Gottes Begegnung mit Mose am Horeb: Verheißung der Rettung der Israeliten
- Kontext
- Gliederung
- Auslegung
- Gott nimmt die Not der Israeliten wahr (Ex 2,23–25)
- Gott erscheint Mose am Gottesberg im Dornbusch (Ex 3,1–6)
- Erste Rede YHWHs: Sendung nach Ägypten zur Rettung der Israeliten (Ex 3,7–10)
- Erster Dialog und erster Einwand: Zweifel und Ermutigungszeichen (Ex 3,11–12)
- Zweiter Dialog und zweiter Einwand: Die Frage nach dem Namen Gottes (Ex 3,13–14)
- Zweite Rede YHWHs: Verheißung und Auftrag an die Israeliten (Ex 3,15–22)
- Dialogerzählung und dritter Einwand: Zweifel am Auftrag der Israeliten (Ex 4,1–9)
- Dialogerzählung und vierter Einwand: Moses schwere Zunge und sein Bruder Aaron (Ex 4,10–17)
- Fazit
- Quellen
1. Kontext
Das Exodusbuch beginnt erzählerisch mit einem Generationenwechsel: Nach dem Tod Josefs und seiner Zeitgenossen regiert ein neuer Pharao, der das Volk der Israeliten unterdrückt. Diese erzählerische Wendung bildet die Grundlage für die weiteren Geschehnisse, bei denen Mose fortan eine zentrale Rolle zukommt. Die hier betrachtete Textpassage Ex 2,23–4,17 bildet mit der Gottesbegegnung des Mose und der göttlichen Verheißung der Rettung den Ausgangspunkt für die Erzählung vom Auszug der Israeliten aus Ägypten. Gerahmt wird die Stelle durch den Aufenthalt Moses in Midian. Unmittelbar zuvor berichtet das Exodusbuch von der Flucht und dem anschließenden Leben Moses in Midian (vgl. Ex 2,11–22). Die Textpassage Ex 2,23–4,17 knüpft an diese erzählerischen Voraussetzungen narrativ an, insofern Midian als Ausgangspunkt für die Begegnung Moses mit Gott dient. Inhaltlich wird die Unterdrückung der Israeliten durch den Bericht über den Tod des Königs von Ägypten in 2,23 aufgegriffen. Zugleich wird dadurch auch die Möglichkeit für die Rückkehr Moses nach Ägypten und die Voraussetzung für den Auszug aus Ägypten geschaffen (vgl. Ex 4,19).
2. Gliederung
2,23–25: Gott nimmt die Not der Israeliten wahr
3,1–6: Gott erscheint Mose am Gottesberg im Dornbusch
3,7–4,17: Die Reden und Dialoge: Gott sendet Mose nach Ägypten
3,7–10: Erste Rede YHWHs: Sendung nach Ägypten zur Rettung der Israeliten
3,7–8: Rückblick
3,9–10: Vorausblick
3,11–12: Erster Dialog und erster Einwand: Zweifel und Ermutigungszeichen
3,13–14: Zweiter Dialog und zweiter Einwand: Die Frage nach dem Namen Gottes
3,15–22: Zweite Rede YHWHs: Verheißung und Auftrag an die Israeliten
4,1–9: Dialogerzählung und dritter Einwand: Zweifel am Auftrag der Israeliten
4,1: Einwand Moses
4,2–5: Erstes Zeichen (Stab)
4,6–8: Zweites Zeichen (Aussatz)
4,9: Drittes zukünftiges Zeichen (Nilwasser)
4,10–17: Dialogerzählung und vierter Einwand: Moses schwere Zunge und sein Bruder Aaron
(Gliederung nach Utzschneider/Oswald, 105.125–126)
3. Auslegung
3.1. Gott nimmt die Not der Israeliten wahr (Ex 2,23–25)
V. 23 leitet durch die Zeitangabe „Nach vielen Jahren“ (Ex 2,23) sowie durch die Information über den Tod des ägyptischen Königs einen neuen Abschnitt ein. Mit dieser Zeitangabe wird eine für die Erzählzeit wichtige Vergangenheit eingeholt, insofern hier summarisch auf die Geschehnisse zurückgeblickt wird, seitdem Mose Ägypten verlassen hat. Mit dem Tod des Pharaos stellt der Vers zugleich einen Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Israeliten in Ägypten und der damit einhergehenden Unterdrückung her (vgl. Ex 1). V. 23 verbindet so die Mosegeschichte mit der Unterdrückung der Israeliten. Die Israeliten beklagen dabei ihre Sklavenarbeit, indem sie stöhnen, klagen und um Hilfe rufen (vgl. 2,23). Der Hilfeschrei ist dabei ein Motiv, das häufig in der Exoduserzählung anzutreffen ist. Ausgehend von diesem „Hilferuf“ (2,23) wird die menschliche Handlungsebene mit der göttlichen Handlungsebene verbunden: „ihr Hilferuf stieg aus ihrem Sklavendasein zu Gott empor“ (2,23). Dabei fällt auf, dass Gott zuvor nicht direkt als Adressat des Hilferufs genannt wird, vielmehr scheint der Hilfeschrei wie von selbst zu Gott aufzusteigen (vgl. Dohmen, 129). So wird mit V. 23 Gott als handelnde Figur eingeführt. War Gott zuvor nur im Hintergrund der Erzählung zu finden, so findet sich nun die Gottesbezeichnung elohim (אֱלֹהִים) ab V. 23 insgesamt fünf Mal in den VV. 23–25, was in dieser Häufigkeit grammatikalisch nicht notwendig wäre.
