensch in Übereinstimmung mit dem Prinzip lebt, das die Vielheit der Wirklichkeit zu einer sinnvollen Einheit strukturiert: der Logos. An ihm hat der Mensch durch seine Vernunftbegabung bevorzugt Anteil.
Inhaltlich bedeutet Tugend wesentlich die Freiheit von Affekten, also von Trieben, die nicht mehr von der Vernunft kontrolliert werden (v.a. Begierde, Lust, Angst, Trauer).
Leidenschaftslosigkeit erreicht man durch das rechte Urteil über den Wert der Dinge. Anzustreben ist nur, worüber man verfügen kann: die Einstellung zu den Dingen, die Einschätzung der wahren Wertverhältnisse. Das »einzig wirkliche Gut war die Erkenntnis, daß es nichts wirklich Erstrebenswertes, weil nichts wirklich Verfügbares auf der Welt gibt, außer … dieser Erkenntnis selbst« (M. Hossenfelder).
Neben Gütern und Übeln gibt es eine dritte Gruppe, die Adiaphora. Sie sind sittlich indifferent, z.B. Armut, Reichtum, Gesundheit, Krankheit. Sie sind nicht in jeder Hinsicht gleichgültig, sondern in Hinsicht auf das glückselige Leben, zu dem auch der Arme oder Kranke kommen kann. Der Stoiker kann dem Trieb nach Wohlstand und Gesundheit durchaus folgen, aber nicht unter der falschen Voraussetzung, es handle sich dabei um ein Gut, das unbedingt zu verwirklichen sei.
II. Ontologie, Theologie, Anthropologie, Eschatologie
Ontologie, Theologie, Anthropologie
Die Stoa denkt das Seiende als Einheit. Der Geist (logos) kann als gestaltende Kraft nur in Verbindung mit der Materie, dem Stoff (hyle) wirken. Als kosmischer Urstoff gilt das (unvergängliche) Feuer, aus dem die Elemente Luft, Wasser und Erde hervorgehen.
Jenseits der auf diese Weise einheitlich erklärten Welt gibt es keine Wirklichkeit, keine Welt der Ideen, keinen transzendenten Schöpfergott. Die Gottheit wird nicht gedacht als personale Größe, die der Welt gegenüberträte. Sie ist ein Teil der Welt, beseelende und lenkende Überlebenskraft (W. Capelle). Die Stoa vertritt also einen Pantheismus.
Aus der einheitlichen Welterklärung ergibt sich auch: In allem Seienden wirkt, in abgestufter Weise, der Logos. Der Mensch ragt aus allem Seienden heraus, da er durch Vernunftbegabung ausgezeichnet ist. Derselbe Logos, der im Menschen wirkt, strukturiert die Wirklichkeit. Aus dieser Einheit ergibt sich als Folgerung: Unsere Erkenntnis, unsere Sprache, auch unser Verhalten muss sich von dieser schöpferischen Urkraft bestimmen lassen.
- Die Forderung nach solchem Einklang mit dem Logos richtet sich auf die Zustimmung zum Unvermeidlichen. Der Mensch ist eingebunden in eine unabänderliche Gesetzmäßigkeit und muss das ihm Zukommende annehmen; es gehört zu den Dingen, über die er nicht verfügen kann. Sein Glück kann er nur gewinnen, wenn er sein Schicksal bejaht – Schicksal nicht gesehen als blinder, sinnloser Zwang, sondern als gütige Vorsehung.
Eschatologie
Die Stoa lehrt den periodisch wiederkehrenden Untergang der Welt in einem gewaltigen Feuer (ekpyrosis). Auf die Vernichtung folgt die Entstehung einer neuen Welt, in der sich die vorhergehende wiederholt. Die ewige Wiederkehr des Gleichen ist ein stoischer Gedanke.
Hoffnung auf ein ewiges Leben kennt die Stoa nicht. Die Seele, nicht immateriell gedacht, kann zwar nach dem Tod weiterleben, doch geht sie spätestens mit dem Untergang des Kosmos zugrunde. Der Tod wird aber nicht verdrängt, er gehört zur Bedingung des menschlichen Lebens und geht uns durchaus etwas an (anders Epikur). Es gilt, sich ins Sterben einzuüben.
III. Wirkungsgeschichte
Christliche Tradition im Allgemeinen
Da vieles aus der stoischen Ethik »kulturelles Allgemeingut« geworden ist (W. Weinkauf), kann man die Wirkung der historischen Stoa nicht ohne Weiteres nachzeichnen. Die christliche Tradition hat eine besondere Nähe zur stoischen Ethik erkannt. Dies ist an einer literarischen und einer überlieferungsgeschichtlichen Besonderheit abzulesen.
