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Pragmatische Analyse

  1. Aufgabe
  2. Methode
  3. Relevanz
  4. Übungsaufgaben

I. Aufgabe

Die pragmatische Analyse widmet sich der dynamischen Funktion von Texten. Sie fragt, was Texte bei den Adressaten bewirken wollen, und untersucht zu diesem Zweck die eingesetzten Mittel der Leserlenkung. Vorausgesetzt ist: Die Texte sind eingebunden in eine bestimmte Kommunikationssituation, der Autor will Einfluss nehmen auf die Adressaten, im Normalfall um eine Veränderung von Einstellungen, Überzeugungen oder Verhaltensweisen zu erreichen. Zwar erschließt sich die Briefliteratur mit ihrer offensichtlichen Kommunikationsabsicht leichter der pragmatischen Analyse, diese lässt sich dennoch auch auf Erzähltexte anwenden.

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II. Methode

Begriffe

Texte sind also eingebunden in eine Kommunikationssituation zwischen Autorinnen und Autoren (im Folgenden vereinfacht: Autor) und Leserinnen und Lesern (im Folgenden vereinfacht: Leser): Texte sind das Medium der gebrochenen Kommunikation zwischen Autor und Leser. Innerhalb dieser Kommunikationssituation kann man verschiedene Autor- und Leser-Begriffe unterscheiden (Definitionen nach Hieke/Schöning, 2017, S. 106):

  • Implizierter Leser: die von der realen Autorin bzw. dem realen Autor vorgestellte und angesprochene Leserschaft (produktionsorientierte Perspektive); auch Adressaten oder Erstadressaten genannt
  • Impliziter Leser: „die im Text wahrgenommene Leserrolle; schließt den implizierten Leser mit ein, geht aber insofern darüber hinaus, als in einem Text immer mehr Sinnpotentiale stecken, als ein(e) reale(r) Autor(in) hineingelegt hat (rezeptionsorientierte Perspektive, daher auch: „Modell-Leser“); ebenfalls Adressaten oder Erstadressaten genannt
  • Impliziter Autor: analog zum impliziten Leser die im Text wahrgenommene Autorrolle; nicht gleichzusetzen mit dem textimmanenten Erzähler (siehe dazu bei der narratologischen Analyse); auch Verfasser genannt
  • Realer Leser: die Leserinnen und Leser aus Fleisch und Blut, die zu einer konkreten Zeit den Text lesen. Ihnen tritt bei der Lektüre der implizite Leser als Strategie und Angebot des Textes gegenüber, das sie annehmen oder ablehnen können; auch Rezipienten genannt
  • Realer Autor: die Autorinnen und Autoren aus Fleisch und Blut, die zu einer konkreten Zeit den Text verfasst haben; ebenfalls Verfasser genannt

Bei der Verwendung der Begriffe in der Exegese sind die unterschiedlichen Textsorten (z. B. Briefliteratur, narrative Texte, Gebete) zu beachten. Da die Bibel überwiegend der sog. Traditionsliteratur zugerechnet wird, die einen längeren Überlieferungsprozess und auch plurale Autorschaft mit einschließt, ist hier insbesondere der Begriff Autor als abstraktes ‚Konzept‘, dem verschiedene Funktionen zugeschrieben werden können (Fotis Jannidis spricht in diesem Kontext von „Autorfigurationen“), – und eben nicht nur im Sinne eines (einzigen) realen Autors – zu verstehen: So kann beispielsweise ein impliziter Autor auch als Gruppe von (realen) Autoren gedacht werden. Ob ein Redaktor auch als Autor anzusehen ist oder ob hier eine zusätzliche Kategorie eingeführt werden sollte, wird in der Exegese derzeit diskutiert. Dies hängt vor allem an der inhaltlichen Füllung (Definition) des Autor-Begriffes.

Diskursive Texte

In diskursiven Texten (z. B. in Briefen) kann die Wirkabsicht ausdrücklich zur Sprache kommen: Ein entsprechendes Verb führt eine Äußerung ein: „ich ermahne euch …“, „ich tue euch kund …“, „ich lobe nicht …“, „ich will nicht …“ (alle Beispiele aus dem 1Kor). Auch bestimmte formale Phänomene (Fragen, Imperative) können direkt die angezielte Wirkung des Textes benennen und sind damit für die pragmatische Analyse auszuwerten.