In den VV. 24–25 ist nun Gott selbst das handelnde Subjekt. In beiden Versen finden sich dabei Verben der Wahrnehmung. Das hier präsentierte Panorama – Gott hört das Stöhnen seines Volkes, er gedenkt seines Bundes und sieht die Israeliten – drückt Gottes Wahrnehmungsfähigkeit aus. Zu dieser Fähigkeit gehört dabei ein Bewusstsein der Geschichte mit seinem Volk und der daraus erwachsenden Verpflichtungen, was durch das Gedenken des Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob deutlich wird (vgl. 2,24). Auf diese Weise kommt Gottes Zusage und Verheißung von Land, Nachkommen, Segen und Fürsorge an die Erzeltern summarisch in den Blick. Die Wahrnehmungsfähigkeit Gottes ist hier das wesentliche Element, denn Gott ist durch den Bund eng mit der menschlichen Geschichte verbunden. Der Beschluss Gottes, für die Israeliten einzutreten, erschließt sich in den VV. 23–25 dabei zunächst nur den LeserInnen. Den handelnden Figuren wird dies erst nach und nach offenbar.
3.2. Gott erscheint Mose am Gottesberg im Dornbusch (Ex 3,1–6)
Ex 3,1 führt mit Mose eine Figur wieder ein, die direkt zuvor in 2,23–25 noch nicht präsent war. Damit beginnt in 3,1 ein neuer Abschnitt, der jedoch keine eigene Zeitangabe anführt. So wird hier die zuvor begonnene Erzählung fortgesetzt und die Hinwendung Gottes zu Israel nun in der Begegnung zwischen Gott und Mose konkretisiert. Seinen Ausgangspunkt nimmt der zweite Abschnitt der Erzählung bei Mose, der die Schafe seines Schweigervaters Jitro hütet (vgl. 3,1). Dabei finden sich mit der Nennung von Midian, der Steppe und dem Gottesberg Horeb drei Ortsangaben, die wechselseitig aufeinander bezogen sind. Sie verdeutlichen, dass Mose die üblichen midianitischen Weideplätze verlassen hat und so „über die Steppe hinaus“ (3,1) zum Gottesberg Horeb kommt, sodass die folgende Gottesbegegnung nicht in Midian stattfindet.
Mit V. 2 beginnt das Geschehen am Gottesberg selbst. Für die LeserInnen wird die folgende Gottesbegegnung durch V. 2 bereits hier offenbar: „Dort erschien ihm der Engel des HERRN in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch“ (3,2). Der brennende Dornbusch als Erscheinungsort Gottes kombiniert dabei die Pflanzen- und Feuermotivik, die beide als göttliche Erscheinungsorte bzw. -weisen im Alten Testament bekannt sind (vgl. Bäume als Erscheinungsort in Gen 18,1f.; Ri 6,11 und Feuererscheinungen in Ex 13,21f.; Ri 13,20). Für Mose bleibt jedoch zunächst unbekannt, dass sich in dem brennenden und zugleich nicht verbrennenden Dornbusch Gott verbirgt. So nähert er sich diesem zunächst an, um ihn genauer zu betrachten (vgl. Ex 3,2–3). Der Text spielt dabei mit dem hebräischen Verb „sehen“ (rʾh, ראה). So sieht zunächst Mose, aus der menschlichen Perspektive, diese „außergewöhnliche Erscheinung“ (3,3). V. 4 greift das Sehen wiederum aus der göttlichen Perspektive auf, wenn Gott dabei Mose sieht. Über das Verb „sehen“ werden so die menschliche und die göttliche Handlungsebene verbunden. Das Sehen Gottes initiiert dabei die direkte Begegnung zwischen Gott und Mose durch die zweimalige Namensansprache des Mose (V. 4: „Mose, Mose!“). So ein doppelter Namensanruf findet sich sonst nur noch in Gen 22,11 (Abraham), Gen 46,2 (Jakob) und 1Sam 3,10 (Samuel) und markiert jeweils eine Lebenswende des angesprochenen Protagonisten. Auf die Ansprache folgt zunächst Moses Antwort: „Hier bin ich“ (3,4) – eine Bereitschaftserklärung – und daran anschließend die göttliche Aufforderung an Mose, nicht näher zu kommen und die Schuhe auszuziehen (vgl. 3,5). Wenngleich Mose die Identität des Sprechers nach wie vor nicht kennt, so erfährt er hier, dass er auf „heilige[m] Boden“ (3,5) steht. Der Begriff der Heiligkeit markiert eine Grenze, die den menschlichen und heiligen Bereich trennt und durch die Aufforderung, die Schuhe auszuziehen und sich nicht weiter zu nähern, unterstrichen wird. Heiligkeit spielt im Verlauf des Exodusbuches im Kontext weiterer Gottesbegegnungen und dem priesterlichen Dienst eine Rolle (vgl. Ex 19,20–24; 20,18–22; 24,11). Erst in V. 6 offenbart sich Gott schließlich dem Mose als Gott der Väter. Die Selbstvorstellung „Ich bin der Gott deines Vaters“ (3,6) identifiziert Gott dabei als den persönlichen Gott Moses. Es bleibt jedoch offen, wer genau dieser Gott ist, da weder Moses Vater bekannt ist noch der Gottesname YHWH genannt wird. Der Schwerpunkt liegt folglich auf der Tatsache, dass Gott der ganz persönliche Gott Moses ist. Mit der weiteren Vorstellung als Gott der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob wird zugleich eine heilsgeschichtliche Perspektive für das gesamte Volk Israel eröffnet, die den Abschnitt mit 2,24, aber auch mit 3,13.15 verbindet. Mose wird so als „liminale Gestalt“ (Utzschneider/Oswald, 117) gezeichnet, die sich nicht nur zwischen der göttlichen und menschlichen Sphäre bewegt, sondern auch als eine Figur an der Grenze zwischen Väter- und Volksgeschichte. Als Reaktion auf die göttliche Selbstvorstellung verbirgt Mose sein Gesicht und zeigt so, dass er sich unmittelbar Gott gegenüber weiß. Damit wird deutlich, dass es gefährlich ist Gott zu sehen (vgl. Ex 19,21; 33,20; Jes 6,5).