- Es entstand (wohl im 4. Jh.) ein fiktiver Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca. Inhaltlich ist er völlig unergiebig, Paulus und Seneca tauschen Komplimente aus. Gerade dies spricht dafür, dass hinter den fingierten Briefen eine verbreitete Hochschätzung der Stoa stehen muss.
- Die überlieferungsgeschichtliche Besonderheit besteht in der Tatsache, dass Epiktets »Handbüchlein der Moral« als christliches Werk galt, nämlich des Mönchvaters Nilus, und »fester Bestandteil jeder Klosterbibliothek« war (H.-J. Klauck).
Neues Testament im Besonderen
Stoisches Gedankengut im Neuen Testament dürfte über das hellenistische Judentum vermittelt worden sein.
- In der Areopag-Rede (Apg 17) erscheinen theologische Aussagen, denen ein Stoiker hätte zustimmen können: Gott lebt nicht in von Menschen gemachten Tempeln (V. 24), ist nicht Götterbildern aus Gold, Silber oder Stein gleich (V. 29), hat keine Versorgung durch den Kult nötig (V. 25); er ist den Menschen nicht fern (V. 27).
- Paulus zeigt in manchen Passagen stilistische Analogien zur Diatribe, einem Belehrungsverfahren, das besonders von Stoikern verwendet wurde. Fragen werden eingestreut, die mögliche Folgerungen aus den vorherigen Äußerungen formulieren oder Einwände oder auch den Gedanken weiterführen sollen.
- Die Ethik der Tugend- und Lasterkataloge sowie der Haustafeln, die die Pflichten im Haus regeln, wurzelt zum Teil in der stoischen Philosophie (vgl. Röm 1,29-31; Gal 5,19-22; Kol 3,18-4,1; 1Tim 3,1-7).
Unterschiede bleiben. Das Ideal der Affektfreiheit ist im NT nicht zu entdecken, Mitleid wird nicht negativ gewertet wie in einem Teil der stoischen Tradition.
Kynismus
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I. Charakterisierung
Der Kynismus ist weniger eine philosophische Lehre als eine bestimmte Lebensform. Diese unterschied sich programmatisch von den üblichen Wertvorstellungen eines »bürgerlichen« Lebens. Die Kyniker provozierten durch bewusste »Umkehrung geläufiger Werte« (H.-J. Gehrke).
- Der Mensch soll nicht streben nach Wohlstand, Familie, Anerkennung, Ausübung von Ämtern. Um dies zu demonstrieren, lebten die Kyniker bedürfnislos. Darin äußert sich verdichtet die Selbstgenügsamkeit. Seine Unabhängigkeit von allen äußeren Dingen erweist der Kyniker, indem er tatsächlich fast nichts besitzt. Anders als dem Stoiker genügt dem Kyniker die innere Einstellung nicht.
- Ziel der kynischen Lebensweise ist, ähnlich wie in der Stoa, die Leidenschaftslosigkeit. Durch nichts soll man sich erschüttern lassen, weder durch ein widriges Geschick noch durch positive Erfahrungen. Zorn und Neid, auch Hoffnung, alle starken Gemütsbewegungen, ebenso die von Epikur hoch bewertete Lust, stehen dem glückseligen Leben entgegen.
- Das »Programm der Provokation« führte zum Vorwurf der Schamlosigkeit. Doch bezeugt der Stoiker Epiktet eine positive Sicht. Nach seinem Idealbild leistet der Kyniker als Erzieher der Gemeinschaft einen Dienst – notwendig, solange es philosophisch Ungebildete gibt.
- Die Kyniker versuchen durch Praxis zu überzeugen. Ein eigentliches Lehrgebäude haben sie nicht errichtet. Und so werden auch keine theologischen Vorstellungen als Teil der Welterklärung entwickelt.
II. Kynismus und Jesusforschung
Ähnlichkeiten zwischen Jesusbewegung und Kynismus werden v.a. in der Q-Tradition erkannt (Aussendungsrede, Stellung zum Reichtum, Gebot der Feindesliebe). Jesus wäre Prediger einer bestimmten Lebensweisheit, die sich von den Konventionen der Gesellschaft absetzt. Alles Eschatologische an der Rede vom Reich Gottes wäre zu eliminieren.
