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Traditionskritik

  1. Aufgabe
  2. Begriffsklärung
  3. Methode
  4. Relevanz
  5. Übungsaufgaben

I. Aufgabe

Im Methodenschritt der Traditionskritik stehen geprägte Vorstellungen im Fokus. Um einen Text angemessen verstehen zu können, ist es notwendig, am dort vorausgesetzten kulturellen Wissen – mit Umberto Eco gesprochen der „kulturellen Enzyklopädie“ – teilzuhaben. Die Traditionskritik will herausfinden, in welchem Maße ein Text auf solche geprägten Vorstellungen zurückgreift. Dabei soll zugleich versucht werden, einen eventuellen Bedeutungswandel der geprägten Vorstellungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung zu erhellen.

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II. Begriffsklärung

Was mit „Traditionsgeschichte“ gemeint ist, kann manchmal auch synonym mit „Motivkritik“ bezeichnet werden. Wir verwenden den Begriff „Traditionsgeschichte“ als Überbegriff für die Beschäftigung mit geprägten Vorstellungen. Diese geprägten Vorstellungen lassen sich nach Hieke/Schöning (S. 122-126) und Ebner/Heininger (S. 241-251) folgendermaßen unterscheiden:

  • Motiv: „Ein Motiv ist eine kleinräumige geprägte Vorstellung, die nicht mit einer spezifischen theologischen Botschaft verbunden ist.“ (Hieke/Schöning, S. 123)
  • Tradition (im engeren Sinne): „Eine Tradition ist eine geprägte Vorstellung, die eine spezifische theologische Botschaft erkennen lässt.“
  • Umwelt der biblischen Texte: Erhebung des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umfelds der Texte mit dem Fokus auf die Realien der damaligen Zeit. Quellen sind neben literarischen (biblischen wie außerbiblischen) Texten und Gebrauchstexten (z. B. bestimmten Inschriften) auch archäologische Zeugnisse.

    Explizit werden hier auch häufig religionsgeschichtliche Fragestellungen verortet, die versuchen herauszuarbeiten, inwieweit die Texte Rückschlüsse auf religiöse Strukturen und Einflüsse zulassen. Gerade das frühe Christentum, das aus dem Judentum erwächst und durch Mission in ständigem Dialog mit griechischer und römischer Religion steht, ist keine abgeschlossene Religion, sondern bildet seine eigene Identität in diesem Dialog.

Häufig kommt es neben der Bezugnahme auf geprägte Vorstellungen im Allgemeinen auch zur Bezugnahme auf ganz konkrete Einzeltexte. Dieses Phänomen nennen wir Intertextualität. Auch hier wird ein bestimmtes kulturelles Wissen – nämlich konkret die Kenntnis eines bestimmten Textes – bei den AdressatInnen vorausgesetzt.

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III. Methode

Zur Eruierung der Vorstellungen gilt es zunächst, sachliche Parallelen aufzuspüren, um – durch die Einbettung in unterschiedliche Kontexte – mehr über die verwendeten Vorstellungen herausfinden zu können. In einem ersten Arbeitsschritt gilt es zunächst, biblische Parallelen aufzuspüren (mit Hilfe von Konkordanzen und Wörterbüchern). Eine weitere Vertiefung geschieht durch den Vergleich mit Texten aus der Umwelt des Alten und Neuen Testaments (im letzteren Fall schwerpunktmäßig aus dem jüdischen und dem hellenistischen Traditionskreis). Eine Auswertung des gesammelten Vergleichsmaterials gibt Auskunft über Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Verwendung der Vorstellungen, sodass man auch Auskunft erhält über die Veränderung von Verwendungen und Vorstellungen durch die Zeit hindurch. Typische Stolperfalle ist die Datierungsfrage (etwa der Scheidung von biblischer bzw. außerbiblischer Herkunft einzelner Motive), die für biblische Texte oftmals nur ungenau beantwortet werden kann  bzw. sehr stark umstritten ist und somit – je nach Entscheidung – unterschiedliche Ergebnisse liefern kann.

Mit derselben Methode lassen sich nicht nur Motive und Traditionen erörtern, sondern eben auch zeit-, sozial- und religionsgeschichtliche Fragestellungen lösen, da die Motive und Traditionen meist eingebettet sind in ihre jeweilige Situation und nur von einem tieferen Einblick in Religion, Sozial- und Zeitgeschichte näher erfasst werden können.

Dieser Methodenschritt setzt also eine intensive Beschäftigung mit der Sekundärliteratur sowie mit anderen biblischen und außerbiblischen Quellen voraus:

Sekundärliteratur: v.a. Lexika, Geschichte Israels bzw. des frühen Christentums, Kommentare, Konkordanzen; elektronische Bibelprogramme

Außerbiblische Quellen: Quellensammlungen zu außerbiblischen Texten, Datenbanken zu Inschriften, Papyri etc. (z. B. TLG, PHI)

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IV. Relevanz

Die Traditionskritik kann zeigen, wie das Verständnis einzelner Elemente eines Textes oder auch ein größerer Sachzusammenhang (etwa die Botschaft Jesu von der Königsherrschaft Gottes) durch geprägte Vorstellungen bestimmt ist und worin angesichts dieser Vorstellungen eventuell das Innovative in der Verwendung des Motivs oder der Tradition liegt.

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V. Übungsaufgaben

© Übungsaufgaben: Methodenkurs 2023

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