Die in den VV. 1–6 beschriebene Gottesbegegnung des Mose konkretisiert die Hinwendung Gottes zu seinem Volk. Dabei haben die Verse die narrative Funktion, Mose auf seine Rolle in der Befreiungsgeschichte der Israeliten vorzubereiten. Durch seine persönliche Gotteserfahrung kann er für das Volk im Folgenden zwischen der menschlichen und göttlichen Ebene vermitteln. Damit leitet diese Gottesbegegnung auch in die Dialogepisode in 3,7–4,17 ein, die nach der persönlichen Begegnung nun die Aufmerksamkeit auf Gottes Verheißung zur Rettung des Volkes und Moses Rolle dabei lenkt.
3.3. Erste Rede YHWHs: Sendung nach Ägypten zur Rettung der Israeliten (Ex 3,7–10)
Die Dialogepisode beginnt mit einer ersten Rede YHWHs in den VV. 7–10, die sich formal durch ihren ausgeprägten Redecharakter von den beiden folgenden Dialogen in 3,11–12.13–14 unterscheidet. Die Ich-Rede Gottes in den VV. 7–10 lässt sich dabei in zwei Abschnitte gliedern: einen Rückblick in den VV. 7–8 und einen Vorausblick in den VV. 9–10.
V. 7 beginnt mit der Redeeinleitung „Der HERR sprach“ (3,7). Im Anschluss daran eröffnet Gott seine Pläne für Israel. Ausschlaggebend dafür ist die Notsituation seines Volkes und deren „Geschrei“ (3,7 ELB; die EÜ übersetzt „laute Klage“), das er wahrgenommen hat. Das Verb „schreien“ (tsaʿaḳ, צעק), das dem Substantiv „Geschrei“ zugrunde liegt, stellt in der folgenden Exoduserzählung ein Leitwort im Kontext des Schreiens um Befreiung aus der Sklavenarbeit bzw. von der Verfolgung der Ägypter dar (vgl. Ex 3,7.9; 5,15; 14,10.15). Zugleich knüpft es an 2,23–25 an. Das Geschrei der Israeliten, das zu Gott aufsteigt (vgl. 2,23) sowie die Wahrnehmung der Klage durch Gott wird so als Ausgangspunkt für das Handeln Gottes ausgemacht. V. 8 schildert in Form eines Finalsatzes die erste Konsequenz aus der Wahrnahme Gottes der Klage: Er ist herabgestiegen, um das Volk aus Ägypten heraus „in ein schönes, weites Land“ (3,7) zu führen. Hier zeigt sich zum einen der Zweck des Herabsteigens, die Befreiung des Volkes aus Ägypten und das Hineinführen in ein neues Land. Zum anderen wird deutlich, dass die Reaktion auf die Wahrnehmung der Notsituation bereits erfolgt ist. Das schon geschehene Herabsteigen kann daher mit der Begegnung im Dornbusch identifiziert werden. Der Ausgangs- und der Zielpunkt des Herabsteigens Gottes stellen so die hier stattfindende Begegnung zwischen Gott und Mose in den Zusammenhang der Exodus-Landnahmeerzählung und kontrastieren Ägypten als Land der Knechtschaft mit dem Land des Segens und des Überflusses (vgl. 3,8). Das hier verheißene Land knüpft dabei an die Verheißungen an Abraham an, wobei dessen noch ausstehende Erfüllung das Exodusbuch von Beginn an prägt (vgl. aber auch die Verheißung von Nachkommen an Abraham in Ex 1). Die Besonderheit von V. 8 liegt darin, dass er das Land der Verheißung erstmals ausführlich als „als ein schönes und weites Land, […] in dem Milch und Honig fließen“ (3,8) beschreibt. Zugleich knüpft die Beschreibung durch die Nennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen aber auch an die Verheißung an die Erzväter an. Dennoch wird hier deutlich, dass im Pentateuch verschiedene Vorstellungen des verheißenen Landes nebeneinanderstehen.
Mit dem Ausblick auf den Zweck des Herabsteigens Gottes wird zugleich in einen vorausblickenden Teil übergeleitet. Durch das Gliederungssignal „Jetzt“ (3,9) wird das Geschehen in die Gegenwart geholt, wenngleich zunächst eine erneute Rückblende auf die Klage und Bedrängnis der Israeliten erfolgt. Mit dem daran anschließenden zweiten Gliederungssignal „Und jetzt“ (3,10) wird die Gottesrede zeitlich und räumlich auf die Gesprächssituation mit Mose fokussiert und die Konsequenz aus dem Herabsteigen Gottes gezogen. Die Herausführung aus Ägypten wird nun mittels der Imperative „Geh“ und „Führe mein Volk [..] aus Ägypten heraus“ (3,10) an Mose herangetragen. Der damit verbundene Sendungsauftrag zum Pharao in Verbindung mit dem Auftrag, das Volk aus Ägypten herauszuführen, entspricht dem prophetische Berufungsschema (vgl. Jes 6,8 [ggf. Verlinkung]; Jer 1,7; Ez 2,3f.). Mose wird so als Prophet dargestellt und bedarf dieser besonderen Legitimation Gottes nicht nur im Hinblick auf seine zukünftigen Aufgaben, sondern auch im Hinblick auf den bisherigen Erzählverlauf (vgl. Ex 2,11-12, wo Mose nicht positiv dargestellt wird).