Dazu müsste man allerdings die alt-jüdische Tradition außer Acht lassen. Einen solchen Grad hat die Hellenisierung Galiläas sicher nicht erreicht. Ohne Entsprechung bei Kynikern ist die Tatsache, dass Jesus als Gottesverkünder auftritt. Diese Differenz kann man nicht überspringen durch Verweis auf Ähnlichkeiten, die von einer vergleichbaren Lebensweise (Wanderexistenz) herrühren können.
Kaiserkult
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I. Begriff und Ursprung
Der Begriff Herrscherkult bezeichnet die Anerkennung eines Herrschers als Gott oder als gottähnliches Wesen; ihm wird kultische Verehrung zuteil – nach seinem Tod oder schon zu Lebzeiten.
Die Wurzeln des Herrscherkultes dürften vor allem im Heroen- und im Wohltäterkult liegen. In beiden Größen zeigt sich der Gedanke, dass die Grenze zwischen Göttern und Menschen durchlässig ist. Der Herrscherkult lässt sich verstehen als Verbindung der kultischen Verehrung verstorbener Heroen und der profanen Verehrung lebender Wohltäter.
Die Begegnung der Griechen mit dem ägyptischen Pharaonentum könnte als Katalysator für die Ausbildung des Herrscherkultes gewirkt haben.
II. Entwicklung und Bedeutung
Alexander der Gr. kann einem Vorläuferstadium des Herrscherkultes zugeordnet werden. Nach seinem Tod setzte der Kult um seine Person ein und griff auf seine Nachfolger über.
Vor allem die ägyptischen Ptolemäer förderten den Kult um die Herrscherfamilie, der allerdings nicht als allein von oben verordnet empfunden worden sein musste. Bei den Seleukiden hat der Herrscherkult erst ab dem Ende des 3. Jh. vC Bedeutung gewonnen.
Die Römer haben den Herrscherkult nicht selbst hervorgebracht, sondern bei ihrer Ausbreitung im Osten bereits vorgefunden. Die Aufnahme Caesars in den Götterhimmel gab ein Modell für die Kaiserzeit ab. Augustus blieb aus politischem Kalkül in Rom zurückhaltend, nahm die kultische Verehrung in den Städten des Ostens aber an. Ähnlich handelten auch seine Nachfolger, von denen allein Caligula offensiv göttliche Verehrung eingefordert hat.
Aus Sicht der Herrschenden stärkte der Kult Macht und Legitimität des Machthabers. Aus Sicht der Untertanen ist wohl die Erfahrung von Hilfe und Rettung entscheidend – Grundfunktionen des Göttlichen, weshalb der Schluss nahe lag: Wo Rettung erfahren wird, zeigt sich die göttliche Macht im Retter. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass man den Herrscherkult in pragmatischer Hinsicht auch als Ordnungsfaktor verstehen kann.
Mysterienreligionen
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I. Vermischung griechischer und orientalischer Religiosität
In religiösen Vorstellungen und Vollzügen konnte sich das östliche Element bei der Begegnung der Kulturen von Orient und Okzident stärker behaupten. Gottheiten griechischen und orientalischen Ursprungs wurden miteinander identifiziert, einzelne Elemente der verschiedenen Religionen vermischten sich.
Beide Kulturkreise durchdrangen sich auch bei der Neuschaffung von Kulten aus Elementen griechischer und orientalischer Herkunft. Zwar hat es Mysterienreligionen auch schon vor dieser Verschmelzung gegeben, Entstehung und Verbreitung hat sich aber in der hellenistischen Zeit merklich verstärkt.
II. Grundzug
Die Mysterienreligionen (von mysterion = Geheimnis) sind von öffentlichen Kulten und von privatem religiösem Brauchtum abgesetzt. Grundzüge lassen sich trotz der Verpflichtung zum Stillschweigen noch erkennen:
- Am Beginn steht die Einweihung, oft vorbereitet durch einführende Riten (Waschungen, Bäder).
- Im Zentrum der kultischen Feier steht ein Drama, das Leiden und Sieg der Gottheit darstellt.
- Im Ritus haben die Kultteilnehmer am dargestellten Geschehen teil und gewinnen so die Aussicht auf Rettung, sei sie innerweltlich gedacht (Bewahrung vor Gefahren) oder auf das Geschick nach dem Tod ausgerichtet.
- Die Gemeinschaft mit der Gottheit kann durch ein Mahl symbolisiert werden.
III. Bedeutung für das Urchristentum
Die frühere Zuversicht, Taufe und Herrenmahl aus den Mysterienkulten abzuleiten, wird heute gewöhnlich nicht mehr geteilt. Dazu sind die Unterschiede zu groß.