Allerdings kann es sein, dass sich die Wirkabsicht nicht unmittelbar aus der wörtlichen Bedeutung auf der Textoberfläche erschließt. Dies ist aus der Alltagskommunikation bekannt: Wer auf ein geöffnetes Fenster mit dem Satz „es zieht“ hinweist, fordert indirekt zum Schließen des Fensters auf. In biblischen Texten müsste eine solche Inkongruenz zwischen Gesagtem und eigentlich Angezieltem aus der rekonstruierten Kommunikationssituation erhoben werden.

So wird man etwa die Aussage von Gal 1,6 („ich wundere mich, dass ihr euch so schnell abgewendet habt von dem, der euch berufen hat …“) nicht als eine Information über die Gedanken des Paulus lesen, sondern als Kritik am Verhalten der Adressaten: Paulus wundert sich nicht nur, er schreibt ja den ganzen Brief, um diese Abwendung rückgängig zu machen. Und das „Sich-Wundern“ mit der darin angedeuteten Distanz ist bereits ein erster Hinweis auf die gestörte Kommunikation zwischen Absender und Adressaten, die der Absender durch den Brief offensichtlich beheben will.

Neben direkten oder indirekten Hinweisen auf die Wirkabsicht sind die eingesetzten Überzeugungsstrategien als Mittel der Leserlenkung zu untersuchen. Auch hier kann man zwischen (a) direkten und (b) indirekten Mitteln unterscheiden. Der Autor kann sich (a) unmittelbar auf bestehende Normen und Werturteile oder ausdrückliche Wünsche beziehen. Zur zweiten Kategorie (b) zählen Strategien, die sich

  • auf die Charakterisierung des Absenders richten (Autorität, Sympathie),
  • auf die besonders ausführliche oder häufige oder rhetorisch intensive Behandlung eines Sachverhalts oder
  • die unmittelbare Einbeziehung der Adressaten.

Erzählungen

In narrativen Texten ist die Kommunikation zwischen Autor und Leser gewöhnlich nicht unmittelbar auf der Textoberfläche greifbar, wenn sie nicht durch entsprechende Wortmeldungen am Anfang oder Schluss zum Tragen kommt (s. Lk 1,1-4; Joh 20,30f). Die Erzählung selbst muss in der Gestaltung ihrer konstitutiven Elemente die Hinweise liefern, die für die Erhebung der Wirkabsicht ausgewertet werden können, also:

  • Erzählrahmen
  • erzählte Ereignisse
  • mitgeteilte Sachverhalte
  • Erzählfiguren

Vor allem die Gestaltung der Figuren bietet Potential zur Leserlenkung, indem durch Rede und Verhalten Identifikationsmöglichkeiten angeboten werden, sie als Träger von positiv oder negativ gewerteten Inhalten charakterisiert werden, ihre Rede so formuliert ist, dass sich die Adressaten der Erzählung unmittelbar angesprochen sehen können.

Zum Zweiten ist auf metakommunikative Elemente zu achten. Sie sind nicht auf der Erzählebene angesiedelt, gehören also nicht zur Kommunikation der Erzählfiguren. Sie begegnen nicht nur in der direkten Ansprache der Adressaten (wie in Lk 1,1-4; Joh 20,30f), sondern können auch in kommentierenden Bemerkungen des Erzählers einfließen. Das Johannes-Evangelium bietet mehrere solcher Fälle (z.B. Joh 2,21f; 7,5; 12,16); auch die Erfüllungszitate des Matthäus-Evangeliums, die die Erzählung unterbrechen, könnten auf ihr pragmatisches Potential untersucht werden.

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III. Relevanz

Die pragmatische Analyse lenkt den Blick nicht nur darauf, dass biblische Texte in einer bestimmten geschichtlichen Situation entstanden sind; sie kann auch vor Augen führen, wie diese Situation geprägt ist durch ein Kommunikationsgeschehen, in dem ein Autor durch sein Werk auf die Adressaten einwirken will. Anders als bei Briefen, in denen Empfänger genannt werden, ist dieser Sachverhalt bei Erzählungen nicht unmittelbar zugänglich.

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IV. Übungsaufgaben

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© Übungsaufgaben: Sanal Santhosh

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