Folgende Elemente des Berufungsschemas lassen sich in Ex 2f. finden:
- Angabe der Umstände der Berufung: Notleidendes Volk (Ex 2,23; 3,7)
- Auftrag (Ex 3,10)
- Einwand (Ex 3,11)
- Zusicherung (Ex 3,12)
- Zeichen (Ex 3,12)
- Keine explizite Annahme der Berufung, nur keine weiteren Einwände
3.4. Erster Dialog und erster Einwand: Zweifel und Ermutigungszeichen (Ex 3,11–12)
Auf die erste Gottesrede folgt ein erster knapper Dialog, der in V. 11 mit einem ersten Einwand seitens Moses eingeleitet wird: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?“ (3,11). Gott nimmt die Bedenken des Mose ernst, was sich in dessen Antwort in Form einer Beistandszusage in V. 12 zeigt. Diese Beistandszusage ist dabei inhaltlich nicht von der Sendung zu trennen (vgl. 3,12: „Ich bin mit dir; ich habe dich gesandt“). Dass Gott Mose in seiner Sendung nicht allein lässt, wird durch den Verweis auf ein Zeichen deutlich. Dabei bleibt das Zeichen jedoch inhaltlich unbestimmt. Einerseits kann das Zeichen in der Präsenz Gottes im Dornbusch zu finden sein, wie es die klassisch jüdische Auslegung vorschlägt. Andererseits kann sich das Zeichen aber auch auf den Inhalt des folgenden Satzes und damit auf das zukünftige Ereignis des Gottesdienstes des befreiten Volkes am Gottesberg beziehen. Folgt man der zweiten Möglichkeit, so ergibt sich durch das angekündigte Zeichen eine formale Gliederung des Planes Gottes in zwei große Abschnitte: die Befreiung aus Ägypten im engen Sinne und das Hineinführen in das verheißene Land. Der Gottesdienst am Ort der Beauftragung setzt dabei in der Mitte der Verheißung an. Er ist eine Bestätigung dessen, „dass mit dem Auszug im eigentlichen Sinne die notwendige Voraussetzung für die Erfüllung der Landverheißung gegeben ist“ (Dohmen, 155) und qualifiziert somit Moses Auftrag von dessen Mitte her. Zugleich weist der Gottesdienst auf Gottes Gegenwart hin, die hier vorausschauend ein Zeichen für die Verbindung von Vergangenheit (vgl. Befreiung aus Ägypten) und Zukunft (vgl. Hineinführen in das verheißene Land) wird.
3.5. Zweiter Dialog und zweiter Einwand: Die Frage nach dem Namen Gottes (Ex 3,13–14)
In V. 13 wird deutlich, dass Mose bereits antizipierend weiterdenkt und mit der Frage nach dem Namen Gottes Weiteres über den Gott erfahren will, in dessen Namen er handeln soll. Die Kenntnis des Namens kann hierbei als Ausweis der Glaubwürdigkeit verstanden werden. Dabei ist anzunehmen, dass der Name Gottes nicht unbekannt war, insofern eine persönliche Beziehung zu einer namenlosen Gottheit kaum denkbar ist. Der imaginierte Einwand der Israeliten, wie Gott heißt, scheint dabei darauf zu zielen, ob Mose auch von „ihrem“ Gott gesendet ist und nicht von einem anderen.
Gott antwortet auf die Frage nicht direkt. Die Fügung „Ich bin, der ich bin“ (3,14; im Hebräischen ‚eheyeh ‚asher ‚eheyeh אֶהְיֶה אֲשֶׁר אֶהְיֶה) ist kein Name. Sie ist eine Paronomasie (Laut- und Sinnspiel), die sich eine lautliche und grafische Ähnlichkeit zwischen dem Gottesnamen YHWH und der hier verwendeten Verbalform ‚eheyeh אֶהְיֶה „ich bin“ zunutze macht. Die Volksetymologie (nach der sprachwissenschaftlich korrekten Etymologie ist der Name vielleicht von arab. HWY „wehen“ abzuleiten) deutet also den Gottesnamen YHWH als vom hebräischen Verb „sein“ abstammend: yiheyeh „er ist“ ist in konsonantischer Schreibung (yhyh) (fast) identisch mit dem Gottesnamen YHWH. Der Text gebraucht für das Wortspiel statt der 3. Person Singular („er ist“) die 1. Person Singular („ich bin“ ‚eheyeh; ‚hyh in konsonantischer Schreibung), da YHWH von sich selbst spricht. Dies wird jedoch nur für LeserInnen und HörerInnen des Textes, die den Gottesnamen bereits kennen, ersichtlich. Inhaltlich geht es an dieser Stelle um die Bedeutung des Gottesnamens. Die im Hebräischen verwendete Verbform kann nicht nur eine gegenwartsbezogene, sondern auch eine futurische Bedeutung haben, sodass die Formel auch mit „Ich werde sein, wer ich sein werde“ übersetzt werden kann.