- So bezieht sich die Rede von der Erlösung durch Tod und Auferstehung Jesu Christi auf ein geschichtliches Ereignis, das ein für alle Mal geschehen ist. In den Mysterienkulten dagegen werden Tod und Wiederbelebung der Gottheit immer wieder dargestellt; Bezugspunkt ist hier nicht eine geschichtliche Größe.
- Auch der Gedanke eines sühnenden Sterbens ist den Mysterienreligionen unbekannt.
- Die Vereinigung der Glaubenden mit Christus versteht Paulus nicht als vollkommene Verschmelzung; sie steht unter dem Vorbehalt, dass die Heilsvollendung noch aussteht.
- Wird in den Aufnahmeriten der Mysterienkulte allein rituelle Reinheit vermittelt, geht es in der Taufe nach paulinischem Verständnis um Reinigung von Sünden und einen Wandel der ganzen Existenz.
Dennoch kann man mit Dieter Zeller von einer »analogen Gedankenstruktur« sprechen. Auch wenn in den Mysterienreligionen nicht ausdrücklich vom Mitsterben (und Mitauferstehen) die Rede ist, so gibt es doch den Gedanken der Identifikation mit der Gottheit und ihrem Geschick, in dem sich der Eingeweihte wiedererkennt.
Wichtig sind diese Beobachtungen weniger für die Frage nach der Herkunft des paulinischen Taufverständnisses als für die Bedingungen ihrer Rezeption. Sie »illustrieren … die Atmosphäre, in die es (=das Neue Testament) hineinspricht, das Verlangen nach göttlicher Solidarität im Leiden und die immer intensiver werdende Hoffnung auf Rettung aus allen Mühen, auch aus der Sinnlosigkeit des Todes, eine Hoffnung, die sich manchmal schon an die Gestalt der sterbenden Götter klammert« (D. Zeller).
Die Gnosis
Das griechische Wort »Gnosis« bedeutet »Wissen, Erkenntnis«. Es wurde zur Selbstbezeichnung einer religiösen Bewegung in der Antike. Bei dieser Erkenntnis geht es um ein Wissen, das durch göttliche Offenbarung vermittelt wird – inhaltlich gerichtet in umfassendem Sinn auf Gott, Mensch und Welt und deren Verhältnis zueinander. Der Mensch muss seine Situation in der Welt erkennen, um zur Erlösung zu gelangen.
Ursprung und Quellen
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I. Die Frage nach den Ursprüngen
Diese Frage wird auf zwei unterschiedliche Weisen beantwortet.
- Die Gnosis hat sich erst entwickelt aus der Verbindung von christlichem Glauben und hellenistischer Philosophie. Außerchristliche Gnosis ist eine sekundäre Ableitung aus der christlichen Gnosis.
- Die Gnosis ist unabhängig vom Christentum entstanden und erst nachträglich mit ihm in Verbindung gekommen.
Die zweite Erklärung hat insgesamt wohl mehr für sich, auch wenn man eine vorchristliche Gnosis nicht ohne weiteres nachweisen kann.
II. Religionsgeschichtliche Einflüsse
Sie zeigen sich in der atl-jüdischen Tradition (Apokalyptik, Weisheitslehre), dem Dualismus in der hellenistischen Philosophie; eventuell auch in der iranischen Religion – allerdings unsicher aufgrund der schlechten Quellenlage.
Die Gnosis ist ein synkretistisches Phänomen, d.h. sie nimmt verschiedenste Einflüsse auf und verbindet sie zu einer neuen Mischform.
III. Quellen
Lange Zeit waren die Werke der Kirchenväter fast die einzige Quelle für die Rekonstruktion der christlichen Gnosis. Damit war das Problem gegeben, dass die Darstellung polemisch geprägt war.
Vor allem durch die Funde von Nag Hammadi (Oberägypten) 1945 gelangte man zu Originalquellen: koptische Schriften aus christlich-gnostischen Gemeinden, wohl aus dem 2./3. Jhdt. n. Chr. (51 Schriften in 13 Bänden).
Eine andere Schriftengruppe aus Ägypten, die man Corpus Hermeticum genannt hat, war schon lange zugänglich, sie bezeugt aber eine heidnische Form der Gnosis.
In etwa zeitgleich mit dem Christentum bildete sich die sogenannte Gnosis heraus, die v.a. ab dem zweiten Jahrhundert als Konkurrenzbewegung bzw. Gefahr für das Christentum erscheinen musste. Viele christliche Texte der ersten Jahrhunderte argumentieren implizit oder explizit gegen diese Bewegung. Auch der Prozess der Kanonbildung ist wesentlich beeinflusst von der Entscheidung, inwieweit gnostisches Gedankengut in den fraglichen Schriften bezeugt war.