In diesem Sinne übersetzen Utzschneider und Oswald die Formel in V. 14 ‚eheyeh ‚asher ‚eheyeh (אֶהְיֶה אֲשֶׁר אֶהְיֶה) mit „Ich werde (einer) sein, dessen zukünftiges Sein nicht festlegbar ist“ (Utzschneider/ Oswald, 128). Sie verstehen den ersten Teil der Formel als eine Klassifikation und den zweiten Teil als eine Existenzaussage. Die Bedeutung des „Ich werde sein“ zeigt sich dann in der provozierten Gottesvorstellung der Israeliten: „Auch die Israeliten sollen wissen, dass der Gott, nach dessen Namen sie fragen, in der Vorstellung des Gottes ihrer Väter nicht aufgeht, sondern dass sie sich auf neue Gotteserfahrungen und -vorstellungen einzustellen haben“ (Utzschneider / Oswald, 129).
Dohmen hingegen verweist im Kontext des „Ich werde sein“ auf folgende drei Aspekte, die anklingen: „1. das Ich des Redenden, der mit dem Sendenden (V 12) identisch ist, sodann 2. das Futur […], das Hoffnungen in Verbindung mit dem Gesendeten zu wecken vermag, und schließlich 3, das Da-Sein (nicht Dasein!) Gottes, das den Angesprochenen Begegnung und (helfende) Nähe signalisiert“ (Dohmen, 158). Die drei Aspekte unterstreichen somit, dass es der Gott der Väter ist, der Mose schickt. Zugleich wird deutlich, dass dieser Gott sich nicht nur in der Vergangenheit erwiesen hat, sondern auch in der Zukunft für sein Volk da sein wird. Dennoch bleibt durch die Formel zugleich eine Freiheit und Unverfügbarkeit Gottes bestehen.
Im Anschluss an die Formel findet sich eine zweite Redeeinleitung „Und er fuhr fort“ (3,14) sowie ein Redebefehl Gottes „So sollst du zu den Israeliten sagen“ (3,14). Diese Unterbrechung der Gottesrede stellt die Frage, ob die vorherige Selbstvorstellung nur dem Mose galt und nun auch den Israeliten genannt werden soll, wer Mose schickt, nämlich der „Ich-bin“ (3,14, hebr. אֶהְיֶה ‚eheyeh).
3.6. Zweite Rede YHWHs: Verheißung und Auftrag an die Israeliten (Ex 3,15–22)
Die zweite Rede YHWHs beginnt in V. 15 und ist durch die Einleitung „Da sprach Gott abermals zu Mose“ (3,15) klar gekennzeichnet. Inhaltlich umfasst sie den Redeauftrag an die Israeliten, wodurch Gott eine Antwort auf die in V. 13 gestellte Frage des Mose gibt. Auffällig ist in V. 15 der Auftrag „So sag zu den Israeliten“ (3,15), der zwischen die Redeeinleitung und der Vorstellung Gottes als Gott der Väter eingeschoben ist. Der Satz erscheint überflüssig, insofern er bereits im vorherigen Vers genannt wird. Zugleich wird deutlich, dass der erste Satz des V. 15 parallel zu V. 14 aufgebaut ist und einzig das „Ich-bin“ (3,14) durch „HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ (3,15) ersetzt wird. V. 15 schließt damit inhaltlich an das Namensthema an und schließt es ab, indem er die Vergangenheit mit der Nennung der Väter und die Zukunft mit der Formel ‚Ich bin / Ich werde sein‘ verbindet. YHWH, der Gott der Befreiung (vgl. Ex) und der Gott der Erzeltern (vgl. Gen) werden miteinander identifiziert. Die Programmatik des Namens wird so auf den Punkt gebracht, indem Vergangenheit und Zukunft verschmelzen und so die Beziehungstreue Gottes zu seinem Volk ausgesagt wird. Dies wird auch durch den abschließenden Satz in V. 15b deutlich, der den Namen Gottes zugleich in einen kultischen Kontext setzt: „Das ist mein Name für immer und so wird man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht“ (3,15).
Durch den Abschluss der Namensthematik kann V. 15a auch in den vorherigen Gliederungsabschnitt gezogen werden (vgl. auch Dohmen, der V. 15a durch die inhaltliche Parallele zu V. 14 zieht). Die hier vorgestellte Gliederung orientiert sich an der Redeeinleitung, die einen Neueinsatz markiert.
V. 16 umfasst den Auftrag an Mose, den Ältesten Israels zu erzählen, dass ihm Gott erschienen sei. Dieser Auftrag und der Verweis auf das sorgsame Achthaben greifen einerseits die Dornbuscherzählung (vgl. 3,2) und andererseits die unmittelbar zuvor geoffenbarte Namensbedeutung auf und zeigen, dass Gott treu zu seinem Volk steht (vgl. 3,15). V. 17 schließt unmittelbar an den vorausgehenden Vers an. So soll Mose den Ältesten die göttliche Verheißung, Israel aufgrund des erlebten Elends aus Ägypten heraus- und in das Land, „in dem Milch und Honig fließen“ (3,17), hineinzuführen, mitteilen. Die VV. 16–17 bilden dabei durch die Landverheißung in Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Leides des Volkes eine Klammer mit der Erscheinung Gottes vor Mose (vgl. die Thematik in 3,7f.) und grenzen so auch die ersten Reden von den künftigen Aufgaben Moses als Gesandter Gottes ab.
Die VV. 18–20 antizipieren die Ereignisse nach der Rückkehr des Mose nach Ägypten in Form der Gottesrede. Indem davon berichtet wird, dass die Israeliten auf Mose hören, wird die Grundlage dafür geschaffen, dass Mose im Weiteren mit den Ältesten zum Pharao gehen und diesen um die Erlaubnis für ein Opferfest bitten kann. Die Rede an den Pharao, „Der HERR, der Gott der Hebräer, ist uns begegnet. Und jetzt wollen wir drei Tagesmärsche weit in die Wüste ziehen und dem HERRN, unserem Gott, Schlachtopfer darbringen“ (3,18), verweist durch den Bezug auf die Begegnung mit Gott zurück auf die Geschehnisse am Gottesberg und begründet damit zugleich das Vorhaben, aus Ägypten in die Wüste ziehen zu dürfen. Zugleich finden sich in diesem Vers aber auch Verweise auf die weiteren Geschehnisse der Exoduserzählung (vgl. u. a. Ex 5,1–2). So ist u. a. die Bezeichnung Gottes als „Gott der Hebräer“ (3,18) zu nennen, welche im Exodusbuch ausschließlich in den Verhandlungen mit dem Pharao erscheint (vgl. Ex 5,3; 7,16; 9,1.13; 10,3) und hier bereits vorausgegriffen wird. Zugleich fällt auf, dass die Israeliten dabei von „unserem Gott“ (3,18) sprechen, was die göttliche Bezeichnung des Volkes als „mein Volk“ (Ex 3,7.10) ergänzt. Die besondere Beziehung, die hier zwischen Gott und seinem Volk sichtbar wird, lässt sich auch am Vorhaben des Volkes, in die Wüste zu ziehen und ihrem Gott ein Schlachtopfer darzubringen, erkennen. Die Israeliten wollen ihren eigenen Gott verehren, was in Ägypten nicht möglich ist. So muss das Volk für die Verehrung Ägypten verlassen. Die Angabe, „drei Tagesmärsche weit in die Wüste“ (3,18) ziehen zu wollen, kann daher als Entfernungsangabe und nicht als Zeitangabe verstanden werden, die unterstreicht, dass der Gottesdienst eindeutig außerhalb Ägyptens stattfinden soll. Die Form des Schlachtopfers, welche die übliche Form des Opfers für Viehzüchter und Hirten war, wurde zudem in Ägypten abgelehnt, was erneut die Bestrebung, Ägypten für das Opfer verlassen zu wollen, unterstreicht. Die Rede in den VV. 17–18 zielt somit darauf, dem Pharao „die Besonderheit der Gottesbeziehung der Israeliten bewusst zu machen“ (Dohmen, 166).
Auch die VV. 19–20 bieten einen Ausblick auf das weitere Geschehen im Exodusbuch von Ex 5 bis zum Ende der Plagenerzählung. Während V. 19 andeutet, dass sich der Pharao der Forderung der Israeliten widersetzen wird, blickt V. 20 auf die Auseinandersetzung Gottes mit dem Pharao voraus. Die Prophezeiung „wenn ich meine Hand ausstrecke und Ägypten niederschlage mit allen meinen Wundern, die ich in seiner Mitte vollbringe, wird er euch ziehen lassen“ (3,20) spielt damit schon auf die Plagenerzählung und dessen Ausgang an.
Die VV. 21–22 bilden mit dem Ausblick auf den Auszug den Abschluss der Rede. Vor allem die Formulierung „plündert so die Ägypter aus“ (3,21) wirft Fragen auf, insofern sie als eine göttliche Aufforderung zum Raub erscheint. Der Auftrag zur Ausplünderung wird in Ex 11,2f. wiederholt und dessen Ausführung in Ex 12,35f. geschildert. Allerdings können diese Stellen nicht zum vertieften Verständnis der Stelle beitragen. Im Blick auf die VV. 21–22 als Einheit wird jedoch ein Text mit vielen Anspielungen sichtbar, der für das Verständnis der göttlichen Aufforderung aufschlussreich sein kann. Im Kontext der Geschenke der ägyptischen Nachbarinnen fallen die Wendung „nicht mit leeren Händen“ (3,21) sowie die Aufforderung, kostbare Güter von den ägyptischen Nachbarinnen und Hausgenossinnen zu erbitten, ins Auge. Sie stehen im Zusammenhang mit dem Sklavenrecht (vgl. Dtn 15,13) und lassen die Güter als Lohn erscheinen, der den Israeliten als entlassene Sklaven für die Sklavenarbeit zusteht. Des Weiteren erinnert der Auszug der Israeliten mit den kostenbaren Gütern an die Verheißung Gottes an Abraham in Gen 15,14, die den Israeliten „reiche[] Habe“ (Gen 15,14) und den Unterdrückern Gericht verheißt. Ex 3,22 scheint bei dieser intertextuellen Lesart zu erklären, woher die in Gen 15,14 angekündigte große Habe beim Auszug des Volkes kommt. Daneben erinnern „silberne und goldene Geräte“ (3,22) an Weihegaben, die an einen Gottesdienst denken lassen. Diese kultische Anspielung wird ebenso durch die Formulierung „nicht mit leeren Händen“ (3,21) unterstrichen, die an Opfervorschriften von Wallfahrtsfesten (vgl. Ex 23,15; 34,20; Dtn 16,16) erinnert und damit zugleich auch an V. 18 zurückbindet, in dem das Vorhaben, ein Opferfest in der Wüste zu feiern, gegenüber dem Pharao geäußert wurde. Zuletzt klingt im göttlichen Versprechen, „diesem Volk Gunst in den Augen der Ägypter verschaffen“ (3,21) zu wollen, die Josefsgeschichte (vgl. insbes. Gen 39,21) an. Damit sollen sich die Ägypter dankbar an die Gunst erinnern, die Josef ihnen erwiesen hat. Im Kontext dieser Anspielungen erscheinen die VV. 21–22 nicht mehr als bloßer Aufruf, die Ägypter auszurauben. Die beiden Verse schließen die zweite Gottesrede ab und zeigen durch die verschiedenen Anspielungen vielmehr ein differenziertes Bild, das neben der Unterdrückung auch positive Aspekte der Beziehung zwischen Ägypten und dem Volk Israel anklingen lässt. Dadurch werden die Ägypter im zugleich gezeichneten Bild der Trennung der beiden Völker nicht nur als Feinde gesehen.