Grundzüge der Lehre
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I. Das Anliegen
Der Gnosis geht es um Erlösung durch Erkenntnis
- der Herkunft des Menschen,
- seiner gegenwärtigen Lage
- sowie des Ziels, auf das er zugeht.
► Die Antwort der Gnosis: Der Mensch stammt aus der rein geistigen Lichtwelt; sein eigentliches Selbst, sein Geist, ist ein aus dieser Welt gefallener Lichtfunke, der nun in der Fremde der materiellen Welt und im Gefängnis des Leibes ist; aus dieser Verlorenheit kann der Mensch nur durch Erkenntnis seiner wahren Situation erlöst werden. Dies lässt sich in den nachstehenden Punkten entfalten.
II. Negative Sicht der Schöpfung
Entweder wird dem guten ein böses Prinzip gegenübergestellt und die Entstehung der Welt auf das Wirken dunkler Mächte zurückgeführt. Oder man denkt Ausdifferenzierungen innerhalb der göttlichen Fülle, Abbilder, die in einer Abwärtsentwicklung aus dem höchsten Gott hervorgehen; die Erschaffung der Welt gründet dann in einem Fehler auf der unteren Ebene dieser göttlichen Abbilder.
Eine Kommentierung der Schöpfungswerke mit »gut« oder »sehr gut« ist für einen Gnostiker in keinem Fall möglich. In der Folge musste der Schöpfergott des Alten Testaments als böser Antagonist zum guten (gnostischen) Gott verstanden werden.
III. Anthropologie
Der Mensch wird dualistisch gesehen: In seiner irdisch-materiellen und seiner seelischen Existenz ist er das Produkt widergöttlicher Mächte. Gleichzeitig ruht aber ein göttlicher Funke in ihm, der aus dem Bereich der Lichtwelt stammt – das wahre Ich des Menschen, das zurückgeführt werden muss zu seinem göttlichen Ursprung.
Meist findet sich ein dreiteiliges Menschenbild: Der Mensch besteht aus Körper, Seele und Geist. Nur der Geist wird positiv gewertet; die Seele (als Sitz von Begierden und Leidenschaften) wird zurückgeführt auf die bösen Weltmächte, erscheint allerdings nicht ganz so negativ wie der materielle Leib.
IV. Der Weg zum Heil
Das Heil eröffnet sich für den Menschen als Rückkehr in seine Heimat, die obere Lichtwelt. Ermöglicht wird dies dem Menschen durch Erkenntnis seines Zustandes: Er muss wissen, dass er in seinem irdischen Dasein in einem Gefängnis lebt und zurückkehren muss in seinen göttlichen Ursprung.
Diese Erkenntnis kann der Mensch aber nur durch Offenbarung erlangen. Die Mächte des Bösen versuchen nämlich, dem Menschen seine eigentliche Herkunft zu verbergen, so dass ihn kein Verlangen erfasst nach seiner himmlischen Heimat. In der christlichen Gnosis verbindet sich damit Jesus als Offenbarergestalt. Menschwerdung und Passion können allerdings nicht ernst genommen werden.
Die Rückkehr wird beschrieben als Aufstieg der Seele zum höchsten Himmel. Dabei versuchen die bösen Mächte, die Seele auf ihrem Weg nach oben aufzuhalten. Nur eine wissende Seele kann diese Gefahren überwinden: wenn sie die Namen der Weltherrscher kennt oder bestimmte Formeln und Sprüche, die den Weg in die nächsthöhere Himmelssphäre freimachen.
V. Ethik
Aus der Abwertung des Leiblichen können sich zwei gegensätzliche ethische Konsequenzen ergeben:
- Alles was mit der Sphäre des Leiblichen zusammenhängt, kann den Gnostiker nicht mehr berühren. Er kann also tun und lassen, was ihm gefällt (»Libertinismus«).
- Der Gnostiker soll alles meiden, was mit der Sphäre des Leiblichen zusammenhängt, um sich nicht mit dem Leiblich-Weltlichen zu verunreinigen (strenge Askese: Enthaltung von bestimmten Speisen, Ablehnung der Ehe usw.).
Die erste Linie erscheint v.a. in antignostischen Schriften, ist aber nicht als reine Polemik erklärbar. Dennoch dürfte die asketische Richtung in der Gnosis dominiert haben.