3.7. Dialogerzählung und dritter Einwand: Zweifel am Auftrag der Israeliten (Ex 4,1–9)
Auf die zweite Rede Gottes erfolgt erneut eine Nachfrage bzw. ein Einwand des Mose, die wieder zum Kern des Dialogs, dem göttlichen Auftrag, das Volk Israel aus Ägypten herauszuführen, zurückführt: „Was aber, wenn sie mir nicht glauben und nicht auf mich hören, sondern sagen: Der HERR ist dir nicht erschienen?“ (4,1) Die Nachfrage stellt die Voraussetzung für den göttlichen Auftrag, dass die Israeliten auf Moses Stimme hören (vgl. 3,18), in Frage. Gott antwortet nicht mit einer Rede, sondern mit Zeichen, die Mose tun soll. Die Zeichen werden dabei in zwei kurzen, gleich gestalteten Erzählsequenzen in 4,2–5 und 4,6–8 beschrieben.
Die erste Erzählung in den VV. 2–5 berichtet von der Verwandlung des Stabes des Mose in eine Schlange und wieder zurück. Diese Verwandlung des Stabes ruft bei Mose selbst zunächst Angst hervor (vgl. das Zurückweichen in 4,3), jedoch stattet Gott ihn mit Kräften aus, sodass er die Schlange beherrschen kann. Mose wird damit zu einem Repräsentanten der göttlichen Macht. Dafür steht auch der Stab als bleibendes Zeichen der Autorität und Wundermacht in der Exoduserzählung (vgl. Ex 7,8–13; 14,16; 17). Das Zeichen soll folglich auf diese Weise die Glaubwürdigkeit des Mose bestätigten, wie V. 5 verdeutlicht.
V. 6 markiert einen Neueinsatz, wie die Redeeinleitung „Weiter sprach der HERR zu ihm“ (4,6) zeigt. Das darauffolgende zweite Zeichen, die Verwandlung einer gesunden Hand in eine vom Aussatz befallene Hand und wieder zurück in eine gesunde Hand (vgl. 4,6–7), erscheint als göttliche Bestätigung des Zweifels Moses. Denn die Wirksamkeit des zweiten Zeichens soll im Falle, dass sich die Ältesten „durch das erste Zeichen nicht überzeugen lassen“ (4,8), den Glauben der Israeliten stützen.
Die beiden Zeichen ersetzen jedoch nicht die Rede des Mose. Sie unterstützen vielmehr dessen Akzeptanz, insofern sie den Kern der zur vermittelnden Botschaft hervorheben. Beide Zeichen zeigen Veränderungen an, im Falle des zweiten Zeichens bspw. die Veränderung von Gesundheit zu Krankheit und wieder zurück, und sind damit ein sichtbarer Hinweis darauf, dass Gott Mose schickt, um das Leben der Israeliten zu verändern. Für den Fall, dass die Israeliten nach den beiden Zeichen Mose noch immer keinen Glauben schenken, so kündigt Gott ein drittes Zeichen an. Die Verwandlung von Nilwasser in Blut wird aber anders als die vorherigen beiden Zeichen nicht vorgeführt. Sie bleibt eine Ankündigung und greift damit bereits auf die Plagen und die damit verbundene Auseinandersetzung mit dem Pharao (vgl. Ex 7,12–25) voraus. Durch die Ankündigung des dritten Zeichens entsteht der Eindruck, Gott stelle die Wirksamkeit der Zeichen selbst in Frage bzw. wolle ihre Bedeutsamkeit reduzieren. Dieser Umstand verdeutlicht, dass die Zeichen keinen magischen Wunderglauben befördern sollen, sondern vielmehr die gesprochene Botschaft des Mose unterstreichen sollen.
Alles in allem stellt die Passage 4,1–9 einen Wendepunkt im Dialog zwischen Mose und YHWH dar, insofern Mose Gott durch eine Nachfrage herausfordert. Dieses konflikthafte Verhältnis zwischen beiden wird im nächsten und letzten Abschnitt noch weiter zugespitzt.
3.8. Dialogerzählung und vierter Einwand: Moses schwere Zunge und sein Bruder Aaron (Ex 4,10–17)
Der Einwand des Mose, er sei „keiner, der gut reden kann“ (4,10), passt nicht zum Thema im vorherigen Abschnitt, welcher die Zeichen und nicht das Reden behandelt. Die Dialogerzählung um diesen vierten Einwand ist dabei in zwei parallele Abschnitte (VV. 10–12.13–16) gegliedert und durch das gemeinsame Thema der mangelnden Wortgewandtheit des Mose verbunden. Beide Abschnitte werden nach der Redeeinleitung durch die Formel „Aber bitte, HERR“ (4,10.13) eingeleitet, worauf der jeweilige Einwand des Mose folgt. Gott antwortet beides Mal mit einer rhetorischen Frage (vgl. VV. 11.14) und anschließend mit einer Folgerung in Form einer Aufforderung und Ermutigung des Mose (vgl. VV. 12.15).
Der erste Einwand des Mose, nicht gut reden zu können, ist ein Grundproblem und eine Besonderheit der biblischen Prophetie (vgl. Jer 1,4–19), insofern das Sprechen wesentlicher Teil der prophetischen Sendung ist und vor eine große Herausforderung stellt [ggf. Verlinkung zur Prophetie möglich]. Denn durch das Sprechen müssen die göttlichen Worte adäquat wiedergeben werden, um Gott und seine Botschaft angemessen zu verkündigen. Gott lässt diesen Einwand jedoch nicht gelten, was dessen Erwiderung in Form der rhetorischen Frage (vgl. 4,11) deutlich macht. Gott erscheint dabei als Lehrer, der Mose Anweisung gibt, was er zu reden hat. Mit der Zusage „Ich bin mit deinem Mund“ (4,12) wird zudem ein Bogen zum Beginn des Dialoges geschlagen, wo das Mit-Sein Gottes mit Mose bereits Thema war (vgl. 3,12).
Mose äußert jedoch erneut Bedenken: „Sende doch, durch wen du senden willst!“ (4,13 ELB) Die Wendung „senden durch“ verweist dabei auf eine Vermittlung, durch die der Auftrag ausgeführt werden soll. Die Aussage Moses kann so als Bitte verstanden werden, jemand Wortgewandtes an seiner Stelle zu schicken. Damit beachtet er die Zusage Gottes in 4,12 nicht weiter, was wohl den darauffolgenden Zorn Gottes entbrennen lässt (vgl. 4,14). Dennoch geht Gott auf die Forderung Moses ein und verweist auf dessen Bruder Aaron, der beredt ist, weil er als Levit Aufgaben des Redens und Lehrens kennt (vgl. Dtn 33,10). Allerdings wird der Auftrag Gottes nicht einfach auf Aaron übertragen, vielmehr wird dieser auf ihn ausgedehnt. Mose bleibt derjenige, der von Gott geschickt ist und auch Aaron die Botschaft übermittelt (vgl. 4,15: „Sprich mit ihm und leg ihm die Worte in den Mund“). Die Ausdehnung des Auftrags wird auch durch die Bekräftigung der göttlichen Zusage „mit deinem und seinem Mund sein“ (4,15) unterstrichen. Zugleich werden dabei aber auch die Rollen von Mose und Aaron genau bestimmt: „Er wird für dich der Mund sein und du wirst für ihn Gott sein“ (4,16). Mit dieser Analogie der prophetischen Sendung zwischen Gott und Mose nun im Hinblick auf Mose und Aaron wird die besondere Mittlerstellung des Mose deutlich: Er ist der von Gott Beauftragte und Mittler der göttlichen Botschaft. Aaron selbst bleibt nur das „Sprachrohr“ des Mose, um die Botschaft in Worte gefasst zum Volk zu bringen.
V. 17 kommt am Ende der Textpassage nochmal auf den Stab zurück: „Diesen Stab nimm in deine Hand! Mit ihm wirst du die Zeichen vollbringen.“ (4,17) Der Text spielt damit auf die Zeichen an, die bereits in 4,1–9 thematisiert wurden. Zugleich bleibt die Rolle des Stabes aber nicht auf das Zeichen mit der Schlange (vgl. 4,1–5) beschränkt. „Vielmehr scheint der Stab für Mose als Zeichen für die Nähe Gottes und als Hinweis für die Zusagen Gottes […] verstanden zu werden.“ (Dohmen, 172) Mit dem Verweis auf den Stab und die Zeichen endet der Dialog auf dem Berg.
4. Fazit
In der Passage Ex 2,23–4,17 werden die LeserInnen sowie Mose in den göttlichen Ratschluss eingeweiht, dass Gott Israel aus Ägypten heraus in ein gutes Land führen will. Dabei werden zunächst die LeserInnen in diesen Plan eingeweiht (vgl. 2,23–25), bevor Mose am Horeb Gott begegnet (vgl. 3,1–6) und schließlich in einem langen Dialog von Gott in führender Rolle gesandt wird (vgl. 3,7–4,17). Theologisch wird dabei die Geschichte eines Herrschaftswechsels eingeleitet. Während das Volk Israel zuvor unter der Herrschaft des Pharaos steht und Sklavenarbeit leisten muss, verlässt es diesen Herrschaftsbereich in der Folge und kommt unter die Herrschaft YHWHs. Damit stehen sich in der Exoduserzählung, die hier ihren Ausgangspunkt nimmt, nicht zwei weltliche Herrscher gegenüber, sondern der Pharao und YHWH. Mit der hier erzählten Sendung des Mose nimmt dieser Antagonismus seinen Anfang. Zugleich fügt sich Ex 2,23–4,17 in den ersten Teil des Exodusbuches (Ex 1–14) ein, dessen Hauptanliegen der Erweis YHWHs als rettender Gott für Israel ist. Mit der Einweihung in den göttlichen Ratschluss der Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten wird ein solcher Erweis für YHWHs rettendes Handeln erbracht.
5. Quellen
- Dohmen, Christoph, Exodus 1–18, Freiburg i. Br. 2015 (HThKAT 5).
- Fischer, Georg / Markl, Dominik, Das Buch Exodus, Stuttgart 2009 (NSK.AT 2).
- Oswald, Wolfgang, Exodusbuch, in: WibiLex online (http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/11553/) [zuletzt besucht am 08.07.2024].
- Richter, Wolfgang, Die sogenannten vorprophetischen Berufungsberichte. Eine literaturwissenschaftliche Studie zu 1 Sam 9,1-10, 16, Ex 3f. und Ri 6,11b-17, Göttingen 1970 (FRLANT 101).
- Utzschneider, Helmut / Oswald, Wolfgang, Exodus 1–15, Stuttgart 2013 (IEKAT).
Erstellt von Katharina Neu, 2025.